anlässlich der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 16. Januar 2013.
(dazu djb-Pressemitteilung v. 17.1.2013)
A.
I.
Der Deutsche Juristinnenbund (djb) begrüßt die Gesetzesinitiative der SPD-Fraktion zur gesetzlichen Quotenregelung. Dabei wird ausdrücklich jede Gesetzesinitiative befürwortet, die das Ziel realisiert, die gesetzlich vorgeschriebene Gleichstellung von Frauen und Männern umzusetzen. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass es um entsprechend qualifizierte Personen geht. Der djb fordert schon seit langem eine Quoten-Regelung mit dem Inhalt, unter gleichqualifizierten Bewerbungen jeweils die Frau auszuwählen, wenn Frauen auf der jeweiligen Führungsebene unterrepräsentiert sind. In den 30 DAX-Unternehmen besteht der Vorstand auch im Jahre 2012 zu 92,67 % aus Männern; noch niedriger fällt der Anteil der Frauen in den weiteren 46 börsennotierten Unternehmen aus, deren Hauptversammlungen der djb seit 2010 in seinem Projekt „Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung“ besucht (Quelle: Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung – 2012. Ziele, Strategien und Maßnahmen für mehr Frauen in Führungspositionen, Hrsg.: Deutscher Juristinnenbund e. V., 2012).
II.
Gesetzliche Vorgaben einer Quotenregelung sind notwendig.
Ausgangspunkt ist Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG. Der Staat muss Gleichberechtigung fördern und bestehende Nachteile beseitigen.
Art. 3 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union („Die Union … fördert … die Gleichstellung von Frauen und Männern“) stellt eine primärrechtliche Verpflichtung dar.
Art. 8 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) verpflichtet die Union, bei allen ihren Tätigkeiten darauf hinzuwirken, Ungleichheiten zu beseitigen.
Nach 10 AEUV hat die Europäische Union den verbindlichen Auftrag, bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen Diskriminierungen des Geschlechts (…) zu bekämpfen.
Nach Art. 19 AEUV „kann der Rat (…) geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts(…) zu bekämpfen“.
Nach Art. 23 der Grundrechtecharta der Europäischen Union, der über Art. 6 Abs. 2 AEUV zur Auslegung des Gleichstellungsgebots heranzuziehen ist, ist die Gleichheit von Frauen und Männern in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit (…) sicherzustellen.
Die Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern fällt in das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot, da die Aufsichtsratstätigkeit bzw. Vorstandstätigkeit eine berufliche Tätigkeit darstellt, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/54/EG fällt.
III.
Die „Vereinbarung“ von „Freiwilligkeit“ anstelle einer gesetzlichen Regelung der Quote reicht nicht aus. Das zeigen die bisherigen Erfahrungen:
1.
Die im Jahr 2001 getroffene Vereinbarung der damaligen Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der Deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit ist gescheitert. Freiwillige Regelungen führen nicht zum Ziel.
2.
Die so genannte „Flexiquote“ basiert erneut auf Freiwilligkeit und ist aufgrund der gemachten Erfahrungen abzulehnen. Auch die Selbstverpflichtung der DAX-Konzerne aus dem Jahr 2011 ist keine geeignete Maßnahme, um in absehbarer Zeit die Gleichbehandlung als rechtmäßigen Zustand herzustellen.
3.
Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Projekt des djb „Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung“ kann keine Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern ersetzen. Ziel des Projektes ist es, auf den Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen präsent zu bleiben, um den Rechtfertigungsdruck innerhalb der Unternehmen aufrecht zu erhalten, aber auch um Öffentlichkeit herzustellen und das Thema weiter in der Diskussion zu halten, solange Frauen nicht gleichberechtigt in allen Führungsebenen vertreten sind. Im Rahmen der Hauptversammlungen der 30 DAX-Konzerne und 46 weiterer börsennotierten Unternehmen fragt der djb u.a. nach Daten zur Besetzung von Aufsichtsräten, Vorständen und weiteren Führungsebenen mit Frauen und Gleichstellungsmaßnahmen. Die Antworten werden auch im Zusammenhang mit der abgegebenen Entsprechenserklärung nach § 161 Abs. 3 AktG qualitativ und quantitativ ausgewertet.
Die drei bisher veröffentlichten Projektstudien 2010, 2011 und 2012 belegen, dass Handlungsbedarf besteht, da alle bisherigen Appelle und alle Regelungen unterhalb einer verbindlichen gesetzlichen Quote die gleichheitswidrige Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft nicht beseitigt haben.
B.
I.
1.
Der Gesetzentwurf der SPD sieht vor, eine Mindestquote von 40 % zu Gunsten von Frauen sowohl in Vorstands- als auch in Aufsichtsratsgremien ab 2015 einzuführen. Die erste Stufe soll ab 1. Januar 2013 bei der Neubesetzung in Aufsichtsräten im Umfang von 30 %, und bei Vorstandspositionen im Umfang von 20 % erfolgen. Dies bedeutet, dass bei gleicher Qualifikation und entsprechender Neubesetzung immer der Vorrang zugunsten der Frau gilt, bis die gesetzlich geregelte Quote im Unternehmen erreicht ist.
2.
Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass für den Fall, dass keine Frau für die Position gefunden wird (gewählt oder bestellt), der Platz unbesetzt bleiben muss. Dabei ist insbesondere die Differenzierung zwischen der Anteilseigner- und der Arbeitnehmerseite bei der Besetzung von Aufsichtsratsmandaten als richtig einzustufen.
3.
Die Feststellung der Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrates bei einer länger als zwölf Monate andauernden Unterbesetzung ist eine geeignete Sanktion, um die Quote durchzusetzen. Der Weg ist durch die gerichtliche Bestellung unter Beachtung der Quotenregelung ordnungsgemäß bestimmt.
II.
Zusätzlich fordert der djb die Aufnahme einer Regelung in der Vorschrift des § 161 AktG zur Richtigkeit der Entsprechenserklärung und zu den Rechtsfolgen bei einer unrichtigen Entsprechenserklärung. Denn der Corporate Governance Kodex regelt die Vorgabe der Beachtung der Grundsätze von Diversity, worunter auch die Besetzung der Positionen mit Frauen verstanden wird. Es fehlt hingegen die Regelung in § 161 AktG über die Rechtsfolgen bei einer falschen Entsprechenserklärung zur Diversity.
§ 161 AktG ist daher dringend dahingehend zu ändern, dass der Verstoß gegen die Vorschrift des neuen § 76 Abs. 4 AktG die Nichtigkeit der Entsprechenserklärung und des Geschäftsberichts zur Folge hat. Denn im Rahmen des Projektes „Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung“ hat der djb zur Kenntnis genommen, dass die Entsprechenserklärungen nicht den Tatsachen entsprechen. Die Fehlerhaftigkeit der Entsprechenserklärung hat heute allerdings keinerlei Rechtsfolge und bleibt damit ohne Sanktionen.
III.
Der djb fordert zusätzlich die Einfügung des § 289 b HGB „Erklärung zur Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien“ entsprechend dem gemeinsamen Entwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Deutscher Bundestag, Drucksache 17/11139. Die Forderung des djb bezieht sich nicht nur auf die Aufnahme einer statistischen Erfassung des Geschlechteranteils in den Führungsgremien, sondern umfasst auch die Forderung nach einer Weiterleitung der veröffentlichten Informationen durch den Betreiber des Bundesanzeigers an das Bundesjustizministerium (Ergänzung des § 329 HGB durch Absatz 5) und die Regelungen zum Tatbestand der Ordnungswidrigkeit (§§ 334 Ia, Iva, V, und 340 n HGB).
IV.
Aufzunehmen ist auch eine Sanktion durch Änderung des § 10 KStG dergestalt, als keine Abzugsfähigkeit für Aufwendungen der Mitglieder des Aufsichtsrates bei Gesellschaften bestehen, die gegen die Quotenregelung (§ 96 AktG) verstoßen.
V.
Zu den Gesetzesvorschlägen im Einzelnen:
1.
Die bisherige Formulierung im Gesetzesentwurf des § 76 Abs. 4 Satz 2 AktG geht nicht weit genug. Denn danach soll eine Bestellung nur soweit möglich sein, als die Mindestquote für jedes Geschlecht eingehalten werden kann. Der djb regt hier eine Formulierung an, dass eine Bestellung nur dann zulässig ist, wenn die Mindestquote für jedes Geschlecht eingehalten wird.
2.
Auf die Regelung des § 76 Abs. 5 AktG kann verzichtet werden. Stattdessen sollte die Voraussetzung für die Anwendung des Abs. 4 an den Anfang gestellt werden, d. h.: „Für börsennotierte Gesellschaften und für Gesellschaften, die den in § 96 Abs. 1 genannten Vorschriften über die Mitbestimmung unterliegen, gilt, dass eine Bestellung zum Mitglied des Vorstands nur zulässig ist …“.
3.
§ 96 Abs. 4 Satz 1 AktG sollte wie folgt geändert werden: „Im Aufsichtsrat oder im jeweiligen Teilgremium müssen Männer und Frauen jeweils mit einem Anteil von mindestens 30 % vertreten sein“. Denn nach § 95 Satz 1 AktG liegt die gesetzliche Mindestgröße des Aufsichtsrates bei drei Personen, so dass rein rechnerisch eine 30 %-ige Quote zu verankern ist.
4.
Für § 96 Abs. 5 gilt das Gleiche wie bei § 76 Abs. 5 AktG, d. h. die Voraussetzung des Geltungsbereiches sollte an den Anfang des § 96 Abs. 4 gestellt werden.
C.
I.
Es besteht dringender Handlungsbedarf für eine gesetzliche Regelung zur Quote. Die Quote ist kein Selbstzweck, sondern das richtige Mittel, um einen verfassungswidrigen und europarechtswidrigen Zustand zu beseitigen.
II.
Die Folgen einer falschen Entsprechenserklärung aus dem Deutschen Corporate Governance Kodex sind im Aktiengesetz zu regeln. Ansonsten sind die Entsprechenserklärungen im Corporate Governance Kodex als „Papiertiger“ zu qualifizieren.
Wir wären schon einen Schritt weiter, wenn die Unternehmen die richtige Entsprechenserklärung abgeben würden. Der djb befürwortet ausdrücklich den Inhalt der bestehenden Corporate Governance Kodex Regeln, fordert aber deren richtige Anwendung und begrüßt an dieser Stelle die aktuelle Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäischen Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen (COM(2012) 740/2). Nach diesem Aktionsplan zum Europäischen Gesellschaftsrecht und Corporate Governance Kodex sollen u.a. die Anforderungen an die Abweichenserklärungen im Jahre 2013 verbessert werden.
III.
Im Bereich der öffentlichen Hand gibt es bereits Quotenregelungen, wie beispielsweise im Bundesgremiengesetz, im Bundesgleichstellungsgesetz und in den Landesgleichstellungs-gesetzen. Allerdings fehlen hier die Sanktionen, so dass auch hier ein gesetzlicher Handlungsbedarf besteht, um die Quotenregelungen in den gesetzlichen Bestimmungen auch tatsächlich umzusetzen.
IV.
Es handelt sich bei der Quotenregelung nicht in erster Linie um eine gesellschaftspolitische Forderung, sondern vor allem um die Beachtung des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar bisher eine explizite Entscheidung über Quoten vermieden und der europäischen Ebene überlassen. Es hat aber bereits in der „Nachtarbeitsentscheidung“ festgestellt, dass Art. 3 Abs. 2 GG sich nicht in einem Differenzierungsverbot erschöpft, sondern die Gleichberechtigung der Geschlechter auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchsetzen will. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG begründet damit nicht nur eine staatliche Schutzpflicht, sondern auch eine Pflicht zu aktiven staatlichen Fördermaßnahmen. Hieraus ergibt sich die Pflicht des Gesetzgebers, eine Quote gesetzlich zu verankern.
Diese staatliche Pflicht ergibt sich auch aus Art. 3, 14 Abs. 1 a der Richtlinie 2006/54/EG.
Die Quote ist mit Verfassungs- und Europarecht vereinbar, wie bereits die Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 18./19. Mai 2011 in Halle zur Teilhabe von Frauen in Führungs- und Kontrollgremien der Wirtschaft festgestellt hat.
V.
Der djb ist davon überzeugt, dass nur verbindliche, gesetzliche Quoten-Regelungen zur Erhöhung des Frauenanteils in Entscheidungsgremien führen. Der djb setzt auf eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern – so wie es unser Grundgesetz in Art. 3 fordert. Andere Staaten in Europa, wie beispielsweise Norwegen, Island, Spanien, Italien, Frankreich, Belgien und die Niederlande, haben bereits Quotenregelungen eingeführt und wenden damit das für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union geltende EU-Recht ordnungsgemäß an.
Ramona Pisal
Präsidentin
Prof. Asoc. Dr. jur. Jutta Glock
Stellv. Vorsitzende der Kommission
Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht