Stellungnahme: 11-12


zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 6. Juni 2011, BT-Drucksache 17/6000

Stellungnahme vom

 

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) möchte mit dieser Stellungnahme den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf (FPfZG) aus pflege- und gleichstellungspolitischer Sicht kommentieren. Nach einer allgemeinen Bewertung des Gesetzentwurfs (I.) formuliert der djb einige grundsätzliche Überlegungen des djb zur Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger und der Vereinbarkeit von privater Pflege- und Erwerbstätigkeit und bewertet in ihrem Lichte den Entwurf (II.). Abschließend werden einzelne Aspekte des Entwurfs kommentiert (III.).

 

I.       Allgemeine Bewertung

Der djb begrüßt aus pflege- wie gleichstellungspolitischer Sicht grundsätzlich das Ansinnen der Bundesregierung, die Situation nicht professionell Pflegender, bei denen es sich mehrheitlich um Frauen handelt, auch durch bundespolitische Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit zu verbessern. Er begrüßt auch den – allerdings schon im Pflegezeitgesetz (PflegeZG) enthaltenen – Rückkehranspruch der Pflegenden nach Ende der Familienpflegezeit auf das bisherige Arbeitszeitniveau. Positiv ist zudem zu vermerken, dass der Gesetzgeber – wie in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien vorgesehen – in dem vorliegenden Entwurf eine gleichstellungspolitische Folgenabschätzung vorgenommen hat.

Der djb unterstützt die in dem Entwurf und der Begründung genannten Ziele der Bundesregierung:

  • Flexibilisierung von Arbeitszeitregelungen,
  • Verbesserung der Alterssicherung von Frauen, die Sorgearbeit leisten,
  • Stärkung der Erwerbsintegration von Frauen und Schutz vor Kündigung aufgrund von Sorgezeiten und
  • Stärkung der Anreize für Männer, zugunsten privater Pflegetätigkeit ihre Erwerbsarbeit einzuschränken.

Allerdings ist der vorliegende Gesetzentwurf aus Sicht des djb zur Erreichung der genannten Ziele nicht geeignet und wird daher abgelehnt.


1.  Mangelnde Effektivität durch fehlenden Rechtsanspruch

Schon der fehlende Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit ist ein zentrales Manko, das die Effektivität auch eines im Übrigen sinnvoll ausgestalteten Gesetzes wesentlich behindern würde. Das Fehlen eines Rechtsanspruchs senkt die Inanspruchnahme solcher Gesetze.

Auch innerhalb des gewählten Ansatzes der Freiwilligkeit ist die Ausgestaltung des Gesetzes ungeeignet.


2. Arbeitgeberschutzgesetz statt Arbeitnehmerinnenschutzgesetz

Das FPfZG stellt Arbeitnehmer/innen teilweise schlechter als das gegenwärtige Arbeitsrecht. So ist ein Arbeitslohn, der im Voraus gezahlt wurde, nach geltendem Arbeitsrecht nicht zu erstatten, wenn die Arbeitnehmerin erwerbsunfähig wird oder verstirbt. Im FPfZG ist dieser Fall jedoch versicherungspflichtig. Dies ist untypisch und unnötig. Das Gesetz, das sich als Arbeitnehmerinnenschutzgesetz präsentiert, ist in Wirklichkeit ein Arbeitgeberschutzgesetz.


3. Unsinnige Versicherungslösung

Die im FPfZG vorgeschlagene Versicherungslösung ist umständlich. Entsprechende Versicherungen existieren bereits auf dem Versicherungsmarkt. Die Tatsache, dass sie sich bisher nicht im großen Stil durchgesetzt haben, könnte bereits darauf hindeuten, dass sie für die Arbeitnehmer/innen keine attraktive Lösung darstellen. Zudem ist unklar, warum Versicherungsnehmerin die Arbeitnehmerin sein soll. Der Ausfall der Arbeitnehmerin in der Nachpflegephase ist ein Risiko des Arbeitgebers. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Arbeitnehmerin ein Risiko des Arbeitgebers versichern soll.


4. Für die Mehrheit der Pflegenden irrelevant – Finanzierung wird tatsächlich anders organisiert

Die in dem Gesetzentwurf entwickelte Familienpflegezeit kommt nur für eine sehr kleine Gruppe pflegender Angehöriger in Betracht. Rentner/innen und Selbständige sind definitorisch, bestimmte Teilzeiterwerbstätige, Alleinstehende und Niedrigverdiener häufig faktisch ausgeschlossen. Sofern Pflegende nach einer Arbeitszeitreduktion ihren Lebensunterhalt nicht mehr angemessen bestreiten könnten, ist zu vermuten, dass andere, „unbürokratischere“ Lösungen gefunden werden (z.B. die Finanzierung über das Einkommen des Partners oder durch aufstockende Grundsicherungsleistungen). Daher ist dieses Gesetz nicht geeignet, eine nennenswerte Anzahl von Pflegenden in nennenswertem Umfang zu unterstützen.


5. Einseitige Lastentragung von Frauen statt gesamtgesellschaftlicher Verantwortung

Die Pflegenden tragen nach wie vor die weit überwiegenden Risiken des Arrangements. Die in § 8 Abs. 1 SGB XI festgestellte „gesamtgesellschaftliche Verantwortung“ für die Pflege wird damit nach wie vor einseitig zu Lasten der überwiegend weiblichen Pflegenden verteilt.


6. Kompliziert und unnötig bürokratisch

Die Regelungen sind aufwändig und bürokratisch. Es wird nur teilweise auf vorhandenen gesetzlichen Strukturen (z.B. dem Teilzeit- und Befristungsgesetz) aufgebaut. Das Verhältnis zu bestehenden Flexibilisierungs- und Absicherungslösungen ist vielfach ungeklärt, was die Anwendung für die Arbeitnehmer/innen ebenso wie für die Unternehmen verkompliziert.


7. Kaum Anreize zur Familienpflege für Männer – Gleichstellung wird konterkariert, nicht befördert

Die Pflegebereitschaft von Männern wird durch dieses Gesetz höchstens marginal gefördert, insbesondere nicht in Partnerschaften mit Kindern. Bei diesen wird vorrangig in den Fällen, in denen Frauen und Männer im vergleichbaren Umfang erwerbstätig sind und über ein vergleichbares Einkommen verfügen, eine verstärkte Inanspruchnahme durch Männer erfolgen. Sind Männer – wie es immer noch häufig der Fall ist – die alleinigen „Ernährer“ der Familie, können sie sich in der Regel auch z.B. 25-prozentige Abschläge finanziell nicht leisten oder sind – wenn sie genug verdienen – in Positionen, in denen Teilzeitarbeit seitens der Arbeitgeber nicht unterstützt wird. Zudem ist es unwahrscheinlich, dass Männer, die Alleinverdiener in der Familie sind, beruflich kürzer treten um zu pflegen, wenn gleichzeitig eine Ehefrau vorhanden ist, die ohnehin nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätig ist.

Erwerbstätige Frauen haben im Schnitt niedrigere Löhne als ihre Partner und damit eher einen Anreiz, ihre Arbeitszeit und damit ihr Gehalt zu reduzieren als ihr männlicher Partner. Daher ist das Gesetz eher geeignet, die bestehende Tendenz zur Teilzeitarbeit von Frauen zu verstärken als die zeitweise Arbeitszeitreduktion von Männern zu fördern.[1]Gleichstellungspolitische Ziele werden so eher konterkariert als befördert.


8. Fehlende Gesamtstrategie gerade für weibliche Pflegende; wesentliche Probleme sind nach wie vor ungelöst

Der Entwurf ist nicht in eine abgestimmte Gesamtstrategie zur Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger eingebettet. Die großen Herausforderungen, vor denen die Pflege steht, werden nicht einmal ansatzweise gelöst. Grundsätzliche Fragen der Geschlechterungleichheit in der Sorgearbeit werden ebenso ausgeblendet wie die inkonsequente Ausgestaltung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ in der Pflegeversicherung.

 

II.  Grundsätzliche Überlegungen des djb zur Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger und der Vereinbarkeit von privater Pflege- und Erwerbstätigkeit

1. Notwendigkeit der differenzierten Bedarfserfassung und passgenauer Unterstützungsmöglichkeiten

Private Pflegepersonen sind keine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich nach Alter, Geschlecht, Bildung, Erwerbsstatus, Familienstand, sozialer Unterstützung und finanziellen Ressourcen. Ähnlich heterogen sind die Pflegearrangements, die pflegebedürftige Menschen zusammen mit ihren Pflegepersonen gestalten. Das FPfZG ist dem gegenüber stark mittelschichtsorientiert: Eine entsprechende Arbeitszeitreduktion kommt vor allem für Ehefrauen gut verdienender Ehemänner (oder vergleichbarer Lebenspartnerschaften und Lebensgemeinschaften) in Betracht, die durch das Gehalt ihrer Ehemänner „quersubventioniert“ werden. Diese werden die Inanspruchnahme einer Familienpflegezeitregelung voraussichtlich vom erforderlichen Aufwand abhängen lassen.

Für Familien mit einem geringeren Einkommen wird eine Arbeitszeitreduktion entweder nicht möglich sein oder sie wird über das Pflegegeld nach § 37 SGB XI oder ggf. auch durch aufstockende Grundsicherungsleistungen finanziert.[2]Im ersten Fall wäre das Gesetz wirkungslos, im zweiten Fall könnte für eine Arbeitszeitreduktion die Inanspruchnahme der Familienpflegezeit zur Einkommenssicherung gegenüber anderen Optionen die schlechtere Option darstellen.

Ein Gesetz in der vorliegenden Form böte nur für sehr kleine Gruppen von Pflegenden überhaupt eine Erleichterung. Einer gesetzgeberischen Strategie muss eine differenzierte Erfassung der unterschiedlichen Bedarfe und Bedarfskonstellationen vorausgehen. Für alle Bedarfs- und Bedarfskonstellationen sind passende Unterstützungsmöglichkeiten vorzusehen.

2.  Lösungen auf Basis bestehender Regelungen statt Schaffung von Parallelstrukturen

Das deutsche Arbeitsrecht kennt bereits vielfältige Flexibilisierungsinstrumente. Insbesondere das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) regelt Möglichkeiten der Arbeitszeitreduzierung. Es wäre sinnvoller, die gut etablierten Regelungen des TzBfG zu flexiblen Pflegezeitregelungen weiter zu entwickeln, anstatt neue, parallel existierende Gesetze und neue Strukturen zu schaffen. Auch bei der kurzzeitigen Arbeitszeitverhinderung zeigt die Erfahrung, dass die Regelung des PflegeZG kaum genutzt wird. Überwiegend wird hierfür die Regelung des § 616 BGB genutzt.

Wenn Arbeitszeitreduzierungen wegen Pflege nicht reversibel sind und die Gefahr droht, dass Pflegepersonen im Anschluss an intensive Pflegephasen nicht wieder ihre frühere Arbeitszeit aufnehmen können, werden die Risiken einseitig auf die Arbeitnehmer/innen verlagert, also überwiegend zu Lasten pflegender Frauen. Eine pflegende Arbeitnehmerin wird aus Angst vor den Konsequenzen möglicherweise erst gar keine Arbeitszeitreduzierung beantragen.

Daher sollte bevorzugt der bestehende Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung im Rahmen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes für den Fall der gewünschten Arbeitszeitverkürzung wegen Pflege eines pflegebedürftigen Angehörigen durch ein Recht auf Rückkehr zur vorherigen Arbeitszeit nach Pflegephasen ergänztwerden.

3. Benachteiligung der Sorgearbeit für Pflegebedürftige beenden und Sorgearbeit gesellschaftlich stärker unterstützen

Sorgearbeit für Kinder und Pflegebedürftige ist für die Gesellschaft gleichermaßen von großer Bedeutung. Während sich für die Sorgearbeit für Kinder in der Vergangenheit vielfältige Unterstützungsleistungen entwickelt haben, ist die private Pflege- und Betreuungsarbeit noch vergleichsweise wenig gesellschaftlich abgesichert. Dies überzeugt nicht, zumal Pflege die Pflege- und Betreuungspersonen häufig in sehr viel größerem Maße belastet als Eltern die Sorgearbeit für Kinder (Kinder kann man z.B. mit zum Einkaufen nehmen, pflegebedürftige Erwachsene bestimmen ihren Alltag demgegenüber selbst.)

Auch wenn die konkreten Herausforderungen sich teilweise unterscheiden, wäre zu überprüfen, wie die gegenwärtigen Benachteiligungen der sozialen Absicherung von Pflegenden im Vergleich mit der Sorgearbeit von Kindern abgebaut und die Sorgearbeit für Pflegebedürftige durch die Gesellschaft besser unterstützt werdenkann.

4. Pflege- und gleichstellungspolitische Gesamtstrategie zur Unterstützung nicht professionell Pflegender entwickeln

Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sollten Teil einer pflege- und gleichstellungspolitischen Gesamtstrategie zur Unterstützung pflegender Angehöriger sein. Eine solche Gesamtstrategie muss geeignet sein, die oben genannten Ziele in weitaus größerem Maße, als es das FPfZG ermöglicht, zu erreichen. Entsprechende Folgeabschätzungen sind vorzunehmen.

Zu einer geschlechtergerechten Pflegepolitik gehört nach Auffassung des djb auch eine deutliche Ausweitung professioneller Pflegeleistungen und haushaltsnaher Dienstleistungen, die Sicherstellung flächendeckender, qualitätsgesicherter Tagespflegeangebote sowie die rechtliche und tatsächliche Aufwertung der Tätigkeit von Pflegenden im Sozialleistungsrecht. Zudem ist die Erwerbsintegration von pflegenden Frauen ebenso wie ihre Alterssicherung umfassend sicherzustellen.

Als zusätzlichen, vom Gesetzgeber bislang nicht genannten Aspekt möchte der djb darauf hinweisen, dass das Fehlen von wirksamen Maßnahmen zur Verbesserung der Unterstützung pflegender Angehöriger auch zu Lasten der Sozialhilfeträger geht. § 65 SGB XII ermöglicht ergänzende Leistungen an Pflegepersonen für zu Hause versorgte Pflegebedürftige.[3]Soweit keine vorrangigen Leistungen existieren, wird hier der Sozialhilfeträger zunehmend in der Pflicht sein.

 

III. Anmerkungen des djb zum Gesetzentwurf im Besonderen

Zu § 2 FPfZG-E

a) § 2 Abs. 1 definiert den Begriff der Familienpflegezeit als die nach § 3 förderfähige Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit von Beschäftigten bis zu einem Mindestumfang von 15 Stunden für die Dauer von längstens 24 Monaten zur häuslichen Pflege einer/eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen bei gleichzeitiger Aufstockung des Arbeitsentgelts durch die/den Arbeitgeber/in. Abs. 2 verweist auf § 7 PflegeZG und die dort erfolgten Begriffsbestimmungen, insbesondere für „nahe Angehörige“ und „pflegebedürftig“.

Eine Synchronität von Gesetzen, die Ähnliches zu regeln suchen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Deutlich zu eng ist – wie auch in § 7 Abs. 3 PflegeZG – der Begriff des „nahen Angehörigen“, da viele Pflegearrangements auch andere Pflegepersonen mit einbeziehen. Die Beschränkung der Pflegezeit auf „nahe Angehörige“ steht – vgl. die in § 8 Abs. 2 S. 3 SGB XI geforderte „neue Kultur des Helfens und der mitmenschlichen Zuwendung“ – nicht im Einklang mit der Sichtweise anderer Bundesgesetze, die als Pflegepersonen auch Menschen einbeziehen, die nicht mit der/dem Pflegebedürftigen verwandt sind. Die konkrete Fassung stimmt auch mit dem in anderen Gesetzen verwendeten Familienbegriff nicht überein.

Die Beschränkung auf „nahe Angehörige“ in § 7 Abs. 3 PflegeZG und § 2 Abs. 2 FPfZG-E ist aufzugeben. Grundsätzlich ist eine – auch begriffliche – Konsistenz arbeits-, steuer- und sozialrechtlicher Regime zur Absicherung der häuslichen Pflege erforderlich. Dabei sind imRahmen der nicht professionellen Pflege grundsätzlich diejenigen Personen zu begünstigen, die tatsächlich pflegen, unabhängig von ihrem Näheverhältnis zu den Pflegebedürftigen.

b) Der Begriff der Pflegebedürftigkeit erfasst nach § 7 Abs. 4 PflegeZG i.V.m. § 2 Abs. 2 FPfZG-E nur Menschen, die mindestens erheblich pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 SGB XI sind. Eine längerfristige Betreuung und Pflege kann aber auch bei Personen, deren Pflegebedürftigkeit unterhalb dieser Erheblichkeitsschwelle liegt, vorliegen, z.B. bei Personen, die lediglich Leistungen der Hilfe zur Pflege, §§ 61 ff. SGB XII, erhalten. Gleiches gilt für Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz im Sinne des § 45a SGB XI.

Die finanzielle Förderung der Familienpflegezeit sollte zugunsten jeder/jedes Pflegebedürftigen genommen werden können. Daher sollte der Begriff der Pflegebedürftigkeit – vorbehaltlich einer Neudefinition aufgrund der Überlegungen des Beirats zur Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs – mindestens Personen mit Beeinträchtigungen im Sinne des § 45a SGB XI mit einbeziehen.

Zu § 3 FPfZG-E

a) In § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) ist als Mindestinhalt der zwischen Arbeitgeber/in und Arbeitnehmer/in abzuschließenden schriftlichen Vereinbarung die Rückkehr zu der vor Eintritt in die Familienpflegezeit geltenden Wochenarbeitszeit nach Ende der Familienpflegezeit vorgesehen. Hier stellt sich zunächst die Frage nach den Möglichkeiten zur vorzeitigen Beendigung der Familienpflegezeit. Dass diese grundsätzlich möglich ist, wird aus § 3 Abs. 4 deutlich.

Zeitpolitische Instrumente wie die Familienpflegezeit müssen grundsätzlich flexibel sein Die Familienpflegezeit muss daher vorzeitig beendet werden können. Die Beendigung muss auch für den Fall, dass die Pflegesituation die Pflegepersonen überfordert, möglich sein. In jedem Fall muss neben der Rückkehr zur vorherigen Wochenarbeitszeit grundsätzlich auch ein Anspruch auf Rückkehr auf die bisherige Stelle oder eine gleichwertige Stelle bestehen. Der Anspruch aus dem PflegeZG sollte daneben erhalten bleiben.

b) In § 3 Abs. 1 Nr. 1 c) FPfZG-E ist der Ausgleich des Wertguthabens in der Nachpflegephase geregelt. Danach soll bei jeder Entgeltabrechnung derjenige Betrag zu Gunsten des Wertguthabens einbehalten werden, um den das Arbeitsentgelt in dem entsprechenden Zeitraum während der Familienpflegezeit aufgestockt wird. Es bleibt unklar, ob der Einbehalt vom Bruttolohn erfolgt und wie der Aufstockungsbetrag steuerlich oder bei Lohnersatzleistungen berücksichtigt wird.

Es ist klarzustellen, dass der Betrag vom Bruttolohn einzubehalten ist. Die Auswirkungen auf Lohnersatzleistungen sind zu prüfen.

Zu § 4 FPfZG-E

a) Die Familienpflegezeitversicherung ist für den Fall des Todes oder der Berufsunfähigkeit der Beschäftigten vorgesehen, nicht aber für den Fall der Arbeitslosigkeit. Selbst im Falle der betriebsbedingten Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses während der Nachpflegephase muss die/der Beschäftigte das Wertguthaben weiterhin ausgleichen, hat dann aber ggf. ein sehr viel geringeres Einkommen.

Der Fall der Arbeitslosigkeit (mindestens nach betriebsbedingter Kündigung) ist als versichertes Risiko in die Familienpflegezeitversicherung aufzunehmen. Grundsätzlich wäre – siehe hierzu die voranstehenden Grundsätze – eine Absicherung aller genannten Risiken durch eine Sozialversicherung oder im Rahmen eines Fonds erwägenswert.

b) Da die Risikoabsicherung durch die Familienpflegezeitversicherung vorrangig den Arbeitgeber/inne/n zugutekommt, sollten die Prämien in einem Umlageverfahren von diesen getragen werden. Damit kann auch eine unbillige weitere Belastung der Arbeitnehmer/innen vermieden werden.

c) Die Regelung in § 4 Abs. 1 S. 3 FPfZG-E, wonach die Versicherungsprämie unabhängig vom Geschlecht der versicherten Person zu berechnen ist, wird vom djb begrüßt.

Zu § 5 Abs. 1 FPfZG-E und § 9 Abs. 1 FPfZG-E

Die Förderfähigkeit der Familienpflegezeit endet gem. § 5 Abs. 1 S. 2 FPfZG-E u.a. dann, wenn der Mindestumfang der wöchentlichen Arbeitszeit von 15 Stunden unterschritten wird. Dies ist grundsätzlich sinnvoll, unter anderem deswegen, weil sonst die Arbeitslosenversicherung entfällt. Sinnwidrig ist allerdings, dass die Förderfähigkeit auch dann entfällt, wenn die Unterschreitung aufgrund gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Bestimmungen erfolgt (anders bei Kurzarbeit). Nach § 9 Abs. 1 FPfZG-E kann die/der Arbeitgeber/in in diesem Fall trotzdem den vereinbarten Betrag vom Arbeitsentgelt einbehalten.

Dies erscheint problematisch, da anzunehmen ist, dass Personen, die weniger als 15 Stunden arbeiten bzw. in der Nachpflegephase sind, ohnehin ein sehr geringes Einkommen beziehen und durch den Einbehalt besonders belastet werden. In diesem Fall sollte, da die Verringerung nicht durch den Arbeitnehmer zu vertreten ist, das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben das Risiko der Arbeitnehmerin auffangen. Schließlich können Härten z.B. bei Verringerung von Arbeitszeit aufgrund von gesetzlichen Beschäftigungsverboten oder Langzeiterkrankungen entstehen. Letztere können bei pflegenden Angehörigen gerade aufgrund der erhöhten psychischen und physischen Belastungen gehäuft auftreten.

Es erscheint problematisch, wenn die Förderfähigkeit der Familienpflegezeit deswegen entfällt, weil die Mindeststundenzahl von 15 Stunden aufgrund gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Bestimmungen unterschritten wird. Bei entsprechender Verringerung des Stundenanteils in der Nachpflegephase muss sich auch der Einbehalt des Arbeitgebers vom Arbeitslohn verringern. Das Ausfallrisiko ist durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben aufzufangen.

Zu § 5 Abs. 2 FPfZG-E

Die Beschäftigten haben die/den Arbeitgeber/in über die Beendigung der häuslichen Pflege der/des nahen Angehörigen unverzüglich zu unterrichten. Tun sie dies nicht, droht eine Ordnungswidrigkeit (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 FPfZG-E) und eine Geldbuße bis zu 1.000 Euro. Hier ist fraglich, wann die häusliche Pflege als „beendet“ gilt: Mit dem Umzugstag der/des Pflegebedürftigen ins Pflegeheim? Mit dem Todestag?

Es ist klarzustellen, wann die Pflege als „beendet“ gilt und was als „unverzüglich“ gilt, um unbillige Härten in schwierigen und zeitintensiven Situationen zu vermeiden.

Zu § 9 Abs. 2 FPfZG-E

a) Soweit das Arbeitsverhältnis während der Nachpflegephase vorzeitig beendet wird und ein Ausgleich des Wertguthabens noch nicht erfolgt ist, hat die/der Arbeitgeber/in weiterhin den Ausgleichsanspruch gegen die/den (ehemalige/n) Beschäftigte/&n. Kann diese/r – auch z.B. aufgrund ihrer/seiner eingetretenen Arbeitslosigkeit – nicht (rechtzeitig) zahlen, erhält die/der Arbeitgeber/in das Geld vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (vgl. § 8 Abs. 1 und 2 FPfZG). In diesem Fall geht der Anspruch gegen die/den Beschäftigte/n auf das Bundesamt über; er bleibt jedoch auch im Falle von nachfolgender Langzeitarbeitslosigkeit in voller Höhe bestehen. Dies kann zu Härten für die Beschäftigten und ggf. zur Notwendigkeit ergänzender Sozialleistungen durch die Sozialhilfeträger führen.

Es ist nicht angemessen, dass die/der Beschäftigte auch im Falle der Arbeitslosigkeit, die während einer Nachpflegephase eintritt, weiterhin die vereinbarten Raten zahlen muss. Hier sind klare und für das Bundesamt verbindliche Stundungsregelungen und/oder Rückzahlungspflichten, die sich prozentual an den tatsächlichen Einkünften orientieren, vorzusehen. Zudem sollte eine spezielle Verjährungsvorschrift für die Rückzahlungspflicht auch gegenüber dem Bundesamt vorgesehen werden. Schließlich sollte das Ausfallrisiko durch Arbeitslosigkeit (sozial-) versicherungsrechtlich abgesichert werden.

b) Selbst im Fall einer betriebsbedingten Kündigung muss die/der Arbeitnehmer/in mit ihrem/seinem Abfindungsanspruch den Ausgleich des Wertguthabens vornehmen, die/der Arbeitgeber/in kann insoweit aufrechnen. Dies entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Abfindung. Sinn und Zweck der Abfindung ist die Entschädigung für den Verlust des sozialen Besitzstandes. Als Arbeitsentgelt wird sie nur dann – und dann auch nur teilweise – betrachtet, wenn sie wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Kündigungsfrist gezahlt wird.[4]In diesem Fall und für diesen Teil der Abfindung ruht z.B. auch der Arbeitslosengeldanspruch (§ 143 SGB III). Daher kommt eine vollständige Anrechnung der Abfindung in keinem Fall in Betracht. Denn diese führte dazu, dass die Arbeitnehmerin auch bei betriebsbedingter Kündigung für die unverschuldete Unmöglichkeit der Nacharbeit mit dem Verlust von Ansprüchen belastet wird, die einem anderen Zweck dienen.

Im Fall betriebsbedingter Kündigung darf der Abfindungsanspruch nicht zum Zweck des Ausgleichs des Wertguthabens aufgerechnet werden.


Zur gleichstellungspolitischen Folgenabschätzung sowie zur Wirkungsforschung

Zur gleichstellungspolitischen Folgenabschätzung in der Begründung  und zur Wirkungsforschung ist positiv anzumerken, dass diese überhaupt bedacht wurden. Die gleichstellungspolitische Folgenabschätzung analysiert jedoch nur die erhofften (nicht belegten) positiven Effekte.

Eine echte Folgenabschätzung muss auch vermutete negative Effekte in Betracht ziehen. Bei der Wirkungsforschung sollten neben pflegepolitischen auch gleichstellungspolitische Konsequenzen erforscht werden.

Ramona Pisal
Präsidentin

Prof. Dr. Margarete Schuler-Harms
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen
Sicherung, Familienlastenausgleich

 


Anmerkungen

[1] Dies zeigt sich auch in einer vor einiger Zeit veröffentlichten Umfrage zum Familienpflegezeitgesetz. Dort heißt es: „Bei einer repräsentativen Befragung von Ratsuchenden einer Pflegeberatungsstelle, die dem Tagesspiegel vorliegt, gaben 23 Prozent an, die neue Regelung nutzen zu wollen. [...] Skepsis gegenüber der neuen Regelung herrscht vor allem bei männlichen Berufstätigen. Nur elf Prozent gaben an, sie nutzen zu wollen. 17 Prozent aller Befragten lehnen dies aus finanziellen Gründen ab und 18 Prozent, weil sie berufliche Nachteile fürchten. Letzteres beunruhigt vor allem männliche Beschäftigte (23 Prozent).“ Vgl. Rainer Woratschka, „Großes Interesse an Familienpflegezeit“, Tagesspiegel vom 23. März 2011.

[2] Zur Grundsicherung bei Familienpflege vgl. § 1 Abs. 2 Ziff. 4, § 10 Abs. 1 Ziff. 4. SGB II.

[3] § 65 (Andere Leistungen) SGB XII:

(1) Pflegebedürftigen im Sinne des § 61 Abs. 1 sind die angemessenen Aufwendungen der Pflegeperson zu erstatten; auch können angemessene Beihilfen geleistet sowie Beiträge der Pflegeperson für eine angemessene Alterssicherung übernommen werden, wenn diese nicht anderweitig sichergestellt ist. Ist neben oder anstelle der Pflege nach § 63 Satz 1 die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft erforderlich oder eine Beratung oder zeitweilige Entlastung der Pflegeperson geboten, sind die angemessenen Kosten zu übernehmen.

(2) Pflegebedürftigen, die Pflegegeld nach § 64 erhalten, sind zusätzlich die Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson oder einer besonderen Pflegekraft für eine angemessene Alterssicherung zu erstatten, wenn diese nicht anderweitig sichergestellt ist.

[4] Abfindungszahlungen dienen grundsätzlich der Entschädigung für den Verlust des sozialen Besitzstandes; nur im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist enthalten sie auch Arbeitsentgeltansprüche (Küttner/Voelzke, Personalbuch 2010, 17. Auflage 2010, Stichwort „Abfindung“, Rn. 60.).