Herrn Stephan Toscani
Minister für Inneres, Kultur und Europa des Saarlandes
Saarbrücken, den 14.9.2011
Polizeistrukturreform
Sehr geehrter Herr Minister,
Der Deutsche Juristinnenbund (djb) wurde durch Veröffentlichungen in regionalen Medien und mehrere öffentliche Veranstaltungen auf die Überlegungen der Projektgruppe der Saarländischen Polizei zu einer Strukturreform aufmerksam und möchte die Gelegenheit ergreifen, einige Gesichtspunkte hervorzuheben, die aus Sicht des djb bei den Reformüberlegungen beachtet werden sollten.
Der Deutsche Juristinnenbund ist ein unabhängiger und überparteilicher Zusammenschluss von Juristinnen und Wirtschaftswissenschaftlerinnen, der regional und überregional in Landesverbänden und in thematisch arbeitenden Kommissionen organisiert ist. Zu den Zielen unseres Verbands gehören – neben anderen – insbesondere die Verwirklichung der Gleichstellung der Frau sowie die rechtliche Absicherung der Lebenssituation von Frauen, älteren Menschen und Kindern.
Vor diesem Hintergrund legen wir bei den Überlegungen zur Polizeistrukturreform ein besonderes Augenmerk auf Regelungen, die die Verfolgung von Straftaten sexueller Gewalt sowie häuslicher Gewalt angehen, denn bei diesen Deliktsgruppen stellen Frauen und Kinder einen Großteil der Geschädigten dar.
Hierbei ist dem djb bewusst, dass Einsparmaßnahmen und Personalreduzierung infolge der demografischen Entwicklung auf der einen Seite, aber auch die Möglichkeit des Einsatzes moderner Technik und moderner Organisationsstrukturen auf der anderen Seite verschiedene, der zu erwartenden Situation angepasste Änderungen erfordern.
Zur polizeilichen Bearbeitung von Sexualstraftaten
Der öffentlichen Diskussion ist zu entnehmen, dass die jetzigen Überlegungen der Projektgruppe der Polizei vorsehen, die polizeiliche Bearbeitung von Sexualstraftaten organisatorisch an einem einzigen Standort im Saarland, vermutlich Saarbrücken, zu zentralisieren. Das derzeit mit dieser anspruchsvollen Materie befasste Personal soll auf zwei getrennte Einheiten aufgeteilt werden, von denen eine nur für Sexualverbrechen und die andere nur für Todesermittlungssachen und Kapitaldelikte zuständig sein soll.
Nach derzeitiger Regelung ist die Bearbeitung von Sexualverbrechen ebenso wie die Bearbeitung von Todesermittlungssachen/Kapitaldelikten dem Kriminalkommissariat K 1 zugewiesen und wird von drei im Saarland räumlich verteilten Standorten aus vorgenommen.
Der djb spricht sich in diesem Punkt dafür aus, die Bearbeitung von Sexualverbrechen weiterhin von drei im Saarland räumlich verteilten Standorten aus bearbeiten zu lassen, wobei die Trennung in zwei verschiedene Dienststellen mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen, Kapitaldelikte einerseits und Sexualverbrechen andererseits, als nicht vorteilhaft angesehen wird.
Die vorgestellte Neuregelung hätte zur Folge, dass Geschädigten von Sexualdelikten entweder von ihrem unter Umständen weit entfernten Wohnort nach Saarbrücken vorgeladen werden müssten, oder dass die Beamtinnen und Beamten der Dienststelle von Saarbrücken aus regelmäßig längere Wegstrecken bis zu der den Wohnorten der Geschädigten nächstgelegenen Polizeidienststelle oder an entfernte Tatorte zurück legen müssten.
Die erstgenannte Alternative würde bedeuten, dass einem ohnehin bereits geschädigten und durch das Erleiden einer gravierenden Straftat geschwächten Opfer die (bei Nachvernehmungen auch mehrfache) Anreise über eine nicht selten weite Wegstrecke mit allen damit zusammenhängenden Kosten, Mühen und Umständen zugemutet würde. Dies widerspräche eklatant dem Opferschutz, dem, wie der djb feststellen konnte, in der saarländischen Polizei bisher regelmäßig ein besonders hoher Stellenwert zugemessen wurde.
Die zweite Alternative würde eine Verschwendung wertvoller Ressourcen der saarländischen Polizei bedeuten durch häufiges Anreisen der Polizeibeamtinnen und -beamten zu wohnortnahen Polizeidienststellen wie auch zu entsprechenden Tatorten. Polizeibeamtinnen und -beamte würden nach den Reformüberlegungen durch Reisen an entfernte Dienststellen, zu denen die Zeuginnen vorgeladen würden, durch Suchen eines geeigneten Vernehmungszimmers in der betreffenden, fremden Dienststelle und durch unproduktives Warten auf das Erscheinen der Zeuginnen in der fremden Dienststelle, wo sich keine sonstigen während der Wartezeit zu erledigenden Aufgaben vorfinden, kostbare Arbeitszeit vergeuden.
Angesichts der Tatsache, dass Zeugenvernehmungen bei Ermittlungen wegen Sexualdelikten in der Regel den zeitintensivsten Anteil der polizeilichen Arbeit darstellen, würde darüber hinaus die Vernehmung der Zeuginnen an auswärtigen Dienststellen auch zur Folge haben, dass die sachbearbeitenden Polizeibeamtinnen und Beamten (die im Falle von Videovernehmungen zu zweit sein müssen) nur noch selten an ihrer eigentlichen Dienststelle anzutreffen wären.
Der djb sieht insgesamt die Gefahr negativer Auswirkungen auf die Qualität der Ermittlungsarbeit und auf die Geschwindigkeit der Fallbearbeitung, was für die Opfer der Straftaten wie auch für das Ermittlungsverfahren selbst die Gefahr gravierender Nachteile nach sich zöge.
Gesichtspunkte des Sparzwangs, der Synergieeffekte und des Wunschs nach flachen Hierarchien sollten nach unserer Auffassung nicht zu der vorgesehenen Neuregelung mit einer Zusammenlegung der drei derzeit Sexualdelikte bearbeitenden Stellen Anlass geben. Die drei jetzt Sexualdelikte bearbeitenden Stellen bilden im Übrigen ja auch nach derzeitiger Regelung organisatorisch nur eine Dienststelle, allerdings mit Standorten in Neunkirchen und Saarlouis.
Gerade keine Zusammenlegung, sondern eine Aufteilung soll zudem hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeiten der neu in Saarbrücken angesiedelten Dienststelle erfolgen.
Denn es ist zwar vorgesehen, das derzeit vorhandene Personal von drei Orten an nur einen Standort, aber gleichzeitig auf zwei organisatorische Einheiten mit unterschiedlichen inhaltlichen Zuständigkeiten zu verteilen. Dies erscheint nicht erfolgversprechend, sowohl unter dem Gesichtspunkt der hohen fachlichen Kompetenz, die für die Bearbeitung beider Aufgabenbereiche erforderlich ist, als auch unter dem Gesichtspunkt der Arbeitszufriedenheit des Personals. Der Synergieeffekt, der durch die Bearbeitung beider Schwerpunkte durch dasselbe hochqualifizierte Personal entsteht, und der ein nicht unerhebliches Einsparpotential bedeutet, würde bei einer Aufteilung auf zwei gesonderte Dienststellen vergeben.
Schließlich ist im Falle der Umsetzung der geplanten Neuregelung zu erwarten, dass ein „Rund-um-die-Uhr-Bereitschaftsdienst“, der für die fachlich qualifizierte Bearbeitung sowohl von Sexual-, als auch von Kapitalverbrechen notwendig ist, bei der vorgesehenen Aufteilung kaum zu gewährleisten sein wird.
Zur polizeilichen Bearbeitung von häuslicher Gewalt
Der djb weist nachdrücklich darauf hin, dass die Bearbeitung von Fällen häuslicher Gewalt im Rahmen einer besonders aus- und regelmäßig fortgebildeten spezialisierten Schwerpunkt-Sachbearbeitung bei der Kriminalpolizei erfolgen sollte. Nur hierdurch ist bei dem schwierigen Kriminalitätsphänomen mit strafprozessualen Verwertungsproblemen, ambivalentem Opferverhalten, latenter Eskalationsgefahr bis hin zu Tötungsdelikten und häufig problematischer Beweissituation eine der Schwere der Straftaten angemessene hohe Qualität in der Bearbeitung zu erreichen. Gerade die vorgenannten, dem Phänomen häuslicher Gewalt immanenten Schwierigkeiten verlangen von den bearbeitenden Beamtinnen und Beamten ein erhebliches kriminalistisches Können und umfassendes strafprozessuales Wissen ab.
Der Deutsche Juristinnenbund e.V., Landesverband Saarland und die Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes, vertreten durch die Vorsitzende der Kommission, danken für die Möglichkeit, Ihnen Anregungen im Rahmen der Diskussion über die Reformpläne für die Organisation der saarländischen Polizei vortragen zu dürfen. Für weitergehende Diskussionen und Beratungen stehen wir, sofern gewünscht, gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Kräuter-Stockton
Vorsitzende des Landesverbands Saarland des djb
Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Strafrechtskommission des djb