Stellungnahme: 10-11


zum Vorlagebeschluss des Sozialgerichts München vom 10.12.2007 - S 29 EG 59/07: Art. 1 Abs. 1 Nr. 5 BayLErzG

Stellungnahme vom

 

BVerfG, 1 BvL 14/07 vom 7.2.2012, Absatz-Nr. (1 - 62), http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20120207_1bvl001407.html

 

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme. Er hält die vom SG München beanstandete Regelung des Art. 1 Abs. 1 Nr. 5 BayLErzGG in der Fassung vom 16. November 1995 mit der Anknüpfung dieser familienpolitischen Leistung an die Staatsangehörigkeit für nicht mit der Verfassung vereinbar.

I. Prüfungsmaßstab und Prüfungsdichte

Das bayrische Landeserziehungsgeld ist eine Leistung zur Förderung von Familien. Bei dieser Aufgabe der Förderung, zu der Art. 6 Abs. 1 GG die staatliche Ordnung verpflichtet, kommt dem Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Das Land ist hiernach grundsätzlich frei in der Entscheidung, ob und in welchem Umfang er Familienförderung betreibt. Bei der Abgrenzung der Leistungsberechtigung darf es aber nicht sachwidrig differenzieren.[1]Die Differenzierung der Leistungsberechtigung zwischen unterschied­lichen Gruppen von Eltern beurteilt sich nach dem allgemeinen Gleichheitssatz.

Bei Familienförderleistungen ist dabei – anders als einige Passagen des Vorlagebeschlusses nahe legen – die richterliche Prüfungsdichte nicht am Willkürmaßstab, sondern am Verhältnismäßigkeitsprinzip auszurichten. Der Gesetzgeber hat zwar auch bei der Ausgestaltung der Bezugsberechtigung für Förderleistungen einen weiten Gestaltungsspielraum. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen sind aber umso strenger, je stärker sich die Ungleichbehand­lung der Personen oder Sachverhalte auf die Ausübung von Grundrechten auswirken kann.[2]Bei der Förderung von Familien hat der Gesetzgeber die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Freiheit zur Gestaltung des Familienlebens und der Erziehung der Kinder zu beachten. Außerdem verengt sich der legislative Gestaltungsspielraum, je mehr sich die personenbezogenen Merk­male den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern und je größer deshalb die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer in Art. 3 Abs. 3 GG geschützten Gruppe führt. Auch das Ziel der Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG zieht der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Grenzen. Ob die Ausgestaltung der Leistungsberechtigung in der zu prüfenden Regelung dem allgemeinen Gleichheitssatz entspricht, hängt im vorliegenden Fall davon ab, ob für die getroffenen Regelung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestanden, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen konnten.[3]

II. Regelungszwecke

Die Differenzierungskriterien in Art. 1 Abs. 1 LErzGG vom16. November 1995 sind an den gesetz­lichen Regelungszwecken im einschlägigen Zeitraum zu messen, die ihrerseits wiederum legi­tim und geeignet sein mussten, den bezugsberechtigten Personenkreis adäquat zu erfassen.

Die Zwecke des Landeserziehungsgeldes stimmten weitgehend, entgegen den Ausführungen des SG München (Vorlagebeschluss S. 10)[4]aber nicht vollständig mit den Zwecken des im einschlägigen Zeitraum gültigen Bundeserziehungsgeldgesetzes (BEEG) überein.

Auch wenn Bayern das Landeserziehungsgeld eng an die Ausgestaltung des Bundes­erziehungsgeldes binden und die gesetzlichen Grundlagen insoweit harmonisieren wollte (Vorlagebeschluss S. 11 m.w.Nw.), wird das Landeserziehungsgeld für eine andere Betreuungszeit im Lebensverlauf des Kindes gezahlt als das Erziehungsgeld (und heutige Elterngeld) nach BEEG. Das Bundeserziehungsgeld konnten Eltern im ersten, bei Unterschreiten der relevanten Einkommensgrenzen auch im zweiten Lebensjahr des Kindes beanspruchen. Das Landes­erziehungsgeld wurde und wird erst im Anschluss, d.h. frühestens ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes bis zu seiner Einschulung, gezahlt. Für das zweite Lebensjahr eines Kindes kann insoweit von einer abstrakten zeitlichen Deckungsgleichheit der Leistungen ausgegangen werden. Dies gilt in noch stärkerem Umfang für das Verhältnis von Elterngeld und Landes­erziehungsgeld, da auf der Grundlage der Auszahlungs- und Verlängerungsmöglichkeit (§ 6 BEEG) der Bezugszeitraum des Elterngeldes verdoppelt werden kann. Auch im Übrigen bestehen hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen (abgesehen von der Bindung an eine "Vorwohnzeit" in Bayern und an die deutsche Staatsangehörigkeit) wenig Unterschiede.

Die Förderung der Regeneration der Mutter, die u.a. als Motiv für die Einführung des Bundes­erziehungsgeldes 1985 diente[5]und auf die der Vorlagebeschluss des SG München sich bezieht, wäre als Zweck des Landeserziehungsgeldes weder relevant noch legitim. Ein solcher Förderzweck legitimierte weder die Ausgestaltung des Bezugszeitraums – frühestens ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes – noch die wahlweise Bezugsberechtigung von Vater oder Mutter noch den Umstand, dass Erwerbstätigkeit neben der Zahlung von Erziehungsgeld möglich bleibt. Auch für die Vorlagefrage des SG München nach der Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 1 Nr. 5 LErzGG ist dieser Zweck ohne Belang.

Die Erleichterung der Entscheidung von Eltern für ein Kind und gegen dessen Abtreibung bildet hingegen einen tragfähigen und legitimen Zweck des Erziehungsgeldes nach Bundes- und Landesrecht. Dasselbe gilt für die Absicht des Gesetzgebers, die Kosten der Betreuung und Erziehung von Kindern zu kompensieren und die finanziellen Nachteile abzumildern, die sich aus dem Verzicht auf ein Vollerwerbseinkommen ergeben.[6]Ebenfalls tragfähig und legitim ist es, die Betreuung von Kindern als Leistung zu betrachten, die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt.[7]Allerdings darf dieser Zweck nicht auf eine bestimmte Art und Weise der Kinderbetreuung bezogen werden. Sowohl die in Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Eltern zur Gestaltung der Erziehung als auch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG verbieten es, nur oder in erster Linie die Erziehung und Betreuung eines Kindes durch einen nicht erwerbstätigen Elternteil (und damit vorwiegend die Mutter) "anzuerkennen".

Der Gesetzgeber durfte darüber hinaus das Erziehungsgeld solchen Ausländern vorbehalten, von denen erwartet werden konnte, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben.[8]Ebenso ist es im Bundesstaat nicht grundsätzlich zu beanstanden, wenn landesspezifische Förderleistungen sog. Landeskindern vorbehalten werden.

III. Staatsangehörigkeit der Eltern als zulässiges Differenzierungskriterium

Das Landeserziehungsgeld ist eine rechtspolitisch und verfassungsrechtlich, insbesondere unter dem Aspekt der Gestaltungsfreiheit von Familien und der Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, fragwürdige familienpolitische Leistung. Die Grenzen des ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraums dürfte der Landesgesetzgeber mit dieser Leistung noch nicht überschreiten. Mit der Differenzierung der Bezugsberechtigung nach der Staatsangehörigkeit der Eltern wählt der Freistaat aber ein Kriterium, das sich nicht mehr im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen hält.

Der Gleichheitssatz steht einer Differenzierung der Bezugsberechtigung zwischen Deutschen (und ihnen gleichgestellten Ausländern) und (anderen) Ausländern zwar nicht grundsätzlich entgegen.[9]Im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG sind allerdings insbesondere durch die Entschei­dung des BVerfG vom 6. Juli 2004 (BVerfGE 111, 176) zum Bundeserziehungsgeld Grundsätze formuliert worden, die bezogen auf die familienpolitischen Zwecke des Erziehungsgeldes auch beim Landeserziehungsgeld eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit sachwidrig erscheinen lassen. Es ist geklärt, dass es mit dem Gleichheitssatz unvereinbar ist, Ausländer mit Aufenthaltsbefugnis generell von der Gewährung von Erziehungsgeld auszuschließen. Dabei hat das BVerfG auf Zwecke des Erziehungsgeldes abgestellt, die insoweit auch für das vorliegende Landesrecht wesentlich sind. Nach Auffassung des djb ist deshalb nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung auch die Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit beim Bezug von Landeserziehungsgeld verfassungswidrig.

Die Förderung von Entscheidungen für Kinder, die Abmilderung finanzieller Nachteile und die Anerkennung der Leistung des Aufziehens von Kindern betreffen Eltern unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Dies zeigt das Ausgangsverfahren einer Frau, die schon viele Jahre in Bayern wohnhaft und zulässig erwerbstätig ist, eindrücklich. Wenn schon geklärt ist, dass zwischen der Art des Aufenthaltstitels und der Erlaubnis zu arbeiten kein Zusammenhang besteht, der den Ausschluss von Ausländern mit einem bestimmten Aufenthaltstitel nach dem Bundeserziehungsgeldrecht rechtfertigt, so gilt das für die Staatsangehörigkeit erst recht. Das Bundesverfassungsgericht hat geklärt, dass die mit der Gewährung von Erziehungsgeld verfolgten Zwecke bei Ausländern mit Aufenthaltsbefugnis nicht weniger zur Geltung kommen als bei Deutschen und Ausländern mit Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis. Diese Überlegungen sind ohne weiteres auf die im Landesrecht vorgenommene Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit übertragbar.

Dass eine Bezugsberechtigung ausländischer Eltern möglich und sinnvoll ist, zeigt die Praxis im Bund und in anderen Erziehungsgeld zahlenden Ländern. Überdies nutzt der bayrische Gesetzgeber mit der „Vorwohnzeit“ (Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 LErzGG) bereits ein Kriterium, das auf einen Aufenthaltsstatus von mindestens einem Jahr zielt. Auch der Zweck der Integrationsförderung spricht für eine Bezugsberechtigung insbesondere solcher ausländischer Eltern, die bereits länger in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaft und erwerbstätig sind.

Die Begrenzung der Bezugsberechtigung nach der Staatsangehörigkeit lässt sich auch nicht mit fiskalischen Argumenten rechtfertigen. Die insbesondere vom Bayrischen Verfassungsgerichtshof[10]angeführten fiskalischen Gründe sind nicht geeignet, die Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit vor dem allgemeinen Gleichheitssatz zu rechtfertigen. Das Ziel der sparsamen Mittelverwendung stellt für sich genommen keinen hinreichenden sachlichen Grund für Ausnahmen von einer folgerichtigen Ausgestaltung der Bezugsberechtigung dar. Der Staat ist vielmehr nach allgemeinen Kriterien gehalten, eine Leistung bezogen auf ihren Zweck sachgerecht und sachlich begründet auszugestalten. Anstelle der gefundenen Differen­zierung hätten fiskalische Argumente z.B. bei der Dauer und Höhe der Leistungen berücksich­tigt werden können.

Jutta Wagner 
Präsidentin

Prof. Dr. Margarete Schuler-Harms
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich

 

 


[1]         BVerfGE 17, 210, 217; 28, 324, 349; 82, 60, 82 f.

[2]         BVerfGE 111, 176 (184) m.w.Nw.

[3]         BVerfGE 109, 96 (123); 111, 176 (184).

[4]         Ähnlich BayLSG v. 12. 12. 2000, juris, Rn. 30.

[5]         Amtliche Begründung, BT-Drucks. 10/3792, S. 13.

[6]         BayLSG v. 19. 12. 2000, Az. L 9 EG 7/00, juris, Rn. 27.

[7]         Vgl. a. BVerfGE 88, 203, 258 f.

[8]         BVerfGE 111, 176, 185.

[9]         Z.B. Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG, 2. Auflage 2004, Art. 3 Rn. 43 m.w.Nw.

[10]        Entscheidung vom 19. 7. 2007, BayVBl. 2008, 18.