Stellungnahme: 08-24


an die Europäische Kommission zur Umsetzung des Art. 5 der Richtlinie 2004/113/EG in Deutschland

Stellungnahme vom

Europäische Kommission
Generaldirektion Beschäftigung, Soziale
Angelegenheiten und Chancengleichheit
Abteilung Gleichstellung,
Bekämpfung von Diskriminierungen: Rechtsfragen
Rue Joseph II/Jozef II Straat 54
B – 1000 Brüssel

18. Dezember 2008
Umsetzung des Art. 5 der Richtlinie 2004/113/EG

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie auf der Tagung der EU-Kommission in Berlin im November 2008 angesprochen, schickt der djb Ihnen hiermit Informationen zur Umsetzung des Art. 5 der Richtlinie 2004/113/EG. Der djb ist der Ansicht, dass Art. 5 der Richtlinie zwar mit § 19 Abs. 1 Nr. 2, § 20 Abs. 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) in Deutschland rechtlich umgesetzt ist. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts bei Prämien und Leistungen nur zulässig, wenn dessen Berücksichtigung bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Kosten in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Die zum 1. Januar 2008 erfolgte neue Beitrags- und Prämiengestaltung in der privaten Krankenversicherung (PKV) erfolgte jedoch derart intransparent, dass von einer effektiven Rechtsdurchsetzung nicht die Rede sein kann.

Für die Versicherungsnehmer sind Verträge über private Krankenversicherungen von besonderer Bedeutung, da diese elementare Lebensrisiken abdecken. Hier gibt es in der Prämienkalkulation bislang erhebliche Unterschiede. Frauen zahlen wesentlich höhere Prämien als Männer, wobei die Unterschiede durchaus 45 Prozent betragen können (Wrase/Baer, Unterschiedliche Tarife für Männer und Frauen in der privaten Krankenversicherung – ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes? Neue Juristische Wochenschrift 2004, S. 1623). Die Behauptung der Versicherungsunternehmen, diese Differenz sei gerechtfertigt, weil Frauen mehr Aufwendungen verursachten und eine höhere Lebenserwartung hätten, ist bislang nicht mit Datenmaterial belegt worden. Ein im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstelltes Gutachten der Universität Bremen vom Februar 2005 kommt zu dem Schluss, dass die sog. Mortalitätsunterschiede nur einen marginalen Effekt auf die Kosten haben (Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen: Differenzierung privater Krankenversicherungsverträge nach Geschlecht: Bestandsaufnahme, Probleme, Optionen, 2005, S. 7) und somit kein bestimmender Faktor im Sinne von § 20 Abs. 2 S. 1 AGG sein können. Signifikante Unterschiede verzeichnete das Gutachten hingegen im Hinblick auf die Kosten für Schwangerschaft und Mutterschaft (Gutachten des Zentrums für Sozialpolitik, S. 48 ff.), wobei zur Ermittlung dieser Unterschiede auf Daten der gesetzlichen Krankenversicherung zurückgegriffen werden musste, da die entsprechenden Daten bei den privaten Krankenversicherungen gar nicht vorlagen. Da die Berücksichtigung dieser Kosten einseitig zu Lasten der Frauen nach § 20 Abs. 2 S. 2 AGG unzulässig ist, können sie auf keinen Fall eine unterschiedliche Gestaltung der Prämien und Leistungen rechtfertigen. Mit den zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Tarifänderungen der Unternehmen der privaten Krankenversicherung erfolgten dennoch kaum Senkungen der Frauen- bzw. Anhebungen der Männertarife; Frauen haben weiterhin erheblich höhere Prämien zu zahlen (Anlage 1: Beitragsmitteilungen anonymisiert). Die gesetzlichen Anforderungen des § 20 Abs. 2 S. 1 AGG (Kriterium desbestimmenden Faktors) wurden, soweit erkennbar, gar nicht berücksichtigt. Soweit Tarifänderungen zu verzeichnen waren, wurden diese pauschal mit allgemeinen Beitragserhöhungen sowie den Erfordernissen von § 20 Abs. 2 S. 2 AGG (Umverteilung derSchwangerschafts- und Mutterschaftskosten) begründet. Durch diese Verschleierungstaktik lässt sich nicht erkennen, ob das Ausmaß der Änderungen dem Verbot einer geschlechtsspezifischen Berücksichtigung von Kosten für Schwangersaft und Mutterschaft tatsächlich gerecht wird. Auskunftsanfragen von Frauen an ihre eigenen Versicherungsunternehmen nach den Kalkulationsgrundlagen für ihren jeweiligen Beitrag wurden telefonisch nur pauschal und schriftlich gar nicht beantwortet. Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, die Versicherungsunternehmen zu der gebotenen Transparenz ihrer Prämiengestaltung zu verpflichten und die Einhaltung der genannten Diskriminierungsverbote sicherzustellen. Die dazu erlassene Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Altersrückstellungen in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung i.d.F. vom 27.11.2007 – KalV) ist nicht ausreichend, diese Ziele zu erfüllen. Der djb hat sich daher mit zwei Schreiben an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als Genehmigungsbehörde und das Bundesministerium der Finanzen (BMF) als oberste Aufsichtsbehörde gewandt (Anlage 2: Schreiben des djb vom 31.3.2008), die mangelnde Transparenz der Beitragsgestaltung gerügt und um Aufklärung darüber gebeten,

  • warum ältere Frauen überwiegend keine Beitragssenkung im Zuge der Umsetzung des § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG erfahren haben, sondern es den Versicherungsunternehmen gem. § 6 Abs. 5 KalV freisteht, als zusammenhängenden Altersbereich nur den der Frauen im gebärfähigen Alter zu nehmen,
  • warum als Mutterschaftskosten gem. § 6 Abs. 4 KalV nur die Kosten gelten, die innerhalb eines Monats nach der Geburt anfallen, obwohl die Mutterschutzfrist nach deutschem Recht zwingend 8 Wochen nach der Geburt beträgt und in dieser Zeitspanne auch regelmäßig eine ärztliche Behandlungsbedürftigkeit besteht,
  • ob und in welchem Maße die Mortalitätsunterschiede zwischen den Geschlechtern weiterhin in die Beitragskalkulation eingeflossen sind – unter Beachtung des § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG.

Die uns im Juni 2008 zugegangenen Antworten (Anlage 3: Schreiben der BaFin vom 2.6.2008 und des BMF vom 9.6.2008) sind wenig erhellend. Das Bundesministerium der Finanzen beklagt zwar die Intransparenz, scheint diese aber hinzunehmen. Die Relevanzfrist von einem Monat wird mit der Notwendigkeit einer einfachen Kostenschätzung begründet. Die BaFin ist der Ansicht, dass die Wahrscheinlichkeitstafeln für die Krankenversicherung, die auch die höhere Lebenserwartung von Frauen widerspiegeln, signifikante Unterschiede bei den Leistungen für die Geschlechter aufweisen, so dass das Geschlecht „Frau“ ein bestimmender Faktor i.S. der Vorschrift ist. Sie veröffentlicht auf ihrer Internetseite jedoch nur Branchenmittelwerte, die von interessierten Frauen ohne mathematisch-statistische Spezialausbildung kaum nachvollzogen werden können und über den Tarif der eigenen Versicherung nichts besagen.

Ansonsten ergibt sich aus der Antwort der BaFin, dass sie als Behörde die Beitragsgestaltung einzelner Versicherungen sowieso nur teilweise vorgelegt bekommt und sie insofern nur begrenzt auf ihre Berechtigung überprüfen kann. Die Krankenkassen wählen sich vielmehr einen unabhängigen Treuhänder, welchem sie ihre Tarifgestaltung zur Zustimmung vorlegen. Die BaFin erhält nur konkrete Tarifkalkulationen vorgelegt, soweit die Krankenkassentarife eine gesetzliche Krankenversicherung ersetzen können. Insofern könnte die BaFin Fragen von Frauen nach der Berechtigung ihres Krankenkassenbeitrags in der Regel sowieso nicht beantworten, da nur die Kasse und ihr Treuhänder die vollständigen Kalkulationen kennen.

Uns liegt ein Standardschreiben der Hallesche Krankenversicherung Stuttgart vom November 2007 vor (Anlage 4), wonach sie die sich aus der Neuregelung ergebenden Beitragserhöhungen für Männer selbst finanzieren wird. Das stellt rechtlich gesehen eine gem. § 19 Abs. 1 Ziff. 2 AGG unzulässige Diskriminierung von Frauen dar. Darüber hinaus bedarf es der Klärung, aus welchen Mitteln die Versicherung dies finanziert. Dazu hat die BaFin in ihrer Antwort an den djb die Ansicht vertreten, es gebe keine Vorschrift, nach der die Überschüsse gleichmäßig auf die Geschlechter zu verteilen seien. Wir halten dies rechtlich nicht für zutreffend.

Nach Zugang dieser Schreiben sieht der djb keine Möglichkeit mehr, die Beitragskalkulation der Versicherungsunternehmen auf Einhaltung der Diskriminierungsverbote zu überprüfen. Auch können wir wegen der Intransparenz der Beitragsgestaltung und des Beitragsgenehmigungsverfahrens ratsuchenden Frauen derzeit nicht empfehlen, gegen ihre Versicherung zu klagen. Hinzu kommt, dass Deutschland das Viktimisierungsverbot aus Art. 10 der RL 2004/113/EG mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz 2006 nicht umgesetzt hat. Ein Maßregelungsverbot enthält § 16 AGG nur bei Diskriminierungen im Erwerbsbereich. Diese Lücke kann dazu führen, dass eine Frau, die gegen ihre private Krankenversicherung klagt, künftig besondere Schwierigkeiten bei der Erstattung ihrer Arztrechnungen gemacht werden und sie sich deswegen vielleicht sogar in höherem Alter noch eine neue Versicherung suchen muss, – was entsprechend höhere Beiträge zur Folge hätte. Insofern könnte der djb sowieso nur jungen Frauen, die erstmals in eine private Krankenversicherung eintreten wollen, zu einer Klage raten. Am besten wäre, mehr Transparenz vorausgesetzt, wenn gegen die Tarifgestaltung privater Versicherungen direkt die Antidiskriminierungsverbände klagen könnten, was die RL 2004/113/EG jedoch bisher nicht zwingend vorsieht.

Nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/113/EG hatte der djb bereits die Bundesfrauenministerin gebeten, den Unternehmen der PKV aufzugeben, die zur Berechnung der Unterschiede in den Leistungsausgaben zwischen Männern und Frauen in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft notwendigen Daten zu erheben und auszuweisen wie auch solche Daten, die ein bestimmtes Geschlecht als bestimmenden Faktor erscheinen lassen. Die Verpflichtung zur Sicherstellung entsprechender Daten trifft gem. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/113/EG die Bundesrepublik als Mitgliedstaat. Uns ist nicht bekannt, dass diese Verpflichtung inzwischen erfüllt wurde. Wir haben auch trotz Erinnerung keine Antwort aus dem Bundesfrauenministerium bekommen.

Jutta Wagner
Präsidentin                                         

Prof. Dr. Sibylle Raasch
Vorsitzende der Kommission Arbeits-,
Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht

Anlagen
  1. Schreiben einzelner Versicherungen zur Beitragsänderung 2008
  2. Schreiben des djb an die BaFin und das BMF
  3. Antwortschreiben der BaFin und des BMF an den djb
  4. Schreiben der Hallesche Krankenversicherung