Stellungnahme: 08-03


anlässlich der Fachtagung der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen „Vergaberecht reformieren – Rechtssicherheit schaffen“ am 18. Februar 2008 in Berlin

Stellungnahme vom

I.    Förderung der Gleichstellung der Geschlechter im Vergaberecht

1.    Der Deutsche Juristinnenbund (djb) vertritt seit langem die Auffassung, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge ein geeignetes Instrument zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit im Erwerbsleben ist. Er hat dies in einer ausführlichen Stellungnahme vom 25. März 2002 zum damaligen Richtlinienvorschlag der Kommission betont und diese Position in einer weiteren Stellungnahme vom Juli 2007 in Form eines offenen Briefes erneuert. Die Nutzung des Vergaberechts zur Förderung gleichstellungspolitischer Ziele ist insbesondere deshalb sinnvoll, weil es – anders als für den öffentlichen Dienst – für die Privatwirtschaft keine gesetzlichen Vorgaben gibt, die unmittelbar die Unternehmen zu positiven Gleichstellungsmaßnahmen bei der Einstellung und der Beförderung von Bewerberinnen und Bewerbern verpflichten. Die Verbindung des Zugangs zu öffentlichen Aufträgen mit dem Verlangen frauenfördernder Maßnahmen ist ein influenzierendes Instrument, das darauf abzielt, Geschlechtergerechtigkeit im Erwerbsleben zum Bestandteil der Unternehmenspolitik zu machen. Die jahrzehntelangen Erfahrungen in den Vereinigten Staaten mit dem Einsatz des public procurement zur Förderung von Minderheiten und zur Förderung von Frauen erweisen, dass dies gelingen kann. Die Reform des Vergaberechts sollte deshalb genutzt werden, gleichstellungsfördernde Ziele ausdrücklich im Vergaberecht zu normieren.

2.    In der Bundesrepublik Deutschland liegt das jährliche Volumen öffentlicher Aufträge bei ungefähr 330 Milliarden Euro. Das Steuerungspotential dieses Ausgabeninstruments wird schon seit langer Zeit zur Verfolgung sekundärer Gemeinwohlzwecke genutzt. Hierzu gehört seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Mittelstandsförderung. Daneben wurde immer schon die Auftragsvergabe als Mittel der Realförderung genutzt. Hierüber gehen Gestaltungen hinaus, in denen Beschaffungs­vorgänge für den jeweiligen Vergabevorgang mit weiteren Zwecken bepackt werden. Diese Ziele können unmittelbar mit dem sachlichen Auftragsgegenstand zusammenhängen. Fehlt es an einem Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand, ist häufig von „vergabefremden Zwecken” die Rede. In beiden Fällen geht es aber um die Verfolgung von Gemeinwohlzwecken. Es empfiehlt sich, den neutralen Begriff der „Sekundärzwecke” zu verwenden. Hierfür spricht auch, dass die gemeinschaftsrechtlichen Regelwerke rechtliche Maßstäbe für die Verfolgung weiterer Zwecke liefern, diese also Bestandteil des Vergaberechts und damit im Rechtssinne nicht vergabefremd sind.

3.    Ungeachtet der Bezeichnung ist allerdings nicht zu leugnen, dass die Normierung sozialer Standards nicht nur Steuerungs-, sondern auch Konfliktpotential aufweist. Dies gilt einerseits, sofern das Verlangen nach frauenfördernden Maßnahmen potentiell zu einer Angebotsverteuerung oder zu einer Verengung des Bieterkreises führen kann. Andererseits kann das Ziel auch in eine konflikthafte Beziehung zu dem weiteren Ziel der Vereinfachung und Entbürokratisierung des Vergaberechts treten. Dies ist aber kein Grund, auf die Normierung insbesondere gleichstellungsfördernder Standards zu verzichten. Vielmehr ist eine Normierung anzustreben, die im Wege „praktischer Konkordanz“ soziale Standards – insbesondere gleichstellungsfördernde Standards – klar und präzise ausweist und damit sowohl transparenzfördernd wirkt als auch dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz genügt.

4.    Der Bundesgesetzgeber hat bislang nicht von der Öffnungsklausel des § 97 IV GWB Gebrauch gemacht, wohl aber zahlreiche Länder. So finden sich gegenwärtig in Bremen, Hamburg, Berlin, Bayern, Saarland, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hessen Tariftreuegesetze, die sich in Anwendungsbereich und Ausgestaltung erheblich unterscheiden. Einige Länder haben in ihren Gleichstellungsgesetzen die Auftragsvergabe mit dem Ziel der beruflichen Förderung von Frauen verbunden. Das Berliner Landesgleichstellungsgesetz sieht vor, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge mit der Auflage zu frauenfördernden Maßnahmen zu verbinden ist, die während der Auftragsdurchführung zu erbringen oder einzuleiten sind. Das Gebot wirkt prospektiv. Im Land Brandenburg werden hingegen Unternehmen bevorzugt, wenn ihr Angebot gleichwertig ist und sie zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe einen bestimmten Frauenanteil an den Beschäftigten aufweisen. Die Regelung knüpft an bereits erbrachte frauenfördende Maßnahmen „belohnend“ an. Auch diese Regelungsstruktur kann allerdings einen influenzierenden Effekt haben. Zu der Wirksamkeit der Regelungen liegen indes bislang leider keine belastbaren Daten vor.

II.    Verfassungsfragen

5.    Das Verfassungsrecht erlaubt die Normierung gleichstellungspolitischer Vorgaben für die Auftragsvergabe. Um die Entstehung eines föderalen Flickenteppichs zu verhindern, empfiehlt sich unbedingt eine bundesrechtliche Normierung. Sie bedarf sowohl oberhalb als auch unterhalb der gemeinschaftsrechtlichen Schwellenwerte eines Parlamentsgesetzes, das die vergaberechtlichen Anknüpfungspunkte präzise benennt. Verfassungsrechtlich zulässig sind sowohl Regelungen, die die Durchführung frauen­fördernder Maßnahmen zur Vertragsbedingung machen als auch solche, die an bereits erbrachte Maßnahmen anknüpfen.

6.    Kompetenzen: Das BVerfG ordnet das Vergaberecht dem Gesetzgebungstitel des Art. 74 I Nr. 11 GG – Recht der Wirtschaft – zu, der Gesetze mit wirtschaftslenkendem und -regulierendem Charakter umfasst. Von dieser weit gefassten Kompetenz hat der Bund keinen erschöpfenden Gebrauch gemacht. Als Beleg für verbleibende Regelungsspielräume der Länder dient § 97 IV GWB, der zu Länderregelungen ermächtigt. Unterhalb der Schwellenwerte bestehen erst recht keine bundesrechtlichen Regelungen, die Sperrwirkung für die Länder entfalten. Die Sichtweise des BVerfG ist folgenreich. Bestimmt sich die Gesetzgebungszuständigkeit nach dem Primärzweck der öffentlichen Beschaffung, so dürften auch landesrechtliche Regelungsspielräume für weitere sekundäre Vergabezwecke bestehen, soweit und solange nicht der Bund abschließende Vergabekriterien formuliert.

7.    Grundrechte: Das BVerfG hat in seiner Tariftreue-Entscheidung vor allem die Beschränkung der Freiheitsrechte durch Sekundärzwecke betont. Art. 12 I GG schützt als berufsbezogene Vertragsfreiheit das Recht des Auftragnehmers, die Arbeitsverträge mit den Arbeitnehmern zu gestalten. Wird die Auftragsvergabe mit dem Sekundärzweck der beruflichen Frauenförderung bepackt, werden ebenfalls unternehmerische Entscheidungen etwa zur Einstellung und zum beruflichen Aufstieg von Frauen mittelbar determiniert, die Gegenstand freier Berufsausübung sind. Zu einem Eingriff werden derartige Regelungen, wenn sie zwangsgleiche Wirkungen ent­falten. Dies ist zu verneinen, soweit die zusätzlichen Vergabekriterien deklaratorisch Pflichten benennen, die ohnehin bereits von Gesetzes wegen bestehen, wie etwa die Vorgaben des AGG. Hier kann umgekehrt ein Verstoß zum Ausschluss aus dem weiteren Verfahren führen. Freiheitsrechtlich unproblematisch, aber gleichheitsrechtlich rechtfertigungsbedürftig sind Regelungen, die auftragsunabhängig erbrachte Unternehmensleistungen "belohnen" wie z. B eine bereits erreichte Frauenquote im Betrieb. Eine rechtfertigungsbedürftige eingriffsgleiche Wirkung besteht, wenn künftiges Verhalten bestimmt werden soll.

8.    Freiheits- wie gleichheitsrechtliche Gebote verlangen eine parlamentsgesetzliche Grundlage. Zu dem einfachrechtlichen Gesetzesvorbehalt des § 97 IV GWB treten die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte hinzu. Dies ist bedeutsam, weil die Öffnungsklausel des GWB nur für Auftragsvergaben oberhalb der gemeinschaftsrechtlichen Schwellenwerte gilt. Beschränkende Parlamentsgesetze müssen hinreichend bestimmt das Grundrechtswesentliche regeln. Frauenfördernde Vergabezwecke lassen sich durch den Gleichstellungsauftrag in Art. 3 II 2 GG rechtfertigen. Der Gleichstellungsauftrag nimmt den Gesetzgeber gerade in die Pflicht, die Gleichberechtigung der Geschlechter für die Zukunft gerade auch dort durchzusetzen, wo Ungleichheiten auf das Handeln Privater zurückgehen. Das BVerfG billigt dem Gesetzgeber sowohl für die Zielförderlichkeit als auch für die Erforderlichkeit einer Regelung einen Einschätzungs- und Prognosespielraum zu. Hat sich eine Regelung bereits als erforderlich erwiesen, kann sie nur noch scheitern, wenn der Gesetzgeber den Ausgleich kollidierender Rechtsgüter in grob unangemessener Weise vorgenommen hat.

III.   Europarechtliche Fragen

9.    Die Vergaberichtlinien der Gemeinschaft gestatten die Verfolgung gleichstellungsfördernder Ziele bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die als zusätzliche Bedingung für die Auftragsdurchführung gestellt werden. Das auch unterhalb der Schwellenwerte maßgebliche Primärrecht – maßgeblich die Dienst­leistungsfreiheit – wird durch die Berücksichtigung frauenfördernder Maßnahmen nicht verletzt. Vielmehr favorisiert das Gemeinschaftsrecht nach Art. 3 II EGV eine Politik des gender mainstreamings, welche die Gleichberechtigung der Geschlechter gerade auch beim Einsatz anderer Politiken wie der öffentlichen Beschaffung verfolgt.

10.  Über die Gemeinschaftsrechtskonformität von Sekundärkriterien ist noch nicht abschließend entschie­den. Für die Zuschlagserteilung bleibt es beim Grundsatz des wirtschaftlichsten Angebots. Zwar mag der Auftraggeber auch hierbei Sekundärzwecke verfolgen, wie etwa einen hohen Umweltstandard der zu beschaffenden Produkte (Art. 53 I lit. a VKR). Dies ist aber nur zulässig innerhalb des Wirtschaftlichkeitsgebots, sofern die Sekundärkriterien „mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen“. Das Wirtschaftlichkeitsgebot wird gewahrt, wenn erbrachte frauenfördernde Maßnahmen nur dann zur Bevorzugung führen, wenn das Gebot gleichwertig ist. Im Übrigen können in die Angebotsbewertung auch externe Effekte einbezogen werden. Von den auftragsbezogenen Kriterien sind diejenigen zu unterscheiden, die Anforderungen an das Unternehmen stellen und die angelegentlich der Auftragsausführung zu beachten sind. Nach Art. 26 VKR und Art. 38 SKR können öffentliche Auftraggeber zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorschreiben. Die Bedingungen für die Auftragsausführung können soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen. Gleichstellungsfördernde Maßnahmen zählen unbestritten zu den sozialen Aspekten.

11.  Art. 26 VKR und Art. 38 SKR verlangen, dass die zusätzlichen Bedingungen in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden. Da sekundäre Zwecke generell verdächtig sind, den freien Wettbewerb zu gefährden, gelten besondere Transparenzanforderungen. Diese kommen auch jenseits der Richtlinien, d. h. unterhalb der Schwellenwerte, zum Tragen.

12.  Art. 26 VKR macht die Zulässigkeit von zusätzlichen Bedingungen davon abhängig, dass diese auch mit dem Gemeinschaftsrecht im Übrigen vereinbar sind. Die Grundfreiheiten sind alleiniger gemeinschaftsrechtlicher Maßstab, sofern es um die Auftragsvergabe im Unterschwellenbereich geht, der nicht von den Vergaberichtlinien erfasst wird. Berührt wird die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EGV. Das Gemeinschaftsrecht gestattet die Berufung auf zwingende Gründe des Gemeinwohls. Zwingende Gründe liegen vor allem bei Zielen vor, welche die Gemeinschaften selbst als eigene Politiken vertragsgemäß verfolgen. Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist im EU-Recht grundrechtlich verwurzelt (Art. 23 GRCh) und wesentlicher Bestandteil der gemeinschaftsrechtlichen Sozialpolitik (Art. 141 EGV). Für die Zulässigkeit frauenfördernder Vergabekriterien streitet vor allem Art. 3 II EG-Vertrag, wonach die Gemeinschaft bei allen gemeinschaftlichen Politiken auf die Beseitigung von Ungleichheiten hinwirkt und die Gleichstellung von Männern und Frauen fördert. Das gender mainstreaming ist damit zum gemeinschaftsrechtlichen Leitprinzip erhoben. Wenn Gleichstellung als Querschnittsaufgabe der Gemeinschaft gerade in der Umsetzung anderer Politiken auf Verwirklichung drängt, so spricht alles dafür, dass derartige Politiken auch den Mitgliedstaaten gestattet sind.

Jutta Wagner
Präsidentin

Univ.-Prof. Dr. Elke Gurlit
Johannes Gutenberg-Universität Mainz