Stellungnahme: 07-26


zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landeswahlgesetzes

Stellungnahme vom

(dazu Pressemitteilung 07-19 vom 20.8.2007)

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) bedankt sich für die Möglichkeit, zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landeswahlgesetzes, Drs. 16/1541 (neu) vom 11. September 2007, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Stellung nehmen zu können. Wir nehmen diese Gelegenheit gerne wahr und möchten wie folgt antworten:

Der djb unterstützt den Gesetzentwurf zur Quotierung von Listen der Kandidatinnen und Kandidaten nachdrücklich. Sinn und Zweck der in dem Entwurf vorgesehenen Änderung des § 23 Abs. 3 Landeswahlgesetz ist es, den Anteil der Kandidatinnen zumindest auf den Listen auf 50 Prozent zu erhöhen und dadurch auch den Anteil der weiblichen Abgeordneten im Kieler Landtag zu steigern. Diese Regelung ist vergleichsweise zurückhaltend, weil die Bewerbung um Direktmandate weiterhin unquotiert bleiben soll, der größere Anteil der Abgeordneten aber über Direktwahl in den Landtag einzieht. Nur 29 der 69 Abgeordneten werden über die Listen in den Landtag gewählt. Sollte der Effekt dieser sehr bescheidenen Verstärkung der Frauenrepräsentanz deswegen auch für die Zukunft keine deutliche Verstärkung der Frauenrepräsentanz im Landtag bringen, wird nach Ansicht des djb sogar noch über weitergehende Mittel nachzudenken sein.

Die Regelung steht in Einklang mit dem Grundgesetz, der neueren Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG, den Wertungen der Europäischen Charta der Grundrechte und der Verpflichtung Deutschlands aus Art. 4 und 7 des UN-Übereinkommens über die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW). Dazu hat PD Dr. Silke Ruth Laskowski vom Wissenschaftlichen Dienst des Schleswig-Holsteinischen Landtags im Gutachten vom 21. Juni 2007 (LT-Umdruck 16/2273) bereits ausführlich und in jeder Hinsicht überzeugend juristisch Stellung genommen. Den Ausführungen dieses Gutachtens schließt der djb sich ausdrücklich an.

Quotenregelungen in Parteistatuten werden für die Listenaufstellung bereits seit längerem von politischen Parteien praktiziert. Weitgehend unstrittig hält die juristische Literatur dies für zulässig. Leider haben aber bis heute längst nicht alle politischen Parteien verbindliche Quotenregelungen beschlossen. Oft bleiben die Quotierungen unverbindlich, wie das Frauenquorum der CDU, oder fehlen ganz wie bei der FDP. Es spricht für sich, dass der aktuelle Frauenanteil der FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag bei 0 Prozent liegt. In keinem deutschen Parlament haben Frauen bislang mit Hilfe solcher parteiinternen Regelungen einen Anteil an den Mandaten erreicht, der ihrem Bevölkerungsanteil auch nur annährend entsprechen würde. Ihr Anteil an den Mandaten stieg trotz vorhandener Parteiquoten oder -quoren nur ganz langsam. Alarmierend ist vor diesem Hintergrund, dass der Frauenanteil im Landtag Schleswig-Holsteins in der letzten Legislaturperiode sogar wieder rückläufig war.

Eine effektive gesetzliche Quotenregelung für das eigentliche Wahlverfahren selbst ist daher dringend erforderlich, um den Anteil der Frauen in den deutschen Parlamenten zu erhöhen. Dies gilt in besonderer Weise für den Schleswig-Holsteinischen Landtag, dessen Frauenanteil heute schon wieder bei nur noch 30,4 Prozent liegt. 13 Jahre nach der Aufnahme von Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG in die deutsche Verfassung – „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ – bedarf es offenkundig gesetzlicher Maßnahmen, um die nicht zuletzt strukturell bedingte Unterrepräsentanz weiblicher Abgeordneter zu beenden und Frauen an der politischen Machtausübung angemessen zu beteiligen.

Ein aktueller juristischer Diskurs zu gesetzlichen Frauenquoten bei Wahlen fehlt allerdings bislang. Die wenigen, ausführlicher begründeten rechtswissenschaftlichen Positionen, die Eingriffe des Gesetzgebers in das Wahlrecht ablehnen, stammen sämtlich aus der Zeit vor der Erweiterung des Grundgesetzes im Jahre 1994 um Art. 3 Abs. 2 Satz 2 mit seinem ausdrücklichen staatlichen Gleichstellungsauftrag. Kürzere aktuelle Positionen greifen diese alten Begründungen lediglich wieder auf. Damals war nicht nur die verfassungsrechtliche Lage unklarer. Man durfte auch noch hoffen, dass die parteiinternen Regelungen zugunsten von Frauen das Problem der Frauenunterrepräsentanz in den Parlamenten auf dem Wege eines geringeren Eingriffs in die verfassungsrechtlichen Wahlvorgaben künftig lösen könnten. Insofern gebot es das Prinzip der Verhältnismäßigkeit mit seiner Forderung nach dem jeweils geringst möglichen Eingriff, es erst einmal mit parteiinternen Frauenquoten zu versuchen.

Inzwischen sind jedoch weitergehende Maßnahmen verfassungsrechtlich geboten. Der Gesetzgeber darf nach dem neu eingefügten Gleichstellungsauftrag zugunsten der Frauen aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG nicht untätig bleiben, wenn Frauen deutlich erkennbar ihr nicht nur in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern auch über das Demokratieprinzip der Art. 20 und 28 GG verbürgtes Recht auf angemessene politische Teilhabe in den Parlamenten weiterhin vorenthalten bleibt. Gleichberechtigungssatz und Demokratieprinzip fordern gleichermaßen und in gegenseitiger Ergänzung, dass die Chancen der Frauen auf angemessene Repräsentanz in den Parlamenten durch den Gesetzgeber verbessert werden. Da mildere Maßnahmen keine Wirkung gezeigt haben, dürfen die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG sowie das Recht der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG, ihre Wahllisten nach eigenem Gutdünken aufzustellen, durch das insofern kollidierende Verfassungsrecht eingeschränkt werden. Auch das individuelle Recht der männlichen Parteimitglieder auf Kandidatur für alle Listenplätze aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG wird in zulässiger Weise eingeschränkt.

Da Listenplätze nach der Neuregelung des § 23 Abs. 3 Satz 3 Landeswahlgesetz nicht frei bleiben müssen, soweit nicht genug Männer bzw. Frauen kandidieren, ist die neue Regelung auch verhältnismäßig. Soweit der Frauenanteil auf einer Liste dadurch allerdings unter ihren Anteil an den Parteimitgliedern fällt, gilt diese Aufweichung der Quote nicht mehr. Solche Plätze müssten dann frei bleiben. Hier ist es den Parteien aber möglich und auch zumutbar, durch geeignete Aktivitäten im Vorfeld der Kandidatenaufstellung dafür zu sorgen, dass sich auch das Geschlecht, das in der Partei in der Minderheit ist, zumindest insoweit ausreichend um Listenplätze bewirbt. So hat z.B. die SPD Hamburg bei der Listenaufstellung für die Bürgerschaftswahl 2008 ihre Landesliste kurz vor ihrem Nominierungsparteitag in einer Sondersitzung des Landesvorstandes noch geändert, damit die parteiinterne Frauenquote erfüllt werden konnte.

Die neuen Geschlechterquoten im Betriebsverfassungsgesetz deuten an, dass der Wahlgesetzgeber sogar noch weiter gehen könnte: Nach § 15 Abs. 2 BetrVG muss das Geschlecht, das in der Minderheit ist, im Betriebsrat entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis vertreten sein. Durch den sog. Listensprung kann deswegen ein Betriebsratssitz sogar an eine konkurrierende Liste verloren gehen, wenn eine Wahlliste zu wenig Angehörige des Geschlechts in der Minderheit auf ihrer Liste hat, um alle errungenen Betriebsratsplätze entsprechend den gesetzlichen Vorgaben besetzen zu können. Das Bundesarbeitsgericht hält diese Wahlvorgaben für zulässig (BAG Beschl. v. 16.3.2005, § 15 BetrVG 1972).

Der vorliegende Gesetzentwurf verzichtet zwar auf Sanktionen für den Fall der Nichtbefolgung, gleichwohl stellt die Regelung im Zusammenspiel mit den übrigen Regelungen des Schleswig-Holsteinischen Landeswahlgesetzes ein intelligentes und effektives Steuerungsinstrument dar, um den Anteil der Frauen im Schleswig-Holsteinischen Parlament tatsächlich zu erhöhen. Denn sofern eine eingereichte Landesliste nicht den Vorgaben des neuen § 23 Absatz 3 LandeswahlGE entsprechen sollte, weil auf den Frauen vorbehaltenen Listenplätzen gesetzwidrig Männer platziert werden oder – umgekehrt – auf den Männern vorbehaltenen Listenplätzen Frauen platziert sind und kein Anwendungsfall der Ausnahmeklausel des § 23 Absatz 3 Satz 3 LandeswahlGE vorliegt, führt dieser Umstand dazu, dass die betreffende Landesliste nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Allerdings entspricht die Landesliste dann nur hinsichtlich der falsch platzierten Kandidatinnen oder Kandidaten nicht den gesetzlichen Anforderungen, so dass infolgedessen nur die Namen der gesetzwidrig platzierten Personen gemäß § 31 Absatz 1 Satz 3 Nr. 2 LandeswahlG aus der Liste gestrichen werden müssen. Die gestrichenen Kandidatinnen oder Kandidaten können also dann nicht über die Landesliste in das Parlament gewählt werden und ein entsprechendes Mandat erlangen – sondern nur die gesetzmäßig platzierten Kandidatinnen und Kandidaten. Sollten gleichwohl Landtagswahlen unter Verstoß gegen § 23 Absatz 3 LandeswahlGE erfolgen, würde dieser Verstoß ein fehlerhaftes Wahlverfahren (Wahlvorbereitung, Wahlhandlung und Feststellung des Wahlergebnisses) begründen, das wiederum Gegenstand eines erfolgreichen Wahlprüfungsverfahrens gemäß Artikel 3 Absatz 3 der Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung sein kann.

Das Wahlprüfungsverfahren dient bekanntlich der Sicherung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Parlaments und dem Schutz des objektiven Wahlrechts (Caspar, in: Caspar/Waack/Ewer/Nolte (Hrsg.), Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2006, Art. 3 Rn. 85 f., 94 f.).  Ein Verstoß gegen zwingende Wahlrechtsvorschriften wie § 23 Absatz 3 LandeswahlGE begründet einen rügefähigen Wahlfehler, da er sich mandatsrelevant auf die Sitzverteilung im Landtag auswirkt (vgl. BVerfGE 89, 243 <Kandidaten­aufstellung Bundestagswahl 1990 in Hamburg>; vgl. auch Caspar, a. a. O., Art. 3 Rn. 85, 95). Denn eine unter Missachtung der Quotenregelung fehlerhaft besetzte Landeswahlliste einer Partei führt zwangsläufig zu einem entsprechend fehlerhaft gewählten und besetzten Landtag. Die gegen das Landeswahlrecht verstoßende Landeswahlliste wirkt sich somit notwendigerweise fehlerhaft auf die Verteilung der Mandate aus. Nach der Rechtsprechung des BVerfG berühren derartige Wahlfehler die Gültigkeit einer Wahl (BVerfGE 89, 243 <Kandidatenaufstellung Bundestagswahl 1990 in Hamburg>).

Es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass keine politische Partei ein Interesse daran hat, die Ungültigkeit einer Landtagswahl durch eine gesetzwidrige Listenaufstellung zu provozieren. Zudem überprüft die Landeswahlleitung gemäß § 30 Landeswahlordnung (LWO) nach ihrem Eingang unverzüglich, ob eine Liste den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Die Gültigkeit einer Landtagswahl kann also durch eine unzulängliche Listenaufstellung, was die Repräsentanz der Geschlechter angeht, bei ordnungsgemäßem Verhalten aller Beteiligten nicht gefährdet werden.

Jutta Wagner   
Präsidentin

Prof. Dr. Sibylle Raasch
Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht