Stellungnahme: 07-11


Unzureichende Umsetzung der EG-Antidiskriminierungsrichtlinien in Deutschland

Stellungnahme vom

 

Herrn Kommissar Vladimir SPIDLA
Kommission der Europäischen Union
Rue de la Loi 200

B-1040 BRÜSSEL
Belgien

Herrn Generaldirektor Nikolaus G. VAN DER PAS
Generaldirektion für Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit

B-1049 BRÜSSEL
Belgien

Kopien an:
Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Herrn Bundesminister Franz Müntefering
Frau Bundesministerin Brigitte Zypries
Frau Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
Frau Dr. Martina Köppen

 

Unzureichende Umsetzung der EG-Antidiskriminierungsrichtlinien in Deutschland

Sehr geehrter Herr Kommissar Spidla,
sehr geehrter Herr Generaldirektor van der Pas,

der Deutsche Juristinnenbund (djb) ist ein Zusammenschluss von Juristinnen, Volks- und Betriebswirtinnen. Zweck des Verbandes ist die Förderung der Wissenschaft durch Fortentwicklung des Rechts, unter anderem auf dem Gebiet der Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frau in Gesellschaft, Beruf und Familie sowie der rechtlichen Absicherung der Lebenssituation von Kindern und alten Menschen. Den Satzungszweck verwirklicht der Verband auch dadurch, dass er regelmäßig zu rechtspolitischen Entwicklungen und Gesetzgebungsvorhaben Stellung nimmt.

Der djb hat die Umsetzung der EG-Antidiskriminierungsrichtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 (Bundesgesetzblatt - BGBl. I S. 1897), geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 2. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2742) (aktuelle Fassung: www.gesetze-im-internet.de) in das deutsche Recht schon während des Gesetzgebungsverfahrens beobachtet und in zwei Stellungnahmen vom 21. Februar 2005 und vom 22. Juni 2006 (Nr. 05-05 und Nr. 06-13, www.djb.de) im Einzelnen deutlich gemacht, welche Vorschriften, auch in der Endfassung, hinter den Vorgaben der Richtlinien zurückbleiben. Außerdem ist der djb der Auffassung, dass auch das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) in der Fassung vom 28. Mai 2007 (www.gesetze-im-internet.de) teilweise nicht mit den Vorgaben der Richtlinien vereinbar ist.

Im Wesentlichen handelt es sich um folgende nationale Vorschriften, die der djb als nicht richtlinienkonform umgesetzt ansieht:

1. § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG bestimmt:

Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

Das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) vom 19. Dezember 1974 in der Fassung vom 20. April 2007 enthält keine Diskriminierungsverbote. Betriebliche Altersversorgung ist jedoch Entgelt im Sinne von Artikel 141 EG und der Richtlinie 76/207/EWG in der Fassung der Richtlinie 2002/73/EG sowie der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG und fällt damit in den Geltungsbereich dieser EG-Richtlinien. Außerdem findet im Hinblick auf das Geschlecht die Richtlinie 86/378/EWG in der Fassung der Richtlinie 96/97/EG Anwendung.

2.  § 2 Abs. 4 AGG bestimmt:

Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz .

Entlassungsbedingungen fallen in den Anwendungsbereich der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2002/73/EG. Die deutschen Kündigungsschutzvorschriften enthalten keine den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügenden Diskriminierungsverbote; sie erklären Kündigungen jeweils nur aus Gründen für unwirksam, die keinen Bezug zu den Merkmalen haben, die nach den Richtlinien gegen Diskriminierung zu schützen sind.

3.  § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG bestimmt:

Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

Hier fehlt eine Ausformulierung des differenzierten Katalogs der Rechte, die Artikel 2 Abs. 7 Unterabs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG in der Fassung der Richtlinie 2002/73/EG Frauen im Mutterschaftsurlaub gewährt. Darüber hinaus wird eine ungünstigere Behandlung wegen Schwangerschaft und Mutterschaft durch den Verweis auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AGG nur im Bereich Beschäftigung und Beruf als unmittelbare Diskriminierung bezeichnet. Artikel 4 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2004/113/EG verbietet eine Schlechterstellung wegen Schwangerschaft und Mutterschaft als eine Form der unmittelbaren Diskriminierung aber auch im allgemeinen Zivilrechtsverkehr.

4. § 3 Abs. 4 AGG bestimmt:

Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn …

Die Vorschrift definiert die sexuelle Belästigung als Diskriminierung ebenfalls nur für den Bereich Beschäftigung und Beruf (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AGG), nicht aber für den allgemeinen Zivilrechtsverkehr. Dies ist mit Artikel 2 lit. d der Richtlinie 2004/113/EG nicht vereinbar.

5.  § 8 Abs. 1 AGG bestimmt:

Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

Nach dem früheren Recht, § 611a Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), war eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts nur zulässig, soweit Geschlecht für die auszuübenden Tätigkeit „unverzichtbare Voraussetzung“ war. Die jetzt in § 8 Abs. 1 AGG gewählte Formulierung „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ bietet mehr Raum für Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot und stellt damit für das Merkmal Geschlecht eine Absenkung des bisherigen Schutzniveaus dar. Dies verstößt gegen Artikel 8e Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG in der Fassung der Richtlinie 2002/73/EG.

6. Entgeltgleichheit

Die in Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 75/117/EWG enthaltenen Bestimmungen und Präzisierungen zum Grundsatz des gleichen Entgelts bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, sind im deutschen Recht weder im AGG noch in einer anderen Bestimmung umgesetzt. § 8 Abs. 2 AGG bestimmt dazu lediglich:

Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

Es fehlt der in der Richtlinie 75/117/EWG enthaltene ausdrückliche Bezug auf den in Artikel 141 EG niedergelegten Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Es fehlt außerdem eine Umsetzung sämtlicher in der Richtlinie 75/117/EWG enthaltenen Präzisierungen, insbesondere

  • dass sich das Diskriminierungsverbot auf sämtliche Entgeltbestandteile und -bedingungen bezieht (Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 75/117/EWG) und
  • dass Systeme der beruflichen Einstufung zur Festlegung des Entgelts auf für männliche und weibliche Arbeitnehmer gemeinsamen Kriterien beruhen und so beschaffen sein müssen, dass Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts ausgeschlossen werden (Artikel 1 Abs. 2 der Richtlinie 75/117/EWG).

7. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG

§ 10 AGG regelt in Anlehnung an Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG, unter welchen Voraussetzungen eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig ist.Satz 3 Nr. 4 AGG bestimmt:

Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

4. die Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen,

Damit wird die Vorgabe von Artikel 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG für eine gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nur unzureichend umgesetzt. Es fehlt die Einschränkung, dass dies nicht zu einer Diskriminierung wegen des Geschlechts führen darf.

8. § 15 AGG

a) § 15 Abs. 1 und 3 AGG

Abs. 1 bestimmt:

Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

Abs. 3 bestimmt:

Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

Das Verschuldenserfordernis in beiden Vorschriften steht in offenem Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des EuGH (EuGH vom 08.11.1990 Rs. 177/88 - Dekker, Slg. 1990, 3941, und vom 22.04.1997 Rs. C-180/95 - Draehmpaehl, Slg. 1997, I?2195).

b) § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG bestimmt:

Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.

Diese Vorschrift gibt die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Höhe der zu leistenden Entschädigung mit dem Erfordernis „angemessen“ nur unvollkommen wieder. Artikel 6 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG in der Fassung der Richtlinie 2002/73/EG, Artikel 15 der Richtlinie 2000/43/EG und Artikel 17 der Richtlinie 2000/78/EG verlangen nicht nur „angemessene“, sondern auch „abschreckende“ Sanktionen als Rechtsfolge einer Diskriminierung.

c) § 15 Abs. 4 AGG bestimmt:

Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifver­tragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

Die zweimonatige Frist ab dem Zugang der Ablehnung ist mit dem Effektivitätsgebot im Sinne von Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG in der Fassung der Richtlinie 2002/73/EG, Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/EG und Artikel 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG nicht vereinbar, wonach Klagefristen oder sonstige Fristen die Rechtsdurchsetzung nicht erschweren oder unmöglich machen dürfen. Die Frist zur Geltendmachung kann schon abgelaufen sein, bevor diskriminierte Bewerberinnen oder Bewerber bzw. Aufstiegswillige überhaupt Kenntnis von den diskriminierenden Ablehnungsgründen erhalten. Eine Verlängerung der Frist sieht das deutsche Recht für diesen Fall nicht vor.

Weiter ist die zweimonatige Frist in § 15 Abs. 4 AGG nicht mit dem Grundsatz der Gleichwertigkeit vereinbar, wonach gemeinschaftsrechtlich begründete Ansprüche nicht unter schwierigeren Voraussetzungen durchsetzbar sein dürfen als vergleichbare rein nationalrechtlich begründete Ansprüche. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitgerichts arbeitsvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen zwar zulässig, müssen aber mindestens drei Monate betragen (BAG vom 25.05.2005 - 5 AZR 572/04, NJW 2005, 3305, und vom 28.09.2005 - 5 AZR 52/05 -, NJW 2006, 795).

Schließlich verstößt § 15 Abs. 4 gegen das Verschlechterungsverbot des Artikel 8a Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG in der Fassung der Richtlinie 2002/73/EG und Artikel 8 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG. Eine Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Diskriminierung sah das deutsche Recht in § 611a Abs. 4 BGB (Benachteiligung wegen des Geschlechts) und § 81 Abs. 2 Nr. 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) (Benachteiligung wegen Schwerbehinderung) bisher nur im Zusammenhang mit Bewerbungen vor. Nach § 15 Abs. 4 AGG gilt die Ausschlussfrist nunmehr für alle Fallgestaltungen. Außerdem wurde die Frist gegenüber der bisherigen Regelung des § 611a Abs. 4 BGB für zahlreiche Fälle verkürzt. Nach § 611a Abs. 4 Satz 3 BGB betrug die Frist, wenn keine tarifliche Regelung existierte, sechs Monate.

9.§ 16 Abs. 1 Satz 1 AGG bestimmt:

Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen.

Diese Vorschrift verbietet die Viktimisierung nur im Bereich Beschäftigung und Beruf. Die Vorschriften zum allgemeinen Zivilrechtsverkehr (§§ 19 bis 21 AGG) enthalten keine entsprechende Regelung. Dies ist weder mit Artikel 10 der Richtlinie 2004/113/EG noch mit Artikel 9 der Richtlinie 2000/43/EG vereinbar.

10.  § 19 Abs. 3 und 5 AGG

Abs. 3 bestimmt:

Bei der Vermietung von Wohnraum ist eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig.

Abs. 5 bestimmt:

Die Vorschriften dieses Abschnitts finden keine Anwendung auf zivilrechtliche Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird. Bei Mietverhältnissen kann dies insbesondere der Fall sein, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen. Die Vermietung von Wohnraum zum nicht nur vorübergehenden Gebrauch ist in der Regel kein Geschäft im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1, wenn der Vermieter insgesamt nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet.

Die Ausnahme vom zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot ist bei der Vermietung von Wohnraum weder aus ordnungspolitischen Gründen (Abs. 3) noch bei der Begründung eines besonderen Nähe- und Vertrauensverhältnisses (Abs. 5) durch die Richtlinien 2000/43/EG und 2004/113/EG gedeckt. Die Richtlinie 2000/43/EG gestattet beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum keinerlei Ausnahmen. Die Richtlinie 2004/113/EG gilt nach Artikel 3 Abs. 1 lediglich nicht im Bereich des Privat- und Familienlebens. Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot lässt sie nur in Artikel 5 bei Versicherungsverträgen und in Artikel 4 Abs. 5 unter Voraussetzungen zu, die nichts mit den Zielen des § 19 Abs. 3 AGG zu tun haben.

11.  § 23 Abs. 2 AGG bestimmt:

Antidiskriminierungsverbände sind befugt, im Rahmen ihres Satzungszwecks in gerichtlichen Verfahren, in denen eine Vertretung durch Anwälte und Anwältinnen nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, als Beistände Benachteiligter in der Verhandlung aufzutreten. Im Übrigen bleiben die Vorschriften der Verfahrensordnungen, insbesondere diejenigen, nach denen Beiständen weiterer Vortrag untersagt werden kann, unberührt.

Die Einschränkung der Beteiligung der Verbände bedeutet nach deutschem Zivil- und Verwaltungsprozessrecht, dass sie nur in erstinstanzlichen Verfahren und auch dort nur in Verfahren mit einem Streitwert bis zu 5000 Euro als Beteiligte auftreten können. Damit ist unter anderem die in Artikel 6 Abs. 3 der Richtlinie 76/207/EWG in der Fassung der Richtlinie 2002/73/EG vorgesehene Unterstützung in Gerichtsverfahren nicht gewährleistet. Die Richtlinien sehen keine Beschränkung der Unterstützung auf Verfahren ohne Anwaltszwang vor.

12. § 12 Abs. 1 Nr. 1 VAG bestimmt:

Soweit die Krankenversicherung geeignet ist, die gesetzliche Krankenversicherung ganz oder teilweise zu ersetzen (substitutive Krankenversicherung), darf sie im Inland nur nach Art der Lebensversicherung betrieben werden, wobei

1. die Prämien auf versicherungsmathematischer Grundlage unter Zugrundelegung von Wahrscheinlichkeitstafeln und anderen einschlägigen statistischen Daten, insbesondere unter Berücksichtigung der maßgeblichen Annahmen zur Invaliditäts- und Krankheitsgefahr, zur Sterblichkeit, zur Alters- und Geschlechtsabhängigkeit des Risikos und zur Stornowahrscheinlichkeit und unter Berücksichtigung von Sicherheits- und sonstigen Zuschlägen sowie eines Rechnungszinses zu berechnen sind,

Nach Wortlaut und Verständnis dieser Norm sind Versicherungsunternehmen zur Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei der Kalkulierung ihrer Prämien verpflichtet. Diese Norm gilt bis zum 31. Dezember 2008. Die ab dem 1. Januar 2009 geltende Fassung ist im Hinblick auf den Absatz 1 Nr. 1 mit der jetzigen Fassung identisch. Beide Fassungen widersprechen damit Artikel 5 Abs. 1 der Richtlinie 2004/113/EG. Dieser sieht vor, dass spätestens bei den nach dem 21. Dezember 2007 neu abgeschlossenen Verträgen die Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei der Berechnung von Prämien und Leistungen im Bereich des Versicherungswesens und verwandter Finanzdienstleistungen nicht zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen führen darf. Eine gesetzliche Pflicht zur Berücksichtigung des Faktors Geschlecht ist auch nicht von Artikel 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG gedeckt, wonach proportionale Unterschiede bei Prämien und Leistungen bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen berücksichtigt werden dürfen – nicht aber müssen.

Zudem ist nach Artikel 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/113/EG bereits jetzt die Berücksichtigung von Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft bei der Prämienkalkulation untersagt. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 VAG sind sie aber als geschlechtsabhängige Risiken in die Kalkulation einzubeziehen.

13. Artikel 5 der Richtlinie 2000/78/EG

Weder das AGG noch andere deutsche Gesetze enthalten Vorschriften, wonach Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber angemessene Vorkehrungen im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG zu treffen haben, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten.

§ 81 Abs. 4 und 5 SGB IX regelt eine solche Pflicht nur bezogen auf schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 SGB IX) und behinderte Menschen, die mit schwerbehinderten Menschen auf Grund einer behördlichen Entscheidung gleichgestellt sind (§ 2 Abs. 3, § 68 Abs. 2 SGB IX).

Mit freundlichen Grüßen

Jutta Wagner                                                
Präsidentin  

Prof. Dr. Sibylle Raasch
Vorsitzende der Kommission Arbeits-,
Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht