Stellungnahme: 06-20


Die sozialrechtliche Problematik von kurzen Geburtenfolgen und Mehrkindfamilien im Elterngeldkonzept - Begründung für die Notwendigkeit einer Änderung von § 3 Abs. 4 Entwurf eines Elterngeldgesetzes (EEGG)

Stellungnahme vom

Warum ist es besser, den im Gesetzentwurf zum Elterngeld vorgesehenen Geschwisterzuschlag für Geburten im Zeitfenster von 24 Monaten[1] durch folgendes Modell zu ersetzen:

  • Geschwisterbonus zum nach den allgemeinen Vorschriften errechneten Elterngeld von 10 Prozent, mindestens jedoch 75 Euro monatlich für Familien mit zwei Kindern unter drei Jahren[2] oder drei und mehr Kindern unter 6 Jahren und
  • Streckung der berücksichtigungsfähigen Einkommenszeiten um Zeiten des Elterngeldbezuges
  1. Weil damit das Problem gelöst wird, dass ein zufälliger Tag Unterschied bei der Geburt des Geschwisterkindes[3] über ein hohes (bis zu 1.050 Euro monatlich) oder niedriges (Mindestelterngeld von 300 Euro monatlich) Elterngeld für dieses Kind und unter Umständen alle weiteren Geschwisterkinder entscheidet.
  2. Weil damit das Problem gelöst wird, dass der Elterngeldanspruch für das zweite und weitere Kinder wegen der Berechnungsbesonderheiten beim Mutterschutz für die Mutter immer[4] niedriger ist als für den Vater, selbst wenn beide Eltern ein gleiches Erwerbsverhalten und gleiches Einkommen haben.
  3. Weil damit das Problem gelöst wird, dass es bei kurzen Geburtenfolgen von z.B. 16 Monaten tatsächlich gar nicht möglich ist, einen vollen neuen Elterngeldanspruch aus zwölf Monaten Erwerbstätigkeit zu erwerben.
  4. Weil damit das Problem gelöst wird, dass bei größeren Familien von drei und mehr Kindern immer seltener ein Geschwisterbonus gewährt werden kann, weil mit der Kinderzahl die Wahrscheinlichkeit steigt, dass in der Geburtenfolge mehr als 24 Monate Abstand liegen.
  5. Weil damit das Problem gelöst wird, dass sich die Aufnahme einer geringer entlohnten Tätigkeit (z.B. durch Teilzeit) im Vergleich zur Nichterwerbstätigkeit bezogen auf den Elterngeldanspruch für Geschwisterkinder[5] finanziell nicht lohnt.
  6. Weil damit das Problem gelöst wird, dass die Elterngeldhöhe für Geschwisterkinder für die betroffenen Eltern kaum nachvollziehbar und stark vom Zufall abhängig ist. Demgegenüber ist eine Aufstockung um 10 Prozent/mindestens 75 Euro bzw. ein Mindestelterngeld von 375 Euro bei Geschwisterkindern klar und überschaubar. Diese Zusatzleistung kann auch sofort nach Inkrafttreten des Gesetzes für zweite, dritte oder weitere Kinder in Anspruch genommen werden, ohne dass eine verwaltungsaufwändige Einkommensberechnung für die Vergangenheit erforderlich ist.
  7. Weil damit das Problem gelöst wird, dass Zufälligkeiten im Einkommen vor der Geburt des ersten Kindes durch Geschwisterkinder immer weiter fortgeführt werden. Demgegenüber orientiert sich das vorgeschlagene Modell an dem zeitnah vor der Geburt des jüngsten Kindes zur Verfügung stehenden Familieneinkommen.
  8. Weil damit das Problem gemindert wird, dass der Elterngeldanspruch für das zweite und weitere Kind regelmäßig niedriger ist als für das erste Kind.
  9. Weil damit das Problem gemindert wird, dass ein einkommensersetzendes Elterngeld konzeptionell die volle Erwerbstätigkeit beider Eltern voraussetzt, was jedoch bei Eltern, die bereits kleine Kinder betreuen unter anderem wegen der schlechten Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren eine Fiktion ist.
  10. Weil damit das Problem gemindert wird, dass es für größere Familien immer schwerer wird, auf Einkommen für eine Zeit der Kinderbetreuung zu verzichten. Daher erleichtert die Erhöhung der Einkommensersatzquote es auch dem besser verdienenden Elternteil, Elternzeit in Anspruch zu nehmen.

Die verwaltungsmäßigen Zusatzbelastungen für das vorgeschlagene Modell sind überschaubar, denn die Geburtsdaten der älteren Kinder stehen fest und eine Streckung des berücksichtigungsfähigen Einkommenszeitraumes um bestimmte Zeiten ist ein einfaches und in anderen Sozialleistungssystemen übliches Verfahren; außerdem liegt in dem vorgeschlagenen Modell auch eine Verwaltungsvereinfachung bei der Berechnung des Geschwisterbonus’. Das Modell enthält sehr moderate Zuschläge für Geschwisterkinder, über deren Erweiterung in der Zukunft nachgedacht werden sollte. Daher dürfte die kostenmäßige Zusatzbelastung vor allem im Vergleich zu dem ursprünglichen Entwurf des Ministeriums, der einen Einkommensbezugszeitraum von nur drei Monaten vorgesehen hatte, nicht erheblich sein und deutlich unter den Zusatzkosten liegen, die für eine Erweiterung des im Gesetzentwurf verankerten Geschwisterbonus’ auf drei Jahre veranschlagt worden sind.

Dr. Christine Fuchsloch
Kommission Recht der Sozialen Sicherung,
Familienlastenausgleich

 

 

Anmerkungen

[1] Zuschlag in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen dem Elterngeldanspruch für das ältere Kind und das jüngere Geschwisterkind, wenn dieses im Zeitraum von 24 Monaten nach Geburt des älteren Kindes zur Welt kommt.

[2] Der Geschwisterbonus entfällt mit der Vollendung des 3. Lebensjahres des älteren Kindes, dadurch ist gesichert, dass keine harte Stichtagsregelung in dem Vorschlag liegt. Von der Gesetzessystematik könnte auch daran gedacht werden, das 4. Lebensjahr zu wählen. Im Hinblick auf den engen Finanzierungsrahmen des Elterngeldes sollte dieser Vorschlag gegenwärtig nicht unterbreitet werden. Im Rahmen der Evaluation des Gesetzes sollte in ein bis zwei Jahren überprüft werden, ob in diesem Punkt eine Korrektur vorzunehmen ist. Dies gilt auch für die gewählten Beträge und Prozentsätze.

[3] Bis zum 2. Geburtstag des älteren Kindes oder nach diesem Tag.

[4] Ausnahme: die Mutter verzichtet freiwillig auf den ihr gesetzlich zustehenden Mutterschutz vor der Geburt des Kindes.

[5] Sofern die Geschwisterkinder im Zeitfenster von 24 Monaten geboren werden.