Stellungnahme: 06-11


zur öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Montag, den 19. Juni 2006<br>- Bekämpfung von Zwangsverheiratungen -

Stellungnahme vom

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird am 19. Juni 2006 eine Öffentliche Anhörung zum Thema "Zwangsverheiratung bekämpfen"
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Der djb begrüßt die erneute Thematisierung der Zwangsverheiratungen. Gerade in jüngerer Zeit ist durch Berichte in den Medien deutlich geworden, wie sehr die zumeist weiblichen Opfer der Zwangsverheiratungen unter Druck gesetzt, physisch und psychisch verletzt und in einigen Fällen sogar getötet werden.

Die Zwangsheirat stellt einen eindeutigen Verstoß gegen die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und damit eine Menschenrechtsverletzung dar. Zwangsverheiratung muss deshalb in unserer Gesellschaft geächtet und geahndet, die Opfer müssen stabilisiert, gestärkt, unterstützt und nachhaltig geschützt werden. Hierüber besteht in den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Einigkeit. Indes besteht kein Konsens über die vorgeschlagenen Wege zur Erreichung dieser Ziele.

I. Definition der Zwangsverheiratung

Eine einheitliche Definition des Begriffs der Zwangsverheiratung liegt derzeit nicht vor, ist aber wegen der Unterschiedlichkeit der hierunter fallenden möglichen Sachverhalte auch schwierig. Bei der Suche nach einer Definition besteht stets die Gefahr der Ausgrenzung von (derzeit nicht überschaubaren) Sachverhalten.

Abhängig von den Umständen der jeweiligen Fallkonstellationen gibt es verschiedene Begriffe und Definitionen, die typische Fälle von Zwangsverheiratung charakterisieren. Dabei lassen sich vier Fallkonstellationen voneinander abgrenzen:

Zwangsverheiratung liegt danach vor bei

  1. von Familienangehörigen oder Dritten entschiedener, von den zu verheiratenden Partnern nicht mitbestimmter Eheschließung unter in Deutschland lebenden Partnern mit Migrationshintergrund ("Zwangsheirat mit Ausweisungsrisiko")
  2. Eheschließung von in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergrund mit jungen, teils minderjährigen Personen aus dem Herkunftsstaat, ohne dass diese an der Entscheidung mitbestimmend beteiligt sind, wobei diese Personen im Rahmen des Ehegattennachzugs nach Deutschland einreisen ("Importbraut", "Importbräutigam")
  3. von Familienangehörigen oder Dritten entschiedener, von den zu verheiratenden, in der Regel minderjährigen Partnern nicht mitbestimmter Verlobung oder Eheschließung anlässlich eines vorübergehend geplanten Aufenthalts im Ausland, wobei die ausreisenden Partner gegen ihren Willen im Ausland verbleiben ("Heiratsverschleppung")
  4. von Familienangehörigen oder Dritten entschiedener, von den zu verheiratenden in der Regel volljährigen in Deutschland mit gesichertem Aufenthaltsstatus lebenden Partnern nicht mitbestimmte Eheschließung anlässlich eines vorübergehenden Aufenthalts im Ausland zum Zweck der legalen Einwanderung für die verheiratete Person aus dem Ausland ("Verheiratung für ein Einwanderungsticket").

Darüber hinaus gibt es weitere, im einzelnen näher zu klärende Begriffe, die Sachverhalte bezeichnen, deren Einordnung als Zwangsverheiratung teilweise streitig ist:

  • Imamehe
  • Handschuhehe
  • Ehe auf Zeit
  • Arrangierte Ehe
  • Vernunftehe

Die Suche nach einer Definition der Zwangsverheiratung führt im Ergebnis zu dem grundlegenden, aus der Ethnologie bekannten Dilemma:

Danach gibt es grundsätzlich zwei Sichtweisen auf die Thematik der Zwangsheirat:

Die kulturrelativistische Sichtweise zielt darauf ab, die Problematik aus dem Kontext der fremden Kultur heraus zu verstehen und gegebenenfalls zu rechtfertigen.

Aus der Sichtweise der universellen Ethik heraus wird die eigene, kulturell und historisch determinierte Sichtweise für allgemeingültig erklärt. Dieser Sichtweise wird der Vorwurf des Ethnozentrismus entgegengehalten.

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist allerdings die Sichtweise der universellen Ethik zugrunde gelegt.

Um eine tragfähige Entscheidungsgrundlage für die im Zusammenhang mit dem Thema Zwangsverheiratung zu behandelnden Fälle zu erlangen, ist die wissenschaftliche Erforschung der Phänomene und Erscheinungsformen der Zwangsverheiratung notwendig. Aussagekräftiges Zahlenmaterial liegt derzeit noch nicht vor. Schätzungen aus 2002 gehen von einer Zahl von 230 Fällen von Zwangsheirat aus. Diese Zahlen stellen jedoch nur das Hellfeld der zu diesem Thema befragten Institutionen dar. Das Dunkelfeld dürfte gerade in diesem Bereich um ein Vielfaches höher einzuschätzen sein. Erforderlich ist deshalb eine wissenschaftliche Datensammlung zu tatsächlichen Erscheinungsformen der Zwangsverheiratung. Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang aber auch eine Datensammlung zu rechtlichen Lösungsansätzen in anderen Staaten Europas.

II. Aufenthaltsrechtliche Regelungen

Entsprechend den zuvor beschriebenen vier Fallkonstellationen lassen sich folgende lösungsbedürftige, zum Teil fallübergreifende Problembereiche der aufenthaltsrechtlichen Regelungen beschreiben:

1. Eigenständiges Aufenthaltsrecht bei Auflösung der Ehe

Soweit bei den in Deutschland unter hier lebenden Partnern Zwangsverheiratungen erfolgen, dürfte in einem Teil der Fälle ein aufenthaltsrechtlich stabiler Status vorliegen. Dies gilt jedoch nicht in Fällen der Duldung. Für diese Fälle sollte ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bei Auflösung der Ehe auch schon vor Ablauf von zwei Jahren vorgesehen werden. Anderenfalls zwingt man die Opfer der Zwangsverheiratung, also in der Regel die Frauen, zum Verbleib in einer von Isolation und Unterdrückung, teilweise auch von massiver Gewalt geprägten Ehe. Dabei ist zu konstatieren, dass die in einer Zwangsehe gegenüber dem Opfer angewandten Mittel zur Unterordnung nicht nur von offener Gewalt, sondern zumeist von subtileren Mitteln zur Unterdrückung geprägt sind. Klassisch ist in diesem Zusammenhang die Ankündigung, das gegen die Vorherrschaft des Mannes versuchte Abwehrverhalten des Opfers in der Familie öffentlich zu machen. Diese Ankündigung, die nur schwer als Drohung zu klassifizieren ist, bewirkt bei dem Opfer in der Regel wegen der ihm bewussten, unterschiedlich ausgeprägten Möglichkeit der Disziplinierung durch die Familie ein schnelles Einlenken und erneute Unterordnung. Ebenso wie im Fall der nach Deutschland verheirateten ausländischen Frauen sollte deshalb grundsätzlich nicht nur Gewalt in der Ehe, sondern auch alleine die Zwangsverheiratung ausreichend sein, dass Frauen, denen es gelingt, aus der Zwangsehe zu fliehen, sofort ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ohne Befristung erhalten können. Ob eine Regelung im Rahmen der Härtefallklausel des § 31 AufenthG dafür ausreicht, erscheint aus Sicht des djb zweifelhaft, da die Auslegungsmöglichkeiten regional differieren können und für die Opfer der Zwangsverheiratung Rechtssicherheit mithin nicht gegeben ist.

2. Kein Erlöschen des Aufenthaltstitels nach 6 Monaten im Fall der Zwangsverheiratung im Ausland

Bei einer Zwangsheirat ins Ausland sollte der Aufenthaltstitel für die betroffene Frau nicht bereits nach sechs Monaten erlöschen. Wenn es der Frau erst später gelingt, aus der Zwangsehe zu fliehen und nach Deutschland zurück zu kommen, sollte sie die Chance erhalten, wieder rechtmäßig in Deutschland zu leben. Auch sollte ein spezielles Wiederkehrrecht für Zwangsverheiratete eingeführt werden, weil die bislang geltenden Voraussetzungen für das Wiederkehrrecht nach § 37 AufenthG sehr eng sind. Die Härtefallregelung gibt auch hier keinen verlässlichen Status für das Opfer von Zwangsheirat.

3. Keine Heraufsetzung des Mindestalters für den Ehegattennachzug

Aus Sicht des djb ist die Einführung eines Mindestalters von 21 Jahren für den Ehegattennachzug nicht sinnvoll. Denn ein Nachzugsalter von 21 Jahren ist im Hinblick auf Art. 6 Grundgesetz verfassungsrechtlich bedenklich, da die überwiegende Anzahl von Ehen mit Ehepartnern bis zu einem Alter von 21 Jahren nicht unter Zwang geschlossen wurden. Gegenteiliges Datenmaterial ist derzeit nicht bekannt. Für diese Ehen ist auch die vorübergehende Verweigerung des Nachzugs als unverhältnismäßig einzustufen.

Die geplante Regelung würde faktisch zu einer Wartezeit von mehreren Jahren für betroffene Paare führen. Eine Wartezeit von drei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht jedoch in seiner Grundsatzentscheidung vom 12. Mai 1987 (BVerfGE 76, 1ff) ausdrücklich für unverhältnismäßig und nicht mit Art. 6 GG vereinbar erklärt. Dies gilt insbesondere, wenn aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind, die dann nicht von beiden Eltern gemeinsam betreut werden können. Auch eine Härtefallklausel genügt diesen Anforderungen nicht.

Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass das Ehemündigkeitsalter in Deutschland auf 18 Jahre festgelegt ist, so dass sich auch aus diesem Grund ein Widerspruch im Hinblick auf Art. 6 GG ergibt.

Es ist schließlich nicht wahrscheinlich, dass mit einer Heraufsetzung des Nachzugsalters tatsächlich Zwangsehen verhindert werden. Familien, die eine Zwangsheirat arrangieren wollen, lassen sich kaum durch ein Nachzugsalter abhalten. Entweder erfolgt die Heirat dann später oder die Wartezeit wird in Kauf genommen.

4.  Notwendigkeit der wissenschaftlichen Erforschung der Probleme im Zusammenhang mit den ausländerrechtlichen Regelungen

Völlig ungeklärt ist derzeit, wie von Zwangsheirat betroffene Opfer das Vorliegen einer im Ausland erfolgten Zwangsheirat in Deutschland beweiskräftig darlegen können sollen. Häufig ist in den Ländern, in denen die Zwangsverheiratung erfolgt, ein geordnetes Melde- und Personenstandswesen nicht gewährleistet. Personen, die Zeugen der Zwangsverheiratung sein könnten, werden unter Druck gesetzt oder mit ihnen aufgenommene Zeugenaussagen nicht anerkannt.

Es erscheint deshalb unabdingbar, wissenschaftlich fundiert die Beweismöglichkeiten in den Herkunftsländern und in Deutschland abzugleichen und die Unterstützungsmöglichkeiten für Opfer von Zwangsheirat in den Herkunftsländern und in Deutschland zu erforschen.

III. Zivilrechtliche Regelungen

1. Verlängerung der Frist zur Eheaufhebung

Die Regelung in § 1314 Abs. 2 Ziffer 4 BGB knüpft an den Aufhebungsgrund "widerrechtliche Drohung" an.

Zunächst erscheint eine nicht widerrechtliche Drohung schwer vorstellbar. Zudem ist es in Fällen der Zwangsverheiratung, wie oben dargelegt, nicht zwingend, dass Drohungen im Sinne einer Androhung der Zufügung eines Übels oder dass Gewaltanwendung erfolgen. Denkbar und häufig ist vielmehr die Ankündigung gegenüber dem Opfer, das von diesem gezeigte oder versuchte Verhalten zur Durchbrechung der Isolation und der Obsession in der Familie öffentlich zu machen, also zu berichten. Schon diese schlichte Ankündigung führt in mutmaßlich allen Fällen von Zwangsheirat zur Disziplinierung und (erneuten) Unterordnung des Opfers. Dies wird verstärkt durch die in der Sozialisation dem Opfer vermittelte Tradition sowie den kulturellen, ggf. religiösen Druck. Das Opfer der Zwangsverheiratung, das aus diesem Käfig herauszukommen versucht, braucht in der Regel viel Zeit, um sich soweit zu stabilisieren, dass es erneuten Unterdrückungsversuchen standhält und die erforderlichen juristischen Schritte durchzustehen vermag. Die derzeitige Frist erscheint hierfür zu kurz. Vorbehaltlich einer Evaluierung gerade auch dieser Umstände sollte diese Frist verlängert werden, sofern das deutsche materielle Recht auf das Verfahren Anwendung findet.

Indes vermag eine Verlängerung der Anfechtungsfrist von ein auf drei Jahre nicht die Probleme der exakten Bestimmung des Anknüpfungszeitpunktes sowie die tatsächliche Schwierigkeit der Opfer zu lösen, ihre Zwangssituation zu erkennen, öffentlich zu machen und die erforderlichen rechtlichen Schritte zu gehen, mithin den ersten Schritt aus dem Käfig zu unternehmen.

2. Novellierung der unterhaltsrechtlichen Regelungen

Gesetzliche Maßnahmen, die die wirtschaftliche Abhängigkeit der Opfer von Zwangsheirat mindern, sind angesichts der Schwierigkeit für die Opfer, sich aus der Situation zu lösen, stets sinnvoll.

3. Ergänzung der erbrechtlichen Regelungen

Der in die Zwangsverheiratung durch Drohung und/oder Nötigung selbst oder mittelbar einbezogene Ehegatte sollte entsprechend dem Rechtsgedanken der Erbunwürdigkeit von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sein. Eine Klarstellung im Gesetz wäre insofern hilfreich.

4. Notwendigkeit der wissenschaftlichen Erforschung der Probleme im Zusammenhang mit den zivilrechtlichen Regelungen

Die erörterten zivilrechtlichen Reformüberlegungen treffen nicht nur von Zwangsverheiratung Betroffene. Um die Entscheidung zu begleiten und die Entscheidungsbasis zu verbessern sollten deshalb alsbald Daten zur Häufigkeit der Fälle, in denen die zivilrechtlichen Regelungen relevant sind oder sein können, erhoben werden. Darüber hinaus sollte der mögliche Erfolg der geplanten Reformen auf der Basis der erhobenen Daten validiert werden.

IV. Strafrechtliche Reformüberlegungen

1. Schaffung eines eigenen Straftatbestandes

Bereits zum 19. Februar 2005 wurde die Zwangsverheiratung in § 240 StGB als schwerer Fall der Nötigung unter Strafe gestellt und damit im Strafgesetzbuch verdeutlicht, dass Zwangsverheiratung in Deutschland geahndet und geächtet wird. Der vorgesehene Strafrahmen von ausschließlich Freiheitsstrafe, mindestens sechs Monate und höchstens fünf Jahre macht den erhöhten Unrechtsgehalt dieses Delikts deutlich. Für die Einführung eines eigenen Straftatbestandes Zwangsverheiratung wird nun darauf hingewiesen, dass hierdurch die besondere Missbilligung der Gesellschaft diesem Delikt gegenüber verdeutlicht werden könne. Dies ist indes nicht zwingend, wie auch andere Beispiele zeigen. So ist die Strafbarkeit der Vergewaltigung als Unterfall der sexuellen Nötigung in § 177 Absatz 2 StGB geregelt, ohne dass eingewandt würde, die besondere Strafwürdigkeit der Vergewaltigung wird durch diese Regelung nicht deutlich genug. Wenn zutreffend die Schaffung einer besonderen Strafvorschrift nur dem Zweck dient, die besondere Missbilligung der Gesellschaft dem Delikt der Zwangsverheiratung gegenüber zum Ausdruck zu bringen, kann dem auch dadurch Rechnung getragen werden, dass die Zwangsverheiratung in der Überschrift des § 240 StGB ausdrücklich erwähnt und als Legaldefinition in Absatz 4 nochmals verdeutlicht wird.

Tatsächliche Beweisschwierigkeiten werden zudem auch durch einen neuen gesonderten Straftatbestand nicht behoben.

2. Beweisprobleme

Zahlreiche Beweisprobleme erschweren derzeit die Verurteilung in Fällen der Zwangsverheiratung:

Zunächst erreichen potentielle und tatsächliche Opfer von Zwangsverheiratung auf Grund ihrer Isolation durch den Ehepartner keine (ausreichenden) Informationen über die Rechtslage und die Unterstützungsmöglichkeiten. Durch den Ehepartner werden derartige Informationen in der Mehrzahl der Fälle bewusst zurückgehalten oder verhindert, um die Machtstellung gegenüber dem Opfer zu erhalten. Dass Opfer von Zwangsverheiratung gleichwohl Informationen und damit Möglichkeiten bekommen, aus ihrem nicht selbst gewählten Käfig zu fliehen, hängt nach der Erfahrung vielfach von Zufällen ab.

Haben die Opfer den Weg heraus gefunden, sind sie nahezu immer in Leib und Leben gefährdet. Eine sichere Zuflucht und Unterstützung ist für sie (über-)lebensnotwendig. Dabei geht die Gefahr nicht nur vom Ehepartner, sondern zumeist auch von der Familie und der Community aus. Diesen Druck nachzuweisen und durch Maßnahmen nach der Strafprozessordnung zu vermindern oder zu beseitigen ist in der Mehrzahl der Fälle mangels Nachweismöglichkeit, z.B. auch für die Voraussetzungen einer Inhaftierung, nicht möglich.

Die Beweislage ist gerade auch in diesen Fallkonstellationen gekennzeichnet von der Situation "Aussage gegen Aussage", in der durch die höchstrichterliche Rechtsprechung - im Ergebnis zu Recht - besondere Anforderungen an den Nachweis der Schuld gestellt werden.

Ein weiteres tatsächliches Problem ergibt sich aus dem dem Opfer zustehenden Recht auf Aussageverweigerung gem. § 52 StPO. Zwar ist bei minderjährigen Opfern wegen der fraglichen Gültigkeit der Ehe nach deutschem Recht unter Umständen eine direkte Anwendung des § 52 StPO zweifelhaft. Gerade die minderjährigen Opfer der Zwangsverheiratung stehen jedoch unter besonderem Druck seitens ihrer Familie und Gesellschaft, schweben häufig sogar in Lebensgefahr. Eine Strafverfolgung um den Preis des Lebens des Opfers, die dann unter Umständen durchgeführt würde, erscheint jedoch mit der Menschenwürde unvereinbar.

Die von Polizei und Justiz in diesem Kontext angebotenen Zeugenschutzprogramme sind als Lösung nicht generell geeignet. Sie setzen die Aufgabe der Identität des Opfers voraus, zu der viele nicht bereit und, auf Grund ihres Alters und ihrer fehlenden Entwicklungsreife, gar nicht in der Lage sind. Gerade minderjährige Opfer können zumeist noch nicht überblicken, was die Aufgabe der bisherigen Identität in allen Einzelheiten bedeutet und gefährden durch Kontaktaufnahmen zu Personen aus der früheren Identität leichter ihre Sicherheit.

Hilfreich ist in diesen Fällen deshalb zuerst ein dem Opfer zur Verfügung zu stellendes Netzwerk an Unterstützern und Unterstützungseinrichtungen, auf die es sich verlassen kann, und ein damit abgestimmtes Sicherheitskonzept im konkreten Einzelfall, in das alle mit dem Fall arbeitenden Professionellen, also Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Ausländerbehörde, Ordnungsbehörde etc. einbezogen werden. Dazu gehört auch ein sicherer Aufenthaltsstatus, der die Angst vor Ausweisung und Verfolgung im Ausland nimmt.

3. Notwendigkeit der wissenschaftlichen Erforschung der Probleme im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Reformüberlegungen

Aktuell können wegen der Rechtsänderung in 2005 noch keine Daten aus der Polizeilichen Kriminalstatistik vorgelegt werden.

Statistische Daten (Polizei- und Justizstatistik) zu Häufigkeit, Fallkonstellationen und Problemen in den einzelnen Fällen über den Straftatbestand der Zwangsverheiratung als schwere Nötigung müssen jedoch dringlich gesammelt und ausgewertet werden.

Darüber hinaus müssen wissenschaftlich fundiert Daten über die Betreuung und Unterstützung für Opfer von Zwangsheirat im Strafverfahren erhoben und ausgewertet werden, um die Arbeit für und mit den Opfern im Strafverfahren anpassen zu können und gegebenenfalls neuen Reformbedarf rechtzeitig erkennen zu können.

V. Opferschutz

Nach Erhebung der wissenschaftlichen Daten zu Erscheinungsformen, ausländerrechtlichen, zivilrechtlichen und strafrechtlichen Regelungen und Reformüberlegungen muss evaluiert werden, ob mit den vorhandenen Unterstützungseinrichtungen und Unterstützungsmaßnahmen die Opfer erreicht und nachhaltig wirkungsvoll unterstützt werden, und ob weitere Einrichtungen initiiert werden müssen (Versorgung in der Fläche).

VI. Umsetzung vorhandener und ggf. zukünftiger rechtlicher Regelungen

Wie die Einführung des Gewaltschutzgesetzes mit begleitenden Umsetzungsstrukturen (Einrichtung einer Bund-Länder Arbeitsgemeinschaft zur Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes, Erstellung eines Aktionsplanes etc.) gezeigt hat, können vorhandene oder neu geschaffene rechtliche und unterstützende Regelungen wirken, wenn ihre Umsetzung in die Rechts- und Gesellschaftspraxis gezielt betrieben und überwacht wird (Monitoring).

Viele der im Zusammenhang mit Ahndung und Ächtung der Zwangsverheiratung erforderlichen Maßnahmen sind nicht durch (neue) Gesetzgebung zu bewirken, sondern durch gezielte Förderung der flächendeckenden Umsetzung in der Praxis. Das begründet die Notwendigkeit, Instrumente zur Umsetzung der vorhandenen Regelungen, der Kontrolle und der Überprüfung von weiterem Reformbedarf zu schaffen. Dazu gehört die Erstellung eines umfassenden Aktionsplanes, Schaffung und Förderung regionaler und überregionaler Netzwerke, Entwicklung von Grundlagen für die Fortbildung aller Professionellen und die Initiierung und Durchführung wissenschaftlich begleitender Evaluation.

Jutta Wagner        
Präsidentin    

Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission
Gewalt gegen Frauen und Kinder