Stellungnahme: 06-10


Stellungnahme 06-10 / zum Referentenentwurf des BMFSFJ eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes vom 12. Mai 2006 (RE)

Stellungnahme vom

Vorbemerkung

Mit dem jetzigen Verfahren wird eine Anhörung der Verbände vor dem parlamentarischen Verfahren durch das BMFSFJ durchgeführt, der uneingeschränkter Beifall gezollt wird. Diese frühzeitige Beteiligung von Verbänden zeigt eindrucksvoll, dass ein echter Dialog mit den Fachverbänden gesucht wird. Aus vielen parlamentarischen Anhörungen der Bundestagsausschüsse hat der Deutsche Juristinnenbund vor allem in den letzten Jahren die leidige Erfahrung gezogen, dass in diesem späten Verfahren mit äußerst knappen Fristen viele bedenkenswerte Anregungen nicht mehr aufgegriffen werden können. So wird die Sachkompetenz der Verbände und Sachverständigen nicht genutzt, um Gesetze besser und vor allem praxistauglicher zu machen. Das jetzige Verfahren sollte Prototyp auch für andere Gesetzgebungsvorhaben werden.

Grundsätzliches

Der Deutsche Juristinnenbund begrüßt die geplante Einführung eines Elterngeldes als Lohnersatzleistung für entgangenes Einkommen im ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes. Das Elterngeld ist geeignet, die Vereinbarkeit von Elternschaft und Erwerbsarbeit für Frauen und Männer sowie die Partizipation von Vätern an der Familienarbeit zu fördern. Untersuchungen zeigen, dass es bisher häufig finanzielle Gründe und unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind, weshalb erwerbstätige Mütter von Kleinkindern länger unterbrechen oder weniger Stunden berufstätig sind als sie es wünschen. Viele Väter würden demgegenüber lieber ihre Arbeitszeit verkürzen und mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen als dies gegenwärtig der Fall ist. Ein Elterngeld als Lohnersatzleistung erleichtert, dass Eltern partnerschaftliche Lösungen bei der Kleinkindbetreuung im ersten Lebensjahr finden und mildert die durch die Geburt des Kindes verursachten finanziellen Einbußen.

Um das Ziel der stärkeren Beteiligung von Vätern zu erreichen, begrüßt der djb grundsätzlich die vorgeschlagene Reservierung von zwei sogenannten „Partnermonaten“, wenn der andere Elternteil – gemeint sind die Väter – auch Elterngeld in Anspruch nimmt. Die Bedenken gegen die ursprüngliche Regelung bei einer Bezugsdauer von 12 Monaten kann der djb in keiner Weise nachvollziehen. Durch die aufgrund eines politischen Kompromisses gewählte Ausgestaltung als Verlängerung der „Regelelternzeit“ und die öffentliche Darstellung dieser Monate als „Bonusmonate“ ist der fatale Eindruck entstanden, es handele sich um eine besondere Zusatzvergünstigung und nicht um den gesellschaftlich erwünschten Normalfall einer gemeinsamen Sorgeverantwortung beider Elternteile für die frühkindliche Betreuung. Es ist dennoch zu hoffen, dass auch die aktuell beabsichtigte Ausgestaltung eine Signalwirkung auf dem Arbeitsmarkt hat und damit der immer noch dominanten Einstellung entgegengewirkt wird, Kleinkindbetreuung sei nur „Frauensache“ und „Privatsache“, was zur Benachteiligung von Frauen (ob mit oder ohne Kind) im Erwerbsleben beiträgt. Der djb hält längerfristig eine Ausweitung der Förderung väterlicher Erziehungszeit über die zwei Partnermonate hinaus für erforderlich.

Der djb tritt für eine koordinierte Familien- und Gleichstellungspolitik ein. Im Referentenentwurf wird ein „abgestimmter Dreiklang familienpolitischer Leistungen“ angesprochen, der auf die Verbesserung der Betreuungsinfrastruktur, eine familienbewusste Arbeitswelt und die finanzielle Stärkung von Familien ausgerichtet ist. Das Elterngeld, das eine Lohnersatzleistung für einen Höchstzeitraum von 14 Monaten darstellt, ersetzt keinesfalls bedarfsgerechte frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote, sondern bedingt sie vielmehr. Denn nur eine Betreuungsmöglichkeit nach dem Ende der Elternzeit kann die gewünschte Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit nachhaltig verbessern. Der djb schlägt daher vor, zusammen mit dem Elterngeld einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz eines Kindes erwerbstätiger, erwerbssuchender oder in Ausbildung befindlicher Eltern ab dem vollendeten ersten Lebensjahr des Kindes einzuführen. Die möglichen Effekte des Elterngeldes werden verpuffen, wenn Eltern, die nach Ablauf der ersten 12 oder 14 Lebensmonate des Kindes ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen wollen, keine sichere Anschlusslösung für die Betreuung ihrer Kinder fänden.

Das Elterngeld ersetzt außerdem nicht die notwendige Förderung der Beschäftigungschancen von Müttern nach einer längeren Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit. Eine zielgerichtete aktive Arbeitsmarktförderung für Berufsrückkehrerinnen nach der Erziehungsphase muss den Wiedereinstieg in das Berufsleben erleichtern, wenn der frühere Arbeitsplatz nicht mehr zur Verfügung steht. Das Gegenteil davon ist in den letzten Jahren durch die Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt erfolgt. Die Rechtsansprüche auf Qualifizierungsmaßnahmen für Berufsrückkehrerinnen und das für diese Gruppe besonders in Betracht kommende Anschlussunterhaltsgeld wurden gestrichen. Qualifizierungsmaßnahmen in Teilzeit werden faktisch nicht mehr angeboten. Die Tendenz zum Abbau dieser Unterstützung bei der Arbeitsmarktintegration steht im krassen Gegensatz zur Stärkung der Eigenverantwortung von Frauen mit Kindern, wie sie im geplanten Unterhaltsrechts-Reformänderungsgesetz angestrebt wird.

Wir stellen auch fest, dass statt eines abgestimmten Konzepts widersprüchliche Signale von der Familienpolitik und der Kinder- und Jugendpolitik ausgehen. Gegenläufig zu der finanziellen Förderung von Familien im ersten Lebensjahr des Kindes durch ein Elterngeld gibt es drastische Einschränkungen für Familien. So soll das Höchstalter für den Bezug von Kindergeld für junge Erwachsene in der Ausbildung (vor allem Studierende) von 27 auf 25 Jahre abgesenkt werden, wird die Mehrwertsteuererhöhung Familien besonders belasten und sind die Eltern künftig sozialhilferechtlich verpflichtet, ihre volljährigen, unter 25-jährigen arbeitslosen Kinder bei sich wohnen zu lassen und sie zu finanzieren, auch wenn sie zivilrechtlich ihren Kindern gegenüber nicht mehr zum Unterhalt verpflichtet sind.

Im Einzelnen

Zu § 1 (Anspruchsberechtigung)

Es wird vorgeschlagen, nach Abs. 1 einen Absatz mit folgendem Wortlaut einzufügen:

(2) Wird eine Einigung mit einem nach Abs. 1 anspruchsberechtigten, nicht sorgeberechtigten Elternteil nicht erzielt, kommt es allein auf die Entscheidung des sorgeberechtigten Elternteils an.

Zugleich wird vorgeschlagen, die entsprechende Regelung in § 5 Abs. 3 zu streichen.

Die Anspruchsberechtigung in § 1 setzt nicht voraus, dass ein Elternteil das Sorgerecht hat. Vielmehr kann auch ein nicht sorgeberechtigter Elternteil Elterngeld in Anspruch nehmen, wenn dieser mit dem Kind in einem Haushalt lebt und dies selbst betreut und erzieht. Eine Regelung für Konfliktfälle sollte klarstellen, dass es allein auf die Entscheidung des sorgeberechtigten Elternteils ankommt, wenn eine Einigung zwischen beiden Elternteilen nicht erzielt werden kann. Da einem alleinsorgeberechtigten Elternteil im Rahmen seiner Personensorge nach § 1626 BGB das Entscheidungsrecht darüber zusteht, wie die Erziehung und Betreuung des Kindes gestaltet werden soll, ist die Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils zur Inanspruchnahme des Elterngeldes durch den nicht sorgeberechtigten Elternteil erforderlich, denn nur mit dessen Zustimmung kann der nicht sorgeberechtigte Elternteil das Kind in seinem Haushalt selbst betreuen und erziehen. Die fehlende Zustimmung in Konfliktfällen schließt eine Anspruchsberechtigung nach § 1 Abs. 1 RE in diesen Fällen aus. Deshalb sollte die Regelung systematisch in § 1 eingefügt werden und in § 5 Abs. 3 RE gestrichen werden.

Haben beide Eltern das Sorgerecht, müssen sie sich ohnehin einigen; Konfliktfälle sind dann nach den familienrechtlichen Regeln zu lösen (notfalls nach § 1631 Abs. 3 BGB, wonach das Familiengericht auf Antrag die Eltern bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen hat – im Übrigen ggf. durch Beratung und Unterstützung durch die Jugendhilfe).

Zu § 1 Abs. 3 Nr. 3 RE

Von einer Anspruchsberechtigung des „Noch-nicht-Vaters“ in Abs. 3 Nr. 3 sollte abgesehen und die Regelung ersatzlos gestrichen werden.

§ 1 Abs. 1 Nr. 2 setzt für die Anspruchsberechtigung voraus, dass der Elternteil mit seinem Kind in einem Haushalt lebt. Abs. 3 regelt, dass abweichend davon auch Anspruch auf Elterngeld hat, wer Stiefelternteil ist (Nr. 2) oder (Nr. 3) mit einem Kind in einem Haushalt lebt und die von ihm erklärte Anerkennung der Vaterschaft nach § 1594 BGB noch nicht wirksam oder die von ihm erklärte Vaterschaft nach § 1600d des BGB noch nicht festgestellt ist.

Die erste Variante der Regelung betrifft den Fall, dass eine Anerkennung der Vaterschaft nach § 1594 BGB nicht wirksam ist, solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht (z.B. des Ehemannes der Mutter, die von diesem getrennt lebt und die Scheidung beantragt hat, ohne dass bereits ein rechtskräftiges Scheidungsurteil vorliegt). – Die zweite Variante der gerichtlich noch nicht festgestellten Vaterschaft betrifft Fälle, in denen die Eltern nicht verheiratet sind und auch kein Vaterschaftsanerkenntnis vorliegt (etwa dann, wenn der Vater zwar anerkennen wollte, die Mutter aber dem Anerkenntnis nicht zugestimmt hat). Der Referentenentwurf sieht für beide Varianten vor, dass ein Mann Anspruch auf Elterngeld erhält, der mit dem Kind in einem Haushalt lebt, ohne schon rechtlich Vater zu sein. Trotz dieser Übergangssituation wird damit zugleich die Anspruchsberechtigung des rechtlichen Vaters ausgeschlossen.

Zwar sieht § 5 Abs. 3 eine Regelung für den Konfliktfall bei Zusammentreffen mehrerer Ansprüche vor, der auch den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 einschließt. Hiernach soll es für den Fall, dass eine Einigung mit der Person, deren Vaterschaft festgestellt werden soll, über deren Anspruchsberechtigung nicht zustande kommt, allein auf die Entscheidung des sorgeberechtigten Elternteils ankommen. Doch auch in dieser Situation kann das Sorgerecht beiden Elternteilen gemeinsam zustehen. Es ist nicht ersichtlich, warum der „Noch-Nicht-Vater“ hinsichtlich der Anspruchsberechtigung auf Elterngeld rechtlich besser gestellt werden sollte als der Vater, dessen Vaterschaft rechtlich (noch) Bestand hat. Auch der Ausschluss der Anspruchsberechtigung auf Elterngeld des rechtlich (noch) feststehenden Vaters ist problematisch. Er wirft verfassungsrechtliche Fragen der Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 2 GG auf. Außerdem wird die Zuordnung eines Anspruchs, der auf dem familienrechtlichen Status als Vater beruht, durch das Sozialrecht vorweggenommen, obwohl die Zuordnung der Vaterschaft familienrechtlich noch nicht endgültig geklärt ist. Dies ist abzulehnen. Die Sozialgerichte sollten auch nicht mit der vorläufigen Klärung von Fragen belastet werden, über welche die Familiengerichte endgültig zu entscheiden haben.

Zu § 1 Abs. 2 S. 2 RE

Die Regelung sollte – wie bisher im BErzGG - auf Ehegatten und Lebenspartner dieser Anspruchsberechtigten begrenzt werden, die nicht erwerbstätig sind.

Die Regelung ist § 1 BErzGG nachgebildet und betrifft vor allem die Anspruchsberechtigung im Fall einer Entsendung oder Abordnung ins Ausland. Sie übernimmt allerdings nicht die Begrenzung auf Ehegatten und Lebenspartner dieser Anspruchsberechtigten, die nicht erwerbstätig sind. Dies erscheint bedenklich, denn bei der Ausübung einer Erwerbstätigkeit in einem anderen Land, bei der nicht § 4 SGB VI oder eine Abordnung i. S. des § 2 Nr. 1 RE vorliegt, sind auf einen in dem anderen Land erwerbstätigen Ehe- oder Lebenspartner die dortigen Regelungen der sozialen Sicherheit anzuwenden – u. U. mit der Folge, dass nach den Regelungen im Beschäftigungsland (so in den skandinavischen Staaten) Elterngeld in Anspruch genommen werden kann.

Zu § 1 Abs. 4 RE

Zur Klarstellung sollte das Wort „der Eltern“ durch „beider Eltern“ ersetzt werden.

Zu § 1 Abs. 5 RE

Die Regelung sollte entfallen.

Die Möglichkeit der späteren Inanspruchnahme des Elterngeldes aus wichtigem Grund nach dem 14. Lebensmonat des Kindes, die keine Vorläuferregelung im Erziehungsgeldrecht hat, dürfte zahlreiche Zweifelsfälle und Rechtsstreitigkeiten provozieren. Soll ein notwendiger Auslandsaufenthalt, die Pflege von Angehörigen, anstehende berufliche Prüfungsvorbereitungen oder ähnliches dazu berechtigen, die Inanspruchnahme des Elterngeldes auf einen Zeitpunkt nach dem 14. Lebensmonat des Kindes zu verschieben? Was ist ein „wichtiger Grund“ nach Abs. 5, der verhindert, dass die Betreuung und Erziehung des Kindes nicht sofort aufgenommen werden kann oder unterbrochen wird? Muss es beiden Elternteilen unmöglich sein, die Elternzeit aufzunehmen?

Zu § 2 Abs. 1 und 7 RE

Die gesetzliche Terminologie, das Konzept der Einkommensermittlung und der Dreimonatszeitraum als solcher sollten kritisch überdacht werden.

Wegen der Kürze der Zeit für die Stellungnahme kann nur ein Teil der Probleme, die sich für diese Vorschrift ergeben, angesprochen werden.

  1. Wenig glücklich ist die Definition der Höhe des Elterngeldes (§ 2 Abs. 1 S 1), weil Einkommen im Sinne des Abs. 1 nur das um weitere Abzüge verminderte Nettoeinkommen ist, was jedoch erst durch Abs. 7 geklärt wird. Handwerklich korrekt müsste bereits in Abs. 1 Elterngeld definiert werden als Leistung in Höhe von 67 Prozent des um die Abzüge entsprechend der Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1, 2 und 5 SGB II geminderten Nettoentgelts.
  2. Aus der praktischen Erfahrung der Massenverwaltung wird jedoch ohnehin vor der im Referentenentwurf für die Berechnung des Einkommens gewählten individuellen Betrachtung dringend gewarnt. Einkommen aus selbständiger und abhängiger Beschäftigung sollten wegen der Strukturprinzipien unterschiedlich ermittelt werden. Bei Beibehaltung der aktuellen, unausgereiften Fassung würde nach den Erfahrungen der Praktikerinnen im djb nahezu jede Elterngeldberechnung zu Streitigkeiten führen.
  3. Grundsätzlich ist zu bedenken, dass der kurze Zeitraum von drei Monaten vor der Geburt unpraktikabel und missbrauchsanfällig ist. Elterngeld soll schnell gezahlt werden; weder die Einkünfte noch die Abzüge stehen jedoch innerhalb eines so kurzen Zeitraums fest. Vertragsgestaltungen, insbesondere die Ausweitung der Arbeitszeit oder – vor allem bei Selbständigen - gezielte Abrechnungen im maßgeblichen Zeitraum können das berücksichtigungsfähige Einkommen erhöhen. Daher sollte ein längerer Zeitraum von mindestens 12 Monaten für abhängig Beschäftigte erwogen werden, der bisher nur auf Antrag der berechtigten Person zu berücksichtigen ist.
    § 2 Abs. 1 S. 3 RE sieht vor, dass die Zeiten des Bezuges von Mutterschaftsgeld nicht zu berücksichtigen sind. Da die sechswöchige Mutterschutzfrist vor der Geburt nach dem Mutterschutzgesetz regelmäßig anfällt, was nicht mit dem Bezug von Mutterschaftsgeld einhergehen muss, sollte aus Vereinfachungsgründen erwogen werden, gleich auf einen bestimmten Zeitraum (z.B. 12 Kalendermonate vor Beginn des Beschäftigungsverbots sechs Wochen vor der Geburt nach § 3 Abs. 2 MuSchG) abzustellen. Da es bei der Prüfung der Einkommensunterlagen leichter ist, wenn für beide Elternteile der gleiche Zeitraum maßgeblich ist, sollte dieser Zeitraum für beide Berechtigte gelten. In der vorgeschlagenen Fassung würde für Mutter und Vater fast immer ein unterschiedlicher Dreimonatszeitraum gelten. Vor allem bei Selbständigen stellen sich noch weitergehende Probleme. Die positiven Einkünfte und die Steuerbelastung für die drei Monate vor der Geburt werden zum Beginn des auszuzahlenden Elterngeldes regelmäßig nicht feststehen. Es kommt hinzu, dass sich das im Sinne des Einkommenssteuerrechts erzielte Einkommen ohnehin nicht auf drei Monate beziehen lässt. Für diese Gruppe sollte daher wie im bisherigen Erziehungsgeldrecht auf das Kalenderjahr vor der Geburt abgestellt werden. Da häufig der Einkommensteuerbescheid auch dann noch nicht vorliegt, könnte auch - wie es sich im Unterhaltsrecht bewährt hat - auf die durchschnittlichen Einkünfte aus den letzen drei Jahren abgestellt werden.
  4. Problematisch ist auch die Ausgestaltung der Abzüge von den Einkünften. Hier sieht der Entwurf in § 2 Abs. 7 vor, dass auf § 11 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 5 SGB II zurückgegriffen wird. Dies hat die befremdliche Folge, dass die Höhe des Elterngeldes z.B. davon abhängt, wie weit die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte vor der Geburt des Kindes war. Eine Frau mit hohen Werbungskosten für die Erwerbstätigkeit vor Elternzeit bekommt ein niedriges, eine andere bei gleichem Einkommen höheres Elterngeld, selbst wenn beide in der Elterngeldzeit nicht erwerbstätig sind. Das ist offenkundig gleichheitswidrig. Im SGB II geht es bei der Einkommensberechnung auch nicht um die Berechnung einer Lohnersatzleistung, sondern um das auf eine bedürftigkeitsabhängige staatliche Leistung konkret anzurechnende Einkommen. In diesem Fall muss natürlich das tatsächlich erzielte Einkommen mit den konkreten Abzügen berücksichtigt werden. Ganz anders sieht es beim Elterngeld aus. Werden Aufwendungen angegeben, die mit der Erzielung des Einkommens verbunden sind, so mindern diese das Elterngeld. Es wird also ein Interesse bestehen, keine solchen Aufwendungen anzugeben.
    Die Ausgangssituation beim Elterngeld ist hingegen vergleichbar der Berechnung des Arbeitslosengeldes nach dem SGB III. Hier werden pauschalierte Abzüge vom Nettoeinkommen gemacht, die tabellenmäßig ermittelt werden können. Nach unserer Auffassung ist für abhängig Beschäftigte nur ein solches Verfahren sachgerecht. Mit der Berechnung des Arbeitslosengeldes steht auch ein ausgearbeitetes, in jahrelanger Praxis bewährtes System zur Verfügung, auf das zurückgegriffen werden könnte. Aus Gleichheitsgründen gegenüber den Selbständigen sollten wie im SGB III auch Einmalzahlungen berücksichtigt werden. Die verfassungsrechtlichen Erwägungen, aus denen heraus die frühere Arbeitslosenhilfe ohne Berücksichtigung der Einmalleistungen gewährt wurde, greifen beim Elterngeld hingegen nicht.
  5. Noch viel schwieriger und schlechter gelöst ist die Einkommensermittlung bei Selbständigen und Gewerbetreibenden. Hier sind pauschalierende Berechnungen bezogen auf den Umsatz nicht möglich. Deshalb könnte auf die Gewinn- und Verlustberechnung nach dem Steuerrecht abgestellt werden. Als Bezugsgröße bei allen Einkunftsarten könnte aber auch der Durchschnittswert aus den Einkommensteuerbescheiden der drei der Elternzeit vorangehenden Veranlagungszeiträume genommen werden und dabei als nicht mehr gerichtlich überprüfbaren Bezugswert die in den Bescheiden bei der jeweiligen Einkunftsart festgestellten Einkünfte herangezogen werden. Angesichts der Kürze der Zeit, die für die Stellungnahme zur Verfügung steht, können keine konkreteren Vorschläge unterbreitet werden.
  6. Ebenfalls nur andeutet werden können die Probleme im Zusammenhang mit der Krankenversicherung. Hier ist der Abzug nur bestimmter Krankenversicherungsbeiträge (nur bei Pflichtversicherten - wegen der Verweisung nur auf § 11 Abs. 2 Nr. 1, 2 und nicht Nr. 3 SGB II) bezogen auf die Leistung nicht schlüssig. Statt dessen sollte ein Zusammenhang zwischen dem Abzug der Beiträge bei der Einkommensberechnung und dem während der Elternzeit bestehenden Krankenversicherungsschutz hergestellt werden. Nach der gegenwärtigen Regelung erhalten Selbständige und Spitzenverdiener über der Beitragsbemessungsgrenze nach dem SGB V, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, ein besonders hohes Elterngeld, weil ihre Beiträge nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden. Sachlich ist das nicht zu rechtfertigen. Nach § 224 SGB V sind alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung, also auch die freiwillig Versicherten, während des Elterngeldbezuges beitragsfrei. Daher müsste auch das Einkommen freiwillig Versicherter im Bezugszeitraum um den Krankenversicherungsbeitrag gemindert werden. Anders müssten hingegen Mitglieder privater Krankenversicherungen behandelt werden, die auch während der Elternzeit zur Beitragszahlung verpflichtet bleiben. Einer gesetzlichen Berücksichtigung bedarf außerdem die Situation eines gleichzeitigen Bezugs von Teilzeiteinkommen und Elterngeld.
  7. Unklar ist bisher trotz der Gesetzesbegründung, wie der Bezug von Lohnersatzleistungen in der Zeit vor der Geburt zu berücksichtigen ist. Unbefriedigend erscheint vor allem die Fallgestaltung, in der eine Frau wegen einer Problemschwangerschaft arbeitsunfähig war und im Berechnungszeitraum daher nach Ablauf der Entgeltfortzahlung Krankengeld bezogen hat. Selbst für Fachkundige nicht verständlich ist auch die Berechnung des Elterngeldes bei teilweisem Bezug von Lohnersatzleistungen im maßgeblichen Zeitraum vor der Geburt. Soll die Regelung so verstanden werden, dass das Erwerbseinkommen ungeachtet der Anzahl der Monate, in denen es erzielt wird, auf den gesamten Berechnungszeitraum verteilt wird? Diese rechnerische Zahl hätte dann jedoch keinen Bezug zum Einkommensersatz mehr.

Zu § 2 Abs. 4 RE

Es handelt sich hierbei um eine Durchbrechung des Einkommensersatzprinzips, die aber als politischer Kompromiss für Geburten in kurzer Abfolge akzeptabel erscheint.

Zu § 4 Abs. 2 i. V. m. § 5 Abs. 2 RE

Es wird vorgeschlagen, keinen gemeinsamen Bezugszeitraum für beide Eltern zusammen festzusetzen, sondern jedem Elternteil einen Bezugszeitraum von maximal 12 Monaten Elterngeld zu gewähren. Bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Elternteilzeit durch beide Eltern sollte für beide ein Anspruch auf Elterngeld bestehen, dessen Summe den Höchstbetrag des Elterngeldes (1800 Euro) nicht übersteigen sollte.

Nach § 4 Abs. 2 haben die Eltern zusammen Anspruch auf zwölf Monatsbeträge (bzw. 14 Monatsbeträge bei beiderseitiger Inanspruchnahme). In § 5 Abs. 2 wird dann der Fall geregelt, dass beide Elternteile zusammen mehr als die 12 bzw. 14 Monate beanspruchen, wenn sie nacheinander oder gleichzeitig mehr als 12 Monate Elternzeit oder Elternteilzeit in Anspruch nehmen. Für diesen Fall wird in § 5 Abs. 2 eine Kürzungsregel aufgestellt, die nicht einfach verständlich ist: Der Anspruch des Elternteils, der weniger als 6/7 Monate in Anspruch nimmt, soll ungekürzt bestehen, während der Anspruch des anderen Elternteils, der länger Elternzeit in Anspruch nimmt, auf die verbleibenden Monate gekürzt werden soll. Diese Regelung ist – auch im Hinblick auf die Gesetzesbegründung – unverständlich, der Anknüpfungspunkt für die Kürzung nicht nachvollziehbar.

In seiner gegenwärtigen Fassung hat § 5 Abs. 2 Auswirkungen auf die Höhe des Elterngeldes vor allem dann, wenn beide Eltern weiterhin erwerbstätig sind, aber Elternteilzeit in Anspruch nehmen. Bliebe es dabei, dass die Eltern gemeinsam Anspruch auf 12 (bis 14) Monate Elterngeld haben, so hätte dies zur Folge, dass bei gleichzeitiger Reduzierung der Arbeitszeit (Elternteilzeit) von beiden Elternteilen und Inanspruchnahme des Elterngeldes durch beide Eltern der Bezugszeitraum halbiert würde. Insofern ist die Begründung zu § 5 Abs. 2 unzutreffend und irreführend. Nach dem Wortlaut der Regelung geht es nämlich nicht um den „Ausnahmefall, dass für das Elterngeld keine einvernehmliche Bestimmung getroffen wird“ (so die Begründung des RE). So wie die Regelungen ineinander greifen, betreffen sie eindeutig alle Fälle, in denen die Eltern gemeinsam entscheiden, dass sie durch gleichzeitige Reduzierung der Arbeitszeit (Elternteilzeit) das Kind gemeinsam erziehen. Eine solche Aufteilung von Erziehungs- und Erwerbsarbeit, bei der keiner der Partner ganz auf die Berufstätigkeit verzichtet, wäre aus Sicht des djb der Prototyp einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung, der von einem modernen Gesetz zur Familienförderung gefördert und nicht behindert werden sollte. Angesichts der Flexibilisierung der Arbeitszeiten nicht nur bei Selbständigen werden vor allem in akademischen Berufen solche Arbeitszeitmodelle während der Kindererziehung immer lebbarer sein und sollten die volle Unterstützung des Staates haben. Statt dessen benachteiligt die vorgeschlagene Regelung gleichzeitige Elternteilzeit bei der Höhe des Elterngeldes.

Zu § 4 Abs. 3 RE

Abs. 3 S. 3 sollte ersatzlos gestrichen werden.

§ 4 Abs. 3 S. 4 sollte folgendermaßen gefasst werden: „Elterngeld für 14 Monate steht einem Elternteil auch zu, wenn ihm die elterliche Sorge allein zusteht oder bei gemeinsamer elterlicher Sorge die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 vorliegen und der andere Elternteil weder mit ihm noch mit dem Kind in einer Wohnung lebt.“

Abs. 3 S. 3 und 4 regeln Ausnahmen von dem in S. 1 enthaltenen Grundsatz, dass ein Elternteil höchstens zwölf Monate Elterngeld beziehen kann und eine Ausweitung des Elterngeldbezugs nur durch die sog. Partnermonate möglich ist. Angesichts des Zwecks der beiden „Partnermonate“, die Beteiligung von Vätern an der Kinderbetreuung zu fördern, sollten die Ausnahmen eng gefasst werden, um den gleichstellungspolitischen Zweck zu erreichen. Uns erscheinen einzelne Regelungen des § 4 Abs. 3 S. 3 RE problematisch.

Nach § 4 Abs. 3 S. 3 RE ist die Beanspruchung durch einen Elternteil allein unter folgenden Voraussetzungen möglich:

a) wenn die Betreuung durch den anderen Elternteil unmöglich ist

b) wenn das Kindeswohl gefährdet ist

c)  wenn ihm die elterliche Sorge allein zusteht

d) oder Antrag auf Übertragung der Alleinsorge nach § 1671 BGB gestellt wurde

e) und der andere Elternteil weder mit ihm noch mit dem Kind in einer Wohnung lebt.

zu a)

Das Tatbestandsmerkmal der „Unmöglichkeit“ ist zu ungenau, wenig praktikabel und anfällig für Umgehungsabsprachen. Würde eine Bescheinigung des Arbeitgebers, dass ein Arbeitnehmer für den Betrieb unentbehrlich ist und deshalb keine Elternzeit erhalten kann, dafür ausreichen – oder müsste der Arbeitnehmer und Vater gerichtlich dagegen klagen? Auf welchen Zeitpunkt soll es ankommen – muss die „Unmöglichkeit“ während der gesamten 14 ersten Lebensmonate des Kindes vorliegen? Muss die Unmöglichkeit in dem Zeitpunkt vorliegen, den der Elternteil in dem Antrag auf Elterngeld als Beginn seines Elterngeldanspruchs angegeben hat?

zu b) Kindeswohlgefährdung

Welche Voraussetzungen werden hier sozialrechtlich an den Nachweis einer Kindeswohlgefährdung gestellt? Ist eine Kindeswohlgefährdung nach § 1666 Abs. 1 BGB gemeint? Muss dies familiengerichtlich oder durch das Jugendamt festgestellt werden? Soll die einfache Behauptung einer Kindeswohlgefährdung durch die Betreuung des anderen Elternteils im Antrag eines Elternteils auf Gewährung der Partnermonate des Elterngeldes ausreichen? – Der Zweck der Regelung ist klar, aber ist es erforderlich, dies im Elterngeldgesetz zu regeln, oder sollte dies nicht einer familiengerichtlichen Entscheidung überlassen bleiben? Denn ein Antrag eines Elternteils auf Gewährung von Elterngeld, mit dem der andere Elternteil nicht einverstanden ist, weil eine Kindeswohlgefährdung zu befürchten ist, ist nur vorstellbar, wenn beide das elterliche Sorgerecht haben. In diesen Fällen wäre eine familiengerichtliche Entscheidung über die Einschränkung des Sorgerechts sinnvoller als eine Regelung, welche die Klärung der Frage einer Kindeswohlgefährdung in das Sozialverwaltungs- oder Sozialgerichtsverfahren verlagert.

zu c) Alleinsorge eines Elternteils

Dieser Tatbestand ist eindeutig und wirft keine weiteren Probleme auf, so dass daran angeknüpft werden könnte. Es ist jedoch unklar, ob die am Ende genannte zusätzliche Voraussetzung (und der andere Elternteil weder mit ihm noch mit dem Kind in einer Wohnung lebt) sich auch auf den Fall der Alleinsorge beziehen soll; hier wäre eindeutiger zu formulieren.

zu d) Antrag auf Übertragung der Alleinsorge als Voraussetzung

Diese Anspruchsvoraussetzung erscheint höchst problematisch, weil dadurch möglicherweise nur deshalb bei gemeinsamer elterlicher Sorge Anträge auf Übertragung der Alleinsorge nach § 1671 BGB bei den Familiengerichten gestellt werden (und später möglicherweise wieder zurückgenommen werden), um auch die beiden „Partnermonate“ zu erhalten.

Bei gemeinsamer elterlicher Sorge sollte kein Antrag auf Alleinsorge erforderlich sein, sondern die übrigen in S. 4 genannten Voraussetzungen sollten ausreichen (dass der andere Elternteil weder mit dem überwiegend das Kind erziehenden Elternteil, noch mit dem Kind in einer Wohnung lebt).

Zu § 16 Abs. 1 S. 6 RE

Es wird vorgeschlagen, nach § 16 Abs. 1 S. 6 RE einen Satz 7 einzufügen: Berechtigten Interessen der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers an der Lage und Verteilung der Elternteilzeit ist zu entsprechen, wenn dem keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen.

Die Möglichkeit, dass beide Elternteile Elternzeit gleichzeitig und auch als Elternteilzeit in Anspruch nehmen, kann in Kombination mit dem Elterngeld, das die finanziellen Einbußen im ersten Lebensjahr des Kindes verringert, partnerschaftliche Arrangements ermöglichen. Bei Umsetzung der bisher geltenden Elternzeitregelungen hat sich ein Problem gezeigt, das eine Klarstellung erfordert. In Streitfällen zwischen Arbeitgeber/in und Arbeitnehmer/in, in denen es um Elternteilzeit und die Lage und Verteilung der verringerten Arbeitszeit geht (etwa: nur vormittags? an bestimmten Wochentagen? beliebig?) war bisher umstritten, ob das Direktionsrecht dem Arbeitgeber ermöglicht, die reduzierte Arbeitszeit nach § 315 BGB zu verteilen[1], auch wenn dies den Wünschen des/der Arbeitnehmer/in nicht entspricht. Der Gesetzgeber sollte die Reform nutzen, um dies im Gesetz zu klären und den berechtigten, durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Interessen des/der Arbeitnehmer/in hinsichtlich der Verteilung der reduzierten Arbeitszeit Rechnung zu tragen. Die Vereinbarkeit der Arbeitszeit und der Kinderbetreuungszeit (die durch die eingeschränkten Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen häufig sehr eingeschränkt ist) soll dadurch ermöglicht werden. Ein uneingeschränktes Entscheidungsrecht der Arbeitgeberseite über die Verteilung der reduzierten Arbeitszeit entspricht nicht dem Gesetzeszweck des Elternteilzeit und der EU-Richtlinie 96/34.

Berlin, 29. Mai 2006

Jutta Wagner
Präsidentin

Prof. Dr. Kirsten Scheiwe
Stellv. Vorsitzende der Kommission
Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich

Dr. Angelika Nake
Vorsitzende der Kommission
Zivil-, Familien- und Erbrecht, Recht anderer
Lebensgemeinschaften

 


[1] Nachweis bei Kohte in BMFSFJ (2004) Bericht über die Auswirkungen der §§ 15 und 16 BErzGG, S. 126f.