Link zur Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten - Ratsdok. 5199/06 JUSTCIV 2 - KOM(2005) 649 endgültig / 2005/0259 (CNS)
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Der Deutsche Juristinnenbund begrüßt das Vorhaben, innerhalb der Europäischen Union eine einheitliche Regelung zu schaffen, um bestehende Hindernisse auszuräumen, die der Realisierung von Unterhaltsansprüchen in grenzüberschreitenden Streitfällen noch entgegenstehen. Dies ist in besonderem Maße für Frauen und Kinder, die mehrheitlich zu den Unterhaltsgläubigern zählen, von Bedeutung. Nicht selten befinden sie sich in einer wirtschaftlich ungesicherten Lage und sind auf staatliche Mittel angewiesen, um ihren Unterhalt zu bestreiten. Ihnen wird es durch gemeinsame Verfahrensregelungen erleichtert, einen Unterhaltstitel zu erwirken, die Zwangsvollstreckung aus dem Titel auch im Ausland zu betreiben und dadurch ihre Situation zu verbessern.
Zu den Bestimmungen des Entwurfs im einzelnen
Zu Kapitel I: Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen (Artikel 1 und 2)
Artikel 2: Begriffsbestimmungen
Die Auflistung der im Sinne der Verordnung verwendeten Begriffe enthält keine Definition der in Artikel 3 Nummer c) genannten „Personenstandsklage“. Auf die Ausführungen zu Artikel 3 wird Bezug genommen.
Zu Kapitel II: Zuständigkeit (Artikel 3 bis 11)
Artikel 3: Allgemeine Zuständigkeit
Zu a) und b): Die gerichtliche Zuständigkeit für Entscheidungen in Unterhaltsachen ist nach den ersten beiden Alternativen am Aufenthaltsort des Antragsgegners oder am Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten gegeben. Da diese beiden Möglichkeiten alternativ und gleichrangig anwendbar sind, dürften die Interessen der Unterhaltsberechtigten, insbesondere der Kinder, am Ort ihres Aufenthaltes klagen zu können, gewahrt sein. Jedoch sollte hinzugefügt werden, dass es auf den Aufenthalt zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags oder der Klage beim zuständigen Gericht, nicht etwa bei der Zentralen Behörde, ankommt.
Zu c): Fraglich ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Begriffs „Personenstandsklage“. Das gerichtliche Verfahren nach §§ 45 ff des (deutschen) Personenstandsgesetzes dürfte kaum gemeint sein. Da es sich um eine Klage, mit der auch ein Unterhaltsanspruch geltend gemacht werden kann, handeln soll, ist eher an Vaterschaftsfeststellungsklagen verbunden mit Unterhaltsforderungen (§ 653 ZPO) zu denken. Eine Definition und eine Ergänzung zu Artikel 2 dürften notwendig sein.
Zu d): Der Wortlaut sollte klarstellen, dass bei dem Gericht, bei dem bereits ein Sorgerechtsverfahren anhängig ist oder gleichzeitig anhängig gemacht wird, auch ein Unterhaltsanspruch geltend gemacht werden kann. Diese örtliche Verknüpfung wäre sachgerecht.
Artikel 4: Gerichtsstandsvereinbarung
Gegen die Regelung, dass der Gerichtsstand für Unterhaltsverfahren, der Personen über 18 Jahre betrifft, grundsätzlich frei gewählt werden kann, bestehen keine Bedenken. Die Interessen minderjähriger Kinder sind gewahrt. Sollte eine gleichzeitige Entscheidung von Ehegatten- und Kindesunterhalt angestrebt werden, liegt es in der Hand der Parteien, bei ihrer Vereinbarung auf den Gleichlauf der entsprechenden Gerichte zu achten.
Artikel 8: Konnexität von Verfahren
Aus Absatz 3 ist nicht zu entnehmen, ob auch diejenigen Fälle, in denen die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners, der von mehreren Unterhaltsgläubigern (z.B. Ex-Ehefrau, Ehefrau, minderjährigen oder volljährigen Kindern, Eltern) in Anspruch genommen wird, in einem Zusammenhang im Sinne dieser Vorschrift stehen sollen.
Zu Kapitel III: Anwendbares Recht (Artikel 12 bis 21)
Artikel 13: Grundlegende Bestimmungen
Es besteht weiterer Regelungsbedarf, weil die Vorschrift noch Fragen offen lässt.
So ergeben sich Probleme bei einem Aufenthaltswechsel der Parteien, auf den Artikel 13 in Verbindung mit den Nummern 14 und 15 der Erwägungen für die Verordnung nicht eingeht.
Es ist sachgerecht, für die Geltendmachung des laufenden Unterhaltes an das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes des Unterhaltsgläubigers anzuknüpfen, weil an diesem Ort sein konkreter Bedarf entsteht. Anders fällt die Bewertung aus, wenn der Unterhaltsgläubiger Unterhaltsrückstände geltend macht für einen Zeitraum, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Land als zum Zeitpunkt der Anhängigkeit oder Rechtshängigkeit der Klage gehabt hat. Das gleiche gilt, wenn die Parteien zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinbart haben, dass das Recht des - damaligen - Aufenthaltsorts des Unterhaltspflichtigen anwendbar sein soll, und dieser später seinen Aufenthalt verändert.
Ferner kann es problematisch sein, wenn die freie Rechtswahl auch für Abänderungsklagen gelten soll. Es dürfte nicht sinnvoll sein, auf die Grundentscheidung und die abzuändernde Entscheidung unterschiedliche Rechtsordnungen anzuwenden.
Artikel 16, Artikel 17 Nr. 1 e: Öffentliche Stellen/Wirkungsbereich des anwendbaren Rechts
Zur Regelung der Rechte der öffentlichen Stellen liegt keine EU-Kompetenz vor. Es handelt sich um hoheitliche Rechte bzw. Sozialrecht, welches nicht auf der Grundlage des Artikels 65 EG koordiniert werden kann.
Artikel 17 Abs. 1 Nr. 1 d: Verjährungs- und Klagefristen
Verjährungs- und Klagefristen werden in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zum Teil als materiellrechtliches, zum Teil als zivilprozessualrechtliches Problem behandelt. Eine definitive Einordnung als materiell-rechtlich sollte jedoch nicht erfolgen. Es sollte dem anwendbaren Recht überlassen bleiben, wonach es diese Fragen regelt.
Kapitel IV: Gemeinsame Verfahrensvorschriften (Artikel 22 bis 24)
Artikel 22: Zustellung
Es sollte auf die bereits die Zustellungen regelnde Zustellungs-VO 1348/2000 abgestellt werden, um möglicherweise widersprüchliche Doppelregelungen zu vermeiden.
Kapitel V: Vollstreckbarkeit der Entscheidung (Artikel 25 und 26)
Artikel 26: Vorläufige Vollstreckung
Es besteht zumindest kein Bedürfnis, die vorläufige Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung wegen Unterhaltsrückständen zuzulassen. Denn wird die Entscheidung des Erstgerichts im Rechtsmittelverfahren später abgeändert, scheitern Rückforderungsklagen in der Regel an der Vermögenslosigkeit des Schuldners.
Kapitel VI: Vollstreckung (Artikel 27 bis 36)
Artikel 33 Nummer a): Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung
Die Möglichkeit, im Vollstreckungsverfahren neue oder dem Erstgericht zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht bekannte Umstände geltend machen zu können, dürfte ein Einfallstor für zahlungsunwillige Schuldner darstellen. Zum einen ist es unklar, auf welche Gründe das Aussetzungsbegehren gestützt werden kann und auf welche Weise das Vollstreckungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen feststellen, d.h. das Ersturteil überprüfen soll. Die Prozessakten liegen nicht vor. Ob ausländische Entscheidungen eine ausführliche Begründung enthalten, ist fraglich. Unklar ist auch, ob die Vollstreckung nur für den laufenden zukünftigen oder auch für den rückständigen Unterhalt ausgesetzt werden kann.
Artikel 34: Anordnung monatlicher Pfändungen
Es bestehen Bedenken, weil die Voraussetzungen, unter denen dem Antrag des Gläubigers auf Anordnung monatlicher Pfändungen stattgegeben werden kann, nicht aufgeführt sind.
Hinsichtlich der Kontenpfändung sollte lediglich geregelt werden, dass eine derartige Pfändung möglich sein soll. Diejenigen Mitgliedstaaten, die eine derartige Maßnahme noch nicht kennen, müssten diese schaffen. Das Verfahren der Kontenpfändung müsste sich jedoch nach dem jeweiligen Recht des Vollstreckungsstaates richten.
Zu Kapitel VIII: Zusammenarbeit (Artikel 39 bis 47)
Artikel 39: Zentrale Behörden
Im Hinblick auf den weitreichenden Aufgabenkreis, den die Zentralen Behörden übernehmen sollen, wird es entscheidend darauf ankommen, bei welcher Stelle sie jeweils angesiedelt werden. In der Bundesrepublik Deutschland nimmt der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof gemäß § 3 IntFamRVG bestimmte Aufgaben aus dem Bereich des internationalen Familienrechts wahr. Ob dieser Behörde auch die Bearbeitung der Unterhaltsangelegenheiten übertragen werden soll, müsste zur gegebenen Zeit kritisch überdacht werden.
Artikel 41: Zusammenarbeit in konkreten Fällen
Absatz 1:
Eine effektive grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Zentralen Behörden ist notwendig, um Unterhaltsgläubiger zu unterstützen und ihre Interessen in konkreten Unterhaltsverfahren wahrzunehmen. Die vorgesehenen Maßnahmen wie der gegenseitige Austausch bekannter Informationen über laufende Verfahren und ergangene Entscheidungen, die allgemeine Auskunftserteilung, Aufenthaltsermittlungen sowie die Vermittlung einer Einigung zwischen den Beteiligten sind geeignet, die erforderliche Hilfestellung zu geben. In diesem Zusammenhang sollte jedoch die Verpflichtung, datenschutzrechtliche Bestimmungen einzuhalten, unmittelbar festgelegt werden. Soweit lediglich in Absatz 21 der Erwägungen für die Verordnung die einschlägige Richtlinie zitiert wird, reicht dies für die Praxis nicht aus.
Bedenken gegen die weitergehenden Rechte der Zentralen Behörden bestehen jedoch, weil der Umfang, der ihnen bei der Informationsermittlung eingeräumt wird, zu einer Besserstellung ausländischer Unterhaltsgläubiger führen kann. Das Auskunftsrecht bzw. die entsprechende Pflicht deutscher Parteien untereinander umfasst Angaben über Einkünfte und Vermögen, die in der Regel nur alle zwei Jahre zu machen sind (§ 1605 BGB). Erst wenn die Auskünfte weder vorprozessual noch in einem gerichtlichen Unterhaltsverfahren von dem Pflichtigen erteilt werden, kann das Gericht nach entsprechender Prüfung von Amtswegen Ermittlungen anstellen und Auskünfte über die Höhe der Einkünfte bei Arbeitgebern, Sozialleistungsträgern, bestimmten Versorgungsstellen, Versicherungsunternehmen, Rentenversicherungsträgern und soweit es den Unterhaltsanspruch eines minderjährigen Kindes betrifft auch Auskünfte über die Höhe der Einkünfte und das Vermögen bei Finanzämtern einholen (§ 643 ZPO). Der Zentralen Behörde dagegen werden nach Artikel 41 Absatz 2 bereits in einem frühen vorprozessualen Stadium, das überhaupt erst zum Erwirken einer Entscheidung führen soll, weitergehende Befugnisse eingeräumt. Sie wird in diesem vorprozessualen Abschnitt u.a. ermächtigt (Artikel 41 Abs. 1 a) (i) in Verbindung mit Artikel 44 bis 47), auch über den Fall streitigen Kindesunterhaltes hinaus eigenständig Informationen über die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen beim Finanzamt einzuholen und Nachforschungen bei sozialen Sicherungssystemen, Kfz-Zulassungsstellen, Zentralbanken anzustellen. Eine gerichtliche Prüfung des Auskunftsanspruchs dem Grunde nach findet nicht statt. In diesem Bereich wäre eine Harmonisierung notwendig.
Absatz 2:
Bedenken bestehen auch gegen die umfangreiche Vertretungsbefugnis, die der Zentralen Behörde eingeräumt werden soll und die ausländische Unterhaltsgläubiger begünstigt. Der Aufgabenbereich soll sämtliche Handlungen umfassen, mit denen eine Entscheidung zur Festsetzung des Unterhaltsanspruchs sowie die effektive Beitreibung einer Unterhaltsforderung erwirkt werden kann. Darunter fallen sowohl die Einleitung als auch die Vertretung von Berechtigten innerhalb von gerichtlichen Entscheidungs- und Beitreibungsverfahren in Unterhaltssachen.
Die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens und die Vertretung eines Unterhaltsberechtigten in derartigen Verfahren ist jedoch nach deutschem Recht Aufgabe der Anwaltschaft, die Beitreibung von Forderungen Sache der Vollstreckungsorgane. Insofern stehen sich ausländische Unterhaltsberechtigte - unter Umständen auch kostenmäßig - besser. Deutschen Unterhaltsgläubigern steht keine zentrale Stelle zu Diensten, die sich ihrer Belange in dieser Weise annimmt. Soweit die zentrale Stelle die Rolle eines (privatrechtlichen) Prozessvertreters einnimmt, würde sich zudem die Frage der Haftung für fehlerhafte Beratung oder Vertretung stellen. Ausländische Unterhaltsgläubiger hätten im Gegensatz zu inländischen Gläubigern eine zusätzliche Rückgriffsmöglichkeit. Ob sich die zentrale Stelle in diesen Fällen über Art. 45 EG auf nationale Haftungsbeschränkungen im Sinne des Art. 34, § 839 BGB berufen kann, wäre ebenfalls zu klären.
Artikel 44: Informationszugang
Auf die Bedenken im Hinblick auf die Ungleichbehandlung ausländischer und deutscher Unterhaltsgläubiger, die zu Artikel 41 Absatz 1 vorgebracht worden sind, wird Bezug genommen.
Der Informationszugang der Zentralen Behörden, der in Absatz 2 als „zumindest“ bezeichnet wird, eröffnet eine nahezu grenzenlose Berechtigung, Daten über Unterhaltsschuldner zu verschaffen. Das ist jedoch auch unter dem berechtigten Interesse, die Beitreibung von Unterhaltsforderungen grenzüberschreitend zu erleichtern, zu weitgehend.
Jutta Wagner
Präsidentin
Dr. Angelika Nake
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften