Stellungnahme: 04-09


zum Entwurf eines Gesetzes zum internationalen Familienrecht

Stellungnahme vom

Die Familienrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes begrüßt das Vorhaben, einheitliche innerstaatliche Verfahrensvorschriften zur Ausführung von verschiedenen Übereinkommen auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts zu schaffen. Das ist zum einen geeignet, einer Rechtszersplitterung vorzubeugen. Zum anderen wird der Praxis mit einem eigenständigen Durchführungsgesetz die Handhabung der verschiedenen internationalen Konventionen zur Lösung grenzüberschreitender Familienkonflikte erleichtert.

I.

Zur praktischen Verwirklichung der in den verschiedenen internationalen Abkommen normierten Rechte von Eltern und Kindern und zur Verbesserung der Durchsetzung von Entscheidungen zum internationalen Sorge- und Umgangsrecht reicht es allerdings aus Sicht des Deutschen Juristinnenbundes nicht aus, vornehmlich die bestehenden Verfahrensvorschriften anzupassen oder zu ergänzen und gesetzliche Beschleunigungsmöglichkeiten zu schaffen.

Es dürfte insbesondere ein zusätzlicher Aufwand im Jugendhilfebereich notwendig sein. Im Interesse der Beteiligten, aber insbesondere aus Sicht des Kindeswohls, sehen wir weiteren begleitenden Handlungsbedarf in folgenden Bereichen:

  1. Begleitende Beratungsangebote bei Jugendämtern und freien Trägern (Kinderschutzbund, kirchliche Stellen, Arbeiterwohlfahrt pp.) in streitigen Sorge- und Umgangsfällen müssten umfänglich erweitert werden, um die Notwendigkeit späterer Vollstreckungsmaßnahmen zu minimieren. Im Hinblick auf die derzeit bestehenden Wartezeiten ist es oftmals schwierig, Eltern und Kindern eine kurzfristige Unterstützung zu ermöglichen. Die bei den Jugendämtern pp. tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten für die Betreuung von Familien mit interkulturellem Hintergrund und internationalen Familienkonflikten besonders geschult sein. Auch fehlt es an notwendigen Dolmetschern.
  2. Die derzeitigen Möglichkeiten für eine tatsächliche Ausgestaltung des Umgangsrechts und für eine notwendige Begleitung von Kind und dem betroffenen Elternteil reichen generell nicht aus. Insbesondere fehlt es in der Regel an Betreuungsmöglichkeiten an den Wochenenden, so dass schulpflichtige Kinder sowie berufstätige oder aus dem Ausland anreisende Elternteile benachteiligt sind. Die Kapazitäten müssen in personeller und sachlicher Hinsicht ausgeweitet werden, um dem Erfordernis, auch kurzfristig eine Umgangsbegleitung zu ermöglichen, Rechnung zu tragen. Es sollte bereits im Vorfeld durch geeignete Maßnahmen die Notwendigkeit späterer Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vermieden werden.
  3. Das internationale gemeinsame Zusammenwirken zwischen Gerichten, Jugendämtern bzw. Freien Trägern sowie dem Internationalen Sozialdienst als helfendem Instrument der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit sollte intensiviert und verbessert werden. Es gilt auch, eine formlose Kommunikationsmöglichkeit und einen unkomplizierten Informationsaustausch zwischen den beteiligten Gerichten zu ermöglichen, ohne die Zentralen Behörden einschalten zu müssen.

II. Zu den Bestimmungen des Entwurfs im einzelnen:

  1. Es müsste entsprechend § 50 FGG eine Regelung aufgenommen werden, dass ein Pfleger bestellt werden soll, falls dies zur Wahrnehmung der Interessen des Kindes erforderlich ist.
  2. Zu § 6: Zentrale Behörde

    Aus unserer Sicht ist der Aufgabenbereich der Zentralen Behörde nicht umfassend genug beschrieben und dem Auftrag nach Artikel 53 der VO (EG) Nr. 2201/2003, die sachliche Zuständigkeit festzulegen, nicht ausreichend Genüge getan.

    § 6 des Entwurfs regelt in Absatz 1 und 3 lediglich, dass eine Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen und Gerichten stattfinden soll, und in Absatz 2 Maßnahmen zur Aufenthaltsermittlung eines Kindes. Der Aufgaben- und Maßnahmenkatalog nach Artikel 54 und 55 der VO (EG) Nr. 2201/2003 ist jedoch viel umfangreicher und beinhaltet neben Information in bestimmten Fällen auch Unter-stützung und Hilfeleistung für die Träger der elterlichen Verantwortung. Die Zentrale Behörde soll eine eigene fallbezogene sachliche Tätigkeit entwickeln, die teilweise in den Bereich der Sozialarbeit fällt. Zu ihren Aufgaben gehört es auch, eine gütliche Einigung zwischen den Trägern der elterlichen Verantwortung z.B. durch Mediation zu erleichtern (Artikel 55 Nummer e).

    Davon findet sich in § 6 des Entwurfs nichts wieder. Es sollte zumindest ein ausdrücklicher Hinweis auf den Maßnahmenkatalog des Artikel 55 der VO (EG) in Abschnitt 2 des Entwurfs aufgenommen werden.

    Es drängt sich auch die Frage auf, inwieweit die Zentrale Behörde für die Erfüllung ihrer Aufgaben die deutsche Zweigstelle des Internationalen Sozialdienstes hinzuziehen kann, die langjährige ein-schlägige Erfahrungen besitzt und bisher einen Teil der fraglichen Aufgaben wahrgenommen hat. Auch diese Möglichkeit sollte nicht ungenutzt bleiben und ausdrücklich erwähnt werden.

    § 6 Absatz 3 des Entwurfs ist insofern missverständlich, als die Zentrale Behörde auch Anträge aus dem Inland unverzüglich weiterzureichen hat.

  3. Zu § 9: Mitwirkung des Jugendamtes:

    Diese Vorschrift normiert die Unterstützungsaufgaben des Jugendamtes, denen eine besondere Bedeutung in sämtlichen familienrechtlichen Verfahren zukommt.

    Dabei sollte nicht einseitig daran gedacht werden, in erster Linie auf den betreuenden Elternteil einzuwirken, und von ihm allein Wohlverhalten zu erwarten. Das Kindeswohl kann es auch erfordern, den anderen Elternteil zu überzeugen, davon Abstand zu nehmen, ihm zustehende Rechte zwangsweise durchzusetzen, und z.B. auf die Rückführung in den früheren Aufenthaltsstaat zu verzichten, um das Kind nicht von seiner Hauptbezugsperson zu trennen. Lösungen, die eine Befriedung der familiären Konflikte auf Dauer erreichen, kommen nur dann zustande, wenn beide Seiten einen Konsens erreichen können, der für sie akzeptabel ist.

    Die Beratung und Mithilfe bei der Lösung grenzüberschreitender familiärer Auseinandersetzungen, insbesondere bei Umgangs- oder internationalen Entführungsfällen, ist arbeitsintensiv. Sie erfordert fachlich gut ausgebildetes Personal, das auch in kurzer Zeit einsatzfähig ist. Das Jugendamt wird seinen Aufgaben nur dann sachgerecht nachkommen können, wenn die derzeitige persönliche und sachliche Ausstattung erweitert und verbessert wird.

    § 9 Abs.1 Ziffer 1 sollte ergänzt werden um den Zusatz "insbesondere des familiären und sonstigen unterstützenden Umfeldes".

    Es sollte weiter die Möglichkeit hinzugefügt werden, dass in diesem Zusammenhang geeignete freie Träger, Erziehungsberatungsstellen und der Internationale Sozialdienst mit herangezogen werden können.

    Da § 9 Abs.4 des Entwurfs dem Gericht eine Handlungsverpflichtung gegenüber dem Jugendamt auferlegt, sollte dies in einer eigenständigen Vorschrift geregelt werden.

  4. Zu § 40 Abs.1: Aussetzungsverbot

    Eine Aussetzung des Verfahrens sollte im Einverständnis der Träger der elterlichen Verantwortung auch in anderen Fällen möglich sein. Das Beschleunigungsgebot ist kein Selbstzweck, sondern soll den Interessen der Beteiligten an einer zügigen Durchführung des Verfahrens dienen. Sollte sich im Verlauf des Verfahrens aber herausstellen, dass Zeit zum Versuch einer einverständlichen Lösung oder Mediation gewünscht und benötigt wird, würde ein generelles Aussetzungsverbot der Befriedung des familiären Konflikts entgegenwirken.

    In besonderen Einzelfällen sollte eine kurzfristige Aussetzung von Amts wegen möglich sein, wenn zur Entscheidung notwendige Informationen zur Lage des Kindes noch nicht eingetroffen sind.

    Es ist zu bedenken, dass die zwangsweise Rückführung des Kindes zum Ort des vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltes kein Selbstzweck ist. Sie hat den Sinn, dass eine endgültige gerichtliche Entscheidung in diesem Land getroffen werden kann, nach Überprüfung aller wichtigen Aspekte des Kindeswohls. Oft wird es so sein, dass man dann zu dem Ergebnis gelangt, das Kind solle bei seiner Hauptbezugsperson verbleiben. Möglicherweise muss man dieser dann auch zugestehen, dass sie mit dem Kind zukünftig in dem Land lebt, in das sie es vorher widerrechtlich mitgenommen hatte. Es liegt auf der Hand, dass eine Einigung der Eltern im Vorfeld hier allen Beteiligten und insbesondere dem Kind große Probleme ersparen könnte.

  5. Zu § 46: Vollstreckung

    Es steht auch aus Sicht des Deutschen Juristinnenbundes außer Frage, dass es grundsätzlich notwendig ist, Verstöße gegen gerichtliche Entscheidungen zu verfolgen und ggf. Zwangs- oder Ordnungsmittel einzusetzen.

    Nur mit dem Austausch des bisherigen Zwangsmittelsystems durch ein Ordnungsmittelsystem dürfte es nicht getan sein. Die Anwendung von Zwangsmitteln sollte die ultima ratio sein.

    Bevor Ordnungsmittel angewendet werden, müsste mit größtmöglichem Einsatz eine einverständliche Lösung angestrebt werden, die von beiden Eltern akzeptiert und den Interessen des Kindes gerecht wird. Dem Ziel, grenzüberschreitend eine effektive Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen zu gewährleisten, ist zuzustimmen. Jedoch belasten Zwangsmaßnahmen nicht nur Eltern, sondern im Ergebnis auch in hohem Maße die betroffenen Kinder. Die Festsetzung von Ordnungsgeld, sofern überhaupt entsprechende Mittel vorhanden sind, schmälert das Familieneinkommen des betreuenden Elternteils und damit in der Regel den Unterhalt des Kindes. Bei einer Festsetzung von Ordnungshaft entsteht regelmäßig die Frage, in welcher Weise und von welcher Person das Kind in der Zwischenzeit betreut werden und ob dem Kind eine anderweitige Unterbringung zugemutet werden kann. In unserem Rechtssystem spielt das Kindeswohl eine entscheidende Rolle. Um dieses zu gewährleisten, ist es erforderlich, ausreichende Beratungs- und Unterstützungsangebote flächendeckend zur Verfügung zu stellen.

    Wie der Deutsche Juristinnenbund bereits in seiner Stellungnahme zum damaligen Gesetzesänderungsentwurf zu Verbesserungen der Verfahren und der Durchsetzung familiengerichtlicher Anordnungen im Anwendungsbereich des SorgeRÜbkAG und AVAG vorgeschlagen hat, sollte vor der Durchführung von Zwangsmaßnahmen bei Rückführungen von hier aus geklärt werden können, welche Bedingungen der Elternteil und damit auch das Kind im früheren Aufenthaltsstaat vorfinden werden. Sind z.B. Unterhalt und Unterkunft gesichert oder können diese Notwendigkeiten im voraus geregelt werden? Sind etwaige strafrechtliche Sanktionen zu verhindern? Kann freies Geleit zu Gerichtsterminen zugesichert werden?

    In wenigen Fällen von grenzüberschreitenden familiären Konflikten wird man jedoch – wie auch im nationalen Bereich – letztlich einsehen müssen, dass es hochstreitige Fälle gibt, in denen sich Elternpaare durch keinerlei rechtliche Regelungen oder Ordnungsmittel davon abhalten lassen, den Interessen ihrer Kinder zuwiderzuhandeln.

     

Margret Diwell
Präsidentin

Sabine Heinke
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften

Ingrid Baer
Mitglied der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften

Barbara Helfert
Mitglied der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften