Der djb begrüßt ausdrücklich, dass mit dem Referenten-Entwurf
(Stand 5. Februar 2004) für ein "Strafrechtsänderungsgesetz - §§
180b, 181 StGB" der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen
Union vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels (ABl.
EG. L 203 v. 1. 8. 2002, S. 1) nunmehr umgesetzt werden soll.
Dieser Rahmenbeschluss gibt den Mitgliedstaaten auf, den
Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft oder zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung nach den Vorgaben der Europäischen
Union unter Strafe zu stellen bzw. den Vorgaben des
Rahmenbeschlusses anzupassen und bis spätestens zum 1. August
2005 in innerstaatliches Recht umzusetzen. Der Menschenhandel ist
im geltenden deutschen Strafrecht bislang nur in der Variante des
Menschenhandels zum Zweck der Prostitution in den §§ 180b und 181
StGB und auch dort nicht hinreichend geregelt. Es besteht deshalb
Änderungs- und Ergänzungsbedarf.
Der (Referenten-) Entwurf stellt zu Recht klar, dass
Menschenhandel in allen seinen Erscheinungsformen in erster Linie
ein Delikt gegen die Freiheit und nicht Thema des
Sexualstrafrechts (13. Abschnitt des Strafgesetzbuches: Delikte
gegen die sexuelle Selbstbestimmung) ist. Es ist deshalb richtig,
sämtliche neu zu fassenden Strafvorschriften gegen den
Menschenhandel in den 18. Abschnitt des Strafgesetzbuches:
"Straftaten gegen die persönliche Freiheit" einzustellen.
Auch nach der Einschätzung des djb muss eine für die Adressaten
verständliche Regelung in die unterschiedlichen Grundtatbestände
des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und zum
Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft aufgeteilt werden. Diese
Grundtatbestände sind um darauf bezogene Erschwerungsgründe
(Qualifikationen) zu ergänzen, die der besseren Übersicht wegen
in gesonderten Vorschriften zu regeln sind.
Allerdings enthält der vorliegende Referenten-Entwurf in einigen
Teilen Unschärfen, die seine Praktikabilität beeinträchtigen. Die
Begehungsformen des Grundtatbestandes sind nicht hinreichend klar
bestimmt. Auch die vorgeschlagenen Qualifikationstatbestände sind
nicht konsistent geregelt. Sie entsprechen zudem nicht der
üblichen Gesetzessystematik in vergleichbaren
Qualifikationstatbeständen wie etwa der Erpressung (§§ 255, 250,
251 StGB) oder der Vergewaltigung (§§ 177 Abs. 3 und 4, 178
StGB). Die durch besonderes Unrecht und besondere Schwere der Tat
gekennzeichneten Fälle werden mit Blick auf die jeweils bedrohten
bzw. angegriffenen Rechtsgüter der Verletzten nicht angemessen
erfasst. Außerdem trägt der Entwurf dem Umstand nicht hinreichend
Rechnung, dass Menschenhandel ein Wirtschaftszweig ist, in dem
arbeitsteilig handelnde Organisationen tätig werden. Die
vorgeschlagenen Strafvorschriften decken - entgegen den Vorgaben
des Rahmenbeschlusses - die Beteiligungen von untergeordneten
Mitgliedern solcher Organisationen nicht in hinreichender Weise
ab. Die allgemeinen Teilnahmeregeln des Strafgesetzbuchs erfassen
nicht die Förderungshandlungen solcher Mitglieder einer
Organisation, die nur über Teilinformationen verfügen, die
Ausbeutungszwecke also nicht in einer den Anforderungen an
vorsätzliches Verhalten entsprechenden Weise kennen. Dazu sind
zusätzliche Regelungen erforderlich.
Es sind ferner Änderungen des Strafverfahrensrechts notwendig,
die es ermöglichen, die Straftatbestände gegen den Menschenhandel
auch umzusetzen, also Strafverfolgung auch tatsächlich
durchzuführen.
Der djb legt deshalb einen eigenen Entwurf zur Änderung und
Neufassung der Straftatbestände des Menschenhandels und zur
Änderung strafprozessrechtlicher Regelungen vor. In der
Begründung wird dabei auch zu den Schwachstellen des
Referentenentwurfs Stellung genommen:
Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 180b, 181
StGB (...StrÄndG)
Art. ...
Im Achtzehnten Abschnitt des Besonderen Teils "Straftaten gegen
die persönliche Freiheit" werden nach der Überschrift folgende §§
232, 232a, 233, 233a und 233b eingefügt:
§ 232
Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
(1) Wer auf eine andere Person seines Vorteils wegen einwirkt, um
sie unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die
mit einem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur
Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen, wird mit
Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Einwirken ist jede Beeinflussung des Willens einer anderen Person
zur Einreise in ein anderes Land.
(2) Ebenso wird bestraft, wer seines Vorteils wegen die
Zwangslage oder die Hilflosigkeit einer anderen Person ausnutzt,
die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, um
sie zu sexuellen Handlungen zu bringen, die sie an oder vor dem
Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter oder einem
Dritten an sich vornehmen lassen soll.
(3) Ebenso wird bestraft, wer seines Vorteils wegen die
Zwangslage oder die Hilflosigkeit einer anderen Person, die mit
deren Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, durch
zusätzliche Handlungen verschärft und diese Zwangslage dazu
ausnutzt, sie zu sexuellen Handlungen zu bringen, die sie an oder
vor dem Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter
oder einem Dritten an sich vornehmen lassen soll.
(4) Ist in den Fällen der Absätze 1 bis 3 die verletzte Person
unter einundzwanzig Jahre alt, so ist die Strafe Freiheitsstrafe
von 6 Monaten bis zu 10 Jahren.
(5) Wer in den Fällen der Absätze 1 bis 3 Täuschung oder List
anwendet, wird mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren
bestraft.
(6) Der Versuch ist strafbar.
§ 232a
Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft
(1) Wer auf eine andere Person seines Vorteils wegen einwirkt, um
sie unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die
mit einem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, in eine
der Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft
entsprechende Lage oder dazu zu bringen, bei ihm oder einem
Dritten zu Arbeitsbedingungen beschäftigt zu sein, die in einem
auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen anderer
Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer stehen, welche die gleiche
oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben, wird mit
Freiheitsstrafe bis von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Einwirken ist jede Beeinflussung des Willens einer anderen Person
zur Einreise in ein anderes Land.
(2) Ebenso wird bestraft, wer seines Vorteils wegen die
Zwangslage oder die Hilflosigkeit einer anderen Person ausnutzt,
die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, um
sie in eine der Sklaverei, Leibeigenschaft oder
Schuldknechtschaft entsprechende Lage oder dazu zu bringen, bei
ihm oder einem Dritten zu Arbeitsbedingungen beschäftigt zu sein,
die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen
anderer Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer stehen, welche die
gleiche oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben.
(3) Ebenso wird bestraft, wer seines Vorteils wegen die
Zwangslage oder die Hilflosigkeit einer anderen Person, die mit
deren Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, durch
zusätzliche Handlungen verschärft und diese Zwangslage dazu
ausnutzt, sie in eine der Sklaverei, Leibeigenschaft oder
Schuldknechtschaft entsprechende Lage oder dazu zu bringen, bei
ihm oder einem Dritten zu Arbeitsbedingungen beschäftigt zu sein,
die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen
anderer Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer stehen, welche die
gleiche oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben.
(4) Ist in den Fällen der Absätze 1 bis 3 die verletzte Person
unter einundzwanzig Jahre alt, so ist die Strafe Freiheitsstrafe
von 6 Monaten bis zu 10 Jahren.
(5) Ebenso wird bestraft, wer in den Fällen der Absätze 1 bis 3
Täuschung oder List anwendet.
(6) Bringt der Täter das Opfer in den Fällen der Absätze 1 bis 3
in eine der Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft
entsprechende Lage, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs
Monaten bis zu zehn Jahren.
(7) Der Versuch ist strafbar.
§ 233
Schwerer Menschenhandel
(1) Wer in den Fällen der § 232 und 232a mit Gewalt oder Drohung
mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben vorgeht oder
gewerbsmäßig handelt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis
zu zehn Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer die Kontrolle über eine Person,
gegen die eine Straftat nach § 232 oder 232a verübt wurde,
1. einem anderen überlässt und dafür einen Vorteil für sich oder
einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt oder
der verletzten Person damit droht,
2. von einem anderen übernimmt und dafür dem anderen einen
Vorteil für diesen oder einen Dritten anbietet, verspricht oder
gewährt.
(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen,
wenn
1. der Menschenhandel von mehreren gemeinschaftlich begangen
wird,
2. der Täter eines Menschenhandels eine Waffe oder sonst ein
gefährliches Werkzeug bei sich führt, um den Widerstand einer
anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern
oder zu überwinden,
3. der Täter eine andere Person, gegen die eine Straftat nach den
§§ 232, 232 a verübt wurde, in die Gefahr einer schweren
Gesundheitsschädigung bringt oder
4. der Täter die Tat als Mitglied einer Bande, die sich zur
fortgesetzten Begehung des Menschenhandels (§§ 232, 232a)
verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds
begeht.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen,
wenn der Täter eines Menschenhandels
1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug
verwendet oder
2. das Opfer anlässlich der Tat
a) körperlich schwer misshandelt oder
b) in die Gefahr des Todes bringt.
(5) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von
sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
§ 233a
Menschenhandel mit Todesfolge
Verursacht der Täter durch den Menschenhandel (§§ 232, 232a)
wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen, so ist
die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht
unter zehn Jahren.
§ 233b
Förderung des Menschenhandels
(1) Wer seines Vorteils wegen eine Person, von der er weiß oder
den Umständen nach annehmen muss, dass sie bei dem Entschluss zur
Einreise in ein anderes Land in ihrer Willensfreiheit
beeinträchtigt wurde oder aufgrund von Hilflosigkeit oder einer
Zwangslage, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land
verbunden ist, in ihrer Willensfreiheit beeinträchtigt ist,
- befördert
- beherbergt
- weitergibt
wird wie ein Gehilfe (§ 27) bestraft.
(2) §§ 233 und 233a gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass die
Strafe nach § 49 StGB zu mildern ist.
Art. ...
§ 154c StPO wird wie folgt neu gefasst:
§ 154c StPO
(Nichtverfolgung von Erpressten)
(1) Ist eine Erpressung oder eine Straftat nach dem 18. Abschnitt
des StGB durch die Drohung begangen worden, ein Vergehen zu
offenbaren oder unter Ausnutzung der Zwangslage, die dadurch
entstanden ist, dass das Opfer sich wegen eines Vergehens
strafbar gemacht hat oder wird ein Vergehen des Opfers anlässlich
der Ermittlungen wegen einer Straftat nach dem 18. Abschnitt
bekannt, so sieht die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der
Tat des Opfers ab, wenn nicht wegen der Schwere der Tat eine
Sühne unerlässlich ist.
(2) Auf Antrag der Staatsanwaltschaft und mit Zustimmung des
Opferzeugen kann angeordnet werden, dass dieser sich bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens für Zwecke des
Verfahrens im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhält.
(3) Diese Maßnahme darf nur durch den Richter angeordnet werden.
Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch von der
Staatsanwaltschaft getroffen werden. Die Anordnung der
Staatsanwaltschaft tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei
Tagen von dem Richter bestätigt wird.
Begründung
1. Zu §§ 232, 232a, 233, 233a, 233b und 233c
Anders, als es der Referentenentwurf vorsieht, sind Ausgangspunkt
der Neufassung nicht die bisherigen Strafvorschriften gegen
Menschenhandel (§§ 180 b, 181 StGB), sondern es ist der
Rahmenbeschluss umzusetzen, dem die §§ 180b, 181 StGB gerade
nicht entsprechen. Nach dem Rahmenbeschluss gibt es zwei Formen
des Menschenhandels: den zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und
den zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft. Diese beiden
Formen werden dort als gleichrangig und in ihren Voraussetzungen
- sieht man vom spezifischen Ausbeutungszweck ab - völlig
parallel behandelt. Das muss sich sowohl in der Struktur der neu
zu fassenden Normen, als auch in ihren Bezeichnungen
niederschlagen. Nennt man, wie es der Referentenentwurf
vorschlägt, den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
nur "Menschenhandel", um davon den "Menschenhandel zum Zweck der
Ausbeutung der Arbeitskraft" zu unterscheiden, könnte die irrige
Annahme begründet werden, dass es sich bei dem Menschenhandel zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung um den "Normalfall", also den
Grundtatbestand handelt und bei dem Menschenhandel zum Zweck der
Ausbeutung der Arbeitskraft um einen "Spezialfall". Das aber ist
mit Überführung dieser Normen in den Abschnitt der
Freiheitsdelikte nicht mehr zu vereinbaren: beide Formen des
Menschenhandels zeichnen sich durch einen Angriff auf oder einen
Eingriff in die persönliche Freiheit aus. Die Straftat ist
Menschenhandel mit dem Zweck der Ausbeutung. Lediglich die Art
der mit der Ausbeutung bezweckten Tätigkeit ist verschieden. Es
müssten von daher in einer Strafvorschrift zum "Menschenhandel"
beide Ausbeutungszwecke erfasst und parallel geregelt werden. Der
djb schlägt der besseren Lesbarkeit wegen und um die für die
Adressaten von Strafvorschriften unleserliche Verweisungstechnik
zu vermeiden mit den §§ 232 und 232a zwei (parallel) gestaltete
Grundtatbestände vor: "Menschenhandel zum Zweck der sexuellen
Ausbeutung" (§ 232 Abs. 1 bis 3) und "Menschenhandel zum Zweck
der Ausbeutung der Arbeitskraft" (§ 232a Abs. 1 bis 3).
Unterschiede (§ 232a Abs. 6) sind nur insoweit zu
berücksichtigen, als tatsächliche Eingriffe in das (spezielle
Freiheits-) Recht auf sexuelle Selbstbestimmung durch
Vorschriften aus dem 13. Abschnitt des StGB erfasst werden, die
aber für die Ausbeutung der (allgemeinen) Arbeitskraft nicht
gelten.
Bezogen auf beide Formen des Menschendhandels werden sodann
Qualifikationstatbestände vorgeschlagen (§§ 233, 233a).
Ferner wird vorgeschlagen, Förderungshandlungen von
(untergeordneten) Mitgliedern einer Menschenhandelsorganisation
oder auch von Externen, die durch die allgemeinen
Teilnahmevorschriften (§ 27 StGB) nicht oder nur schwer erfassbar
sind, gesondert zu regeln. Auch diese Förderung hat sich auf
beide Formen des Menschenhandels zu beziehen. Die entsprechende
Vorschrift gehört deshalb ans Ende der Regelungen (§ 233 c).
2. Zu § 232
Menschenhandel ist (auch) ein Wirtschaftszweig, in dem
arbeitsteilig handelnde Organisationen tätig werden. Es ist
notwendig, alle Tätigkeitsstufen solcher Organisationen zu
erfassen: die "Anwerbung" im Ausland (dazu Abs. 1), das
"operative Geschäft im Inland" nach Verbringen der Verletzten in
das fremde Land (dazu Abs. 2) und die "Vollstreckung", also
Maßnahmen, die besonders widerstandsfähige Verletzte durch
zusätzlichen Druck (Gewalt, Überbürdung von Schulden, Drohung
gegen Angehörige u. ä.) zu dem erstrebten Zweck - hier
Prostitution - gefügig machen sollen (dazu Abs. 3).
Menschenhandel kommt aber nicht nur in organisierter Form vor.
Sowohl die Motive der Täter als auch deren Ziele variieren
erheblich. Der Referentenentwurf will nur die Täter erfassen, die
ihres "Vermögensvorteils" wegen handeln. Damit werden aber
diejenigen Fälle nicht erfasst, in denen einzelne Täter
persönliche Vorteile anstreben, die sich nicht ohne weiteres als
Vermögenswert ausdrücken lassen. Dazu gehören beispielsweise,
eine Person als nur individuelle Sexpartnerin ausbeuten zu
können, die Befriedigung ungehemmter Machtgelüste oder oft auch
die Möglichkeit, etwa auf deren Kinder zugreifen zu können u. ä.
Es wird deshalb vorgeschlagen, den Begriff "Vermögensvorteil" in
allen Tatbeständen des § 232 durch den des "Vorteils" zu
ersetzen. Dieser Begriff ist insofern auch hinreichend klar
umrissen, als auf die Judikatur zu den Amtsdelikten
zurückgegriffen werden kann, in denen dieser Begriff ebenfalls
verwendet wird.
Zur Beschreibung der objektiven Tathandlung wird in Absatz
1 zwar der Begriff "Einwirken" übernommen, der sich schon in
§ 180b des geltenden StGB findet. Er erhält aber aufgrund der
Einstellung des § 232 in den 18. Abschnitt des StGB einen anderen
Inhalt. Im Kontext des § 180b als eines Deliktes gegen die
sexuelle Selbstbestimmung bereitete dieser Begriff
Auslegungsprobleme. Die Rechtsprechung hat die Voraussetzung
restriktiv ausgelegt und darunter eine besonders "intensive
Einflussnahme auf den Willen des Opfers" verstanden. In den
Fällen, in denen Tatopfer in ihrem Herkunftsland bereits der
Prostitution nachgingen oder bei Anwerbung bereits entschlossen
waren, sich im Einreiseland zu prostituieren oder wussten, dass
dies von ihnen erwartet werden würde, ist mit dieser Begründung
regelmäßig ein "Einwirken" verneint worden. Dahinter steht die
Vorstellung, dass man keinen Entschluss zu etwas hervorrufen
kann, zu dem ein Mensch bereits entschlossen ist. Das Merkmal
wurde also ähnlich ausgelegt wie das "Bestimmen" im Sinne der
Anstiftungstatbestände. Im Kontext des § 180b StGB ist eine
solche restriktive Interpretation mit Blick auf das geschützte
Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung - auch wenn sie nicht
sachgerecht ist - zumindest vertretbar gewesen. Mit Einstellung
des Menschenhandels in den 18. Abschnitt entfällt aber die
Grundlage für eine solche Auslegung. Menschenhandel (in beiden
Formen) ist danach ein Freiheitsdelikt. Geschütztes Rechtsgut ist
ganz allgemein die Freiheit der Willensentschließung und
Willensbetätigung. Systematisch und nach Sinn und Zweck des
Menschenhandels kann es jetzt allein noch auf die Beeinflussung
oder Beugung des Willens ankommen, die Sicherheit des eigenen
(oder eines anderen Wohnsitzlandes) zu verlassen und sich den
Unsicherheiten auszusetzen, die mit dem Aufenthalt in einem
anderen Land verbunden sind. Dafür ist es unerheblich, zu welchem
Zweck Verletzte des Menschenhandels in das andere Land einreisen,
ob sie etwa wissen oder auch nur vermuten, dass sie dort der
Prostitution nachgehen sollen, und erst recht ist irrelevant,
welche Tätigkeit sie zuvor ausgeübt haben, ob sie also
beispielsweise bereits im Herkunftsland als Prostituierte
gearbeitet haben oder nicht. Satz 2 stellt diesen Zusammenhang
lediglich klar: auf eine Person "einwirken" heisst, eine Wirkung
zu erzeugen. Diese (objektive) Wirkung, also die unmittelbare
Folge des (objektiven) Einwirkens besteht in einer
Willensentschließung der Person, auf die eingewirkt wurde. Diese
Entschließung kann sich nur auf den objektiven Umstand der
Einreise in ein fremdes Land beziehen, nicht aber auf die
(überschießenden) Zwecke, die der Täter mit seiner Einwirkung
verfolgt. Diese Zwecke (Absichten) des Täters sind der Grund für
den spezifischen Unrechtsgehalt des Menschenhandels, nicht aber
die Bezugsgröße für die Vorstellungen und die Willensbildung der
Verletzten.
Absatz 2 regelt das Ausnutzen einer Zwangslage. Befindet
sich eine Person bereits in einem fremden Land, können
Hilflosigkeit oder eine Zwangslage, wie sie in Abs. 1 umschrieben
sind, bereits bestehen. Ist das der Fall, kann eine solche Person
- auch ohne durch Einwirken im Sinne des Absatzes 1 in dieses
Land verbracht worden zu sein - ein leichtes Opfer für weitere
sexuelle Ausbeutung (im Sinne des Absatzes 1) werden. Der
Referentenentwurf geht an dieser Konstellation vorbei. Der Täter
muss nämlich in diesen Fällen auf die Person oft gar nicht mehr
"einwirken", weil sie ja bereits in der umschriebenen Weise
hilflos ist oder sich in einer Zwangslage befindet. Deshalb ist
es allein sachgerecht, die objektive Tathandlung als die
Ausnutzung einer solchen Zwangslage zu beschreiben. - Zwangslage
meint dabei eine Situation, in der das Opfer an freier
Willensbetätigung gehindert ist (sei es, weil ihr Aufenthalt in
dem Land durch ausländerrechtliche Vorschriften illegalisiert
ist, sei es, weil ihr - in der Regel überhöhte - Kosten für die
Einreise und den Aufenthalt aufgebürdet wurden, sei es aufgrund
sozial, sprachlich und kulturell bedingter Isolation, sei es,
weil sie die Möglichkeit zur Rückkehr ins Herkunftsland für
versperrt hält o. ä.) und infolgedessen keine
Handlungsalternativen sieht, als sich dem Willen der Täter zu
beugen.
Absatz 3 erfasst das Herstellen oder Verschärfen einer
Zwangslage. Opfer von Menschenhandel werden häufig auch solche
Personen, die sich bereits in einem fremden Land aufhalten und
dann mit der Absicht, sie auszubeuten, zum Bleiben gezwungen
werden. Soweit ihre Zwangslage aus Sicht der Täter oder objektiv
nicht hinreicht, um sie sexuell auszubeuten, werden häufig
zusätzliche Druckmittel eingesetzt. Diese Fälle werden von den
Absätzen 1 und 2 nicht erfasst und bedürfen deshalb gesonderter
Regelung. Schon das geltende Recht wird mit Blick auf eine
fehlende Regelung über das Herstellen einer Zwangslage
insbesondere von den Polizeibehörden als zu lückenhaft
kritisiert.
Mit Absatz 4 wird der Vorschlag des Referentenentwurfs
(dort Absatz 1 Satz 2) aufgegriffen. Da insbesondere junge Frauen
aufgrund geringerer Lebenserfahrung leichtere Beute für die Täter
sind, liegt in einer Einwirkung auf sie regelmäßig die Ausnutzung
einer zusätzlichen Schwachstelle. Darin liegt ein erhöhtes
Unrecht, das mit dem vorgeschlagenen Strafrahmen angemessen
erfasst wird. - Auch hier kann es im übrigen, weil es sich um ein
Freiheitsdelikt handelt, nicht darum gehen, dass sich die
Einwirkung auf die Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution
bezieht. Es gilt insoweit dasselbe wie für Absatz 1.
Absatz 5 regelt den Einsatz von Täuschung oder List,
Tatmittel also, die nach dem Rahmenbeschluss ausdrücklich mit zu
erfassen sind. Der Referenten-Entwurf will List als
qualifizierten Fall regeln, der als Verbrechen ausgestaltet ist
(§ 232a Abs. 1 N2. 2 RefE). Listiges Vorgehen - oder auch
Täuschung, die nach dem Rahmenbeschluss zu ergänzen ist -
erreicht aber nicht den gleichen Unrechtsgehalt wie etwa eine
Tat, die unter Anwendung von Gewalt gegen Personen begangen wird.
Vielmehr ist listiges Vorgehen vergleichbar mit der Ausnutzung
mangelnder Lebenserfahrung bei jungen Frauen. Es ist deshalb nach
Auffassung des djb hinreichend, listiges oder irreführendes
Verhalten mit demselben (erhöhten) Strafrahmen zu bedrohen, der
in Absatz 4 vorgesehen ist.
Da alle Tatbestände des § 232 als Vergehen gestaltet sind, ist es
notwendig, den Versuch zu regeln (Absatz 6). Nicht nur der
Rahmenbeschluss gibt vor, dass der Versuch unter Strafe zu
stellen ist, sondern auch die Systematik dieses Abschnittes legt
das nahe. Selbst (einfache) Nötigung und Freiheitsberaubung sind
im Versuch unter Strafe gestellt. Die gelegentlich anzutreffende
Argumentation, der Menschenhandelstatbestand sei, weil er sich
objektiv in dem "Einwirken" erschöpfe, bereits als
Vorfeldtatbestand
gestaltet und umfasse daher die Versuchsstadien, ist
unzutreffend. Dahinter steht die Fehlvorstellung, dass der Erfolg
des Menschenhandels die Aufnahme der Prostitution sei. Das gerade
ist nicht der Fall.
Nicht geregelt werden muss der Fall, dass die verletzte Person
tatsächlich zur Aufnahme der Prostitution gebracht wird, denn
insoweit handelt es sich um eine Variante der ausbeuterischen
Zuhälterei. Der im Referentenentwurf vorgesehene Absatz 2 kann
deshalb ersatzlos entfallen. Soweit es tatsächlich unter dem
Einfluss von Zwang pp. zur Ausübung oder Fortsetzung der
Prostitution kommt, wird dieses Unrecht durch die Delikte des 13.
Abschnitts erfasst. Hier geht es dagegen ausschließlich um
Freiheitsdelikte.
3. Zu § 232a
Die vorgeschlagene Regelung folgt insgesamt dem Ansatz des
Rahmenbeschlusses, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen
Ausbeutung und zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft gleich
zu regeln. Insofern ist kein Grund dafür erkennbar, hier auf das
einschränkende Merkmal zu verzichten, dass der Täter "seines
Vorteils wegen" gehandelt haben muss.
Ferner wird vorgeschlagen, die Begriffe "Sklaverei,
Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft", die als ein Gegenstand
der Absicht des Täters im Referentenentwurf aufgeführt sind,
durch "eine der Sklaverei, Leibeigenschaft oder
Schuldknechtschaft entsprechende Lage" zu ersetzen. Teilweise
werden die Begriffe nämlich wörtlich genommen und eingewandt,
eine entsprechende Absicht lasse sich schon deshalb niemals
nachweisen, weil es, wie jeder wisse, diese Formen der
Abhängigkeit von Personen in der Bundesrepublik (normativ) nicht
gebe und deshalb auch (faktisch) nicht geben könne. Ein solcher
Fehlschluss wird durch die hier vorgeschlagene Formulierung
vermieden.
Von der Zwecksetzung abgesehen entsprechen die Absätze 1 bis
5 den Regelungen, die hier für Menschenhandel zum Zweck
sexueller Ausbeutung in § 232 vorgeschlagen werden.
Absatz 6 greift den Vorschlag des Referentenentwurfs auf.
Da es - anders als bei sexueller Ausbeutung - keine Tatbestände
der ausbeuterischen "Arbeits-Zuhälterei" gibt, ist es
sachgerecht, das tatsächliche Verbringen in eine der Sklaverei,
Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft entsprechenden Lage als
erschwerten Fall zu erfassen.
Da die auch hier erforderliche Regelung des Versuchs sich auf
alle Modalitäten des § 232a bezieht, ist sie in Absatz 7
einzustellen.
4. Zu § 233
In dem Referentenentwurf fehlen konsistente
Qualifikationstatbestände. Unterschiedliche Absichten des Täters
können kein Grund dafür sein, objektiv erschwerende Umstände des
Menschenhandels unterschiedlich zu regeln. Die Qualifikationen
müssen deshalb - auch nach der Intention des Rahmenbeschlusses -
alle Varianten des Menschenhandels erfassen. Es handelt sich um
Begehungsweisen, die für (Rechtsgüter der) Opfer besonders
gefährlich sind oder in besonders gravierender Weise in
zusätzliche Rechtsgüter eingreifen. Dazu gehören
gemeinschaftliches Handeln mehrerer Täter, Gewalt und der Einsatz
von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen. Als erschwerender
Umstand muss zusätzlich der vollendete "Handel" mit Menschen im
wahrsten Sinne berücksichtigt werden. Ferner fehlen
Erschwerungsgründe, die sich in den besonders gravierenden Folgen
für das Opfer niedergeschlagen haben. Schließlich kommt als
Erschwerungsgrund gewerbsmäßiges Handeln des Täters in Betracht.
Es wird deshalb vorgeschlagen, die Qualifikationstatbestände der
üblichen Gesetzessystematik in vergleichbaren
Qualifikationstatbeständen anzupassen wie etwa bei der Erpressung
(§§ 255, 250, 251 StGB) oder der Vergewaltigung (§§ 177 Abs. 3
und 4, 178 StGB). Allerdings wird davon abgesehen, die im Detail
unsinnige und unanwendbare Formulierung zu übernehmen, die durch
das 6. Strafrechtsreformgesetz in § 244 Abs. 1 Nr. 1 a und b, in
§ 250 Abs. 1 Nr. 1 a und b sowie in § 177Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB
eingefügt wurde. Der djb schlägt insoweit eine bereinigte Fassung
vor (und empfiehlt im übrigen, bei dieser Gelegenheit auch die §§
177, 244 und 250 vernünftig zu fassen).
Absatz 1 entspricht dem qualifizierten Fall der Nötigung
in den Raubdelikten. Da beispielsweise eine räuberische
Erpressung (§ 255) als Verbrechen auch im Versuch strafbar ist,
ist es für das Unrecht der Tat unerheblich, ob der
Nötigungserfolg eingetreten ist. Maßgebend kann daher auch für
die Qualifikation des Menschenhandels (durch Einwirken etc.)
nicht sein, dass - wie der Referentenentwurf vorsieht -, das
Opfer tatsächlich zur Prostitution etc. gezwungen wurde. Die
Aufnahme der Prostitution ist weder ein qualifizierter Fall des
Freiheitsdelikts - insofern wird auf die Delikte gegen die
sexuelle Selbstbestimmung verwiesen - noch kann die Tat, wenn
Gewalt angewendet wird, erst dann zu einem schweren Fall des
Menschenhandels werden, wenn der Täter kumulativ auch seine
ausbeuterischen Absichten verwirklicht hat. Wohl aber
qualifiziert es den Menschenhandel, wenn der Täter gewerbsmäßig
handelt. Die vorstehenden Erwägungen treffen sowohl den Fall des
Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung als auch den
zur Ausbeutung der Arbeitskraft.
Absatz 2 regelt eine dem Menschenhandel eigentümliche Form
der Gewalt, die auch in Art. 1 Abs. 1 d) des Rahmenbeschlusses
besonders hervorgehoben wird. Der "Verkauf" wird von den
Verletzten eines Menschenhandels als die demütigendste Form des
Umgangs empfunden, die in ihrer Intensität der Gewaltanwendung
gleichkommt. Er ist vollständige Machtausübung über eine andere
Person. Die Drohung mit einem solchen "Verkauf" wird in der
Praxis häufig als Disziplinierungsmittel gegen die Opfer
eingesetzt, weil schon die Androhung ähnlich schwer wiegt wie die
Drohung mit körperlicher Gewalt.
Absatz 3 übernimmt den Katalog der §§ 177Abs. 3, 244 Abs.
1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB in bereinigter Fassung.
Absatz 4: Der im Referentenentwurf vorgeschlagene Absatz 2
(List) entspricht in seiner Intensität keiner der übrigen
Qualifikationen, die den Verbrechenscharakter rechtfertigen, und
ist deshalb, wie oben begründet, als Spezialfall in §§ 232 Abs. 5
und 232a Abs. 5 zu regeln.
5. Zu § 233a
Die leichtfertige Verursachung des Todes, die in Fällen
qualifizierten Menschenhandels durchaus nicht auszuschließen ist,
ist nach der üblichen Gesetzessystematik (wie vor) als
Erfolgsqualifikation in das Gesetz aufzunehmen.
6. Zu § 233 b
Der Rahmenbeschluss fordert, dass auch Anstiftung und Beihilfe
unter Strafe zu stellen sind. Selbstverständlich sind auch die
hier vorgeschlagenen Tatbestände des Menschenhandels
beihilfefähige Taten. Indessen versagen die allgemeinen Regeln
dann, wenn die untergeordneten Mitglieder einer
Menschenhandelsorganisation mit abgeschotteten Informationsebenen
jeweils nur Teilkenntnisse haben oder als Externe nur für
bestimmte Dienstleistungen wie Transport, Unterkunft u. ä.
eingesetzt werden. Die hier vorgeschlagene Regelung erfasst die
üblichen Handlungen zur Förderung der Haupttat als selbständige
Tathandlungen, ohne dass der Täter die weitergehenden Absichten
der Menschenhändler (als Haupttäter) kennen muss. Diese
Regelungstechnik ist im Strafrecht nicht unüblich. Beispielsweise
findet sich in § 111 StGB ein ähnliches Regelungsmuster
(Verweisung auf die Strafbarkeit "wie ein Anstifter"). Erreicht
wird mit dieser Regelung, dass die Anforderungen aus Art. 1 Abs.1
des Rahmenbeschlusses erfüllt werden.
7. Zu Art. ... § 154c stopp
Ermittlungen (und häufig auch Verurteilungen) wegen
Menschenhandels sind in der Regel nur mit Hilfe der Opfer
möglich. Der Referentenentwurf berücksichtigt dieses spezifische
Problem nicht.
Wenn das Gesetz also nicht nur symbolischen Charakter haben soll,
sind Änderungen der Strafprozessordnung notwendig.
Die Opfer des Menschenhandels - in allen Modalitäten dieser
Delikte - werden durch die Täter regelmäßig dauerhaft mit dem
Argument unter Druck gesetzt, dass eine Anzeige notwendig die
Aufdeckung eigener Straftaten bedeute, das Opfer sich also selbst
der strafrechtlichen Verfolgung aussetzt. Mit der Ermittlung
solcher Sachverhalte befasste Polizeibeamte und Staatsanwälte
beklagen, dass die von Menschenhandel betroffenen Personen eben
deshalb oft nicht einmal anzeige-, geschweige denn aussagewillig
sind.
Das geltende Recht sieht zwar die Möglichkeit einer Einstellung
etwaiger Strafverfahren gegen die Opfer nach § 154c StPO vor.
Diese Regelung ist aber in ihrer derzeitigen Fassung weitgehend
nicht praktikabel. Die Opfer von Nötigungen und Erpressungen
müssen eigene Straftaten schon bei der Anzeige der gegen sie
verübten Taten oder in ihren Vernehmungen als Zeugen offenbaren.
Die Zusicherung, dass sie selbst nicht verfolgt werden, kann
ihnen nicht - wie es für eine effiziente Ermittlung des
Menschenhandels nötig wäre - vorab gegeben werden kann, weil die
Ermessensbetätigung der Staatsanwaltschaft von der Kenntnis
dieser zu offenbarenden Straftat abhängt. Zusätzlich wird eine
großzügige und sachgerechte Anwendung des § 154c StPO dadurch
erschwert, dass die Richtlinien für das Straf- und
Bußgeldverfahren die Entscheidung über die Zusicherung der
Nichtverfolgung dem Behördenleiter vorbehalten.
Da die Delikte des 18. Abschnitts des StGB in der Fassung der mit
den Menschenhandelsvorschriften anstehenden Änderungen zu den
schwersten Straftaten gehören, ist ein Verzicht auf die
Verfolgung kleinerer bis mittelschwerer Delikte, die von den
Opfern begangen wurden, zum Zwecke der Sicherstellung der
Verfolgung dieser schwerwiegenden Verbrechen legitim.
Die Voraussetzungen des § 154c StPO sind den gewandelten
Kriminalitätsformen anzupassen. Anders als noch in früheren
Jahren werden die Opfer gerade des Menschenhandels nicht mehr mit
der Offenbarung von Straftaten genötigt - wie etwa früher mit der
Offenbarung der damals strafbaren Homosexualität -, sondern es
wird eine entsprechende Zwangslage ausgenutzt. Aus diesem Grunde
ist Absatz 1 auf die Taten des 18. Abschnittes auszudehnen.
Ferner ist eine verbindliche Regelung vorzusehen, um das Dilemma
der Offenbarung eigener Straftaten ohne Zusicherung und der
Zusicherung erst nach Kenntnis der Straftat aufzulösen. Der
Gefahr, dass eine solche Regelung eventuell schwere und schwerste
Straftaten eines Opfers ungesühnt lassen könnte, wird durch die
schon nach geltendem Recht bestehende Öffnungsklausel vorgebeugt.
Im Interesse der Verfolgbarkeit und wegen des Interesses an der
Verfolgung schwerster Straftaten, auch mit Blick auf die
internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland,
ist es auch zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten
unerlässlich, Zeugen, die sich ihrer Rolle im Verfahren entziehen
könnten, für das Strafverfahren verfügbar zu halten. Mit
Rücksicht auf die Grundrechte, insbesondere die Freizügigkeit,
kann diese Maßnahme freilich nur mit Zustimmung der Betroffenen
ergehen und fortdauern (Absatz 2). Wegen ihrer besonderen Schwere
ist die Maßnahme allerdings zusätzlich unter Richtervorbehalt zu
stellen (Absatz 3).
Dieser Vorschlag trägt auch dem Richtlinienentwurf 2002/0043
(CNS) 14994/03 vom 17. Dezember 2003 Rechnung, der vorsieht, dass
die Strafverfolgung durch die Erteilung kurzfristiger
Aufenthaltstitel (u.a.) für Opfer des Menschenhandels, die mit
den zuständigen Behörden kooperieren, zu erleichtern ist.
17. März 2004
Margret Diwell | Prof. Dr. Ursula Nelles |
Präsidentin | Vorsitzende der Kommission Strafrecht |