Stellungnahme: 04-04


zur Einführung von Unisex-Tarifen in der privaten Versicherungswirtschaft

Stellungnahme vom

 

 

I. Krankenversicherung

 

 

 

 

Der djb fordert den Gesetzgeber auf, geschlechtsneutrale Beiträge

in der privaten Krankenversicherung gesetzlich vorzuschreiben.

Dies erscheint aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Art. 3

Abs. 3 GG verbietet jede Diskriminierung aufgrund des

Geschlechts, Abs. 2 S. 2 der Norm verpflichtet den Gesetzgeber,

auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.

Rechtfertigungsgründe für die höheren

Krankenversicherungsbeiträge für Frauen sind nicht zu erkennen.

 

 

 

 

1. Die statistisch höhere Lebenserwartung von Frauen und die

damit verbundenen höheren Versicherungsleistungen rechtfertigen

die unterschiedlichen Beiträge schon deshalb nicht, weil die

länger lebenden Frauen auch länger Beiträge zahlen, mit denen die

Versicherungsleistungen abgedeckt sind. Darüber hinaus sind

Frauen im Alter seltener krank und behandlungsbedürftig als

Männer, verursachen daher gerade in dieser Lebensphase geringere

Kosten.

 

 

 

 

2. Die statistisch höhere Lebenserwartung von Frauen als

versicherungsmathematischer Faktor beruht darüber hinaus nicht

ausschlaggebend auf ihrem biologischen Geschlecht. Nach neueren

Untersuchungen spielen andere Faktoren wie Familienstand,

sozioökonomische Faktoren, Beschäftigung/Arbeitslosigkeit,

Religion, Rauchen und Ernährungsgewohnheit eine wichtigere Rolle.

Das Geschlecht ist daher kein wirklich aussagekräftiger Indikator

für die Lebenserwartung, es ist lediglich gut handhabbar für die

Versicherungswirtschaft. Differenzierungen aus Gründen der

Praktikabilität sind grundgesetzlich jedoch nicht zulässig.

 

 

 

 

3. Die statistisch höheren Versicherungsleistungen für Frauen

beruhen auch auf den Kosten, die mit Schwangerschaft und

Mutterschaft verbunden sind. Die Zuweisung dieser Kosten über die

höheren Beiträge ausschließlich an Frauen wird nicht der

biologischen Tatsache gerecht, dass Männer ebenso wie Frauen an

der Entstehung dieser Kosten beteiligt sind.

 

 

 

 

4. Darüber hinaus hat es die Versicherungswirtschaft bisher

versäumt offen zu legen, inwieweit sie solche, an das Geschlecht

anknüpfende Faktoren berücksichtigt und welche Auswirkungen dies

auf die Höhe der Beiträge hat. Deshalb kann z.B. der Einwand der

Versicherungswirtschaft, Schwangerschaftskosten bestimmten die

Beitragshöhe nur unwesentlich, nicht überprüft werden. Überprüft

werden kann insbesondere nicht, welche Kosten die

Versicherungswirtschaft zu den schwangerschaftsbedingten Kosten

rechnet. Auszuklammern aus dem Kostenvergleich zwischen Frauen

und Männern wären aber alle mit der sexuellen Beziehung zwischen

den Geschlechtern zusammenhängenden Kosten, angefangen mit der

durch die Verschreibungspflicht für die Pille entstehenden Kosten

über die ärztliche Betreuung der Schwangeren bis hin zu nach der

Entbindung notwendig werdenden Behandlungen. Solange die

Versicherungswirtschaft nicht zu der geforderten Transparenz

bereit ist, kann sie mit der bloßen Behauptung der geringen

Kosten-/Beitragsrelevanz nicht gehört werden. Auch der

Gesetzgeber kann keine sachgerechte Entscheidung treffen, wenn er

sich nicht ausreichend informieren lässt.

 

 

 

 

5. Schließlich werden private Zusatzversicherungen zunehmend

notwendig, weil der Gesetzgeber Leistungen der gesetzlichen

Krankenversicherung kürzt. Das Abdrängen in private

Versicherungsverträge für Zusatzleistungen, die zuvor von den

gesetzlichen Krankenkassen mit geschlechtsneutralen Beiträgen

nach dem Solidaritätsprinzip erbracht wurden, darf nicht dazu

führen, dass nunmehr auch gesetzliche Krankenkassen wie die AOK

und Ersatzkassen für diese Zusatzleistungen

geschlechtsdifferenzierte Beiträge verlangen, wie der Tagespresse

zu entnehmen ist. Verfassungsrechtlich geboten ist dagegen eine

Regelung, die wie bei der privaten Pflegeversicherung eine

geschlechtsneutrale Beitragsgestaltung sicherstellt.

 

 

 

 

6. Auch EU-rechtlich spricht alles für eine solche

Beitragsgestaltung. Die Annahme des Richtlinienvorschlags "zur

Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen

und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und

Dienstleistungen" - KOM (2003) 657 endgültig - durch die

EU-Kommission beruht auf der eingehend begründeten Erkenntnis,

dass Handlungsbedarf des Gesetzgebers zu Einführung von

Unisex-Tarifen besteht, dem mehrere Mitgliedstaaten schon mit

entsprechenden gesetzlichen Regelungen nachgekommen sind.

 

 

 

 

II. Rentenversicherung

 

 

 

 

Der djb fordert den Gesetzgeber auf, mit einem

verfassungsrechtlich nach Art. 3 Abs. 3 GG gebotenen

privatrechtlichen Diskriminierungsverbot dafür zu sorgen, dass

Altersvorsorgeverträge bei gleichen Beiträgen für Männer und

Frauen auch zu gleichen Leistungszusagen für beide Geschlechter

führen. Auch ohne ein solches Diskriminierungsverbot ist es

verfassungsrechtlich sehr bedenklich, Altersvorsorgeverträge

steuerlich zu fördern, die bei gleichen Beiträgen von Männern und

Frauen niedrigere Anwartschaften für Frauen auslösen. Der djb hat

entsprechend im Dezember 2000 in der öffentlichen Anhörung des

Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zur Einführung der sog.

Riester-Rente Stellung genommen. Jetzt geht die Bundesregierung

berechtigt davon aus, dass die Akzeptanz der steuerlich

geförderten privaten Altersvorsorge erhöht werden muss. Die

anstehende Änderung der Riester-Rente ist nach Auffassung des djb

der richtige Zeitpunkt und das geeignete Gesetzesvorhaben, um das

Gebot geschlechtsneutraler Tarifierung in der privaten

Altersvorsorge zu regeln. Die gesetzliche Änderung ist

verfassungsrechtlich erforderlich und erscheint europarechtlich

geboten.

 

 

 

 

1. Die für die Forderung eines Diskriminierungsschutzes in der

privaten Zusatzversorgung entscheidende verfassungsrechtliche

Begründung ist, dass Art. 3 Abs. 2 GG einem Gesetzesvorhaben

entgegensteht, welches das Rentenniveau aller Versicherten

absenkt und für Frauen niedrigere Renten bei gleichen Beiträgen

aus der privaten Vorsorge erlaubt. Denn ein bisher formal

geschlechterneutrales solidarisches Alterssicherungssystem, das

bereits ein niedrigeres Versorgungsniveau für Frauen erbringt,

würde damit durch ein System teilweise abgelöst, das noch

schlechter für Frauen ist

 

 

 

 

2. Die bestehenden Nachteile der Beitragsäquivalenz werden in der

privaten Versicherung fortgeführt und noch erweitert, indem

Frauen aufgrund ihrer vorgeblich statistisch längeren

Lebenserwartung höhere Beiträge für die gleiche Leistung

erbringen müssen. Spätestens seit der Einfügung von Art. 3 Abs. 2

Satz 2 GG ist der Staat jedoch verpflichtet auf eine Beseitigung

der bestehenden Nachteile für Frauen hinzuwirken und darf kein

System schaffen (lassen), das noch schlechtere Leistungen für das

bisher schon benachteiligte Geschlecht zulässt.

 

 

 

 

3. Die ersten Untersuchungen zeigen hochgerechnet auf das Jahr

2008, wenn 4% des Entgelts im Rahmen der privaten Vorsorge

gefördert werden können, als Resultat des jetzigen Umstiegs in

eine private Altersvorsorge nicht akzeptable

Verteilungswirkungen:

 

  • Mit dem Umstieg in die private Vorsorge verschlechtert sich die Situation für alle bis 1965 geborenen Frauen, d.h. alle Frauen, die bis 2030 in Rente gehen. Für die ab Mitte der 50er Jahre geborenen Männer kommt es zu leichten Verbesserungen.
  • Im Vergleich zu Ehepaaren ohne Kinder verschlechtert sich die interne Verzinsung für Ehepaare mit Kindern.
  • Vorteile können insbesondere ledige Männer bei höherem Einkommen ziehen.

 

 

4. Zusätzlich gibt es wichtige Argumente dafür, dass

geschlechterdifferenzierende Tarife im Entgeltbereich

EU-rechtswidrig sind. Soweit im Rahmen der privaten

Altersvorsorge von Unternehmen unterschiedliche Leistungszusagen

an Männer und Frauen gegeben werden sollten, wäre dies mit Art.

141 Abs. 1 und 2 EG-Vertrag unvereinbar. Dies wird dazu führen,

dass Arbeitgeber ein nicht geplantes Vorsorgevolumen finanzieren

müssen, wenn der Europäische Gerichtshof, wie zu erwarten ist,

die Unvereinbarkeit solcher Verträge mit dem europäischen Recht

feststellen wird. Ein vergleichbares Problem mit erheblichen

zusätzlichen finanziellen Lasten für die Unternehmen gab es bei

den Betriebsrenten von Teilzeitbeschäftigten. Eine eindeutige

Vorgabe des Gesetzgebers hätte die Risiken für Unternehmen

vermieden und könnte sie jetzt deutlich abmildern.

 

 

 

 

5. Die Verpflichtung zu geschlechtergerechten Tarifen in der

Versicherungswirtschaft entspräche im Übrigen dem europäischen

Standard. Im Gemeinsamen Bericht der EG-Kommission und des Rates

über angemessene und nachhaltige Renten 2003 wird berichtet, dass

in den Niederlanden eine gesetzliche Bestimmung eingeführt wurde,

die ab 2005 gleiche Leistungen für Männer und Frauen auch in

beitragsdefinierten Systemen vorschreibt. In Frankreich legen die

Versicherer für die private Alterssicherung Unisextarife

zugrunde. Die EU-Kommission hat am 5. Dezember 2003 den

Richtlinienvorschlag KOM (2003) 657 endgültig angenommen, der

Unisextarife vorgeben will. Die europäische Entwicklung spricht

also dafür, die Kapitalisierung der Alterssicherung für

Deutschland von Beginn an auf der Basis von Unisexstarifen zu

stützen. Die deutsche Versicherungswirtschaft würde so künftig

europaweit konkurrenzfähige Produkte anbieten können.

 

 

 

 

4. Februar 2004

 

Margret DiwellIngrid Weber
PräsidentinVorsitzende der Kommission Arbeits-,
 Gleichstellungs-, und Wirtschaftsrecht
 
 
 Prof. Dr. Ursula Rust
 Kommission Recht der Sozialen Sicherung,
Familienlastenausgleich

 

 

 

 

 

Formulierungsvorschlag des djb

 

 

 

 

I.

 

 

 

 

Mit der letzten Rentenreform ist das Niveau der gesetzlichen

Alterssicherungssysteme abgesenkt worden. Als Ausgleich ist eine

private Altersvorsorge notwendig. 2001 hat hierzu die staatliche

Förderung privater Altersvorsorgeverträge begonnen. Steuerlich

gefördert werden nur zertifizierte Verträge. Grundlage der

Zertifizierung ist das Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetz.

 

 

 

 

Während die gesetzlichen Alterssicherungssysteme

geschlechtsneutrale Beiträge und Leistungen vorsehen, enthalten

die als Ersatz geförderten privaten Altersvorsorgeverträge

unterschiedliche Tarife für Frauen und Männer. Bei gleichen

Beiträgen werden anschließend für Männer höhere Renten

ausgezahlt.

 

 

 

 

Da gemäß Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz niemand aufgrund des

Geschlechts benachteiligt werden darf, ist sicherzustellen, dass

nur solche Verträge staatlich gefördert werden, die den

Gleichbehandlungsgrundsatz wahren. Es ist dazu nur erforderlich,

den in § 1 Abs. 1 Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetz geregelten

Kriterienkatalog entsprechend zu ergänzen. Es ist klarzustellen,

dass die steuerliche Förderung voraussetzt, bei gleichen Beträgen

gleiche Leistungen zu zahlen.

 

 

 

 

II.

 

 

 

 

Im laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf eines Gesetzes

zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von

Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen

(Alterseinkünftegesetz - AltEinkG) - BR Drs. 2/04 steht ohnehin

eine Änderung der Kriterien auf der Tagesordnung von Bundesrat

und Bundestag. Hierzu hat die Mehrheit der Länder im

Finanzausschuss einem Antrag der Länder Brandenburg,

Schleswig-Holstein zugestimmt, der die geschlechtsneutrale

Tarifierung sichert und einem früheren Vorschlag des djb

entspricht. Zum laufenden Verfahren wird dazu korrekt folgende

Änderung vorschlagen

 

 

 

 

"Zu Artikel 5 Nr. 1 Buchstabe c (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4

AltZertG)

 

 

 

 

In Artikel 5 Nr. 1 Buchstabe c sind in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4

nach den Wörtern "die Leistungen" die Wörter "sind auf der

Grundlage gleicher Beiträge für Männer und Frauen unabhängig vom

Geschlecht zu berechnen und" einzufügen."