I. Krankenversicherung
Der djb fordert den Gesetzgeber auf, geschlechtsneutrale Beiträge
in der privaten Krankenversicherung gesetzlich vorzuschreiben.
Dies erscheint aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Art. 3
Abs. 3 GG verbietet jede Diskriminierung aufgrund des
Geschlechts, Abs. 2 S. 2 der Norm verpflichtet den Gesetzgeber,
auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.
Rechtfertigungsgründe für die höheren
Krankenversicherungsbeiträge für Frauen sind nicht zu erkennen.
1. Die statistisch höhere Lebenserwartung von Frauen und die
damit verbundenen höheren Versicherungsleistungen rechtfertigen
die unterschiedlichen Beiträge schon deshalb nicht, weil die
länger lebenden Frauen auch länger Beiträge zahlen, mit denen die
Versicherungsleistungen abgedeckt sind. Darüber hinaus sind
Frauen im Alter seltener krank und behandlungsbedürftig als
Männer, verursachen daher gerade in dieser Lebensphase geringere
Kosten.
2. Die statistisch höhere Lebenserwartung von Frauen als
versicherungsmathematischer Faktor beruht darüber hinaus nicht
ausschlaggebend auf ihrem biologischen Geschlecht. Nach neueren
Untersuchungen spielen andere Faktoren wie Familienstand,
sozioökonomische Faktoren, Beschäftigung/Arbeitslosigkeit,
Religion, Rauchen und Ernährungsgewohnheit eine wichtigere Rolle.
Das Geschlecht ist daher kein wirklich aussagekräftiger Indikator
für die Lebenserwartung, es ist lediglich gut handhabbar für die
Versicherungswirtschaft. Differenzierungen aus Gründen der
Praktikabilität sind grundgesetzlich jedoch nicht zulässig.
3. Die statistisch höheren Versicherungsleistungen für Frauen
beruhen auch auf den Kosten, die mit Schwangerschaft und
Mutterschaft verbunden sind. Die Zuweisung dieser Kosten über die
höheren Beiträge ausschließlich an Frauen wird nicht der
biologischen Tatsache gerecht, dass Männer ebenso wie Frauen an
der Entstehung dieser Kosten beteiligt sind.
4. Darüber hinaus hat es die Versicherungswirtschaft bisher
versäumt offen zu legen, inwieweit sie solche, an das Geschlecht
anknüpfende Faktoren berücksichtigt und welche Auswirkungen dies
auf die Höhe der Beiträge hat. Deshalb kann z.B. der Einwand der
Versicherungswirtschaft, Schwangerschaftskosten bestimmten die
Beitragshöhe nur unwesentlich, nicht überprüft werden. Überprüft
werden kann insbesondere nicht, welche Kosten die
Versicherungswirtschaft zu den schwangerschaftsbedingten Kosten
rechnet. Auszuklammern aus dem Kostenvergleich zwischen Frauen
und Männern wären aber alle mit der sexuellen Beziehung zwischen
den Geschlechtern zusammenhängenden Kosten, angefangen mit der
durch die Verschreibungspflicht für die Pille entstehenden Kosten
über die ärztliche Betreuung der Schwangeren bis hin zu nach der
Entbindung notwendig werdenden Behandlungen. Solange die
Versicherungswirtschaft nicht zu der geforderten Transparenz
bereit ist, kann sie mit der bloßen Behauptung der geringen
Kosten-/Beitragsrelevanz nicht gehört werden. Auch der
Gesetzgeber kann keine sachgerechte Entscheidung treffen, wenn er
sich nicht ausreichend informieren lässt.
5. Schließlich werden private Zusatzversicherungen zunehmend
notwendig, weil der Gesetzgeber Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung kürzt. Das Abdrängen in private
Versicherungsverträge für Zusatzleistungen, die zuvor von den
gesetzlichen Krankenkassen mit geschlechtsneutralen Beiträgen
nach dem Solidaritätsprinzip erbracht wurden, darf nicht dazu
führen, dass nunmehr auch gesetzliche Krankenkassen wie die AOK
und Ersatzkassen für diese Zusatzleistungen
geschlechtsdifferenzierte Beiträge verlangen, wie der Tagespresse
zu entnehmen ist. Verfassungsrechtlich geboten ist dagegen eine
Regelung, die wie bei der privaten Pflegeversicherung eine
geschlechtsneutrale Beitragsgestaltung sicherstellt.
6. Auch EU-rechtlich spricht alles für eine solche
Beitragsgestaltung. Die Annahme des Richtlinienvorschlags "zur
Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen
und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und
Dienstleistungen" - KOM (2003) 657 endgültig - durch die
EU-Kommission beruht auf der eingehend begründeten Erkenntnis,
dass Handlungsbedarf des Gesetzgebers zu Einführung von
Unisex-Tarifen besteht, dem mehrere Mitgliedstaaten schon mit
entsprechenden gesetzlichen Regelungen nachgekommen sind.
II. Rentenversicherung
Der djb fordert den Gesetzgeber auf, mit einem
verfassungsrechtlich nach Art. 3 Abs. 3 GG gebotenen
privatrechtlichen Diskriminierungsverbot dafür zu sorgen, dass
Altersvorsorgeverträge bei gleichen Beiträgen für Männer und
Frauen auch zu gleichen Leistungszusagen für beide Geschlechter
führen. Auch ohne ein solches Diskriminierungsverbot ist es
verfassungsrechtlich sehr bedenklich, Altersvorsorgeverträge
steuerlich zu fördern, die bei gleichen Beiträgen von Männern und
Frauen niedrigere Anwartschaften für Frauen auslösen. Der djb hat
entsprechend im Dezember 2000 in der öffentlichen Anhörung des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zur Einführung der sog.
Riester-Rente Stellung genommen. Jetzt geht die Bundesregierung
berechtigt davon aus, dass die Akzeptanz der steuerlich
geförderten privaten Altersvorsorge erhöht werden muss. Die
anstehende Änderung der Riester-Rente ist nach Auffassung des djb
der richtige Zeitpunkt und das geeignete Gesetzesvorhaben, um das
Gebot geschlechtsneutraler Tarifierung in der privaten
Altersvorsorge zu regeln. Die gesetzliche Änderung ist
verfassungsrechtlich erforderlich und erscheint europarechtlich
geboten.
1. Die für die Forderung eines Diskriminierungsschutzes in der
privaten Zusatzversorgung entscheidende verfassungsrechtliche
Begründung ist, dass Art. 3 Abs. 2 GG einem Gesetzesvorhaben
entgegensteht, welches das Rentenniveau aller Versicherten
absenkt und für Frauen niedrigere Renten bei gleichen Beiträgen
aus der privaten Vorsorge erlaubt. Denn ein bisher formal
geschlechterneutrales solidarisches Alterssicherungssystem, das
bereits ein niedrigeres Versorgungsniveau für Frauen erbringt,
würde damit durch ein System teilweise abgelöst, das noch
schlechter für Frauen ist
2. Die bestehenden Nachteile der Beitragsäquivalenz werden in der
privaten Versicherung fortgeführt und noch erweitert, indem
Frauen aufgrund ihrer vorgeblich statistisch längeren
Lebenserwartung höhere Beiträge für die gleiche Leistung
erbringen müssen. Spätestens seit der Einfügung von Art. 3 Abs. 2
Satz 2 GG ist der Staat jedoch verpflichtet auf eine Beseitigung
der bestehenden Nachteile für Frauen hinzuwirken und darf kein
System schaffen (lassen), das noch schlechtere Leistungen für das
bisher schon benachteiligte Geschlecht zulässt.
3. Die ersten Untersuchungen zeigen hochgerechnet auf das Jahr
2008, wenn 4% des Entgelts im Rahmen der privaten Vorsorge
gefördert werden können, als Resultat des jetzigen Umstiegs in
eine private Altersvorsorge nicht akzeptable
Verteilungswirkungen:
- Mit dem Umstieg in die private Vorsorge verschlechtert sich die Situation für alle bis 1965 geborenen Frauen, d.h. alle Frauen, die bis 2030 in Rente gehen. Für die ab Mitte der 50er Jahre geborenen Männer kommt es zu leichten Verbesserungen.
- Im Vergleich zu Ehepaaren ohne Kinder verschlechtert sich die interne Verzinsung für Ehepaare mit Kindern.
- Vorteile können insbesondere ledige Männer bei höherem Einkommen ziehen.
4. Zusätzlich gibt es wichtige Argumente dafür, dass
geschlechterdifferenzierende Tarife im Entgeltbereich
EU-rechtswidrig sind. Soweit im Rahmen der privaten
Altersvorsorge von Unternehmen unterschiedliche Leistungszusagen
an Männer und Frauen gegeben werden sollten, wäre dies mit Art.
141 Abs. 1 und 2 EG-Vertrag unvereinbar. Dies wird dazu führen,
dass Arbeitgeber ein nicht geplantes Vorsorgevolumen finanzieren
müssen, wenn der Europäische Gerichtshof, wie zu erwarten ist,
die Unvereinbarkeit solcher Verträge mit dem europäischen Recht
feststellen wird. Ein vergleichbares Problem mit erheblichen
zusätzlichen finanziellen Lasten für die Unternehmen gab es bei
den Betriebsrenten von Teilzeitbeschäftigten. Eine eindeutige
Vorgabe des Gesetzgebers hätte die Risiken für Unternehmen
vermieden und könnte sie jetzt deutlich abmildern.
5. Die Verpflichtung zu geschlechtergerechten Tarifen in der
Versicherungswirtschaft entspräche im Übrigen dem europäischen
Standard. Im Gemeinsamen Bericht der EG-Kommission und des Rates
über angemessene und nachhaltige Renten 2003 wird berichtet, dass
in den Niederlanden eine gesetzliche Bestimmung eingeführt wurde,
die ab 2005 gleiche Leistungen für Männer und Frauen auch in
beitragsdefinierten Systemen vorschreibt. In Frankreich legen die
Versicherer für die private Alterssicherung Unisextarife
zugrunde. Die EU-Kommission hat am 5. Dezember 2003 den
Richtlinienvorschlag KOM (2003) 657 endgültig angenommen, der
Unisextarife vorgeben will. Die europäische Entwicklung spricht
also dafür, die Kapitalisierung der Alterssicherung für
Deutschland von Beginn an auf der Basis von Unisexstarifen zu
stützen. Die deutsche Versicherungswirtschaft würde so künftig
europaweit konkurrenzfähige Produkte anbieten können.
4. Februar 2004
Margret Diwell | Ingrid Weber |
Präsidentin | Vorsitzende der Kommission Arbeits-, |
Gleichstellungs-, und Wirtschaftsrecht | |
Prof. Dr. Ursula Rust | |
Kommission Recht der Sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich |
Formulierungsvorschlag des djb
I.
Mit der letzten Rentenreform ist das Niveau der gesetzlichen
Alterssicherungssysteme abgesenkt worden. Als Ausgleich ist eine
private Altersvorsorge notwendig. 2001 hat hierzu die staatliche
Förderung privater Altersvorsorgeverträge begonnen. Steuerlich
gefördert werden nur zertifizierte Verträge. Grundlage der
Zertifizierung ist das Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetz.
Während die gesetzlichen Alterssicherungssysteme
geschlechtsneutrale Beiträge und Leistungen vorsehen, enthalten
die als Ersatz geförderten privaten Altersvorsorgeverträge
unterschiedliche Tarife für Frauen und Männer. Bei gleichen
Beiträgen werden anschließend für Männer höhere Renten
ausgezahlt.
Da gemäß Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz niemand aufgrund des
Geschlechts benachteiligt werden darf, ist sicherzustellen, dass
nur solche Verträge staatlich gefördert werden, die den
Gleichbehandlungsgrundsatz wahren. Es ist dazu nur erforderlich,
den in § 1 Abs. 1 Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetz geregelten
Kriterienkatalog entsprechend zu ergänzen. Es ist klarzustellen,
dass die steuerliche Förderung voraussetzt, bei gleichen Beträgen
gleiche Leistungen zu zahlen.
II.
Im laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf eines Gesetzes
zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von
Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen
(Alterseinkünftegesetz - AltEinkG) - BR Drs. 2/04 steht ohnehin
eine Änderung der Kriterien auf der Tagesordnung von Bundesrat
und Bundestag. Hierzu hat die Mehrheit der Länder im
Finanzausschuss einem Antrag der Länder Brandenburg,
Schleswig-Holstein zugestimmt, der die geschlechtsneutrale
Tarifierung sichert und einem früheren Vorschlag des djb
entspricht. Zum laufenden Verfahren wird dazu korrekt folgende
Änderung vorschlagen
"Zu Artikel 5 Nr. 1 Buchstabe c (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AltZertG)
In Artikel 5 Nr. 1 Buchstabe c sind in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
nach den Wörtern "die Leistungen" die Wörter "sind auf der
Grundlage gleicher Beiträge für Männer und Frauen unabhängig vom
Geschlecht zu berechnen und" einzufügen."