Bei der staatlich geförderten Riester-Rente werden Frauen
aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Sie müssen einen bis zu
15 Prozent höheren Beitrag zahlen oder sie erhalten im Alter
einen deutlich niedrigeren Rentenanspruch:
1) Wie kann dem Gleichheitsgebot aus Artikel 3 Grundgesetz bei
der staatlichen Förderung der privaten Altersvorsorge Genüge
getan werden?
2) Sollten gleiche Tarife für Frauen und Männer ein Merkmal für
die Zertifizierung dieser Produkte sein oder welche anderen
Möglichkeiten sehen Sie noch?
zu 1) Ich teile die Auffassung, die in Ihrer Frage zum Ausdruck
gekommen ist, dass es bei der Einführung von
geschlechterneutralen Tarifen bei der sog. Riester-Rente nicht um
eine Frage des politischen Willens geht, sondern um ein
verfassungsrechtliches Gebot. Artikel 3 Absatz 2 Satz 2
Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber, die Gleichstellung von
Männern und Frauen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der
gesellschaftlichen Wirklichkeit herbeizuführen und zu fördern.
Dieses Gebot wurde bereits bei der Rentenreform 2001 und der
Einführung der Riester-Rente verletzt, indem das Niveau der
gesetzlichen Rentenversicherung zu Gunsten der Einführung einer
zusätzlichen, steuerlich geförderten privaten Vorsorge reduziert
wurde. Private kapitalgedeckte Altersvorsorgesysteme sind
gegenüber staatlichen Sozialversicherungssystemen für Frauen
immer von Nachteil. In meiner mehrjährigen Tätigkeit für den
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) und auch
seitdem habe ich mich intensiv mit der Alterssicherung der Frauen
in staatlichen Rentensystemen sowie privaten Zusatzrentensystemen
- auch international - befasst. Es lässt sich in dieser
Allgemeinheit feststellen, dass eine Stärkung der privaten
Vorsorge zulasten der gesetzlichen Rentensysteme für Frauen
regelmäßig mit Nachteilen verbunden ist, was auch der Gemeinsame
Bericht der Kommission und des Rates über angemessene und
nachhaltige Renten 2003 (S. 109) zum Ausdruck bringt. Dies ist
darauf zurückzuführen, dass solidarische und
Umverteilungselemente, die für Sozialversicherungssysteme typisch
sind und überwiegend Frauen zugute kommen, in privaten
Rentensystemen üblicherweise fehlen und die dort vorhandene
strenge Beitragsäquivalenz sich ungebremst (negativ) auf die
Anwartschaften von Frauen auswirkt. Dieser Effekt wird noch
verstärkt, wenn - wie bei der Riester-Rente - unterschiedliche
Tarife für Frauen und Männer gelten und Frauen für die gleich
hohe Beiträge geringere (monatliche) Rentenleistungen erhalten.
Es war bedauerlich, dass bei den Reformdiskussionen im Jahr 2000
keine Berechnungen dazu vorlagen, wie sich das neue Rentensystem,
das mittlerweile seit 1. Januar 2001 gilt, auf Männer und Frauen
sowie unterschiedliche Familienkonstellationen auswirkt. Im
Rahmen des nach EU-Vorgaben an sich obligatorischen gender
mainstreaming wären solche Betrachtungen erforderlich gewesen.
Inzwischen liegen jedoch erste Studien dazu vor, wie sich das
neue Rentensystem im Vergleich zum alten Recht auswirkt. Ich
verweise insofern auf die Untersuchung von Himmelreicher und
Viebrock (DRV 2003, S. 332-350). Die Autoren kommen zu dem
Ergebnis, dass sich die Rentenreform für Männer und Frauen höchst
unterschiedlich auswirkt. Betrachtet man ledige Personen ohne
Kinder, so zeigt ein Kohortenvergleich, dass die interne
Verzinsung, d.h. das Verhältnis von Beiträgen zu Leistungen, sich
für Männer bereits ab dem Geburtsjahrgang 1955 im Vergleich zum
alten Recht verbessert, während für (ledige und kinderlose)
Frauen Verbesserungen erst ab dem Geburtsjahrgang 1965 zu
verzeichnen sind. Betrachtet man Ehepaare mit und ohne Kinder,
ist festzustellen, dass diese durchgehend durch die Reform der
gesetzlichen Rentenversicherung, insbesondere die Absenkung des
Rentenniveaus, und die Einführung der Riester-Rente schlechter
stehen als zuvor. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die
staatliche Förderung einschließlich der Kinderzulagen nicht
ausreicht, die Verschlechterungen innerhalb der gesetzlichen
Rentenversicherung aufzuwiegen. Die größten Vorteile bietet
die Reform für ledige Männer, die mit steigendem Einkommen
zunehmend von der Möglichkeit des Sonderabgabenabzugs
profitieren.
Damit ist der Gesetzgeber bereits bei Einführung der
Riester-Rente der ihm aus Art. 3 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz
obliegenden Pflicht zur Förderung der Gleichberechtigung der
Geschlechter nicht nachgekommen.
Die bei den Riester-Produkten anzutreffenden unterschiedlichen
Tarife für Männer und Frauen stellen darüber hinaus eine direkte
Diskriminierung wegen des Geschlechts dar und verletzen damit das
in Artikel 3 Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot bzw.
Gleichstellungsgebot. Zwar sind es unmittelbar die
Versicherungsgesellschaften, die mit einer
geschlechterdifferenzierenden Tarifgestaltung diskriminierende
Kriterien anwenden, jedoch bin ich mit der Verfassungsrechtlerin
Prof. Dr. Ute Sacksofsky der Meinung, dass der Staat sich dieses
Verhalten zurechnen lassen muss. Auch wenn den
Versicherungsgesellschaften offen steht, Gruppen nach beliebigen
Kriterien zu bilden, ist dies dem Staat, der an das Grundgesetz
gebunden ist, nicht möglich. Durch die Zertifizierung der
förderungswürdigen Altersvorsorgeprodukte macht sich der Staat
die Differenzierungskriterien der Versicherungen letztlich zu
eigen, indem er diese Verträge mit Zulagen subventioniert. Um
eine dem Gleichbehandlungsgebot entsprechende Subventionspraxis
zu gewährleisten, ist bei der Zertifizierung darauf zu achten,
dass dem widersprechende Verträge nicht anerkannt werden.
Die von der Versicherungsgesellschaft immer wieder angeführten
sachlichen Gründe für die unterschiedliche Tarifgestaltung bei
Männern und Frauen vermag ich nicht zu erkennen. Ich bestreite
nicht die mathematische Korrektheit der Untersuchungen, die zu
einer längeren statistischen Lebenserwartung von Frauen gegenüber
Männern kommen, die - so die Auffassung der privaten Versicherer
- sich auch versicherungsmathematisch in der Tarifgestaltung
ausdrücken muss. Das Geschlecht ist ein denkbares
Differenzierungskriterium für die Frage der Lebenserwartung,
daneben bestehen noch zahlreiche andere wie z.B. Familienstand,
sozialer Status, regionale Herkunft, ethnische Zugehörigkeit,
Gesundheitsbewusstsein und Raucherstatus - um nur einige zu
nennen. Ich verweise hierzu auf die Ausführungen in dem
Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zu einer
Gleichberechtigung der Geschlechter im Bereich von Gütern und
Dienstleistungen. Berücksichtigt man all diese Einflussfaktoren
bei der Ermittlung der Lebenserwartung, zeigt sich, dass die auf
Grund des Geschlechts bestehenden Unterschiede beträchtlich
geringer sind als postuliert. Aus Gründen des Gleichheitsgebotes
verbietet es sich jedoch, aus einer Vielzahl von Einflussfaktoren
das Geschlecht als maßgebliches (diskriminierendes)
Unterscheidungskriterium herauszugreifen.
zu 2) Was ist also zu tun, um die bestehenden Verfassungsverstöße
zu beheben?
Ich schlage vor, in das
Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz als
Zertifizierungskriterium aufzunehmen, dass die anerkannten
Verträge für Männer und Frauen bei gleichen Beiträgen auch
gleiche Leistungen vorsehen müssen. Gesetzestechnisch dürfte dies
kein Problem sein, der richtige Ort für eine solche Formulierung
wäre Art. 5 Nr.1 Buchstabe c des Gesetzentwurfs. Auch für die
Versicherungswirtschaft dürfte die Kalkulation von
geschlechterneutralen Tarifen keine Probleme bereiten. Dies hat
sich auch im Bereich der privaten Pflegeversicherung gezeigt, wo
die privaten Versicherer verpflichtet sind, Leistungen zu den
gleichen Bedingungen wie in der gesetzlichen Pflegeversicherung
anzubieten. In diesem Bereich der Sozialversicherung ist auch
niemand - nachhaltig - auf die Idee gekommen, unterschiedliche
Tarife für Männer und Frauen zu fordern. Dies hätte im Übrigen
den Effekt, dass Frauen zunächst ihre Männer pflegen, dann selber
ins Heim kommen und für die daraus resultierenden höheren Kosten
auch höhere Versicherungsbeiträge zu zahlen hätten.
Das oftmals vorgebrachte Argument, die Privatautonomie stünde der
Einführung geschlechterneutraler Tarife bei der Riester-Rente
entgegen, überzeugt ebenfalls nicht. Schaut man sich den Wortlaut
von § 1 Absatz 1 des
Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes an - eine eng
bedruckte DIN A4 Seite - stellen sich die dort genannten
Zertifizierungskriterien insgesamt als Eingriffe in die
Privatautonomie dar. Warum ausgerechnet die Einführung eines
weiteren Kriteriums, nämlich gleicher Tarife für Männer und
Frauen, das Fass zum Überlaufen bringen sollte, ist nicht
ersichtlich.
Auch das Europarecht steht der Einführung der Unisex-Tarife nicht
entgegen, sondern verlangt diese möglicherweise sogar. Dem
gemeinsamen Bericht der EU-Kommission und des Rates über
angemessene und nachhaltige Renten 2003 ist zu entnehmen, dass es
geschlechterneutrale Tarife in den öffentlichen
beitragsfinanzierten Zusatzrentensystemen in Italien und Schweden
schon gibt, dass diese auch in Frankreich Pflicht sind und in den
Niederlanden zum 1. Januar 2005 obligatorisch eingeführt werden.
Deutsche Versicherungsunternehmen, die sich an diesen Märkten
beteiligen wollen, müssen selbstverständlich die dort
erforderlichen Kriterien einhalten. Umgekehrt sind ausländische
Versicherungsunternehmen, die Riester-Produkte in Deutschland
anbieten wollen, an die hiesigen Zertifizierungskriterien
gebunden. Verstöße gegen das Europarecht beziehungsweise
unzulässige Einschränkungen der Wettbewerbs- und
Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union sind hierin
nicht zu sehen. Im Gegenteil könnte es ein Risiko (für
Arbeitgeber und Versicherungen) darstellen, sich nicht bereits
jetzt an den neuen europäischen Standards zu orientieren. Man
erinnere sich nur an die Entscheidung des EuGH aus dem Jahre
1985, als in dem deutschen Fall BILKA entschieden wurde, dass der
Ausschluss von Teilzeitbeschäftigten aus Betriebsrentensystemen
wegen mittelbarer Diskriminierung von Frauen europarechtswidrig
ist. Dies hatte für die Arbeitgeber erhebliche finanzielle
Belastungen zur Folge, indem sie Renten auszahlen mussten, ohne
entsprechende Rückstellungen geschaffen zu haben. Ein derartiges
Risiko besteht auch im Hinblick auf geschlechterdifferenzierende
Altersvorsorgeprodukte im Rahmen staatlich geförderter
Altersvorsorge. Entscheidungen des EuGH bezogen auf
leistungsdefinierte Versicherungssysteme liegen bereits vor.
Unterschiedliche Bedingungen für Männer und Frauen hat der EuGH
hier unter Hinweis auf das Gebot der Entgeltgleichheit für Männer
und Frauen als europarechtswidrig eingestuft. Sofern es im Rahmen
der Riester-Rente Vorsorgeprodukte gibt, die Leistungszusagen
beinhalten, dürfte die Europarechtswidrigkeit damit auf der Hand
liegen. Für beitragsdefinierte Produkte fehlt eine entsprechende
Entscheidung bislang. Es ist auch fraglich, ob eine solche noch
zu erwarten ist, da es auf europäischer Ebene mit dem
Richtlinienvorschlag der Kommission inzwischen Bestrebungen gibt,
die Versicherungsbedingungen für Männer und Frauen insgesamt
anzugleichen. Ich würde dennoch nicht dafür plädieren, darauf zu
warten, bis eine solche Richtlinie in Kraft getreten ist.
Angesichts der Vergrößerung der EU im Mai 2004 ist nicht
abzuschätzen, wie lange die Herbeiführung einer Einigkeit unter
den Mitgliedstaaten über den Richtlinienvorschlag dauern wird und
mit welchen Übergangsfristen die Richtlinie Wirksamkeit erlangen
würde. Die - beschriebenen - Risiken bestünden bis zu diesem
Zeitpunkt fort.
Demgegenüber wäre die Aufnahme in der Pflicht zu
geschlechterneutralen Tarifen für Riester-Produkte als
Zertifizierungskriterium eine praktikable und schnell
umzusetzende Lösung, die geeignet wäre, die genannten
Verfassungs- und europarechtlichen Bedenken zu zerstreuen.
28. Januar 2004
Margret Diwell Präsidentin | Dr. Christine Fuchsloch Vorsitzende der Kommission Recht der Sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich | |
Susanne Becker Kommission Recht der Sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich |