Stellungnahme: 04-02


zur öffentlichen Anhörung des BT-Finanzausschusses am 28. Januar 2004 zum Entwurf eines Alterseinkünftegesetzes (BT Drs. 15/2150) (mündlich)

Stellungnahme vom

 

 

Bei der staatlich geförderten Riester-Rente werden Frauen

aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Sie müssen einen bis zu

15 Prozent höheren Beitrag zahlen oder sie erhalten im Alter

einen deutlich niedrigeren Rentenanspruch:

 

 

 

 

1) Wie kann dem Gleichheitsgebot aus Artikel 3 Grundgesetz bei

der staatlichen Förderung der privaten Altersvorsorge Genüge

getan werden?

 

 

 

 

2) Sollten gleiche Tarife für Frauen und Männer ein Merkmal für

die Zertifizierung dieser Produkte sein oder welche anderen

Möglichkeiten sehen Sie noch?

 

 

 

 

zu 1) Ich teile die Auffassung, die in Ihrer Frage zum Ausdruck

gekommen ist, dass es bei der Einführung von

geschlechterneutralen Tarifen bei der sog. Riester-Rente nicht um

eine Frage des politischen Willens geht, sondern um ein

verfassungsrechtliches Gebot. Artikel 3 Absatz 2 Satz 2

Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber, die Gleichstellung von

Männern und Frauen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der

gesellschaftlichen Wirklichkeit herbeizuführen und zu fördern.

Dieses Gebot wurde bereits bei der Rentenreform 2001 und der

Einführung der Riester-Rente verletzt, indem das Niveau der

gesetzlichen Rentenversicherung zu Gunsten der Einführung einer

zusätzlichen, steuerlich geförderten privaten Vorsorge reduziert

wurde. Private kapitalgedeckte Altersvorsorgesysteme sind

gegenüber staatlichen Sozialversicherungssystemen für Frauen

immer von Nachteil. In meiner mehrjährigen Tätigkeit für den

Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) und auch

seitdem habe ich mich intensiv mit der Alterssicherung der Frauen

in staatlichen Rentensystemen sowie privaten Zusatzrentensystemen

- auch international - befasst. Es lässt sich in dieser

Allgemeinheit feststellen, dass eine Stärkung der privaten

Vorsorge zulasten der gesetzlichen Rentensysteme für Frauen

regelmäßig mit Nachteilen verbunden ist, was auch der Gemeinsame

Bericht der Kommission und des Rates über angemessene und

nachhaltige Renten 2003 (S. 109) zum Ausdruck bringt. Dies ist

darauf zurückzuführen, dass solidarische und

Umverteilungselemente, die für Sozialversicherungssysteme typisch

sind und überwiegend Frauen zugute kommen, in privaten

Rentensystemen üblicherweise fehlen und die dort vorhandene

strenge Beitragsäquivalenz sich ungebremst (negativ) auf die

Anwartschaften von Frauen auswirkt. Dieser Effekt wird noch

verstärkt, wenn - wie bei der Riester-Rente - unterschiedliche

Tarife für Frauen und Männer gelten und Frauen für die gleich

hohe Beiträge geringere (monatliche) Rentenleistungen erhalten.

 

 

 

 

Es war bedauerlich, dass bei den Reformdiskussionen im Jahr 2000

keine Berechnungen dazu vorlagen, wie sich das neue Rentensystem,

das mittlerweile seit 1. Januar 2001 gilt, auf Männer und Frauen

sowie unterschiedliche Familienkonstellationen auswirkt. Im

Rahmen des nach EU-Vorgaben an sich obligatorischen gender

mainstreaming wären solche Betrachtungen erforderlich gewesen.

Inzwischen liegen jedoch erste Studien dazu vor, wie sich das

neue Rentensystem im Vergleich zum alten Recht auswirkt. Ich

verweise insofern auf die Untersuchung von Himmelreicher und

Viebrock (DRV 2003, S. 332-350). Die Autoren kommen zu dem

Ergebnis, dass sich die Rentenreform für Männer und Frauen höchst

unterschiedlich auswirkt. Betrachtet man ledige Personen ohne

Kinder, so zeigt ein Kohortenvergleich, dass die interne

Verzinsung, d.h. das Verhältnis von Beiträgen zu Leistungen, sich

für Männer bereits ab dem Geburtsjahrgang 1955 im Vergleich zum

alten Recht verbessert, während für (ledige und kinderlose)

Frauen Verbesserungen erst ab dem Geburtsjahrgang 1965 zu

verzeichnen sind. Betrachtet man Ehepaare mit und ohne Kinder,

ist festzustellen, dass diese durchgehend durch die Reform der

gesetzlichen Rentenversicherung, insbesondere die Absenkung des

Rentenniveaus, und die Einführung der Riester-Rente schlechter

stehen als zuvor. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die

staatliche Förderung einschließlich der Kinderzulagen nicht

ausreicht, die Verschlechterungen innerhalb der gesetzlichen

Rentenversicherung aufzuwiegen. Die größten Vorteile bietet

die Reform für ledige Männer, die mit steigendem Einkommen

zunehmend von der Möglichkeit des Sonderabgabenabzugs

profitieren.

 

 

 

 

Damit ist der Gesetzgeber bereits bei Einführung der

Riester-Rente der ihm aus Art. 3 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz

obliegenden Pflicht zur Förderung der Gleichberechtigung der

Geschlechter nicht nachgekommen.

 

 

 

 

Die bei den Riester-Produkten anzutreffenden unterschiedlichen

Tarife für Männer und Frauen stellen darüber hinaus eine direkte

Diskriminierung wegen des Geschlechts dar und verletzen damit das

in Artikel 3 Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot bzw.

Gleichstellungsgebot. Zwar sind es unmittelbar die

Versicherungsgesellschaften, die mit einer

geschlechterdifferenzierenden Tarifgestaltung diskriminierende

Kriterien anwenden, jedoch bin ich mit der Verfassungsrechtlerin

Prof. Dr. Ute Sacksofsky der Meinung, dass der Staat sich dieses

Verhalten zurechnen lassen muss. Auch wenn den

Versicherungsgesellschaften offen steht, Gruppen nach beliebigen

Kriterien zu bilden, ist dies dem Staat, der an das Grundgesetz

gebunden ist, nicht möglich. Durch die Zertifizierung der

förderungswürdigen Altersvorsorgeprodukte macht sich der Staat

die Differenzierungskriterien der Versicherungen letztlich zu

eigen, indem er diese Verträge mit Zulagen subventioniert. Um

eine dem Gleichbehandlungsgebot entsprechende Subventionspraxis

zu gewährleisten, ist bei der Zertifizierung darauf zu achten,

dass dem widersprechende Verträge nicht anerkannt werden.

 

 

 

 

Die von der Versicherungsgesellschaft immer wieder angeführten

sachlichen Gründe für die unterschiedliche Tarifgestaltung bei

Männern und Frauen vermag ich nicht zu erkennen. Ich bestreite

nicht die mathematische Korrektheit der Untersuchungen, die zu

einer längeren statistischen Lebenserwartung von Frauen gegenüber

Männern kommen, die - so die Auffassung der privaten Versicherer

- sich auch versicherungsmathematisch in der Tarifgestaltung

ausdrücken muss. Das Geschlecht ist ein denkbares

Differenzierungskriterium für die Frage der Lebenserwartung,

daneben bestehen noch zahlreiche andere wie z.B. Familienstand,

sozialer Status, regionale Herkunft, ethnische Zugehörigkeit,

Gesundheitsbewusstsein und Raucherstatus - um nur einige zu

nennen. Ich verweise hierzu auf die Ausführungen in dem

Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zu einer

Gleichberechtigung der Geschlechter im Bereich von Gütern und

Dienstleistungen. Berücksichtigt man all diese Einflussfaktoren

bei der Ermittlung der Lebenserwartung, zeigt sich, dass die auf

Grund des Geschlechts bestehenden Unterschiede beträchtlich

geringer sind als postuliert. Aus Gründen des Gleichheitsgebotes

verbietet es sich jedoch, aus einer Vielzahl von Einflussfaktoren

das Geschlecht als maßgebliches (diskriminierendes)

Unterscheidungskriterium herauszugreifen.

 

 

 

 

 

zu 2) Was ist also zu tun, um die bestehenden Verfassungsverstöße

zu beheben?

 

 

 

 

Ich schlage vor, in das

Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz als

Zertifizierungskriterium aufzunehmen, dass die anerkannten

Verträge für Männer und Frauen bei gleichen Beiträgen auch

gleiche Leistungen vorsehen müssen. Gesetzestechnisch dürfte dies

kein Problem sein, der richtige Ort für eine solche Formulierung

wäre Art. 5 Nr.1 Buchstabe c des Gesetzentwurfs. Auch für die

Versicherungswirtschaft dürfte die Kalkulation von

geschlechterneutralen Tarifen keine Probleme bereiten. Dies hat

sich auch im Bereich der privaten Pflegeversicherung gezeigt, wo

die privaten Versicherer verpflichtet sind, Leistungen zu den

gleichen Bedingungen wie in der gesetzlichen Pflegeversicherung

anzubieten. In diesem Bereich der Sozialversicherung ist auch

niemand - nachhaltig - auf die Idee gekommen, unterschiedliche

Tarife für Männer und Frauen zu fordern. Dies hätte im Übrigen

den Effekt, dass Frauen zunächst ihre Männer pflegen, dann selber

ins Heim kommen und für die daraus resultierenden höheren Kosten

auch höhere Versicherungsbeiträge zu zahlen hätten.

 

 

 

 

Das oftmals vorgebrachte Argument, die Privatautonomie stünde der

Einführung geschlechterneutraler Tarife bei der Riester-Rente

entgegen, überzeugt ebenfalls nicht. Schaut man sich den Wortlaut

von § 1 Absatz 1 des

Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes an - eine eng

bedruckte DIN A4 Seite - stellen sich die dort genannten

Zertifizierungskriterien insgesamt als Eingriffe in die

Privatautonomie dar. Warum ausgerechnet die Einführung eines

weiteren Kriteriums, nämlich gleicher Tarife für Männer und

Frauen, das Fass zum Überlaufen bringen sollte, ist nicht

ersichtlich.

 

 

 

 

Auch das Europarecht steht der Einführung der Unisex-Tarife nicht

entgegen, sondern verlangt diese möglicherweise sogar. Dem

gemeinsamen Bericht der EU-Kommission und des Rates über

angemessene und nachhaltige Renten 2003 ist zu entnehmen, dass es

geschlechterneutrale Tarife in den öffentlichen

beitragsfinanzierten Zusatzrentensystemen in Italien und Schweden

schon gibt, dass diese auch in Frankreich Pflicht sind und in den

Niederlanden zum 1. Januar 2005 obligatorisch eingeführt werden.

Deutsche Versicherungsunternehmen, die sich an diesen Märkten

beteiligen wollen, müssen selbstverständlich die dort

erforderlichen Kriterien einhalten. Umgekehrt sind ausländische

Versicherungsunternehmen, die Riester-Produkte in Deutschland

anbieten wollen, an die hiesigen Zertifizierungskriterien

gebunden. Verstöße gegen das Europarecht beziehungsweise

unzulässige Einschränkungen der Wettbewerbs- und

Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union sind hierin

nicht zu sehen. Im Gegenteil könnte es ein Risiko (für

Arbeitgeber und Versicherungen) darstellen, sich nicht bereits

jetzt an den neuen europäischen Standards zu orientieren. Man

erinnere sich nur an die Entscheidung des EuGH aus dem Jahre

1985, als in dem deutschen Fall BILKA entschieden wurde, dass der

Ausschluss von Teilzeitbeschäftigten aus Betriebsrentensystemen

wegen mittelbarer Diskriminierung von Frauen europarechtswidrig

ist. Dies hatte für die Arbeitgeber erhebliche finanzielle

Belastungen zur Folge, indem sie Renten auszahlen mussten, ohne

entsprechende Rückstellungen geschaffen zu haben. Ein derartiges

Risiko besteht auch im Hinblick auf geschlechterdifferenzierende

Altersvorsorgeprodukte im Rahmen staatlich geförderter

Altersvorsorge. Entscheidungen des EuGH bezogen auf

leistungsdefinierte Versicherungssysteme liegen bereits vor.

Unterschiedliche Bedingungen für Männer und Frauen hat der EuGH

hier unter Hinweis auf das Gebot der Entgeltgleichheit für Männer

und Frauen als europarechtswidrig eingestuft. Sofern es im Rahmen

der Riester-Rente Vorsorgeprodukte gibt, die Leistungszusagen

beinhalten, dürfte die Europarechtswidrigkeit damit auf der Hand

liegen. Für beitragsdefinierte Produkte fehlt eine entsprechende

Entscheidung bislang. Es ist auch fraglich, ob eine solche noch

zu erwarten ist, da es auf europäischer Ebene mit dem

Richtlinienvorschlag der Kommission inzwischen Bestrebungen gibt,

die Versicherungsbedingungen für Männer und Frauen insgesamt

anzugleichen. Ich würde dennoch nicht dafür plädieren, darauf zu

warten, bis eine solche Richtlinie in Kraft getreten ist.

Angesichts der Vergrößerung der EU im Mai 2004 ist nicht

abzuschätzen, wie lange die Herbeiführung einer Einigkeit unter

den Mitgliedstaaten über den Richtlinienvorschlag dauern wird und

mit welchen Übergangsfristen die Richtlinie Wirksamkeit erlangen

würde. Die - beschriebenen - Risiken bestünden bis zu diesem

Zeitpunkt fort.

 

 

 

 

Demgegenüber wäre die Aufnahme in der Pflicht zu

geschlechterneutralen Tarifen für Riester-Produkte als

Zertifizierungskriterium eine praktikable und schnell

umzusetzende Lösung, die geeignet wäre, die genannten

Verfassungs- und europarechtlichen Bedenken zu zerstreuen.

 

 

 

 

28. Januar 2004

 

 

Margret Diwell
Präsidentin
 Dr. Christine Fuchsloch
Vorsitzende der Kommission Recht der
Sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich
  Susanne Becker
Kommission Recht der Sozialen Sicherung,
Familienlastenausgleich