Stellungnahme: 03-06


zu einem zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetz Anfrage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Stellungnahme vom

Sehr geehrter Herr Beck,

Zu Ihrer Anfrage vom 7.4.03 zu einem zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetz nehme ich wie folgt Stellung:

Der djb hat bereits in der Anhörung zu dem Diskussionsentwurf eines zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes vom 10.12.01 die Auffassung vertreten, dass die Umsetzung der RL 2000/43/EG sich nicht auf die Diskriminierungsmerkmale Rasse und ethnische Herkunft beschränken, sondern die in Art. 13 EGV genannten Merkmale einbeziehen sollte. Zum einen wird ohnehin insoweit Umsetzungsbedarf entstehen, sobald die auf Art. 13 beruhende Richtlinie verabschiedet ist. Zum anderen suggeriert das Herausgreifen von nur zwei Merkmalen, dass hinsichtlich der anderen Merkmale, insbesondere des Geschlechts, derzeit kein Handlungsbedarf besteht, obwohl von der sozialen Realität überwiegend Frauen betroffen sind. Schließlich würde das Phänomen der Mehrfachdiskriminierung vernachlässigt.

Der Diskussionsentwurf hat diese Probleme gesehen und alle Diskriminierungsarten einbezogen, nicht jedoch den breiten Geltungsbereich der RL 2000/43/EG ausgeschöpft. Die Regelungen zu den Sanktionen entsprachen nicht dem Richtlinienstandard. Insoweit verweise ich auf unsere Stellungnahme 02-04.


Die grundsätzlichen Forderungen des djb sind:
 

  • Die Konsistenz des neuen Antidiskriminierungsrechtes ist durch klare und in verschiedenen Rechtsgebieten übereinstimmende Definitionen zu zentralen Begriffen zu gewährleisten

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  • Die schwierigste Beweisregel des Bürgerlichen Rechts, der § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB; sollte nicht in weitere Rechtsgebiete übertragen, sondern dort praxisgerechter gestaltet werden. Das gilt auch für die auch unter EG-rechtlichen Gesichtspunkten fragwürdig weiten Ausnahmen vom Verbot der Geschlechterdiskriminierung in § 611 a Abs. 2.

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  • Die Rechtsdurchsetzung ist durch angemessene Schadensersatzregeln ohne grundsätzlichen Ausschluss eines Erfüllungsanspruchs sowie eine effektive Ausgestaltung der Verbandsklage gem. Art. 7 der RL 2000/43/EG und Einrichtung einer nationalen Stelle zu Bekämpfung von Diskriminierungen gem. Art. 13 zu unterstützen.




I. Fallgestaltungen


1. Zugang zur Versorgung mit Dienstleistungen

Private Krankenversicherung

Der djb hat immer wieder darauf hingewiesen, dass erhöhte Beiträge für Frauen wegen der Zuordnung des Risikos Schwangerschaft allein zu weiblichen Versicherten diskriminierend sind. Schließlich sind Männer an diesem "Risiko" ebenso beteiligt, Kinder sind außerdem eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dies hat der Gesetzgeber berücksichtigt, indem er die am Erstattungsverfahren teilnehmenden Betriebe in § 14 Abs. 2 Satz 2 LohnfortzG zur Zahlung der Umlage für alle Beschäftigten verpflichtet hat. Unisex-Tarife sind gerade heute besonders wichtig, da darüber nachgedacht wird, die Riester-Rente obligatorisch zu machen.


Betreuungseinrichtungen der Religionsgemeinschaften

Insbesondere alleinerziehende Frauen sind ganz besonders auf außerhäusliche Kinderbetreuung angewiesen, um berufstätig sein zu können. Öffentliche Fördergelder für Betreuungseinrichtungen der Religionsgemeinschaften werden zwar in der Regel an die Bedingung geknüpft, dass auch Kinder anderer Glaubensrichtung oder ohne Konfession aufzunehmen sind. Das reicht aber nicht aus, weil die Einhaltung dieser Förderbedingung nicht kontrolliert wird und sich daraus kein durchsetzbarer Individualanspruch ergibt.


2. Zugang zur Versorgung mit Immobilien

Wohnraummietverträge

In diesem Bereich sind Mehrfachdiskriminierungen besonders häufig zu beobachten. Eine ausländische, behinderte Frau hat mehr Schwierigkeiten, eine preisgünstige Wohnung zu finden als ein deutscher nichtbehinderter Mann. Die Vertragsfreiheit, die insoweit immer bemüht wird, gestattet zwar eine Differenzierung bei den Rechtsfolgen, aber nicht die Diskriminierung an sich.


3. Gesundheitsbezogene Leistungen

Geschlechtergerechte medizinische Versorgung

Der djb hat in seinen Forderungen zur Gesundheitsreform vom 9.4.2003 (auf der homepage des djb) moniert, dass die Standards der medizinischen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung primär an Männern orientiert sind, der Bedarf von Frauen im Wesentlichen unerforscht ist, und eine Ergänzung des § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V um das Prinzip der Geschlechtergerechtigkeit gefordert. Gleiches gilt für die private Krankenversicherung.


4. Beschäftigung (Werk- und Dienstverträge)

Der Bereich der selbständigen Beschäftigung ist in der Gleichbehandlungsrichtlinie 2002/73/EG, der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG und schon in der Richtlinie 86/613/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, geregelt. In der Bundesrepublik fehlt eine Umsetzung, die §§ 611 a BGB ff gelten nur für Arbeitsverhältnisse. Der Trend der Unternehmen, statt Arbeitsverhältnissen freie Mitarbeiterverträge anzubieten, und auch die gesetzlichen Anreize zur Gründung einer Ich-AG machen Diskriminierungsverbote für diese Beschäftigungsarten erforderlich.


II. Rechtsfolgen

Bei der Umsetzung ist unbedingt darauf zu achten, dass die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend gestaltet werden, wie es alle drei Antidiskriminierungsrichtlinien vorschreiben. § 611 a BGB ist nur bedingt als Beispiel geeignet, da er einen Erfüllungsanspruch ausschließt. Für private Anbieter mag dies vertretbar sein, nicht aber für marktmächtige Unternehmen. Für Schadensersatzansprüche sollte eine Mindesthöhe vorgesehen werden. Die alleinige Bindung an ein gerichtliches Ermessen hat schon im Arbeitsrecht zu z.T. lächerlich geringen Beträgen geführt. Für Mehrfachdiskriminierungen ist ein erhöhter Schadensersatz vorzusehen.

Auch die arbeitsrechtliche Beweislastregelung ist unbefriedigend. Eine Beweislastumkehr wie in § 2 Abs. 2 Satz 3 Arbeitsplatzschutzgesetz ist vorzuziehen.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die RL 2000/43/EG die Einrichtung einer nationalen Stelle fordert, die die ihr in Art. 13 zugewiesenen Aufgaben unabhängig wahrnehmen kann. Darüber hinaus ist eine effektive Ausgestaltung der Verbandsklage zur Bekämpfung struktureller Diskriminierungen erforderlich.



Berlin, 15. April 2003

Ingrid Weber
Vorsitzende der Kommission
Arbeits-, Gleichstellungs und Wirtschaftsrecht