Stellungnahme: 02-06


zum Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 (Kinderschutzübereinkommen)

Stellungnahme vom

Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung (KOM 2001 505 end vom 6. September 2001)
Entwurf einer Verordnung des Rates über die gegenseitige Vollstreckung von Entscheidungen über das Umgangsrecht



Der Deutsche Juristinnenbund (djb) bedankt sich für die Möglichkeit, zu den Entwürfen der Kommission und des Rates zur Umsetzung des Haager Übereinkommens vom 19. Oktober Stellung nehmen zu können.


Zu Ziff. I Ihres Schreibens
Es ist für uns nicht recht ersichtlich, warum von der EU eine Verordnung entwickelt werden soll, die Teile der Regelung des KSÜ übernimmt, andere aber nicht.
Das KSÜ ist unter Beteiligung aller Staaten der EU nach jahrelangen gründlichen Verhandlungen zustande gekommen. Unseres Erachtens wäre es im Interesse der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Abgrenzungsproblemen besser, das KSÜ insgesamt zu übernehmen, wobei zusätzliche Regelungen, die nur die Durchführung im EU Bereich betreffen, im Verordnungswege getroffen werden könnten.


Zu II. a)
Hier zeigt sich bereits die Unklarheit im Kommissionsvorschlag, wie Sie auch in Ihrem Schreiben betonen. Der Begriff elterliche Verantwortung umfasst einen weiten, kaum eingrenzbaren Bereich. Er erfasst die umfangreiche Begriffsbestimmung von Art. 3 KSÜ, ebenso wie die dort in Art. 4 ausgeschlossenen Fälle des At. 4 a), b), d). Die Übernahme der Definition des Art. 3 KSÜ würde Klarheit schaffen.
Wenn man so, wie von Ihnen erwogen, den Anwendungsbereich der EU Rechtsakte enger fassen würde, hätte man wiederum nur ein Stückwerk erreicht.


Zu II, 1 b)
Regelung zur Kindesentführung

Wir stimmen dem Vorschlag der deutschen Delegation zu.
Wir halten es für sehr bedenklich, die Anwendung des Art. 13 HKÜ innerhalb der EU auszuschließen. Dies hat formale und inhaltliche Gründe:
Aus formaler Sicht ist dazu zu sagen, dass die einzelnen EU Staaten das von 1980 stammende HKÜ bereits ratifiziert haben und es entsprechend anwenden. Sollte hier nun wieder eine grundsätzliche Veränderung erfolgen, so würde das für die betreffenden Behörden und Gerichte, die ohnehin oft überfordert sind mit der Anwendung internationaler Übereinkommen, zusätzliche Unsicherheit schaffen.


Zum Inhaltlichen
Zunächst stellt Art. 13 a) sicher, dass die Rückgabe nicht erfolgen muß, wenn nachgewiesen wird, dass die Person oder Behörde, der das Sorgerecht zustand, dieses zur Zeit der Entführung gar nicht ausgeübt hat. Zwar wird die tatsächliche Ausübung auch in der Verordnung bei der Definition der Entführung miterwähnt, es bedarf aber eines eindeutigen Instrumentariums, um diesen evt. Mangel im Verfahren geltend zu machen. Sehr bedenklich ist in diesem Zusammenhang auch der Wortlaut der Verordnung (Anlage 1) in Art. 5 Nr. 3, daß das Kind "an den Mitgliedstaat", aus dem es entführt wurde, zurückzugeben sei. Selbstverständlich ist das Kind nicht ein "Staatseigentum", sondern es geht ausschließlich darum, es zum Sorgeberechtigten zurückzuführen.
Auch die weitere Regelung in Art. 13 a) HKÜ ist in der VO nicht genügend berücksichtigt, dass nämlich der Sorgeberechtigte inzwischen den Aufenthaltswechsel des Kindes genehmigt haben könnte. Dieser Fall ist in der Praxis sehr häufig, wie ich aus meiner langjährigen Tätigkeit als Direktorin der deutschen Zweigstelle des Internationalen Sozialdienstes, der diese Fälle bearbeitet hat, bestätigen kann.
Der weitere wichtige Punkt in Art. 13 HKÜ ist die Regelung in b), dass die Rückgabe abgelehnt werden kann, wenn hiermit eine schwerwiegende Gefahr für das Kind verbunden ist.
Die VO, ebenso wie das HKÜ, haben den Sinn und Zweck, das Wohl des Kindes sicherzustellen und die Rechte der Eltern zu schützen. Es gibt Fälle, in denen z.B. eine Trennung des Kleinkindes von der entführenden Mutter zu einer schweren Gefährdung für das Kind führen würde, wenn nicht sichergestellt wird, dass die Mutter des Kind begleiten kann. Auch gibt es Fälle, in denen das Kind in eine es gefährdende Situation kommen könnte, z.B. wenn der Sorgeberechtigte im Herkunftsland, zu dem das Kind zurückgeführt werden soll, das Kind schwer misshandelt oder missbraucht hatte. Die Gefahr, dass eine solche Ausnahmeregelung überstrapaziert werden könnte, darf nicht dazu führen, sie zum Schaden des Kindes ganz zu streichen.
Insgesamt kann man sich zu diesem Thema des Eindrucks nicht erwehren, dass oft von der Vorstellung ausgegangen wird, mit der Rückführung des Kindes in das Land des g.A. seien die Probleme gelöst, obwohl es ja nur darum geht, eine wohldurchdachte Sorgerechtsentscheidung im Herkunftsstaat zu ermöglichen.


Zu Art. 9 der Verordnung
Wir verstehen diesen so, dass er eine Generalklausel enthält, die sich nicht nur auf die Entführungsfälle bezieht, sondern auf alle Fälle, in denen im Land des schlichten Aufenthalts der Bedarf für eine Schutzmaßnahme für das Kind auftritt.
Die Notwendigkeit einer solchen generellen Regelung besteht und ist auch im KSÜ so vorgesehen. In den Entführungsfällen besteht aber die Gefahr, dass hier eine weite Auslegung erfolgt, während Art. 13 b) HKÜ gerade den Sinn hatte, die Rückgabe des Kindes nur dann verweigern zu dürfen, wenn ihm durch die Rückgabe eine schwere Gefährdung drohen würde.
Auch scheinen sich hier weitere formale Probleme abzuzeichnen:
Die Maßnahme des Gerichts soll von beschränkter Dauer sein. Das Gericht im Aufenthaltsstaat soll, – was im Wortlaut deutlich werden sollte –, dem Sorgeberechtigten im Herkunftsland eine – höchstens 4-wöchige – Frist setzen, innerhalb derer er das in der Hauptsache zuständige Gericht anrufen soll. Der Sorgeberechtigte wird u.U. Schwierigkeiten haben, diese Frist einzuhalten (Anwaltssuche etc.). Die Folge ist dann also, dass die Maßnahme bestehen bleibt. Wenn das Gericht seine Verpflichtung erfüllt hat, die Frist zu setzen, bleibt die Maßnahme ohnehin bestehen, bis gegebenenfalls im Herkunftsstaat eine Entscheidung getroffen wird.
Insgesamt ergibt sich hier ein schwächerer Schutz des Sorgeberechtigten im Herkunftsland als nach Art. 13 HKÜ.
Der Vorschlag der deutschen Delegation lehnt sich richtigerweise an Art. 13 HKÜ an. Es ist auch richtig, klarzustellen, dass die endgültige Sorgerechtsentscheidung Vorrang hat vor der Rückgabeentscheidung. Das kann in der Praxis relevant werden in Fällen, in denen der Staat des Herkunftslandes seine Verantwortung wahrnimmt, schnellstmöglich eine Entscheidung über das Sorgerecht zu treffen, insbesondere dann, wenn diese in die Richtung geht, dass das Kind bei dem entführenden Elternteil an dem Ort des neuen Aufenthalts verbleiben soll, weil dies seinem Wohl am besten entspricht. Die oftmals für das Kind sehr belastende Situation einer zwangsweisen Rückführung könnte dadurch verhindert werden.


Zum deutschen Vorschlag über die Zusammenarbeit
Dieser Artikel berücksichtigt zu Recht das Bedürfnis der zentralen Behörde eines Landes informiert zu werden über die Maßnahmen, die ein Gericht dieses Landes für erforderlich hält.
Der Inhalt dieses Artikels ist allerdings nicht ganz klar: ist die zentrale Behörde des Staates, in den entführt wurde, gemeint, oder die zentrale Behörde bzw. das zuständige Gericht im Staat des g.A.?


Zu II., 2
Zu Anlage 2, Verordnung über die Vollstreckung von Umgangsrechtsentscheidungen

Zunächst stellt sich die Frage, wie die EU in bezug auf eine künftige Ratifizierung der neuen, unter Beteiligung aller Länder der EU zustande gekommenen Konvention des Europarats über den Umgang mit Kindern entscheiden will. Diese Konvention befasst sich nicht mit der Vollstreckung von Umgangsrechtsentscheidungen. Insofern könnte die hier geplante VO eine Ergänzung sein, die das Verfahren für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Umgangsentscheidungen regelt im Einklang mit der Konvention.
Bisher jedoch wird im Verordnungsentwurf hierauf kein Bezug genommen. U.E. würde es das Gesetzgebungsverfahren innerhalb der EU sehr erleichtern, wenn eine diesbezügliche Entscheidung mitvorbereitet und dann ein im ganzen stimmiger Entwurf vorgelegt würde. Damit könnte sich auch das Problem der Einhaltung von Mindeststandards erledigen, weil diese durch ein Verfahren nach der Europaratskonvention bereits abgesichert wären.
Zu begrüßen ist die in der Verordnung vorgesehene internationale Zusammenarbeit von Zentralstellen, wie sie auch für den Umgangsbereich immer wieder von der Praxis gefordert wurde. Eine von deren wichtigsten Aufgaben ist die Sicherstellung der Rückkehr des Kindes nach dem Ende der Besuchszeit. Hier liegt das Hauptproblem, warum Sorgeberechtigte den Umgang mit dem Umgangsberechtigen oft erschweren. Die sorgfältig ausgearbeiteten Instrumente um die Rückkehr sicherzustellen, wie sie in der Europaratskonvention vorgesehen sind, z. B. die im englischen Recht vorgesehenen "undertakings", könnten hier sehr hilfreich sein.
Wir würden es bevorzugen, zu einem späteren Zeitpunkt zu der VO noch einmal Stellung nehmen zu können, wenn diese Vorfrage geklärt ist, wenn der Anwendungsbereich definiert ist und wenn bestimmte Fragestellungen sich herauskristallisiert haben.
Zum hier entworfenen Art. 1 fällt auf, dass die VO beschränkt ist auf Entscheidungen über den Umgang zwischen Eltern. Nicht erfasst sind Umgangsentscheidungen zugunsten von Eltern, deren Kind fremduntergebracht ist in Familien- o. Heimpflege. Auch an eine mögliche Entscheidung, die den Anspruch des Kindes auf Umgang mit einem Elternteil zum Gegenstand hat ist hierbei offenbar nicht gedacht (s. hierzu der Anspruch des Kindes, wie er in Art. 9 der Kinderrechtekonvention der UN normiert ist, die sämtliche Mitgliedstaaten der EU ratifiziert haben). Auch ein Besuchsrecht weiterer, dem Kind nahestehender Personen, wie es die materiellen Rechte mehrerer EU Staaten vorsehen, ist nicht erfasst. Freilich kann man sich hierbei die Frage stellen, ob es sachgerecht ist, eine solche Entscheidung international zu vollstrecken, da die Familienrechte der EU Länder hierzu erhebliche Unterschiede im materiellen Recht aufweisen. Auch hierzu hat die Europaratskonvention eine Lösung gefunden, indem in diesem Zusammenhang das Kindeswohl einer besonderen Prüfung bedarf.


Wir sind dankbar, wenn Sie uns über die weitere Entwicklung zu dem gesamten, für die internationale Zusammenarbeit im Bereich des Familienrechts sehr wichtigen Thema auf dem laufenden halten.


Margret Diwell
Präsidentin

Sabine Heinke
Vorsitzende der Kommission
Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften

Ingrid Baer
Direktorin des Internationalen Sozialdienstes i.R.
Mitglied der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften