Stellungnahme: 01-14


zum Konzept der Familienoffensive der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (im Rahmen der fraktionsoffenen Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 31.05.2001)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) bedankt sich für die Einladung zu der heutigen Anhörung und für die Gelegenheit, zu den Fragen der Familienförderung Stellung nehmen zu können.
Die finanzielle Situation von Familien ist sicher angespannt, vielfach so beengt, dass nötige Bedürfnisse nicht gedeckt werden können. Wir möchten schon hier darauf hinweisen, dass nicht die materielle Enge als solche allein die Probleme verursacht. Auch die Struktur dieser Probleme muss beachtet werden. Die materielle Situation vieler Familien wird durch eine sehr weitgehende Verschuldung noch zusätzlich beeinträchtigt; die prekärste Situation findet sich im übrigen bei Ein-Eltern-Familien, also Alleinerziehenden, bei denen die Sozialhilfequote besonders hoch ist, wobei die alleinerziehenden Eltern vorwiegend Frauen sind.
Staatliche Transferleistungen sind sicher eine wichtige Möglichkeit, um die wirtschaftliche Situation der Familien zu verbessern. Unserer Auffassung nach ist allerdings eine nachhaltige Sicherung der materiellen Lage der Familien nicht allein und auch nicht vorrangig über staatliche Transferleistungen zu erreichen, sondern vorrangig über eine autonome wirtschaftliche Absicherung der Familien, die nur darüber erreicht werden kann, dass Kinderbetreuung und Berufstätigkeit besser vereinbar werden. Nur eine solche bessere Vereinbarkeit gewährt Familien auch die Freiheit, die Verteilung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit nach den jeweiligen Bedürfnissen individuell zu regeln.
Aus unserer Sicht ist dieses Ziel nicht dadurch zu erreichen, dass die Arbeitswelt familien-freundlicher gestaltet wird. Diese Versuche sollte man als gescheitert abbuchen. Die Arbeitswelt ist ein Markt; die Bedingungen richten sich nach Angebot und Nachfrage. Die Bereitschaft zu familienbedingter Rücksichtnahme wird immer konjunkturabhängig sein. Kinderbedingte Beschränkungen in der zeitlichen und örtlichen Mobilität sind Verwertungseinschränkungen der Ware Arbeitskraft. Solange überwiegend Frauen die Kinder betreuen, wie das in der Bundesrepublik nun einmal nach wie vor üblich ist, werden daher alle Versuche, die Arbeitswelt auf Frauen- und Kindererfordernisse einzurichten, sich als Berufszugangsschranken und Karrierehindernisse für Frauen erweisen und Frauen mittelbar diskriminieren. Diese Wirkungen werden nur dann entfallen, wenn die Betreuung von Kindern keine oder nur noch geringe Auswirkungen auf die Verfügbarkeit der weiblichen Arbeitskraft haben. Dies wird nur dadurch zu erreichen sein, dass Frauen die Betreuung von Kindern zuverlässig abgeben können, wenn sie dies wünschen, und dass sie dabei unterstützt werden, die Kosten der Kinderbetreuung aufzubringen.
Daher ist nach unserer Auffassung der Schwerpunkt der Familienförderung eher dort zu sehen, wo es um die zuverlässige Betreuung von Kindern und um eine Entlastung in Bezug auf die dafür entstehenden Kosten geht. Das Angebot an Kindergärten und Horten ist nach wie vor defizitär und die zeitliche Strukturierung unserer Schulen ist schlicht ein Skandal. Hier müssen die Angebote dringend verändert und verbessert werden. Das beginnt mit einer einheitlichen und nicht ständig wechselnden zeitlichen Aufenthaltsdauer der Kinder in der Schule. Soweit sie durch den Unterricht selbst nicht bedingt ist, müsste hier ein zur Schule gehörender Hort die Freistunden abdecken. Zu den pädagogischen Einzelheiten werden sicher andere Vereinigungen spezifischere Vorstellungen entwickeln können.
Vor allem müssen die Familien deutliche Entlastung erfahren bei den durch die Betreuung der Kinder entstehenden Kosten. Dass in vielen Fällen die Kosten für die Betreuung mehrerer Kinder letztlich das von der Mutter erzielte Einkommen auffressen, dürfte kaum zur nachhaltigen Sicherung der materiellen Existenz von Familien beitragen. Hier müssen die steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten deutlich erweitert werden; die gestern verabschiedeten gesetzlichen Veränderungen reichen hierzu ebenfalls nicht aus.
Und schließlich sollten auch die demotivierenden Auswirkungen der Steuertarifgestaltung nicht unterschätzt werden; das Splittingverfahren in seiner heute praktizierten Form stellt entgegen seiner Etikettierung ebenfalls eine mittelbare Diskriminierung der verheirateten, erwerbstätigen Mutter dar. Die steuerliche Förderung vorrangig der Ehe und nicht der Kindererziehung als solcher, in welcher Familienform auch immer, erscheint uns nach wie vor als fehlgeleitete Subvention.
Sicher kann niemand etwas dagegen haben, dass Kinder nicht von Sozialhilfe abhängig sind. Dieses isoliert zu fördern, scheint uns allerdings nicht der richtige Ansatz zu sein. Kinder teilen die materielle Situation ihrer Eltern. An der grundsätzlichen Bedürftigkeit von Familien wird sich nichts ändern, wenn zwar die Kinder persönlich wegen bedarfsdeckender staatlicher Transferleistungen nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen sind, ihre alleinerziehenden Mütter beispielsweise allerdings sehr wohl noch Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, weil sie wegen der fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeit nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig sein können. Im übrigen bereitet es immer Probleme, wenn die "Einkünfte" der Kinder höher sind als die ihrer Eltern; das ist aus dem Unterhaltsrecht hinlänglich bekannt.
Wir glauben nicht, dass die Gewährung eines Familiengeldes die bestehenden materiellen Probleme von Familien und vor allem Frauen nachhaltig lösen kann. Finanzielle Mittel allein sind hierfür nicht ausreichend. Die Erfahrungen mit dem Erziehungsgeld haben gezeigt, dass hier vor allem Frauen veranlasst werden, ihre Erwerbstätigkeit zumindest vorübergehend einzustellen und damit ihre eigene materielle Absicherung zu vernachlässigen, was sich insbesondere negativ auswirkt, wenn die Ehe/Beziehung scheitert und die Frau zur Alleinerziehenden wird, ein heute ja durchaus übliches Risiko.
Die vorgeschlagene Leistung entspräche in den ersten drei Jahren der Summe aus Kinderexistenzminimum und Erziehungsgeld, also dem Betreuungsbedarf, ab dem vierten Lebensjahr des Kindes schon nicht mehr der Summe aus sächlichem Existenzminimum und den Kosten der Kinderbetreuung; sie dürfte damit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht genügen, wenn nicht für den Betreuungsaufwand gesonderte Entlastung erfolgt. Beim volljährigen, noch in der Ausbildung befindlichen Kind ergeben sich im Vergleich zu der gegenwärtigen Kindergeldregelung keine Unterschiede mehr; soweit das Existenzminimum des Kindes hierdurch nicht abgedeckt ist - und davon ist auszugehen - stellt auch hier die Gewährung des Familiengeldes in der vorgeschlagenen Höhe allein keine ausreichende staatliche Entlastung der Eltern dar.
Uns ist noch nicht klar, wem eigentlich das vorgeschlagene Familiengeld zustehen soll. Grundsätzlich sollte die tatsächlich betreuende Person die allein Bezugsberechtigte sein; die Vermischung von kindbezogenem und betreuungsbezogenem Anteil scheint uns mit Rücksicht auf zivilrechtliche Unterhaltsansprüche im übrigen noch problematisch zu sein. Hier gibt es noch Klärungsbedarf.
Sicher wäre die Einkommensunabhängigkeit der vorgeschlagenen Leistung ein Anreiz dafür, dass Frauen auch weiterhin erwerbstätig bleiben; die Sozialabgabenfreiheit führt letztlich dazu, dass - von den Erziehungszeiten in der Rente abgesehen - Frauen keine eigenen Versorgungsanrechte erwerben, weiterhin in der Krankenversicherung des Mannes familienversichert bleiben und keine eigenen Beiträge entrichten, wenn sie nicht berufstätig bleiben. Dass staatliche Transferleistungen steuerfrei sind, ist üblich; dass ihr Bezug die Gesamtsteuerlast der Familie (kein Progressionsvorbehalt) nicht erhöhen sollte, scheint naheliegend zu sein.

 

Prof. Dr. Ursula Nelles
1. Vorsitzende

Sabine Heinke
Vorsitzende der Kommission Familienrecht