Stellungnahme: 01-13


zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Personenstandsgesetzes (BT-Drs. 14/4425)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) möchte sowohl aus rechtlichen wie tatsächlichen Gründen Bedenken gegen die geplante Änderung des Personenstandsgesetzes anmelden. Aus unserer Sicht stehen den erhofften, aber in keiner Weise durch Forschung oder statistische Daten erhärteten Wirkungen der geplanten Änderung erhebliche Probleme gegenüber, die sich durch die Ausdehnung der Anmeldefristen für Geburten und die letztlich vom Gesetzgeber eröffnete Möglichkeit zur Fälschung von Personenstandsregistern ergeben werden. Diese können nur vermieden werden, wenn im Bereich der Schwangerenversorgung überhaupt, der Jugendhilfe und der Adoptionsvermittlung flankierende Maßnahmen vorgesehen werden, die sicherstellen, dass die vorgeblichen Ausnahmefälle auch Ausnahmefälle bleiben. Allein anhand der Zufälligkeiten eines einzelnen Modellprojekts kann die gesetzliche Regelung nicht ausgestaltet werden, denn die Zugangsbedingungen von Schwangeren in Not zu Unterstützung und Hilfe sind vielfältig und nicht vorhersehbar, die Verknüpfung verschiedener notwendiger Beratungs- und Hilfeschritte wird durch die vorgesehene Änderung allein von Ordnungsbestimmungen keineswegs sichergestellt. Mit der gegenwärtig vorgesehenen Neuregelung würde im übrigen die behauptete Anonymität nicht hergestellt, die wünschenswerte medizinische Versorgung der Schwangeren bei der Entbindung nicht bewirkt und es wird auch nicht wirksam verhindert, dass das zunächst nicht registrierte Kind auf dem grauen Adoptionsmarkt verschwindet und als leibliches Kind tatsächlich fremder Eltern dann letztlich im Geburtenregister eingetragen werden wird. Vor allem aber erscheint uns eine für immer unaufhebbare Anonymität der abgebenden Mutter auch und gerade im Interesse des Kindes nicht erforderlich und daher auch rechtlich nicht zulässig zu sein.

1.   Zielbestimmung der vorgesehenen Neuregelung
Ziel des der geplanten Gesetzesänderung ist es, "geheime Geburten, Aussetzung oder gar Tötung von Neugeborenen" dadurch zu verhindern, dass "Mütter in einer Konfliktsituation sich an eine besonders dafür geeignete Schwangerenberatungsstelle wenden, gleichzeitig aber zunächst anonym bleiben können" (BT-Drs. 14/4425, S. 1). Hierzu ist vorgesehen, dass § 16 PStG um einen Satz 3 erweitert wird, der die Anzeigefrist auf zehn Wochen verlängert unter der Voraussetzung, dass "die Mutter von einer staatlich anerkannten Schwangerenberatungsstelle betreut" wird, und ferner § 17 Abs. 1 PStG um einen Satz 3 erweitert wird, der die Anzeigepflicht der Schwangerenberatungsstelle überträgt unter der Voraussetzung, dass "die Mutter von einer staatlich anerkannten Schwangerenberatungsstelle betreut [wird], die mit Hilfe eigener Dienste und Angebote unmittelbar die Betreuung, Versorgung und ggf. die rechtliche Vertretung des Kindes gewährleisten kann, und ... die Geburt nicht innerhalb einer Woche angezeigt" wird.

2.   Relevante Bestimmungen des PStG
Zur Verdeutlichung des Kontextes seien zunächst die betroffenen Bestimmungen des Personenstandsgesetzes im vollen Wortlaut zitiert:

§ 16     Anzeigepflicht
Die Geburt eines Kindes muss dem Standesbeamten, in dessen Bezirk es geboren ist, binnen einer Woche angezeigt werden. Ist ein Kind totgeboren oder in der Geburt verstorben, so muss die Anzeige spätestens am folgenden Werktag erstattet werden.

§ 17     Reihenfolge der Verpflichteten
(1) Zur Anzeige sind, und zwar in nachstehender Reihenfolge, verpflichtet
1. der Vater des Kindes, wenn er Mitinhaber der elterlichen Sorge ist,
2. die Hebamme, die bei der Geburt zugegen war,
3. der Arzt, der dabei zugegen war,
4. jede andere Person, die dabei zugegen war oder von der Geburt aus eigener Wissenschaft unterrichtet ist,
5. die Mutter, sobald sie dazu imstande ist.
Eine Anzeigepflicht besteht nur, wenn eine in der Reihenfolge früher genannte Person nicht vorhanden oder an der Anzeige verhindert ist.
(2) Die Anzeige ist mündlich zu erstatten.

§ 18     Anzeigepflicht bei Geburten in Anstalten
(1) Bei Geburten in öffentlichen Entbindungs-, Hebammen-, Kranken- und ähnlichen Anstalten trifft die Verpflichtung zur Anzeige ausschließlich den Leiter der Anstalt oder den von der zuständigen Behörde ermächtigten Beamten oder Angestellten.
(2) Das gleiche gilt für Geburten in öffentlichen Heil-, Pflege- und Entziehungsanstalten, in Gefangenenanstalten, Einrichtungen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe und Anstalten, in denen eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird.
(3) ...
(4) ...

§ 21     Eintragungen
(1) In das Geburtenbuch werden eingetragen
1. die Vor- und Familiennamen der Eltern, ihr Beruf und Wohnort, im Falle ihres Einverständnisses ihre rechtliche Zugehörigkeit oder ihre Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche, Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft sowie ihre Staatsangehörigkeit, wenn sie nicht Deutsche sind und ihre ausländische Staatsangehörigkeit nachgewiesen ist,
2. Ort, Tag und Stunde der Geburt,
3. Geschlecht des Kindes,
4. die Vornamen und der Familienname des Kindes,
5. Vor- und Familienname des Anzeigenden, sein Beruf und Wohnort.

3.   Dogmatische Bewertung des Gesetzentwurfs
So, wie der an § 17 Abs. 1 anzuhängende Satz 3 formuliert ist, soll damit die Anzeigepflicht der in Nr. 1 bis 3 der Vorschrift genannten Personen nicht beseitigt werden. Demnach besteht die Pflicht dieser Personen weiter, d.h. wenn sie ihr nicht nachkommen, können sie durch Zwangsgeld dazu angehalten werden (§ 69 PStG). Zugleich begehen sie damit eine Ordnungswidrigkeit (§ 68 PStG).
Nun soll sich nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfs auch die Meldefrist auch für die in § 17 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 genannten Personen auf zehn Wochen verlängern, wenn die Voraussetzung des an § 16 anzuhängenden Satzes vorliegt (Beratung der Schwangeren/Mutter durch eine staatlich anerkannte und nach § 17 Abs. 1 S. 3 Entwurf qualifizierte Schwangerenberatungsstelle - letztlich eine solche nach § 219 StGB).
Es ist nicht erkennbar, wie die übrigen und nach § 17 Abs. 1 S. 2 vorrangig meldepflichtigen Personen davon Kenntnis erlangen sollen, dass die ihnen obliegende Meldung nicht innerhalb einer Woche, sondern ausnahmsweise erst innerhalb von 10 Wochen erfolgen muss. Ein Widerspruch bleibt, dass der Gesetzentwurf zwar unter den genannten Voraussetzungen die Anzeigefrist von einer auf zehn Wochen verlängern will, aber die Anzeigepflicht der primär oder allein Verpflichteten nicht ausdrücklich verlängert. Das zumindest muss aus dem Halbsatz in § 17 Abs. 1 S. 3 Entwurf "und wird die Geburt nicht innerhalb einer Woche angezeigt (§ 16 Satz 1)" geschlossen werden.

Zwar stimmt es wohl, dass die Frauen, auf die der Gesetzentwurf zielt, regelmäßig weder einen Arzt noch eine Hebamme zur Geburt hinzuziehen. Es bleiben aber die Verpflichtungen nach § 17 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1. Bei verheirateten Frauen trifft den Ehemann als allerersten die Anzeigepflicht, und zwar unabhängig davon, ob er der leibliche Vater ist oder nicht (Reinhard Hepting / Berhold Gaaz, Personenstandsrecht mit Eherecht und internationalem Privatrecht: Kommentar [Loseblattsammlung, Stand: 36. Lieferung, 2000), Frankfurt am Main / Berlin: Verlag für Standesamtswesen, 2000, Rdnr. 5 zu § 17 PStG). Bei unverheirateten Frauen trifft den Partner nur dann die Anzeigepflicht, wenn durch Abgabe übereinstimmender Sorgeerklärungen bereits dessen Sorgerecht für das werdende bzw. neugeborene Kind begründet worden ist; dies dürfte in den fraglichen Fällen eher nicht vorkommen, ist aber auch nicht auszuschließen.
Ebenfalls zwar unwahrscheinlich, aber nicht ganz auszuschließen ist, dass die Geburt in einer Entbindungs-, Hebammen-, Kranken- oder ähnlichen Anstalt erfolgt. Wenn es sich dabei um eine öffentlich-rechtliche Anstalt handelt, "trifft die Verpflichtung zur Anzeige ausschließlich den Leiter der Anstalt oder den von der zuständigen Behörde ermächtigten Beamten oder Angestellten" (§ 18 Abs. 1 PStG); d.h. für die in § 17 Abs. 1 PStG genannten Personen besteht dann keine Anzeigepflicht. Dasselbe gilt, wenn die Entbindung in einer privat geführten Anstalt erfolgt, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde deren Leitung die schriftliche Anzeige gestattet hat (§ 19 PStG), sowie bei Geburten in "öffentlichen Heil-, Pflege- und Entziehungsanstalten, in Gefangenenanstalten, Einrichtungen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe und Anstalten, in denen eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird" (§ 18 Abs. 2 PStG).
Die im Entwurf vorgesehene Fristverlängerung trifft nun gerade diese Meldepflichtigen nicht, da auf § 18 und § 19 PStG kein Bezug genommen wird. Wird das Kind also doch in einer Klinik geboren, muss deren Leiter die Geburt und die abstammungsmäßige Herkunft des Kindes (§ 21 PStG) innerhalb einer Woche melden; für ihn/die Klinik soll die Fristverlängerung offenbar gerade nicht gelten.
Ferner ist zu beachten, dass die Frist für die subsidiär nach § 17 Abs. 1 Nr. 5 PStG zur Anzeige verpflichtete Mutter auch nach geltendem Recht schon nicht nur eine Woche beträgt, sondern zur Voraussetzung hat, dass die Mutter zu einer solchen Rechtshandlung imstande ist. Zwar heißt es, dass die Mutter "nach erlangter Fähigkeit ohne zwingenden Anlas nicht weiter zuwarten" darf (Hepting/Gaaz, aaO, Rdnr. zu § 17 PStG), doch kann sich daraus je nach Verfassung der Wöchnerin durchaus ein längerer Zeitraum ergeben, so dass insoweit eine Gesetzesänderung nicht notwendig erscheint.
Außerdem ist die Annahme über § 17 Abs. 1 Nr. 4 PStG, die der Gesetzentwurf in der Begründung gibt, allenfalls teilweise zutreffend, denn die Schwangerenberatungsstelle ist zur Anzeige der Geburt nicht verpflichtet. Zunächst trifft die Anzeigepflicht nach der genannten Vorschrift keine Institutionen, sondern nur natürliche Personen, da juristische Personen nicht "bei der Geburt zugegen" sein können. Die Pflicht kann also nur in Schwangerenberatungsstellen Tätige treffen. Voraussetzung ist jedoch: Anwesenheit bei der Geburt oder Unterrichtung aus eigener Wissenschaft; letzteres wird so erläutert, dass jemand "auf Grund persönlich gemachter Wahrnehmungen weiß, dass eine bestimmte Frau ein Kind geboren hat (Hepting/Gaaz, aaO, Rdnr. 9 zu § 17, als "Unterrichtung aus eigener Wissenschaft" zählt beispielsweise, wenn eine Person gewusst hat, dass die Frau schwanger war, und sie dann wenig später mit ihrem Säugling sieht (Hepting/Gaaz, wie zuvor). Wer eine Frau während ihrer Schwangerschaft beraten hat und sie danach nie wieder sieht, hat dieses Wissen nicht. Hörensagen verpflichtet nicht zur Anzeige.
Auch bedarf es keiner umfassenden Meldefristverlängerung, um eine vorübergehende Anonymität der Mutter zu erreichen (unabhängig davon, ob diese überhaupt wünschenswert, erforderlich und zulässig ist; dazu sogleich unter 4.). Es würde genügen, § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 4 PStG für einen befristeten Zeitraum von den in das Geburtenbuch einzutragenden Angaben auszunehmen, während die Tatsache und die näheren Umstände der Geburt als solcher weiterhin zeitnah zu melden wären.
Schließlich werden auch nach der vorgesehenen Änderung von den dazu Verpflichteten (nach § 17 Verpflichtete: u.U. nach 10 Wochen; nach §§ 18, 19 Verpflichtete: ausnahmslos nach einer Woche) die gem. § 21 PStG erforderlichen Daten doch gemeldet werden müssen, d.h., neben der Tatsache der Geburt, dem Ort, dem Tag und der Stunde sind dem Standesbeamten nach wie vor Vor- und Familienname des Kindes und die Daten der Kindeseltern mitzuteilen.
Durch die vorgesehene Neuregelung allein ist es auch keineswegs rechtlich sichergestellt, dass das 10 Wochen lang nicht gemeldete Neugeborene nicht zur Handelsware auf dem Adoptionsmarkt wird: die Meldefrist soll bereits dann ausgedehnt sein, wenn die Mutter von einer staatlich anerkannten Schwangerenberatungsstelle betreut wird. Diese muss (§ 17 Abs. 1 S. 3 PStG-E) keineswegs unmittelbar die Betreuung, Versorgung und ggfs. die rechtliche Vertretung des Kindes gewährleisten; es reicht aus, dass sie sie gewährleisten kann. D.h., es wird weder gefordert, dass das unregistrierte Kind sich tatsächlich in sicherer Obhut befindet, die Mutter in ihrem Aufenthaltsbestimmungsrecht wirksam eingeschränkt ist und dem Kind tatsächlich ein Pfleger oder ein Vormund bestellt worden ist und dass das Kind in der sicheren Obhut auch bleibt.
Schließlich sei darauf hingewiesen, dass eine wie im Entwurf vorgesehene und konzipierte Einrichtung, die die Schwangere/Mutter berät, daneben womöglich eine Gelegenheit für die Entbindung bereithält und finanziert, das Kind versorgt und vertritt und schließlich auch noch die Adoption vermittelt, sehr schnell zu einer Adoptivkindergewinnungsanstalt mutieren kann und das vorrangige Ziel aller Beratung und Unterstützung, nämlich die Mutter selbst zu befähigen und zu ermutigen, ihr Kind zu versorgen, letztlich nicht (mehr) verfolgen wird.

4.   Politische Überlegungen
Zu den allgemeinen Fragestellungen, die auch Gegenstand der Öffentlichen Anhörung des Innen- und des Rechtsausschusses sowie des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 30.05.2001 sind, möchten wir wie folgt Stellung nehmen:
Es fehlt völlig an verlässlichen Zahlen und an einer Erforschung des sog. Dunkelfeldes der Kindesaussetzung und -tötung. In der Presse wird eine Zahl von 40 Fällen, davon 20 tödlichen kolportiert. Eine Quelle dafür wird nicht genannt.
Die von "sternipark" Hamburg auf ihrer Homepage gesammelten presseöffentlichen Fälle der letzten 2 Jahre lassen erkennen: es gibt Mütter, die ihre Kinder zum Leben aussetzen, die sie dorthin bringen, wo sie jedenfalls gefunden werden und es gibt Mütter, die ihre Kinder zum Tode aussetzen, wenn sie sie nicht gar töten, indem sie sie als Müll entsorgen.
Es ist bislang in keiner Weise belegt, dass Schwangere, die ihr Neugeborenes zum Tode hin aussetzen, von dieser Handlung abgehalten werden könnten, wenn ihnen bei der Niederkunft in einer Klinik Anonymität zugesichert werden könnte, wobei bereits darauf hingewiesen wurde, dass die vorgeschlagene Ausdehnung der Anmeldefristen für die Geburt eines Kindes der Schwangeren/Gebärenden keine Anonymität gewährt.
Aus unserer Sicht erscheint es im übrigen höchst unwahrscheinlich, dass eine Frau, der es acht Monate lang nicht gelungen ist, ihren Schwangerschaftskonflikt zu lösen, sei es durch Schwangerschaftsabbruch in den ersten Monaten oder durch Maßnahmen, die eine Adoption des Kindes nach der Geburt vorbereiten, ausgerechnet im Moment der Geburt nun plötzlich die Initiative ergreifen, in eine Klinik gehen und das Kind dort lassen oder, nach Geburt an beliebigem Ort das Neugeborene in eine sog. Babyklappe bringen sollte. Die psychische Situation von Frauen, die eine Schwangerschaft erleiden, die sie nicht wollen, weil sie selbst und/oder ihre Umgebung ein Kind unter keinen Umständen akzeptieren werden, dürfte durch Passivität und eine Verleugnungshaltung gekennzeichnet sein, die es ihnen erlaubt, zu dem in ihrem Leib heranwachsenden Leben keine Beziehung aufzunehmen und hierfür keine Verantwortung zu verspüren. Dass sich eine solche Haltung "unter der Geburt" auflöst in den extremen Fällen, um die es hier zu gehen scheint, dürfte zu den Mütterlichkeitsmythen gehören und erscheint wenig wahrscheinlich.
Es erscheint daher auch höchst unwahrscheinlich, dass solche Frauen sich mit ihrer Schwangerschaft so weit aktiv auseinandersetzen, dass sie sich nach § 219 StGB beraten lassen und den Entschluss zum Abbruch dann nicht fassen, sich vielmehr auf einen dauerhaften Beratungsprozess einlassen, der für die zeitweise Anonymität der Neuregelung Voraussetzung sein soll. Auch dies erforderte eine aktive und verantwortliche Haltung, die solchen Frauen, bei denen es Panik-Reaktionen bei/nach der Geburt kommen könnte nicht möglich oder überhaupt fremd sein dürfte.
Schließlich ist die vorgeschlagene Regelung auch gerade nicht geeignet, Schwangeren in Not medizinische Betreuung zukommen zu lassen. Schwangerenberatungsstellen können diese nicht leisten; Hebammen und Ärzte in Kliniken werden durch die vorgeschlagene Änderung gerade nicht von ihrer Anzeigepflicht entbunden, der sie binnen Wochenfrist nachkommen müssen. Es ist nicht recht nachvollziehbar, warum bedrängten Schwangeren, die anonym entbinden wollen/sollen können, nicht dadurch geholfen wird, dass die Krankenhausleitungen von ihrer Anzeigepflicht (teilweise) entbunden werden oder dass die ihnen vorgegebene Meldefrist ausgedehnt wird. Denn wenn gerade die Meldepflicht von Krankenhäusern Schwangere davon abhält, medizinisch betreut zu entbinden, dann wäre eher hier der "richtige" Ansatz.
Der Deutsche Juristinnenbund ist allerdings der Auffassung, dass auch die vorgeschlagene Gesetzesänderung dazu Anreiz und Gelegenheit bieten wird, Kinder auszusetzen und dass es in verstärktem Maße Kinder geben wird, deren Identität niemals mehr klärbar sein wird und die gezwungen sind, zeitlebens mit einer falschen, nicht einmal nach den Personenstandsregistern aufklärbaren Identität zu leben.
Die Beratungsstelle, die ja nach den Vorstellungen des Entwurfs nicht nur die Mutter, sondern auch das Kind betreut, wird eine gewisse Zeit brauchen, um festzustellen, ob die Mutter, die das Kind in die Obhut der Einrichtung gegeben hat, sich nun beraten lassen will und wird. Keineswegs muss der Verlauf doch so sein, dass erst die Schwangere und dann erst nach der Niederkunft das Kind in der zum Säuglingsheim mutierten Beratungsstelle auftaucht. Auch wenn das Kind in der Beratungsstelle abgegeben wird, wird diese die Zehn-Wochen-Frist ausnutzen, bevor die Geburt eines Kindes ohne Namen gemeldet wird, denn es ist nicht auszuschließen, dass die Mutter sich noch meldet und sich noch beraten lässt.
Wenn es aber der Beratungsstelle gestattet ist und sein muss, zehn Wochen abzuwarten, ob die Mutter sich noch beraten lässt, bevor die Geburt eines in der Obhut der Beratungs(!)stelle sich befindenden Kindes angezeigt wird, dürfte allein dieses Zeitmoment dazu beitragen, dass in verstärktem Maße Kinder, die nicht erwünscht sind, "abgeliefert" werden, wobei in keiner Weise erkennbar und überprüfbar ist, wer aus welchen Gründen das Kind loswerden will. Vor allem kann in keiner Weise sichergestellt werden, dass die Mutter allein und aus eigenem Entschluss oder eher: Unvermögen heraus das Kind abgegeben hat, oder ob nicht vielmehr Dritte, die das Kind der Mutter weggenommen haben, das Kind abliefern. Hier sind eine ganze Reihe von Zwangsituationen denkbar, wie etwa illegale Prostitution, aber auch Inzest, der nicht folgenlos geblieben ist.
Auf die Frage, welche Auswirkungen es für einen Menschen hat, der seine Abstammung nicht kennt und auch keine Möglichkeit hat, diese jemals festzustellen, werden sicher Frau Prof. Dr. Swientek und Frau Kurek-Bender ausführlicher antworten. Die in der Frage 8. vorgenommene Abwägung stellt sich im übrigen so nicht, denn ein Mensch, der seine Abstammung klären möchte, lebt unzweifelhaft und soll mit dem erhebliche psychische Folgen zeitigenden Identitätsproblem leben müssen, während der nicht geborene oder getötete Mensch kein Identitätsproblem hat. Es ist nicht erkennbar, dass und warum einem lebenden Menschen elementare Grundrechte vorenthalten bleiben sollen. Wie bereits ausgeführt, ist bislang keinerlei Nachweis dafür erbracht, dass zwischen dem Vorenthalten der Identität und dem Entschluss der Schwangeren, die Schwangerschaft nicht zu unterbrechen und das Kind nicht auszusetzen oder zu töten, ein Kausalzusammenhang besteht. Für den schließlich geborenen Menschen wird sich die Frage nach seiner Identität und nach den Gründen, die seine Mutter zur Weggabe bestimmt haben, niemals dadurch beantworten, dass er "dafür" das Leben erhalten/behalten hat.
Grundsätzlich kann hierzu angemerkt werden, dass es in den letzten Jahrzehnten verstärkt Bemühungen gegeben hat, Adoptionen so zu gestalten, dass sowohl Abgebende wie Annehmende wie Angenommene die Möglichkeit haben, tatsächliche Abstammung und Identität auf Wunsch zu klären. Selbst die Inkognito-Adoption versperrt dem/der Angenommenen nicht den Weg, nach Erreichen der Volljährigkeit die eigene Identität feststellen zu können, und zwar mit Hilfe der zu diesem Zweck bewahrten Personenstandsurkunden (§ 61 Abs. 2 PStG). Diese Entwicklung ist allgemein als Fortschritt eingestuft worden, weil es immer deutlicher geworden ist, dass die Klärung und Kenntnis der eigenen Abstammung und familiären Zugehörigkeit offenbar zu den menschlichen Grundbedürfnissen gehört. Dies hat sich im übrigen auch in der zivilrechtlichen Rechtsprechung wie auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts niedergeschlagen. Die Adoption eines anonymen Kindes hindert sowohl Annehmende wie Angenommene daran, jemals die wirkliche Herkunft des Kindes klären zu können und wird eine unlösbare psychische Belastung für beide Seiten bedeuten. Auch die abgebende Person wird niemals mehr in der Lage sein, das Schicksal ihres Kindes nachvollziehen zu können, was ebenfalls eine dauerhafte Last ist.
Nach unserer Auffassung stehen jedenfalls Art. 7 und 8 UN-Kinderkonvention der Ermöglichung für immer unaufklärbarer anonymer Geburten entgegen. Auch das Grundgesetz, hier Art. 1 und 2 GG erfordern als Teil der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts die Kenntnis der eigenen Identität und Abstammung als Grundlage eines menschenwürdigen Lebens. Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte, die unter dem Aspekt des Lebensschutzes angeblich weit greifen können, vermögen aber nicht zu rechtfertigen, einer auch nur kleinen Gruppe von Menschen das Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Identität und Abstammung vorzuenthalten, sie der dauerhaften Lüge und Ungewissheit auszusetzen. In Anbetracht der nicht geklärten Kausalität zwischen - durch den Gesetzentwurf nicht erreichter - Anonymität und dem Leben der betreffenden Kinder sollten geringer wirkende Eingriffe in deren Grundrechte erwogen werden, wie etwa eine gesetzlich vorgesehene und datenschutzrechtlich abgesicherte Vertraulichkeit in Bezug auf die Meldung der Geburt und der Personalien des Kindes. Derartige Möglichkeiten, die nicht vollständigen Identitätsverlust beinhalten und sowohl Kind wie abgebender Mutter die Möglichkeit zur Aufdeckung erhalten, womöglich auch noch unter dem Vorbehalt beiderseitigen Einverständnisses, sollten vorrangig erwogen werden. Dies zeigen auch die im Ausland, insbesondere in Frankreich gemachten Erfahrungen.

 

Prof. Dr. Ursula Nelles
1. Vorsitzende

Sabine Heinke
Vorsitzende der Kommission
Familienrecht