Stellungnahme: 01-09


zu dem Verfahren vor dem BVerfG 1 BvR 1493/96 (Umgangsrecht des biologischen Vaters mit dem als ehelich geltenden Kind)

Stellungnahme vom

www.bundesverfassungsgericht.de/

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme in dem vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren und äußert sich zu den Rügen des Beschwerdeführers und der Rechtslage wie folgt:


Die Verfassungsbeschwerde richtet sich

1. gegen den Beschluss des AG Köln vom 25.01.1994, durch den der Antrag des Beschwerdeführers, des biologischen Vaters eines (offenbar im März 1989) ehelich geborenen und nach dem Vortrag des Beschwerdeführers jedenfalls seit 1992 wieder mit der Mutter und deren Ehemann, seinem ehelichen Vater, zusammen lebenden Kindes, auf Umgangsregelung zurückgewiesen und dem Beschwerdeführer aufgegeben wurde, sich nicht in unmittelbarer Umgebung der jeweiligen Wohnung des Kindes aufzuhalten bzw. alle beabsichtigten und auch auf zufälligen Treffen mit dem Kind zu vermeiden bzw. ihm nicht gar aufzulauern;

2. gegen den Beschluss des LG Köln vom 05.09.1995, der die Beschwerde zurückgewiesen hat;

3. gegen den die weitere Beschwerde als unzulässig verwerfenden Beschluss des OLG Köln vom 14.05.1996.


Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 1, 2 I, 3 I und II, 6 I, II und III, 19 IV, 20 III und 103 I GG i.V.m. Art. 6, 8, 14 EMRK. Er erhebt die Verfassungsbeschwerde auch „im Namen und im Interesse„ seiner minderjährigen Tochter wegen Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6 I, Art. 1 I i.V.m. 2 I GG. Er macht geltend, er habe das Kind im 7. Lebensmonat kennen gelernt und seit Mitte Oktober 1989 eine enge und intensive emotionale Beziehung zu ihm aufgebaut. Sowohl habe sich die Mutter mit dem Kind mindestens zweimal pro Woche im Haushalt des Beschwerdeführers aufgehalten, von November 1990 bis März 1991 habe er das Kind zweimal wöchentlich ganztägig, ab Mitte 1990 tagsüber regelmäßig betreut. Ab März 1991 habe die Mutter die Kontakte mit dem Kind eingeschränkt und am Geburtstag des Kindes 1993 ganz untersagt.


I. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde:

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie auch für das Kind eingelegt worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat zwar jeder, der sich als Sachwalter des Kindes fühlt, die Möglichkeit, die Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde anzuregen. Vertretungsberechtigt können dabei auch Personen sein, die für einen nicht unerheblichen Zeitraum das Sorgerecht tatsächlich ausgeübt haben (BVerfGE 72, 122/132ff). Mit dieser Entscheidung sollte aber erreicht werden, dass im Falle eines Konflikts zwischen Kindeswohl und Elterninteressen die Beachtung des Kindeswohls durch die Fachgerichtsbarkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren überprüft werden kann. (Walter, FamRZ 2001, S. 1 ff). Dieser Konstruktion bedurfte es im vorliegenden Verfahren nicht: Es geht nicht um einen Konflikt zwischen Kind und Eltern und die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Entscheidungen ist schon durch die Einlegung der Verfassungsbeschwerde seitens des Beschwerdeführers vollumfänglich möglich.


2. Im übrigen dürfte die Verfassungsbeschwerde zulässig sein. Der Rechtsweg ist erschöpft; dass die im FGG-Verfahren ergangenen Anordnungen nicht in materieller Rechtskraft erwachsen und gem. § 1696 BGB jederzeit abgeändert werden können, schließt die Verfassungsbeschwerde nicht aus. Ebensowenig steht eine gegen die Verwerfung der weiteren Beschwerde u.U. mögliche Gegenvorstellung der Verfassungsbeschwerde entgegen. Zwar könnte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das OLG anzunehmen sein, da dessen Entscheidung sich mit der Zulässigkeit der weiteren Beschwerde auch insoweit nicht befasst, als sie sich gegen das auf § 1666 BGB gestützte Näherungsverbot richtet. Beim gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung der Fachgerichte kann ein Beschwerdeführer jedoch nicht auf den Rechtsbehelf der Gegenvorstellung verwiesen werden (BVerfGE 73, 329). Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Grundrechtsbeeinträchtigungen lässt im übrigen eine Grundrechtsverletzung als möglich erscheinen. (BVerfGE 87,273/278). Die Verfassungsbeschwerde ist auch fristgemäß eingelegt, der Rechtsweg zum OLG war zunächst zu beschreiten.


II. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde

1. Beschluss des AG Köln vom 25.01.1994 sowie des LG Köln vom 05.09.1995

Beide Entscheidungen gehen davon aus, dass dem Beschwerdeführer als dem biologischen Vater kein Umgangsrecht nach § 1711 BGB zusteht und dass ihm ein solches auch nicht nach § 1666 BGB wegen Gefährdung des Kindeswohls eingeräumt werden kann. Darüber hinaus hält das LG auch Art. 8 i.V.m. 14 EMRK für nicht verletzt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer.

a) Soweit er geltend macht, ihm müsse der Grundrechtsschutz des Art. 6 I, II GG und somit auch ein Umgangsrecht zugebilligt werden, steht dem die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen. Die von dem Beschwerdeführer zitierten Entscheidungen betreffen nämlich Väter nichtehelicher Kinder, deren Vaterschaft nach den geltenden statusrechtlichen Vorschriften bereits feststeht (BVerfGE 92, 158/178). Nur ihnen gesteht das Grundgesetz die Rechte aus Art. 6 II GG zu.

Ebensowenig kann sich der Beschwerdeführer auf Art. 6 I GG berufen. Art. 6 I GG umfasst nur die Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern: Sogar ein nach der Rechtsprechung der Fachgerichte zulässiger und erweiterter Familienbegriff unterliegt nicht Art. 6 I GG (BVerfGE 59/63). Das Kind ist seinen rechtlichen, in einer Ehe lebenden Eltern zugeordnet. Es ist eheliches Kind und hat einen ehelichen Vater, dessen Grundrecht aus Art. 6 I und II geschützt ist. Dagegen, auch einem – zeitweiligen - sozialen Vater oder dem Erzeuger des Kindes eine nach Art. 6 GG geschützte Stellung zu geben, spricht sowohl der besondere Schutz der Ehe und Familie, in der das Kind seit seiner Geburt – mit auch nach dem Vortrag des Beschwerdeführers nur ca. zweieinhalbjähriger Unterbrechung - lebt, als auch das Interesse des Kindes, ungestört in den gewohnten sozialen Bindungen seiner Familie aufwachsen zu können (vgl. BGH FamRZ 99,716 f zum Anfechtungsrecht der Vaterschaft).


b) Ein Umgangsrecht kann dem Beschwerdeführer auch nicht unter Heranziehung des in Art. 8 EMRK normierten, gegenüber dem Grundgesetz erweiterten Familienbegriffs zugebilligt werden. Auch wenn dieser den genetischen Vater umfasst, der als solcher nicht festgestellt ist, statusrechtlich eine Vaterschaft mithin nicht vorliegt, ist der in der Ablehnung des Umgangsrechts liegende Eingriff in das Familienleben legitim. Sowohl die Entscheidung des AG als auch die des LG dienen dem Schutz des Kindes und sind damit i.S. von Art. 8 EMRK zum Schutz der Rechte und Freiheiten des Kindes notwendig. Beide Beschlüsse sind nicht auf allgemeine Erwägungen gestützt, sondern setzen sich auch konkret mit der Gefährdung des Kindeswohls durch das Nebeneinander zweier Väter auseinander, die gerade bei einem Kind im Alter von zwei bis fünf Jahren die Identifikation mit der Familie und sich selbst sowie die feste Einbindung in die Familie behindert (AG) bzw. die Entwicklung des Kindes stört (LG). Als zweiter Vater will der Beschwerdeführer sich aber nach wie vor an der Erziehung und Entwicklung des Kindes beteiligen, da er die genetische Elternschaft der rechtlichen gleichstellt und sich in erster Linie auf sie beruft. Wie aus dem Nichtabhilfebeschluss des AG Köln vom 25.10.199 hervorgeht, hat er kritisiert, dass das Kind ohne sein Wissen aus dem Spielkreis abgemeldet worden war.


c) Von einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers kann ebenfalls nicht ausgegangen werden.

Soweit er sich auf seine biologische Vaterschaft und - über einige Zeit bestehende - psychosoziale Bindungen zu seiner Tochter beruft, steht der Einräumung des Umgangsrechts das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des inzwischen wieder mehrere Jahre bei seinen rechtlichen Eltern lebenden Kindes entgegen, das ungestört in dieser Familiengemeinschaft aufwachsen darf. Es muss dem Kind überlassen bleiben, ob es ggfs. nach Eintritt der Volljährigkeit eine Vaterschaftsanfechtungsklage erhebt, die ihm seit dem 01.07.1998 zur Verfügung steht oder ob es einen Umgang mit dem Beschwerdeführer wünscht. Einem Erzeuger eines Kindes ist auch dann, wenn er soziale Beziehungen zu diesem unterhielt, kein Anfechtungsrecht zugebilligt worden (vgl. BGH FamRZ 99, 716), da dies dem Wohl der Familie zuwiderlaufe. Dieser Gesichtspunkt ist auch im Rahmen des Umgangsrechts heranzuziehen.

Ein solches hätte dem Beschwerdeführer nur gem. § 1666 BGB als Bezugsperson eingeräumt werden können. AG und LG haben die Voraussetzungen für einen Rechtsmissbrauch der Eltern bzw. eine Kindeswohlgefährdung insoweit zu Recht verneint und sind sogar von einer Gefährdung des Kindeswohls durch ein Umgangsrecht des Beschwerdeführers ausgegangen. Da die Eltern Besuche des Beschwerdeführers zunächst akzeptiert haben und ihm den Umgang mit dem vierjährigen Kind dann schließlich vor allem deshalb verboten haben, weil der Beschwerdeführer auf seiner Stellung als zweiter Vater beharrte, was die Identitätsfindung des Kindes und seine Entwicklung in der Familie seiner Eltern störte, liegt kein Rechtsmissbrauch und damit kein Rechtsverstoß des AG oder LG vor, der das Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers beeinträchtigen könnte. Dies gilt auch für die angeordnete Kontaktsperre (Näherungsverbot), die trotz fehlender Befristung gem. § 1696 BGB abänderbar ist und damit auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.


d) Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist ebenfalls nicht gegeben.

Der Beschwerdeführer ist vom AG durch Anhörung in der mündlichen Verhandlung, vom LG durch sein schriftliches Vorbringen in die Entscheidungsfindung einbezogen worden, seine Ausführungen haben beide Instanzen zur Kenntnis genommen und gewürdigt.

Darauf, ob der Beurteilung in allen Punkten zu folgen ist, kommt es nicht an. Art. 103 I GG bietet keinen Schutz dagegen, dass ein Teil des Vorbringens nicht berücksichtigt wird. Im FGG-Verfahren ist das Gericht nicht verpflichtet, Beweise zu erheben, wenn es sie nach dem sonstigen Ermittlungsergebnis für nicht sachdienlich oder unerheblich hält. (BVerfGE 79, 51/62). Das war hier der Fall. Eine Anhörung des Kindes war ebenfalls entbehrlich, da ein Sorgerechtsmissbrauch, der ein Umgangsrecht hätte rechtfertigen können, schon nach dem Vortrag und Verhalten des Beschwerdeführers nicht in Betracht kam. Aus diesem Grund musste auch kein Ergänzungspfleger für das Kind bestellt werden. Die Gerichte mussten auch beachten, dass die Einbeziehung des Kindes in das Verfahren wegen der darin liegenden Belastung für das Kind ebenfalls unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit steht.


e) Auch die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 2 I, 3 I GG i.V.m. Art. 6 I EMRK, § 27 I 2 FGG, § 551 Nr. 6 ZPO ist nicht begründet.

Verhandlungen und Verkündungen im FGG-Verfahren sind nicht öffentlich, § 8 FGG verweist nicht auf §§ 169 ff GVG. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Nichtöffentlichkeit ist nur gegeben, soweit Art. 6 I 1 EMRK eingreift, das als späteres Gesetz dem FGG insoweit vorgeht. Da sich Art. 6 I 1 EMRK nur auf „zivilrechtliche“ Ansprüche bezieht, d.h. auf die echten Streitverfahren des FGG (z.B. WEG-Sachen und Landwirtschaftssachen), nicht aber auf den Bereich rechtsfürsorgender Regelungen des FGG, ist das vorliegende vormundschaftsgerichtliche Verfahren nicht betroffen (vgl. OLG Hamm, FamRZ 96, 1359; Keidel-Kuntze-Winkler FGG, 14. Aufl. Vorb. 7a vor §§ 8 - 18 FGG). Es liegt insoweit kein Verfassungsverstoß vor.


2. Beschluss des OLG Köln vom 14.06.1996

Auch hier ist kein Verfassungsverstoß festzustellen. Art. 2 I , 20 III, 19 IV, 3 GG sind nicht verletzt.

Das OLG hat die weitere Beschwerde als unzulässig verworfen und § 63 a FGG, der die weitere Beschwerde in umgangsrechtlichen Verfahren nach § 1711 BGB ausschließt, angewandt, da dem genetischen Vater verfahrensrechtlich nicht mehr Rechte zustehen könnten als dem nichtehelichen Vater, dessen Vaterschaft festgestellt sei. Diese Rechtsauffassung ist zwar angreifbar aber nicht willkürlich. Sie beruht nicht auf sachfremden Erwägungen. Auch soweit das OLG sich nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Anträge des Beschwerdeführers gerade nicht auf § 1711 BGB gestützt waren, sondern auf sein „Elternrecht“, sowie auf § 1666 BGB, liegt ebenso wie in dem Übergehen des gerichtlich angeordneten Näherungsverbots keine Willkür vor. Dafür, dass sich das OLG bewusst über eine gesetzliche Regelung hinweggesetzt hatte, bestehen keine Anhaltspunkte. Bei weiterer Auslegung des Umgangsrechtbegriffs in § 1711 BGB könnten auch die damit zusammenhängenden Näherungsverbote als einbezogen angenommen werden. Ob eine Auslegung oder Analogie aufgrund des Sachverhalts gerechtfertigt ist, unterliegt jedoch nur einer eingeschränkten verfassungsrechtlichen Kontrolle (BVerfGE 82, 6, 13 zur Analogie, BVerfGE 87, 273/278 zur Auslegung und zum Willkürbegriff).

Da der nichteheliche Vater i.S. des § 1711 BGB von einer weiteren Beschwerde auch ausgeschlossen ist, wenn er als Vater festgestellt ist oder die Vaterschaft anerkannt hat und zugleich auch biologischer Vater ist, ist die Einbeziehung des nur genetischen Vaters in den Ausschluss des Umgangsregelungsverfahrens von der weiteren Beschwerde nicht sachfremd; die Situation ist vergleichbar, es liegt keine unzulässige Rechtsfortbildung vor, wenn das OLG die weitere Beschwerde gem. § 63 a FGG verworfen hat.

Die Begrenzung des Rechtswegs in § 63 a FGG war im übrigen zur Zeit der Entscheidung noch nicht verfassungswidrig (OLG Köln, FamRZ 96, 52), seit dem 01.07.1998 ist der Rechtsweg in Umgangsregelungsverfahren einheitlich als Familiensache ausgestaltet und § 63 a FGG aufgehoben.

Schließlich kann der Beschwerdeführer eine Änderung bzw. Aufhebung des Kontaktverbots oder auch eine Neubewertung seines Antrags auf Umgangsrecht gem. § 1696 BGB geltend machen.
Prof. Dr. Ursula Nelles
1. Vorsitzende

Sabine Heinke
Vorsitzende der Kommission
Familienrecht

Tanja Keller
Mitglied der Kommission
Familienrecht