Stellungnahme: 01-01


zu dem Verfahren 1 BvR 1275/97 (Verfassungsbeschwerde gegen die BarwertVO)

Stellungnahme vom

www.bundesverfassungsgericht.de
dazu auch: Beschluss des BVerfG 1 BvR 1351/95 vom 2. Mai 2006)

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. bedankt sich für die Gelegenheit, in dem vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren Stellung nehmen zu können und äußert sich zu den mit der Verfassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfragen wie folgt:

I. Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

Gegenstand der angegriffenen Entscheidung ist der anlässlich der Ehescheidung der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes vorzunehmende Ausgleich der beiderseits in der Ehe erworbenen Versorgungsanrechte. Die Beschwerdeführerin hat in 24 Jahren Ehezeit Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 277,34 DM erworben. Ihr (geschiedener) Ehemann hat Versorgungsanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung (BfA) in Höhe von 203,96 DM und bei der Bayerischen Architektenversorgung in Höhe von 1.411,10 DM.

Das letztgenannte teildynamische Anrecht ist von Amtsgericht und Oberlandesgericht nach § 1587 a Abs. 3 Nr. 2 BGB nach der BarwertVO umgerechnet und damit auf einen Wert von 707,33 DM reduziert worden.

Die Beschwerdeführerin hat 316,98 DM an Anwartschaften auf ihr Versicherungskonto bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte übertragen erhalten.

Die Beschwerdeführerin sieht in der Anwendung der ihrer Meinung nach verfassungswidrigen BarwertVO eine Verletzung ihrer Grundrechte, konkret: ihres Rechts auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Zwischen der Grundrechtsverletzung und der angegriffenen Entscheidung muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, Rz. 154 zu § 90 BVerfGG; E 16, 124). Nach BVerfGE 35, 324ff. soll es für die Zulässigkeit genügen, wenn der Beschwerdeführer, der durch eine verfassungswidrige Rechtsanwendung betroffen ist, mit deren Aufhebung wenigstens die Chance erhält, dass eine erneute verfassungsgerechte Sachprüfung zu einem ihm günstigen Ergebnis führt (wie vor).

Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass das von der Bf. angegriffene Ergebnis auf einfachrechtlichem Wege hätte vermieden werden können, nämlich durch Umrechnung der teildynamischen Versorgung in eine dynamische Versorgung anhand des individualisierbaren Deckungskapitals (§ 1587 a Abs. 3 Nr. 1 BGB).

Aber auch die Anwendung der BarwertVO hätte zu einem für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis führen können, wenn das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung die grundrechtlich geschützte Position der Beschwerdeführerin beachtet hätte.

Die BarwertVO enthielt Umrechnungsfaktoren nur für die rechnerische Angleichung nichtdynamischer Anrechte an dynamische Anrechte und – nachdem der BGH die ursprüngliche Fassung der VO (vom 24.06.1977) für verfassungswidrig erklärt hatte (FamRZ 1983, 40ff., 43) – enthält sie in der jetzt maßgeblichen Fassung (vom 22.05.1984) auch Berechnungsmodalitäten für solche Versorgungen, die entweder im Anwartschaftsstadium oder aber im Leistungsstadium dynamisch sind, im jeweils anderen aber statisch.

Keine Berechnungsgrundlagen enthält die Verordnung, die der Richter nach ihrem §1 Abs. 3 immer anwenden muss, wenn es um die Umrechnung geht und ein Deckungskapital nicht ermittelt werden kann, - individuelle Berechnungen sollen wegen der notwendigen Schematisierung im Massengeschäft Versorgungsausgleich unterbleiben - jedoch für solche Anrechte, die im Anwartschaftsstadium teildynamisch und im Leistungsstadium volldynamisch sind. Der Mehrwert dieser Versorgungen gegenüber statischen oder teilweise statischen Versorgungen wird nicht erfasst. Eine solche teildynamische Versorgung ist nun offensichtlich diejenige bei der Bayerischen Architektenversorgung. Der Versicherungsanspruch steigt im Anwartschaftsstadium in einem Jahr mal um 1% und im nächsten um 0,5 %, je nachdem, wie hoch das Beitragsaufkommen der Versicherten ist. Im Leistungsstadium ist sie volldynamisch, wird also angepasst wie eine Rente in der gesetzlichen Rentenversicherung oder die Beamtenpensionen.

Die Versorgung beruht nach den Ermittlungen des Oberlandesgerichts nicht auf einem individuell angesammelten Deckungskapital, deshalb ist das Gericht davon ausgegangen, dass die Umrechnung anhand des Deckungskapitals nicht in Betracht komme und hat die Tabellen der BarwertVO angewandt.

Der Deutsche Juristinnenbund vertritt wie die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht die Auffassung, dass vorliegend auch eine Umwertung des teildynamischen Anrechts anhand des Deckungskapitals hätte erfolgen können:

Begründet wird diese Auffassung von der Wissenschaftlichen Vereinigung damit, dass die Bayerische Architektenversorgung zwar zunächst nur ein kollektives Deckungskapital bilde. Erst im Versicherungsfall werde ein individuelles, nach versicherungsmathematischen Richtlinien ermitteltes Deckungskapital ausgesondert und zurückgestellt. Eine solche Individualisierung des für den einzelnen Versicherten erforderlichen Deckungskapitals sei aber schon vor dem Versicherungsfall jederzeit rechnerisch möglich. Da das individuelle Deckungskapital jederzeit individualisierbar sei, könne es vorliegend auch der Berechnung des Versorgungswertes zugrunde gelegt werden.

Diesen für die Beschwerdeführerin nach den von ihr vorgenommenen Berechnungen günstigeren einfachrecht­lichen Weg hat das Oberlandesgericht nicht gewählt.

Unseres Erachtens beruht die angegriffene Entscheidung aber nicht ausschließlich auf einer Verengung der ein­fachrechtlichen Möglichkeiten zum Nachteil der Beschwerdeführerin.

Das Oberlandesgericht hat die BarwertVO angewandt, obwohl es selbst erkannte, dass die BarwertVO für die teildynamische Versorgung keine geeigneten Umrechnungsgrundlagen zur Verfügung stellt.

„Obwohl das Anrecht des Antragstellers ... im Anwartschaftsstadium teildynamisch ist, ist es insgesamt als statisches Anrecht nach § 1587 Abs. 3 Nr. 2 BGB i.V.m. § 2 BarwertVO zu bewerten und umzurechnen. Eine Umwertung mittels anderer Umrechnungsfaktoren sieht das Gesetz für teildynamische Anrechte nicht vor, so dass aufgrund der gegenwärtigen Gesetzeslage nur auf die Umrechnungsfaktoren der BarwertVO zurückgegriffen werden kann“.

Bei der BarwertVO handelt es sich um einen untergesetzlichen Normenkomplex; es steht mithin in der Kompetenz des Familiengerichts, die Vereinbarkeit der Verordnung mit dem Grundgesetz zu überprüfen (vgl. BGH FamRZ 1983, 40, 43; auch Klattenhoff, Aktuelle Probleme des Versorgungsausgleichs bei nicht volldynamischen Versorgungsanrechten, FamRZ 2000, 1257ff., 1269).

„Nach der Rechtsprechung des BVerfG hat sich der Verordnungsgeber innerhalb der Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung zu halten und in diesem Rahmen unter Beachtung des Gleichheitssatzes im wohlverstandenen Sinn dieser Ermächtigung zu handeln; er darf keine Differenzierungen vornehmen, die eine Korrektur der Entscheidung des Gesetzgebers bedeuten würden ... Der Gleichheitssatz ist etwa verletzt, wenn die Verschiedenheit der in der Verordnung gleich geregelten Fälle so bedeutsam ist, dass ihre Gleichbehandlung mit einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise unverträglich erscheint“ (BGH, a.a.O.).

Die eigene Prüfungspflicht in Bezug auf die BarwertVO als untergesetzlichem Recht hat das Gericht nicht wahrgenommen. In Anbetracht der tatsächlichen Situation hätte das Oberlandesgericht sich auch mit der eigenen Beurteilungskompetenz in Bezug auf die Verordnung und deren verfassungsrechtliche Bewertung befassen müssen und wäre auch auf diese Weise zu einer der Beschwerdeführerin günstigeren Entscheidung gelangt, nämlich über die dann erforderliche und auch mögliche individuelle Bewertung des fraglichen Anrechts (Klattenhoff, a.a.O., 1269; BGH FamRZ 1983, 40ff., 43f.) zu einer Höherbewertung der auszugleichenden Versorgung.

II. Zur Begründetheit der Verfassungsbeschwerde

Die Umwertung des teildynamischen Versorgungsanrechts des Ehemannes der Beschwerdeführerin bei der Bayerischen Architektenversorgung nach den Vorschriften der BarwertVO, die auch nach Auffassung des Oberlandesgerichts keine den Wert des auszugleichenden Versorgung adäquat erfassenden Berechnungsvorgaben enthält, könnte im konkreten Fall dazu führen, dass die Teilhabegerechtigkeit bei Auflösung der Ehe der Beschwerdeführerin nicht verwirklicht wurde.

Anders als die Beschwerdeführerin ist der Deutsche Juristinnenbund daher der Auffassung, dass der besondere Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 2 GG, der zugleich familienrechtliche Bedeutung hat (vgl. BVerfGE 3, 225ff., 243, auch BVerfGE 22, 93ff., 98), hier den Prüfungsmaßstab bildet. Es geht vorliegend gerade nicht um die Vergleichbarmachung einer Vielzahl von Versorgungen im Rahmen des Massenphänomens Versorgungsausgleich, sondern um die Herstellung der Ausgleichsfähigkeit verschiedener Versorgungsanrechte anlässlich der Scheidung eines konkreten Ehepaares, die sich auf das Ergebnis der zwischen diesen Ehegatten vorzunehmenden Auf­teilung der insgesamt erworbenen Versorgungsanrechte auswirkt (so auch Klattenhoff, a.a.O., 1266reSp., 1267liSp.). Für eine Überprüfung der angegriffenen Entscheidung am Maßstab des allgemeinen Gleichheits­satzes des Art. 3 Abs. 1 GG bliebe danach kein Raum mehr (vgl. BVerfGE 59, 128ff., 156).

Zu fragen ist daher, ob der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Gleichbehandlung bei der Aufteilung der während der Ehe erwirtschafteten Versorgungsanrechte durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein könnte (Art. 3 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG).

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Mann und Frau in der Ehe gleichberechtigt sind (BVerfGE 3, 225ff. 242; 10, 59ff., 66f.) und dass sich der Inhalt der Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG nicht nur aus der vorkonstitutionellen Tradition dieser Lebensform sondern auch durch die besonderen Wertentscheidungen des Grundgesetzes erschließt (BVerGE 10, 59ff., a.a.O.). “Zum Wesen der auf Lebenszeit angelegten Ehe im Sinne der Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG (gehört) die gleiche Berechtigung beider Partner ..., die auch nach Trennung und Scheidung der Eheleute auf ihre Beziehung hinsichtlich Unterhalt und Versorgung ... wirkt“ (BVerfGE 53, 257ff., 296). Auch die Teilhabe an dem während der Ehe von beiden Erwirtschafteten und die Gestaltung nachehelicher Solidaritätspflichten haben sich also am Grundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG messen zu lassen.

Der Versorgungsausgleich ist dazu vorgesehen, vor allem der geschiedenen Ehefrau bei Scheidung eine eigenständige Alters- und Invaliditätsversorgung zu verschaffen (BVerfGE 53, 257ff., 295). Er beruht sowohl „auf dem güterrechtlichen Prinzip der Vermögensteilung in Weiterentwicklung des Zugewinnausgleichs als auch auf unterhaltsrechtlichen Überlegungen zur Realisierung und rechtlichen Umgestaltung des Vorsorgeunterhalts“ (BVerfGE 53, 257ff., 295). Inhalt der gesetzlichen Regelung ist es, „die während der Ehe nach Maßgabe der von den Ehegatten vereinbarten Arbeitsteilung gemeinsam erwirtschafteten Versorgungsanrechte nach Scheidung der Ehe gleichmäßig auf beide Partner“ zu „verteil(en)“ (BVerfGE 53, 257ff., 296).

Nicht nur die gesetzlich vorgesehene Grundstruktur, sondern auch die individuelle Verteilung der Versorgungsanrechte anlässlich grundsätzlich jeden Scheidungsfalles ist also darauf gerichtet, eine Teilhabegerechtigkeit herzustellen, weil der Gesetzgeber zum einen die jeweilige Aufgabenteilung innerhalb der Ehe zu respektieren hat und zum anderen die je unterschiedlichen Leistungen der beiden Eheleute im Rahmen der ehelichen Versorgungsgemeinschaft als gleichwertig anzusehen sind.

Es ist in diesem Zusammenhang zu bestimmen, ob und wenn ja, welchen Verteilungsmaßstab das Gleichheitsgebot in der Ehe vorgibt.

Das BVerfG hat die Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Leistungen von Mann und Frau in einer Ehe immer wieder betont, und zwar ungeachtet des Umstandes, dass die in der Ehe von beiden Partnern geschuldeten Leistungen nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, sondern vielmehr unabhängig nebeneinander bestehen. „Sie sind Teil eines Gewebes wechselseitiger, vielfach verschiedenartiger Rechte und Pflichten, die in ihrer Ge­samtheit grundsätzlich als gleichwertig zu betrachten sind und sich gegenseitigem rechnerischen Abwägen entziehen“ (BVerfGE 17, 1ff., 11). Der Versorgungsausgleich dient „der Abwicklung des durch die Ehe begründeten Privatrechtsverhältnisses“ (BVerfGE 53, 257ff., 295), er betrifft also das Verhältnis grundsätzlich Gleicher und Gleichberechtigter (BVerfGE 3, 225, 242; 10, 59ff., 67) untereinander, die allerdings in einem besonderen, auch nachwirkenden, Pflichtenverhältnis zueinander stehen. Daher scheint ein anderer als der Halbteilungsgrundsatz zur Verwirklichung gleichberechtigter Teilhabe an dem während der Ehe durch gleichwertige Leistung Erzielten nicht geeignet (vgl. BVerfGE 87, 348ff., 356; auch BGH FamRZ 1979, 477ff., 480f.).

Wie die Beschwerdeführerin mit entsprechenden Berechnungen dargelegt hat, führt die Umrechnung der teildynamischen Anwartschaft ihres (geschiedenen) Ehemannes bei der Bayerischen Architektenversorgung in einen einer dynamischen Versorgung entsprechenden Wert anhand der Tabellen der BarwertVO dazu, dass dieses Versorgungsanrecht keineswegs mit seinem wirklichen Wert, sondern mit einem weit darunter liegenden Wert in die Versorgungsausgleichsbilanz eingestellt wurde. Die Beschwerdeführerin würde nach der angegriffenen Entscheidung in Wirklichkeit nicht die Hälfte jenes Wertes erhalten, um den die Anwartschaften des Ehemannes bei der Architektenversorgung (zuzüglich der dynamischen Anwartschaften des Ehemannes in der gesetzlichen Rentenversicherung) die eigenen Anwartschaften der Beschwerdeführerin in der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigen, sondern einen erheblich darunter liegenden Betrag. Die Beschwerdeführerin hat den Mehrbetrag an Anwartschaften ihres Ehemannes mit 334,55 DM ermittelt, im Verhältnis zu den ihr übertragenen Anwartschaften (im Wert von 316,98 DM) hätte sie einen um 52 % höheren Anspruch, nämlich gesamt 484,26DM. Nach ihren Berechnungen wäre sie mit dem ihr durch die angegriffene Entscheidung übertragenen Betrag nur zu 39,1% an den Gesamtversorgungsansprüchen beider Eheleute beteiligt.

Die angegriffene Entscheidung enthält eine erhebliche Abweichung von einem auf anteilige Teilhabe gerichteten Ergebnis und führt daher zu einer Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerin im Verhältnis zu ihrem Ehemann. Sie verletzt daher die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf Gleichbehandlung anlässlich der Scheidung ihrer Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 GG).

Diese Benachteiligung der Beschwerdeführerin ist nicht gerechtfertigt. Im persönlichen Verhältnis der betroffenen Parteien ist kein Anlas zu solcher Ungleichgewichtigkeit zu erkennen.

Die Notwendigkeit zur Pauschalierung und Anpassung unterschiedlichster Versorgungen an die Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs legitimiert ein solches Ergebnis ebenfalls nicht.

Die BarwertVO ist erforderlich, um zwei Probleme des Versorgungsausgleichs zu lösen:

  1. die Bilanzierung des Gesamtausgleichs (Herstellung einer Vergleichbarkeit unterschiedlicher Versorgungsanrechte, Errechnung des zwischen den Eheleuten auszugleichenden Betrages)
  2. die Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs bei unterschiedlichen Anrechten der Ehe­leute

Die nach den rechnerischen Grundlagen der BarwertVO i.d.F. von 1984 ermittelten Barwerte der auszugleichenden Betriebsrenten, Zusatzversorgungen und berufsständischen Versorgungen weichen von den korrekten Barwerten so weit ab, dass sie das Prinzip der Halbteilung schwer verletzen. Darauf haben in jüngster Zeit verschiedene Autoren hingewiesen (Glockner/Gutdeutsch, Ist die Barwertverordnung verfassungsmäßig?, FamRZ 1999, 896ff., 902; Bergner, Lösungsvorschläge im Zusammenhang mit der Verfassungswidrigkeit des § 1587 a Abs. 3 BGB und der Barwertverordnung, FamRZ 1999, 1487ff.; Klattenhoff, a.a.O.). Diese Autoren haben auch ausgeführt und begründet, dass und warum die Tabellenwerte nicht (mehr) geeignet sind, eine wertgerechte Erfassung der jeweiligen Anwartschaften und Renten zu gewährleisten (veraltete biometrische Grundlagen, Verwendung eines die Dynamisierung der Vergleichsversorgungen übersteigenden Zinssatzes (a.A. insoweit: Klattenhoff); rechnerische Neutralisierung der in einzelnen Versorgungen durchaus enthaltenen Preisdynamik). Die Verwendung dieser fehlerhaften Rechnungsfaktoren lässt sich durch das Bedürfnis nach Vereinfachung und Vergleichbarmachung verschiedenster Versorgungen und mit dem Pauschalierungserfordernis in Anbetracht der Vielzahl von Versorgungsausgleichsfällen nicht rechtfertigen. Der Arbeitskreis 24 beim 13. Deutschen Familiengerichtstag, Thema: Möglichkeiten und Grenzen des Abänderungsverfahrens im Versorgungsausgleich hat im September 1999 einhellig ebenfalls die Auffassung vertreten, dass die Barwertverordnung „in ihrer jetzigen Form verfassungswidrig“ sei, weil sie zu einer im Vergleich zu den volldynamischen Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung unrealistischen, erheblich zu starken Abwertung führt und dadurch den Gleichheitssatz verletzt“ (Brühler Schriften zum Familienrecht, 13. Deutscher Familiengerichtstag vom 22. bis 25. September 99 in Brühl, Bielefeld 2000, S. 128).

Eine weitere erhebliche Reduktion des „wahren“ Wertes einer Versorgung über jene hinaus, die bereits durch die Dynamisierung anhand der Rechengrößen der BarwertVO erfolgt, begründet sich aber durch die Verwendung rentenversicherungspezifischer Rechnungsgrundlagen (Klattenhoff, a.a.O., 1263ff.; Gutdeutsch/Glockner, a.a.O., 896ff.). Der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich ist grundsätzlich darauf gerichtet, dass alle zu übertragenden Anrechte (Grenze: § 3 b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG) zugunsten des Ausgleichsberechtigten in der gesetzlichen Rentenversicherung verbucht werden, ungeachtet ihrer Herkunft aus ganz unterschiedlichen Versorgungen beim Ausgleichspflichtigen. Der dem Berechtigten zu übertragende Barwert (auch der Kapitalwert) der Versorgung wird fiktiv - und teilweise im Wege des Supersplittings tatsächlich - in die gesetzliche Rentenversicherung „eingezahlt“. Dabei entspricht die Sicherungsfunktion der zugunsten der Ausgleichsberechtigten begründeten Anrechte regelmäßig nicht derjenigen Sicherungsfunktion, die die Anrechte beim Ausgleichspflichtigen noch hatten, weil durch verschiedene Veränderungen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung die durch den Versorgungsausgleich übertragenen Anrechte im Ergebnis den vollen in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehenden Versicherungsschutz nicht mehr zu gewährleisten vermögen. Auszugleichendes und übertragenes Anrechte waren schon immer nicht gleichartig, aber sie sind mittlerweile auch nicht mehr gleichwertig.

Die Darstellung beschränkt sich hier mit Rücksicht auf den Ausgangsfall auf die Konstellation, dass die nicht- oder teildynamischen Anrechte beim Ausgleichspflichtigen vorhanden sind. Es dürfte sich zudem um die statistisch häufigere Variante handeln. Frauen sind nicht nur häufiger als Männer in qualitativ schlechtere Versorgungssysteme einbezogen ... (und) beziehen in der Regel niedrigere (Betriebs)renten als ihre männlichen Kollegen, sie waren und sind vor allem „deutlich seltener an betrieblichen Versorgungsmaßnahmen beteiligt“ (siehe hierzu im Einzelnen: Ahrend, Beucher, Walkiewicz, Betriebliche Altersversorgung, DAngVers 1988, 294ff., 296; auch Pfaff, Beurteilung (der Alterssicherung der Frau) aus ökonomischer Sicht, DAngVers 1988, 303ff., 307).

Die rechtlichen Bedenken in Fällen, in denen beim Ausgleichsberechtigten ein solches Anrecht vorhanden ist, hat Klattenhoff dargestellt (a.a.O., 1264, 1267f.: Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 33 Abs. 5 GG). Auf seine Ausführungen kann verwiesen werden.

Das gesetzgeberische Ziel des Versorgungsausgleichs war es, dem ausgleichsberechtigten Ehegatten bei Scheidung der Ehe eine eigenständige Alters- und Invaliditätssicherung zu verschaffen (BT-Drucks. 7/650 S. 154 und BT-Drucks. 7/4361, S. 18; s.a. Klattenhoff, a.a.O., S. 1264f.). Auszugleichen sind bekanntlich nicht nur die in der Ehezeit erworbenen Anwartschaften wegen Alters, sondern auch solche wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 1587 Abs. 1 BGB).

Den hauptsächlichen Sicherungsbedarf in diesem Sinne haben Frauen, die lange verheiratet waren, während ihrer Ehe nicht, jedenfalls nicht versicherungspflichtig erwerbstätig waren und eigene Versorgungsansprüche in dieser Zeit allenfalls durch Kinderversorgung erworben haben (Ruland, Gleichbehandlung von Frau und Mann in den allgemeinen Alterssicherungssystemen, DAngVers 1989, 325ff., 333).

Die Versorgungssituation gerade dieser Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung hat sich jedoch seit der Einführung des Versorgungsausgleichs erheblich verschlechtert.

So hatte die Rentenreform 1972 die Rentenversicherung in erheblichem Umfang für freiwillig Versicherte geöffnet. Der Gesetzgeber des 1. EheRG konnte daher davon ausgehen, dass eine geschiedene Ehefrau die ihr im Versorgungsausgleich übertragenen Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung durch freiwillige Beiträge weiter würde aufstocken können. Diese Möglichkeiten bestehen heute nicht mehr vergleichbarem Umfang (vgl. hierzu auch Kaltenbach, Probleme der Rentenversicherung bei den BU/EU-Renten einschließlich der Zukunftsperspektiven, DAngVers 1986, 357ff., 358).

Daneben dürfte sich auch bemerkbar machen, dass Frauen in der geschilderten Situation - lange Ehe, lange Berufsferne, fortgeschrittenes Alter - heute nach der Scheidung häufig keine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit aufnehmen und folglich auch keine Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung mehr entrichten (Ruland, a.a.O., S. 338).

Eine ganz maßgebliche Entwertung haben die durch den Versorgungsausgleich übertragenen Anwartschaften nämlich vor allem durch das sog. Haushaltsbegleitgesetz 1984 (Gesetz über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe“ vom 22.12.1983) erfahren. Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit haben nach den durch dieses Gesetz geänderten Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung nur noch die Versicherten, die in den letzten 60 Monaten vor Eintritt des Versicherungsfalls 36 Pflichtbeiträge entrichtet haben. Wegen des 3-Jahreserfordernisses sind Versicherte, deren Erwerbstätigkeit länger als zwei Jahre zurückliegt ebenso wie freiwillig Versicherte vom Invaliditätsversicherungsschutz ausgeschlossen (s. Kaltenbach, DAngVers 1986, 357ff., 359) Die durch Versorgungsausgleich erworbenen Anwartschaften gelten als freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Sie tragen also nicht dazu bei, dass Frauen die Voraussetzungen für eine Invaliditätsrente erfüllen. An diesem Befund ändert sich auch nichts durch die seit dem RRG 1992 bestehende Pflichtversicherungseigenschaft der für Kindererziehungszeiten verbuchten Anrechte (vgl. hierzu auch: Kohleiss/Kohleiss-Rottmann; Versorgungsausgleich und soziale Sicherung insbesondere der geschiedenen Frau, FamRZ 1995, 774ff. sowie Poske, Zur rentenversicherungsrechtlichen Auflösung der Hausfrauen-Invalidität und ihren Reformaspekten, Vierteljahresschrift für Sozialrecht 1984, 269ff., 311, FN 224).). Das BVerfG hat zwar entschieden (BVerfGE 75, 78ff.), dass die Herausnahme der freiwillig Versicherten aus der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung nicht verfassungswidrig war. Zu diesem Ergebnis gelangte das Gericht vornehmlich deshalb, weil das HBG 1984 für die seinerzeit freiwillig Versicherten im Wege von Übergangsregelungen die Möglichkeit eröffnete, den Versicherungsschutz zu erhalten. Diese Möglichkeit hat indes verheirateten und später geschiedenen Frauen nicht offen gestanden und sie steht ihnen auch nicht offen, weil der Zugang zur gesetzlichen Rentenversicherung auch infolge Durchführung des Versorgungsausgleichs in den Übergangsvorschriften des HBG 1984 nicht gesehen wurde (vgl. hierzu auch Kohleiss/Kohleiss-Rottmann, a.a.O). Dieser Aspekt der gesetzlichen Regelung war - wegen des anders gelagerten Sachverhalts - nicht Prüfungsgegenstand in dem seinerzeitigen Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen die rentenversicherungsrechtlichen Regelungen des HBG 1984. Geschiedene Frauen bekommen originäre oder umgewertete Anwartschaften übertragen, die als freiwillige Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung gelten und die ihnen folglich einen Schutz gegen Erwerbsunfähigkeit nicht mehr gewähren. Damit verschafft der Versorgungsausgleich geschiedenen Frauen gerade nach langer Ehe lediglich ein Anrecht auf eine Altersversorgung. Eigene Anwartschaften, die sie bei Ausfall ihrer Erwerbskraft bis zum Eintritt in die Altersrente absichern, erhält die geschiedene Ehefrau nicht. Wenn der geschiedene Ehemann verstirbt, bevor die Frau die Voraussetzungen für die Altersrente erfüllt hat, entfällt der Unterhaltsanspruch. Eine Sicherung gegen den Verlust des Unterhaltsanspruchs besteht nicht. Nach den Ausführungen von Kaltenbach, a.a.O., S. 359 sind die neubewilligten, Erwerbsunfähigkeitsrenten für Frauen im Jahr 1985 „drastisch“, nämlich um die Hälfte zurückgegangen, in bestimmten Jahrgängen sogar um zwei Drittel (vgl. auch Genzke, Der Geschäftsbericht der BfA über das Rechnungsjahr 1985, DAngVers 1986, 406ff., 408f.).

Das gesetzgeberische Ziel des Versorgungsausgleichs wird damit gerade in den Fällen, in denen das Sicherungsbedürfnis am höchsten ist, nicht (mehr) erreicht. Aufgrund dieser ganz erheblichen Äquivalenzstörung entfällt nach Auffassung des Deutschen Juristinnenbundes die Rechtfertigung für die ausnahmslose Übertragung oder Begründung von auszugleichenden Anwartschaften auf ein Konto der geschiedenen Ehefrau in der gesetzlichen Rentenversicherung und die damit verbundene Wertreduktion der auszugleichenden Anrechte.

Auch aus diesem Grunde dürfte mittlerweile die vorgeschriebene Umwertung von nichtdynamischen Versorgungsanrechten den Erfordernissen gleichberechtigter Teilhabe an dem während der Ehe Erwirtschafteten nicht mehr genügen.


Prof. Dr. Ursula Nelles
1. Vorsitzende 

Sabine Heinke
Vorsitzende der Kommission Familienrecht