Stellungnahme: 00-07


zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund begrüßt es, dass die Bundesregierung nunmehr den Referentenentwurf eines "Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung" vorgelegt hat. Der djb begrüßt insbesondere die Einbindung des Gesetzgebungsverfahrens in eine fachübergreifende Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Dies ist zur Erarbeitung von Lösungsansätzen bei der komplexen Materie der häuslichen Gewalt folgerichtig. Diese Vorgehensweise sollte auch bei der Umsetzung weiterer flankierender Maßnahmen Berücksichtigung finden, insbesondere bei der Schaffung bundeseinheitlicher, polizeilicher Rechtsgrundlagen zur Ermöglichung der Wegweisung eines Gewalttäters aus der gemeinsamen Wohnung unter gleichzeitiger Aussprache eines Rückkehrverbotes nach dem in Österreich bereits erfolgreich durchgeführten Modell.

Zu Artikel 1 des Entwurfes (§§ 1 und 2 Gewaltschutzgesetz)
Der Deutsche Juristinnenbund bedauert, dass der Referentenentwurf statt einer Ergänzung des BGB um einen weiteren Tatbestand der unerlaubten Handlung eine eigenständige gesetzliche Grundlage für einen Unterlassungsanspruch schafft. Eine Ergänzung des BGB um einen neuen §823a wäre aus systematischen Gründen vorzuziehen. Durch die Regelung in einem eigenständigen Gesetz ist zu befürchten, dass die Anspruchsnormen weiterhin weitgehend unbekannt bleiben. Auch in der juristischen Ausbildung werden Nebengesetze, noch dazu zu diesem Thema, in der Regel nicht behandelt. Die Einbindung in das BGB ließe das Gesetz eine andere Beachtung finden und würde auch von Seiten der Bundesregierung ein anderes Zeichen setzen. Eine mögliche Verzögerung des Gesetzgebungsverfahrens, welches als Grund im Referentenentwurf genannt wurde, wäre in diesem Fall hinnehmbar, da der Vorteil einer Verankerung im BGB den Nachteil einer möglichen - nicht notwendigen - Verzögerung weitaus überwiegt.
Der neue § 823 a BGB sollte aus Gründen der Rechtsklarheit auch das Tatbestandsmerkmal der psychischen Gesundheit enthalten. In einigen Fällen häuslicher Gewalt liegt häufig keine unmittelbare Gesundheitsbeschädigung, jedoch eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit aufgrund des ausgeübten Psychoterrors vor. Z.B. Schlafstörungen infolge nächtlicher Telefonanrufe des ehemaligen Partners.
Als weiteres Schutzgut sollte das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausdrücklich benannt werden, das unter § 823 BGB als sonstiges Recht bereits jetzt subsumiert wird. Die Nichtbenennung dieses Rechts in der abschließenden Aufzählung der Rechtsgüter des Gewaltschutzgesetzes lässt den Umkehrschluss zu, dass dieses Recht von den Schutzgütern der Vorschrift ausgenommen sein soll. Dadurch würde das Gewaltschutzgesetz hinter die bisherigen Eingriffsmöglichkeiten zurückfallen und bei einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts erneut die Heranziehung der §§ 823 i.V.m. 1004 BGB erfordern. Vielmehr sollte die Vorschrift bereits dann einschlägig sein, wenn "einem nahen Angehörigen oder einer mit der (handelnden) Person in häuslicher Gemeinschaft lebenden Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar gemacht wird...". Die Beantragung von Schutzanordnungen sollte keinesfalls vom Eintritt eines pathologischen Zustandes abhängig gemacht werden.
Ferner sollte statt der genannten "vorsätzlichen Verletzung" eine ("erhebliche) Beeinträchtigung" der betroffenen Schutzgüter ausreichen. Dies ist in dem durch Ergänzung des Referentenentwurfs vorgesehenen Abs. 3 des § 1 Gewaltschutzgesetz ebenfalls als objektive Tatbestandsvoraussetzung ausreichend. Eine Begründung für die Ungleichbehandlung der Tatbestandsvoraussetzungen innerhalb desselben Paragrafen ist nicht ersichtlich.
Sollte dem Vorschlag auf Einfügung eines neuen § 823 a nicht gefolgt werden, so sind neben den bereits genannten Änderungsvorschlägen, bezogen auf die Schutzgüter, folgende Erwägungen zu den §§ 1 und 2 Gewaltschutzgesetz zu berücksichtigen:

Zu § 1:
Da § 1 Abs. 1 GewSchG nur vorsätzliche Taten sanktioniert, besteht die Gefahr, dass gerade typische Fälle der häuslichen Gewalt, die durch Alkohol bedingt sind, nicht miterfasst werden. Um dem zu begegnen, sollte Abs. 1 durch folgenden Satz 2 ergänzt werden:
"§ 827 Satz 2 BGB findet entsprechende Anwendung".
Abs. 3 des § 1 steht zu Abs. 1 in einem Missverhältnis: In Abs. 3 reicht die unzumutbare Belästigung aus. Abs. 1 fordert dagegen eine widerrechtliche Verletzung. Dies resultiert vermutlich aus der nachträglichen Einfügung des Abs. 3 in die Vorschrift, sollte jedoch im Sinne von (unzumutbarer) Beeinträchtigung angeglichen werden (s.o.). Die Qualifikation als "unzumutbare" Beeinträchtigung setzt wiederum eine weitergehende Darlegung und entsprechende Prüfung voraus, die in der Praxis auch vor dem Hintergrund einer notwendigen echten Beweislastumkehr nicht geboten ist. Ferner sollte die Regelung einen Zusatz mit dem Inhalt erhalten, dass der Anspruch ausgeschlossen ist, soweit nicht die Handlung der Wahrung berechtigter Interessen entgegensteht.
Abs. 2 der Vorschrift wird seitens des djb ausdrücklich begrüßt. Eine Wegweisung auch aus dem Umkreis des Verletzten sowie ein Verbot der Kontaktaufnahme als mögliche - nicht ausschließlich gerichtlich anzuordnende - Maßnahmen unterstützt die Grundregelung des Absatzes 1 und eröffnet der Rechtsprechung einen breiten Ermessensspielraum. An Stelle von: "sich aufhalten muss" sollte jedoch die Formulierung: "sich regelmäßig aufhält" gewählt werden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Antragstellerin eine Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit hinnehmen muss; z.B. einer regelmäßigen Freizeitbeschäftigung nachzugehen, insbesondere wenn der Antragsgegner dieser Freizeitbeschäftigung nicht selbst nachgeht.
Im Verhältnis zu § 2 Abs. 4 regt der djb an, in beiden Vorschriften dieselbe Wortwahl zu verwenden. Ziel sollte sein, ausdrücklich klarzustellen, dass der Antragsgegner alles zu unterlassen hat, was die Antragstellerin in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt. Dies kann - je nach Einzelfall - über die Bestimmung einer "Bannmeile" hinausgehen: Bewusstes "Auftauchen", z.B. auf dem Weg zur Arbeit auch in größerer Entfernung von der Wohnung der Antragstellerin, sollte unterbindbar sein.

Zu § 2 und § 1361 b BGB
Problematisch ist in dieser Vorschrift das Tatbestandsmerkmal "unbillige" Härte. Da auch die Regelung des § 1361b BGB entsprechend geändert werden soll, ergeben sich zwar zwischen diesen beiden Normen keine Differenzen. Fraglich ist jedoch, ob ein Automatismus zwischen dem Bestehen einer "unbilligen Härte" und der nach dieser Regelung möglichen Anordnung besteht. Zur Klarstellung schlägt der djb vor, den Halbsatz "um eine unbillige Härte zu vermeiden" zu streichen, da die Familiengerichte auch bisher schon die "schwere Härte" uneinheitlich interpretiert haben, und da auch die Begründung des Entwurfes davon ausgeht, dass beim Auftreten von Gewalt eine derartige Härte vorliegt.
Abs. 2 der Vorschrift sollte um den in der Begründung (unter 3e) enthaltenen Gedanken der Gewaltvermutung in den Gesetzestext ergänzt werden. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nicht um eine Beweiserleichterung für die Opfer im eigentlichen Sinne. Es wird lediglich die vom BGH in Fällen von Gewalttaten für Recht erkannte Beweislastregelung kodifiziert.
Im Übrigen sollte nach Auffassung des djb der § 1361b BGB nur für die tatsächlich von dieser Vorschrift erfassten Fälle als lex-specialis zur Anwendung kommen. Um die Tatbestandsvoraussetzungen mit den übrigen Fällen kongruent zu machen, könnte in § 1361b BGB eine Verweisung auf § 1 des Gewaltschutzgesetzes aufgenommen werden.
Weiterhin sind bei der Neuregelung des § 1361b BGB die unterschiedlichen Fristen nicht nachzuvollziehen: Ist die Wohnung von Eheleuten einer Person zugewiesen, so hat der jeweils andere 6 Monate Zeit zur Geltendmachung eigener Rechte. Bei Nichtverheirateten beträgt diese Frist jedoch nur 3 Monate. Da ein Grund für diese Differenzierung nicht erkennbar ist, schlägt der djb vor, die Fristen für beide Fälle auf 6 Monate festzulegen. Hier wie auch im Entwurf des § 2 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3, Satz 3, 1. Halbsatz sollte nicht auf die "Gefährdung des Kindeswohls", sondern auf eine "Beeinträchtigung der Belange des Kindes" abgestellt werden. Die Eingriffsschwelle würde durch die Voraussetzung einer Gefährdung zu hoch gewählt. Auch Darlegungs- und Beweisfragen werden auf diese Weise nicht unnötig erschwert.

Zu § 3:
Sollte in diese Vorschrift ein eigenes Antragsrecht für Kinder und Jugendliche aufgenommen werden, regt der djb an, eine Staffelung nach dem Alter vorzusehen. In Betracht gezogen werden könnte eine Angleichung der Altersstaffelung an § 59 Abs. 3 FGG: d.h. mit Vollendung des 14. Lebensjahres, da Jugendliche ab einem bestimmten Alter in der Lage sind, ihre familiäre Situation realistisch einzuschätzen und - auch unter Berücksichtigung der möglichen Konsequenzen - konkrete Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Zu § 4:
Die Aufnahme von Strafvorschriften wird seitens des djb ausdrücklich begrüßt.
Allerdings sollte zusätzlich noch eine Strafbarkeit von Verstößen gegen Tatbestände nach dem § 2 GewSchG aufgenommen werden. Der Verstoß gegen Rückkehrverbote sollte ebenfalls strafbewehrt sein. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Aufnahme von Strafvorschriften in ein derartiges Gesetz generell abschreckend-präventiv wirkt und zusätzlich die Durchsetzung der Einhaltung sowie die Kontrolle der Einhaltung der Schutzanordnungen erleichtert.

Zu Artikel 4 und 5, Änderung der ZPO/FGG: Art des vorläufigen Rechtsschutzes
Zunächst fällt auf, dass die Verfahrensspaltung bei den im Gesetz getroffenen Regelungen fortgesetzt wird. So wird in Fällen des § 1361b BGB das Verfahren nach dem FGG gewählt, während in den übrigen Fällen nach der ZPO verfahren werden soll. Dies führt zu unerwünschten Problemen: Im FGG-Verfahren fehlt eine Regelung, die eine einstweilige Anordnung - außer bei Gefahr im Verzug - ohne mündliche Verhandlung zulässt. Bei Bestehenbleiben der Verfahrensspaltung würde dies zu einer nicht zulässigen Ungleichbehandlung und Schlechterstellung von verheirateten Antragstellerinnen gegenüber unverheirateten Antragstellerinnen führen. Im Übrigen wird das immer wieder genannte Grundrecht des Antragsgegners aus Artikel 13 Grundgesetz auf Unverletzlichkeit der Wohnung nicht unverhältnismäßig eingeschränkt. Eine - wiederholte oder sogar dauerhafte - Gewaltanwendung stellt, auch wenn sie im geschützten Bereich einer Wohnung stattfindet, eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dar. In Fällen von häuslicher Gewalt macht der Täter sich in der Regel strafbar, da es sich um Körperverletzungs- oder andere Gewaltdelikte handelt, die für sich allein genommen bereits ein Eingreifen der Polizei erfordern. Die Gewalthandlungen verletzen das Grundrecht der Antragstellerin auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art 2 Abs. 2 GG.
Soll der vorläufige Rechtsschutz für Wohnungszuweisungen nach § 1361b BGB weiterhin nach FGG geregelt werden, so regt der djb an, für diese Fälle eine Norm analog der ZPO zu schaffen, die die Anordnung ohne mündliche Anhörung des Betroffenen ermöglicht. Hierdurch würde der Erlass einer vollstreckbaren Anordnung beschleunigt, die dann, anders als diejenige nach ZPO von der Geschäftsstelle des Familiengerichts zugestellt werden könnte.
Im Übrigen regt der djb an, die von BIG e.V. erarbeiteten ZPO-Ergänzungen zu den §§ 940 a ff. für die nicht unter § 1361b BGB fallenden Ansprüche heranzuziehen. Dieser Vorschlag wird mit der Maßgabe gemacht, dass der dort enthaltene Bezug auf die "Familie" durch "häusliche Gemeinschaft" ersetzt wird.
Im Falle einer FGG-Regelung sollte gem. § 49a im Rahmen des Eilverfahrens jedoch lediglich eine Information des Jugendamtes über bereits erlassene Beschlüsse erfolgen, da sonst der zügige Erlass einer Anordnung nicht gesichert wäre. Gleichzeitig sollte bereits seitens des Gerichts auf die Möglichkeiten der Beratung vor Ort hingewiesen werden. Die Information des Jugendamtes und der Hinweis auf Beratungsmöglichkeiten sollte auch im Falle der Anwendung des § 2 GewSchG erfolgen, da es z.B. auch Fälle von Umgangsrechten nichtehelicher Väter geben kann.
Begleitend sollte im Wege der Amtshilfe eine gegenseitige Informationspflicht der Zivilgerichte und der Polizei eingeführt werden.


Bonn, den 30. Juni 2000

gez. Prof. Dr. Ursula Nelles
1. Vorsitzende

Regierungsdirektorin Dorothea Schuk
Vorsitzende des Arbeitsstabs
"Gewalt gegen Frauen" des djb