Stellungnahme: 00-03


zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Stellungnahme vom

Die Grundrechtscharta der Europäischen Union wird das Europa der Bürgerinnen und Bürger um einen großen und entscheidenden Schritt voranbringen. Der djb begrüßt es, wenn hiermit der heute erreichte Grundrechtsstandard niedergeschrieben wird und gleichzeitig die Chance genutzt wird, diesen weiterzuentwickeln, bspw. durch die Aufnahme sozialer Grundrechte.

Ausgangspunkt
Derzeit hat die EU gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV die Grundrechte gemäß der EMRK, und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, zu achten. Hierzu liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor.

Fortentwicklung
Es ist allerdings zu beachten, dass die EMRK nicht mehr den aktuellsten Stand der europäischen Grundrechtskultur formuliert; so weist sie z.B. Lücken beim Gleichheitssatz auf. Bei einer Gesamtschau der europäischen Verfassungstraditionen sollten auch die Verfassungen der deutschen Länder berücksichtigt werden; diese formulieren z.B. weitergehende Handlungsziele.

Ziel
Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sollen wissen, welche Rechte Ihnen zustehen (Transparenz), dass die EU sich hieran halten will (rechtliche Verbindlichkeit) sowie dass und wie sie diese durchsetzen können (effektiver Rechtsschutz).

Transparenz
Die Grundrechte müssen für die EU-Bürgerinnen und Bürger verständlich geschrieben und leicht auffindbar sein. Letzteres spricht auch dafür, sie in den EUV aufzunehmen.

Rechtliche Verbindlichkeit
Um diese Verbindlichkeit zu erreichen, sollte die Grundrechtscharta entsprechend formuliert in den EUV selbst aufgenommen werden. Eine umfassende Bindung der EU ist dabei anzustreben (Handlungen aller Organe etc.).

Effektiver Rechtsschutz
Der Rechtsschutz ist effektiv zu gestalten. Zu den bisherigen Möglichkeiten wie z.B. Vorlageentscheidungen nationaler Gerichte an den EuGH hinzu kommen muss daher eine Grundrechtsklage insbesondere für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger direkt zum EuGH und zwar nach Erschöpfung des nationalen Rechtsweges sowie wenn keine gleichzeitige Klagemöglichkeit andernorts besteht. Hierbei sollte auch Verbänden - wie z.B. dem djb - zumindest ein Recht zur Stellungnahme eingeräumt werden; eine Verbandsklage wäre wünschenswert.

Zwingende Folge einer solchen zusätzlichen Klagemöglichkeit ist eine verbesserte Ausstattung des EuGH im Hinblick auf seine Ressourcen. Denkbar wäre eine Grundrechtskammer. Bei der Besetzung ist neben einem Proporz der Mitgliedstaaten auch ein Geschlechterproporz notwendig.

Sprachliche Fassung:
Die vom Präsidium vorgelegten überarbeiteten Artikel (Convent 13) sind geschlechtsneutral bzw. geschlechtsdifferenziert formuliert worden. Der djb regt an, dass die gesamte Grundrechtscharta entsprechend formuliert wird.

Die bis jetzt vorliegenden Formulierungsvorschläge sind grundsätzlich zu begrüßen, da sie den europäischen Grundrechtsstandard sachgerecht formulieren. Klarstellungen und Änderungen werden für folgende Bereiche vorgeschlagen:

Art. 1     Würde des Menschen (Convent 13)
Die Würde des Menschen wird unter allen Umständen geachtet und geschützt.

Anmerkung:
Sinnvoll ist die Regelung des Geltungsbereichs in einem Artikel 1 vor der Nennung der Grundrechte oder in einer Präambel.

Keinesfalls darf der Grundrechtskatalog aber in irgendeiner Form von der Regelung des Geltungsbereichs unterbrochen werden. Sonst besteht die Gefahr, dass die Bindung an die vor der Regelung stehenden Grundrechte angezweifelt wird. Insofern sollte die Regelung des Geltungsbereichs auch nicht in einem Absatz 2 zu dem Artikel über die Menschenwürde stehen.

Art. 2 neu     Recht auf freie Entwicklung der Persönlichkeit
Alle Menschen haben das Recht, sich frei in ihrer Persönlichkeit zu entwickeln, soweit sie nicht gegen die Rechte anderer, innerstaatliches Recht oder das Recht der Europäischen Union verstoßen. Der Kern ihrer Persönlichkeit ist frei von hoheitlicher Einmischung.

Begründung:
Eine allgemeine Handlungsfreiheit ist mehreren europäischen Verfassungen bekannt. Ihre Auffangfunktion macht eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit jeglicher belastender Eingriffe möglich, insbesondere des auch europarechtlich anerkannten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Als besonders wichtige Ausprägung der Menschenwürde bedarf es eines ausdrücklichen absoluten Schutzes des Persönlichkeitskerns, der auch über den Schutz des Privatlebens im Sinne des Art. 12 (Convent 13) hinausgeht.

Die Menschenwürde stellt eine absolute Tabugrenze dar, die klassisch mit Bereichen wie Menschenhandel, Folter, Todesstrafe oder Euthanasie verbunden wird.

Die neuere Rechtsentwicklung und die durch sie reflektierte rasante Entwicklung im technologischen Bereich haben jedoch gezeigt, dass auch Fälle wie die Verwendbarkeit von Tagebucheintragungen, die Speicherung persönlicher Daten, der Schutz des Namens, das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung etc. den Kernbereich sowohl der allgemeinen Handlungsfreiheit als auch der Menschenwürde berühren. Eine ausdrückliche grundrechtliche Absicherung ist deshalb geboten.

Die Formulierung "Achtung ihres Privatlebens" aus Art. 12 (Convent 13) dagegen deutet auf eine Begrenzung des Persönlichkeitsschutzes auf den Bereich außerhalb des Berufs, des öffentlichen Lebens, kurz innerhalb der eigenen vier Wände hin, der zwar notwendig aber nicht ausreichend ist.

Art. 7     Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz und Verfahrensgrundsätze (Convent 13)

  1. Jede Person, deren Rechte und Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht auf wirksamen Rechtsschutz vor einem Gericht.
  2. Jede an einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren beteiligte Person hat Anspruch auf rechtliches Gehör.
  3. Jede Person hat einen Anspruch darauf, dass Verfahren in angemessener Dauer durchgeführt und mit einer anfechtbaren sowie mit einer begründeten Entscheidung abgeschlossen werden.
  4. Für das Handeln der Gemeinschaftsorgane gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
  5. Der Grundsatz der Vertraulichkeit und Amtsverschwiegenheit wird garantiert.

Begründung:
Es erscheint wünschenswert wegen der zu erwartenden Zunahme von Verfahrensentscheidungen der Gemeinschaftsorgane nicht nur die Beschwerdemöglichkeit einzuräumen, sondern schon für das vorher stattfindende Verwaltungsverfahren die grundlegenden Verfahrensprinzipien in die Grundrechtscharta aufzunehmen und somit die Rechtsstaatlichkeit auch dieses Handelns festzuschreiben.

Es könnte einfach auf die insoweit bereits existierende Rechtsprechung zu den vom EuGH anerkannten bzw. entwickelten Verfahrensgrundrechten zurückgegriffen wer-den. Die Beachtung dieser Verfahrensrechte in allen Verfahren ist ein elementarer Grundsatz des Gemeinschaftsrechts.

Wegen der Bedeutung dieser allgemeinen Verfahrensgrundsätze sollten diese als Abs. 2 - 5 angefügt werden.

Art. 8     Recht auf ein unparteiisches Gericht (Convent 13)
Jede Person hat Anspruch darauf, dass ihre Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht verhandelt wird. Für diejenigen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird eine unentgeltliche Prozesskostenhilfe bereitgestellt, sofern diese Hilfe unerlässlich ist, um den Zugang zum Recht wirksam zu gewährleisten. Dies gilt auch für Zeuginnen und Zeugen sowie Opfer von Gewaltstraftaten.

Begründung:
Wünschenswert wäre im Hinblick auf Satz 2, dass - insbesondere in Strafverfahren - neben den Rechten des Beschuldigten auch die Rechte der Zeugen beziehungsweise allgemein der Opfer von Gewaltstraftaten angemessen auszugestalten sind und ihnen ebenfalls unentgeltlich effektiver Schutz ihrer Rechte im Verfahren gewährleistet wird. Dies wird in dem neuen Satz 3 vorgeschlagen.

Eine solche Regelung ist für Frauen besonders wichtig, da sie oft über kein eigenes Einkommen oder lediglich über geringes Einkommen verfügen.

Art. 12     Achtung des Privatlebens (Convent 13)
Jede Person hat Anspruch auf Schutz des Privatlebens vor Zugriffen anderer oder der Union sowie auf freie Gestaltung ihrer Privatsphäre, auf Schutz ihrer Ehre, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.

Begründung:
Die vom Präsidium vorgeschlagene Formulierung "Achtung des Privatlebens" ist ungenau und vermittelt den Eindruck eines im Schutzgehalt nur gering ausgestalteten subjektive Rechts. Es wird daher eine Präzisierung vorgeschlagen, die deutlich macht, dass das Recht auf Privatleben sowohl ein subjektives Abwehrrecht, als auch ein subjektives Recht auf Gestaltung der privaten Sphäre nach eigener persönlicher Entscheidung umfasst.

Die Einfügung des Begriffes der "Ehre" wird begrüßt, da damit über den gegenständlich zu erfassenden Privatbereich hinaus ein Anspruch auf Schutz persönlicher Wertvorstellungen, Empfindungen und Einstellungen gewährt wird. Der Schutz der Ehre ist von Art. 1 "Würde des Menschen" zwar grundsätzlich mit abgedeckt, dennoch ist eine Konkretisierung gegenüber dem allgemein gefassten Grundrecht der Menschenwürde notwendig. Durch die Einbeziehung der Ehre in den Schutzbereich des Privatlebens wird der persönlichen Integrität eines jeden Menschen eine hervorragende Bedeutung zugemessen.

Die Aufnahme des Ehrenschutzes in den Bereich der Schutzklausel zur Achtung des Privatlebens bedeutet eine Aufwertung gegenüber der Ehrenschutzregelungen des deutschen Grundgesetzes. Dort ist die Ehre in Artikel 5 Abs. 2 GG als eine Schranke des Grundrechts der Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit normiert.

Unter Zugrundelegung eines weitgehenden Verständnisses des Ehrenschutzes wird von dessen Schutzbereich nicht nur die Abwehr ehrverletzender Äußerungen oder Werturteile erfasst, sondern vielmehr auch jede weitere Handlung gegen die persönliche Integrität, insbesondere die - psychische und physische - Gewalt in der Ehe oder sonstige Belästigungen, die in den Persönlichkeitsbereich eines Menschen eingreifen.

Der Ehrenschutz geht im übrigen weiter, als der in Artikel 3 (Convent 13) geschützte Bereich der körperlichen und psychischen Unversehrtheit. Dort zeigt insbesondere Abs. 2, dass der Schutzbereich von Artikel 3 eher in die Richtung einer medizinisch-biologischen Unversehrtheit zu verstehen ist, wohingegen der Ehrenschutz die Unversehrtheit der Gefühle, Empfindungen und Wertvorstellungen erfasst.

Die Gewährung des Ehrenschutzes darf nicht zur Einschränkung der Selbstbestimmung von Frauen führen.

Art. 13     Ehe und Familie (Convent 13)

  1. Jede Person hat das Recht auf rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz ihres Familienlebens.
  2. Jede Person hat das Recht, nach den Gesetzen der Mitgliedstaaten, die die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Niemand darf zur Eheschließung gezwungen werden.
  3. Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit ist zu gewährleisten.

Begründung:
Zu Abs. 1:
Die vom Präsidium vorgeschlagene Formulierung "Achtung" ist zu präzisieren unter Zuhilfenahme des vom Präsidium vorgeschlagenen Absatzes 3. Die hier vorgeschlagene Formulierung "rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Schutz" (bisher Abs. 3 des Präsidiumsvorschlages) ist differenzierter und fasst es als subjektives Recht klarer. Alleinerziehende, kinderreiche Lebensgemeinschaften und solche mit behinderten Angehörigen sind mit der vorgeschlagenen Formulierung ebenso erfasst wie Menschen, die in häuslicher Gemeinschaft Kinder aufziehen oder Hilfsbedürftige betreuen.

Zu Abs. 2:
Die zentrale Gefährdungslage im Eherecht - der Zwang zur Eheschließung - ist im Präsidiumsvorschlag nicht berücksichtigt und sollte ergänzt werden.

Zu Abs. 3:
Das Recht auf Ehe und Familie kann nicht losgelöst von der im täglichen Leben immer auftauchenden Frage der Vereinbarkeit mit der Erwerbsarbeit geregelt werden. Frauen und Männer sind Erwerbstätige und tragen zugleich Familienverantwortung. Dies gilt insbesondere im Zuge der fortschreitenden Individualisierung der Rechte und im Hinblick darauf, dass die Alleinverdienerfamilie heute nicht mehr die Lebenswirklichkeit widerspiegelt. Dieses Spannungsfeld ist zu thematisieren und die Vereinbarkeit als Handlungsziel in die Grundrechtscharta aufzunehmen. Die Union sollte verpflichtet werden, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit von Frauen und Männern zu berücksichtigen, wenn sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Maßnahmen beschließt.

Art. 18     Gleichheit (Convent 8, S. 7)

  1. Alle Menschen sind vor dem Recht gleich.
  2. Unterscheidungen nach der ethnischen oder sozialen Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der politischen Anschauung, der sexuellen Identität oder der Behinderung sind untersagt, sofern sie nicht zum Ausgleich bestehender Nachteile erforderlich sind.

Begründung:
Abs. 2:
Der hier vorgeschlagene Abs. 2 entspricht im Kern dem vom Präsidium vorgeschlagenen Art. 19. Die Rechtsgleichheit wird hier im Sinne genereller rechtlicher Differenzierungsverbote konkretisiert. Kompensatorische Maßnahmen sind ausdrücklich zulässig. Allerdings müssen diese auch erforderlich sein. Die vorgeschlagene Umschreibung des Benachteiligungsverbotes ist klarer und juristisch eindeutiger als ein Diskriminierungsverbot. Es sind wesentliche Merkmale ausgewählt worden, die elementaren Unrechtserfahrungen entsprechen. Das vom Präsidium auf der Grundlage der EMRK vorgeschlagene generelle Unterscheidungsverbot nach dem Alter oder dem Vermögen wird abgelehnt. In beiden Fällen existieren vielfältige und allgemein akzeptierte gesetzliche Differenzierungen (Altersgrenzen; Steuer- und Leistungsgesetze), die ein generelles Differenzierungsverbot nicht sachgerecht erscheinen lassen. Der allgemeine Gleichheitssatz bietet hier einen ausreichenden Schutz.

Art. 19     Gleichstellung von Frau und Mann (Convent 8, S. 7)

  1. Die Union und die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Bedingungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen zu schaffen und bei ihren Maßnahmen die Geschlechtergleichstellung miteinzubeziehen.
  2. Neben der Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht ist die Verwendung von Kriterien untersagt, die formal geschlechtsneutral sind, jedoch einen erheblich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechtes betreffen, ohne dass sie durch wichtige Gründe, die nicht auf das Geschlecht bezogen sind, gerechtfertigt werden können.
  3. Zur Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung sind Maßnahmen zur Förderung des benachteiligten Geschlechts zulässig.

Begründung:
Die vom Präsidium vorgeschlagene Einbindung der Geschlechtergleichstellung in die Nichtdiskriminierung (Art. 19) ist unangemessen. Die Verankerung der Gleichstellung von Frauen und Männern sollte in einem eigenständigen Artikel besonders herausgehoben werden. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten sind Frauen. Die Rechte von Frauen sind deshalb nicht als ein Aspekt des Minderheitenschutzes zu betrachten.

Abs.1:
Die Voraussetzungen der tatsächlichen Gleichberechtigung können von der Union und den Mitgliedstaaten verwirklicht werden. Das Ergebnis selbst, wie z.B. die gleiche Teilhabe auf allen Ebenen des Erwerbslebens kann nicht von den Mitgliedstaaten oder der Union hergestellt werden. Im zweiten Teilsatz ist der gender-mainstreaming-Ansatz formuliert. Union und Mitgliedstaaten müssen die Geschlechtergleichstellung überall miteinbeziehen.

Abs. 2:
Das unmittelbare Diskriminierungsverbot ist in einer Grundrechtscharta festzuschreiben. Dazu gehören auch verdeckte Benachteiligungen, die nur ein Geschlecht betreffen. Die Verankerung eines qualifizierten mittelbaren Diskriminierungsverbotes ist gleichfalls notwendig. Das entspricht der bisherigen Rechtslage.

Abs. 3:
Die Wirklichkeit zeigt deutlich notwendigen Handlungsbedarf. Frauen nehmen anders als Männer am öffentlichen Leben und am Erwerbsarbeitsleben teil. Sie sind in Entscheidungspositionen im wirtschaftlichen und politischen Bereich deutlich unterrepräsentiert, wenn überhaupt vertreten. Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichberechtigung von Frauen und Männern sind deshalb spezifische Vergünstigungen des benachteiligten Geschlechts beizubehalten oder zu beschließen. Eine Kompensationsklausel, wie in Abs. 3 vorgeschlagen, ist deshalb in die Grundrechtscharta aufzunehmen.

Art. 19     Asyl (Convent 8, S. 6)

  1. Jede nicht der Union angehörende Person, die politisch, aus religiösen oder rassistischen Gründen verfolgt wird oder unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung ausgesetzt ist, hat ein Recht auf Asyl in der Europäischen Union. Sie hat ein Bleiberecht bis zum Abschluss des Verfahrens.
  2. Kollektivausweisungen von Ausländerinnen und Ausländern sind nicht zulässig.

Begründung:
Das Asylrecht in Abs. 1 ist differenzierter zu fassen. Die vorgeschlagene Formulierung ermöglicht die Anerkennung religiöser, rassistischer und frauenspezifischer Fluchtgründe. Der notwendige Abschiebungsschutz ist als Satz 2 angefügt.

Art. E     Recht auf Vertretung
Die gleichberechtigte Teilhabe und Vertretung von Frauen und Männern sind zu gewährleisten.

Begründung:
Frauen sind in EU-Gremien eklatant unterrepräsentiert. Die Besetzung des Konvents zum Entwurf einer Grundrechtscharta ist hierfür ein deutlicher Beweis (9 Frauen und 53 Männer).

Die vorgeschlagene Regelung sichert, dass zukünftig die wahlrechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für eine angemessene Beteiligung von Frauen und Männern getroffen werden müssen. Eine solche Verpflichtung kann in unterschiedlicher Weise umgesetzt werden. Eine Regelung mit langfristiger Geltung sollte kein bestimmtes Verfahren festlegen, sondern offen sein für Weiterentwicklungen und Anpassungsnotwendigkeiten an geänderte Verhältnisse.

Art. II     Berufsfreiheit (Convent 18)

  1. Jede Person hat das Recht, ihren Beruf und ihr Gewerbe frei zu wählen und auszuüben, unbeschadet der die Freizügigkeit von Personen betreffenden Bestimmungen des Vertrages.
  2. Zwangsarbeit ist verboten.

Begründung:
Abs. 2:
Das in einem neuen Absatz 2 vorgeschlagene Verbot der Zwangsarbeit entspricht den Grundsätzen der mitgliedstaatlichen Demokratien.

Art. XI     Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Eltern (Convent 18)
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genießen als Eltern besonderen Schutz. Den Belangen von schwangeren Arbeitnehmerinnen ist besonders Rechnung zu tragen.

Begründung:
Elternschaft ist Aufgabe von Müttern und Vätern, die in aller Regel gleichzeitig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Um ihren gesellschaftlich wichtigen Betreuungs- und Erziehungsaufgaben nachkommen zu können, benötigen sie einen besonderen Schutz. Dieser besondere Schutz beschränkt sich nicht auf die Gewährung von Elternurlaub. Der durch die Richtlinie 96/34/EG vorgegebene Anspruch auf mindestens drei Monate Elternurlaub ist zudem ausbaufähig. Es sind auch andere Maßnahmen, wie etwa die Freistellung wegen Krankheit des Kindes oder ein Anspruch auf Teilzeit denkbar. Entsprechende gesetzliche Regelungen existieren bereits auf nationaler Ebene oder sind in Vorbereitung.

Im Präsidiumsvorschlag wird in Art. XI (Convent 18) ein Mutterschutz von mindestens vierzehn Wochen als Recht der Arbeitnehmerin formuliert, der gestrichen werden sollte. Der Vorschlag entspricht zwar der momentanen Rechtslage (Richtlinie 92/85/EG). Es ist aber denkbar, dass weitergehende und andere Maßnahmen zum Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen entwickelt werden. Eine Grundrechtscharta sollte diese Entwicklungsmöglichkeit bieten.

Wegen des Sachzusammenhangs sollten die vom Präsidium vorgeschlagenen Art. XI und XII zu dem hier vorgeschlagenen einheitlichen Art. XI zusammengefasst werden.


Bonn, den 11. Mai 2000

 

Prof. Dr. Ursula Nelles
1. Vorsitzende
Sabine Overkämping
Vorsitzende der Kommission
Europa des djb