Stellungnahme: 00-02


zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses (Stand 23.12.1999)

Stellungnahme vom

Allgemeine Bemerkungen:

I.

Der Arbeitsstab Justizreform des Deutschen Juristinnenbundes begrüßt den Reformentwurf.

Die in der Begründung unter I. genannten Reformziele weisen in die richtige Richtung; dabei dürfte die angestrebte Bürgernähe nicht immer erreichbar sein mit Blick auf das Reformziel der Effizienz. Dies ist aus unserer Sicht aber hinzunehmen. Insbesondere ist die Beseitigung der starken Orientierung am Streitwert und die Funktionsdifferenzierung zwischen der ersten und zweiten Instanz sachgerecht.

Der Arbeitsstab weist allerdings darauf hin, dass der Deutsche Juristinnenbund in der Gesamtheit seiner Mitglieder insoweit die Auffassung nicht uneingeschränkt teilt. Die Anwältinnen neigen der Position des Deutschen Anwaltvereins eher zu, der dem Reformvorhaben skeptisch gegenübersteht. Die Berufsrollen mit ihren jeweiligen spezifischen Anforderungen und Erfahrungen dürften prägend in der Haltung gegenüber dem Reformvorhaben sein. Die Anwältinnen begrüßen lediglich die Umgestaltung der ersten Instanz, insbesondere die Betonung der Verpflichtung zum Rechtsgespräch und zu prozessleitenden Verfügungen. Hier lägen bisher die Schwachstellen der ersten Instanz.

Das Reformvorhaben wird nicht nur zu erheblichen Veränderungen in der Justizkultur führen, sondern bringt auch wirtschaftlich relevante Umstrukturierungsprozesse bei der Anwaltschaft mit sich. Für die letztere forensisch tätige Berufsgruppe wird ohne eine Veränderung des Gebührensystems eine Akzeptanz schwerlich zu erreichen sein.

 

II.

Das empirische Material bzw. dessen vollständiges Fehlen für die Berufungsinstanz ist nicht überzeugend, soweit es um die zukünftige Belastung der Instanzen geht. Dies ist kein Einwand gegen die Sinnhaftigkeit des Reformvorhabens. Für die Akzeptanz in der Richterschaft ist es aber wichtig, dass Belastungen nicht verschwiegen werden.

Der Arbeitsstab hatte bereits anlässlich des 33. Kongresses des Deutschen Juristinnenbundes vom 16. - 18.09.1999 in Magdeburg darauf hingewiesen, dass die erste Instanz dem umfassenden Erledigungsauftrag und der gestiegenen Bedeutung nur dann gerecht werden kann - neben verbesserter Ausbildung und Fortbildung -, wenn der Personaleinsatz erhöht wird. Die beim Landgericht frei werdenden Kapazitäten müssten mithin der ersten Instanz zugute kommen. Die Oberlandesgerichte sehen sich aber ebenfalls vor einem Mehrbedarf im Hinblick auf die auf sie zukommenden Aufgaben: Zuständigkeit für alle Berufungen und Beschwerden, vergrößerter Aufwand in der mündlichen Verhandlung und bei der Abfassung der Urteile, wobei die Prognosen über den Anteil erfolgreicher Annahmeverfahren doch sehr unsicher sind.

Dennoch ist im Grundsatz die vorgesehene Ausgestaltung der drei Instanzen sachgerecht.

Die Stellungnahme beschränkt sich daher auf die Kommentierung solcher Regelungen, die entweder aus unserer Sicht änderungsbedürftig oder aber besonders wichtig sind, um den Prozess zu beschleunigen.


Im einzelnen:

Zu § 139

Die stärkere Verpflichtung des Gerichts, prozessleitende Verfügungen zu treffen und das Rechtsgespräch mit den Parteien und ihren Anwälten zur Vermeidung von fehlerhaften Prozessentwicklungen zu fördern, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Die konkrete Ausgestaltung ist aber überformalisiert, insbesondere, soweit es um den Protokollierungszwang geht. Schon jetzt ist es dem Gericht untersagt, Überraschungsentscheidungen zu fällen. § 139 i.V.m. § 278 und § 537 führt zu Verfahrensverzögerungen und erschwert eine sachgerechte Verhandlungsführung durch das Gericht. Der Protokollierungszwang, sofern damit auch die inhaltliche Wiedergabe der rechtlichen Hinweise intendiert ist, wovon wohl auszugehen ist, führt nicht nur zu langen Protokollen und langen Sitzungen, ohne dass der Sach- und Streitstoff dabei weiter von den Parteien erörtert wird, eher wird dies auch zwangsläufig in schwierigen Verfahren zu weiteren Terminen führen. Es ist keineswegs selten, dass nach einer Beweisaufnahme die rechtlichen und tatsächlichen Schlussfolgerungen für das Gericht offen sind oder kontrovers beurteilt werden mit der Folge, dass Einschätzungshinweise als Ergebnis nicht gegeben werden können. Die Ausgestaltung des §529 Abs. 3 (wohl orientiert an den Verfahrensregeln der StPO), kann geradezu das Terrain öffnen für eine Partei, einen gegebenen Hinweis wahrheitswidrig zu leugnen und ein Rechtsmittel hierauf zu stützen.

Es sollte deshalb nach Regelungsmöglichkeiten gesucht werden, die einen sachgerechten Vortrag im Rechtsmittelverfahren ermöglichen, ohne dass der Zivilprozess durch Protokollierungspflichten ohne Not überfrachtet wird.

Zu §§ 142, 144:

Diese Regelungen sind im Hinblick auf die Einbeziehung von Dritten sehr weitgehend.

Zu § 156

Die Regelung ist wohl die unausweichliche Folge der Konstruktion von §139 ZPO. Wird diese Vorschrift nicht elastischer ausgestaltet, wird es zu einer Vielzahl von Anwendungsfällen der Wiedereröffnung der Verhandlung kommen mit der Konsequenz deutlicher Verzögerungen. Insbesondere im Anwaltsprozess ist diese Konsequenz nicht erforderlich.

Zu §§ 278, 279

Die Ausgestaltung der Güteverhandlung ist grundsätzlich sinnvoll. Bedenken sind allerdings angezeigt, soweit es um die Regelung geht, dass unmittelbar im Anschluss an eine fehlgeschlagene Güteverhandlung sich auch der Haupttermin anschließen soll. Zum Haupttermin werden im Regelfall bereits vorsorglich Zeugen geladen. Da das Ergebnis der Güteverhandlung nicht bekannt ist, wird es hier zu Fehlplanungen kommen, die möglicherweise mit Kosten verbunden sind. Für den frühen ersten Termin gilt dies nicht.

Allgemein ist für die Güteverhandlungen darauf hinzuweisen, dass aus gutem Grund bei den Amtsgerichten bei niedrigen Streitwerten die Prozessbevollmächtigten nicht vergleichsgeneigt sind. Kosten für die Parteien liegen bei einem Vergleich häufig höher als bei einem Urteil. Es sollte deshalb überlegt werden, ob nicht von einer obligatorischen Güteverhandlung Abstand genommen wird, zumal sich nicht alle Prozess-Streitigkeiten für Güteverhandlungen eignen.

Zu § 348, 348 a

Angesichts der empirischen Befunde zum Einsatz von Einzelrichtern sind nachhaltige Einwände nicht zu erheben. Dennoch ist die Regelung nicht unbedenklich insbesondere dann, wenn bereits Proberichter nach einem 6-monatigen Einsatz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zugelassen werden sollen, was aus der Sicht des Deutschen Juristinnenbundes nicht sachgerecht ist. Sie führt dazu, dass schon in ganz jungen Jahren auch bei erheblichen Streitwerten und komplizierten Sachverhalten der originäre Einzelrichter zum Einsatz kommt, bei einem Streitwert unter 60.000,- DM ist es ihm überlassen, die Voraussetzungen des §348 Abs. 3 anzunehmen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass auch die Referendarausbildung verändert werden soll, werden nach dem Entwurf Anfänger zu früh mit Aufgaben betraut, ohne dass eine ausreichende Kontrolle durch die Kammer vorgesehen ist. Die Erfahrungen mit den Amtsrichtern sind insoweit kein hinreichender Einwand, weil in der Masse die dort verhandelten Rechtsstreitigkeiten in der rechtlichen Komplexität nicht ganz so weitreichend sind.

Im übrigen muss es aus der Sicht des Arbeitsstabes des Juristinnenbundes eine Phase und einen Platz in der Justiz geben, in der junge Richter umfassender ausgebildet werden als nach dem Prinzip learning by doing. Wie bereits anlässlich des Kongresses des Deutschen Juristinnenbundes in Magdeburg ausgeführt, sollte dringend überlegt werden, ob nicht die Rechtsfigur des Richterassistenten eingeführt wird, bevor dann Proberichter mit so weitreichenden Aufgaben betraut werden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Erfahrungen mit dem Einzelrichter in einem Zivilprozess-System gewonnen wurden, welches eine uneingeschränkte Überprüfung in der Berufungsinstanz vorsah. Um die Optimierungschancen des Kammerprinzips auch beim Einsatz des originären Einzelrichters zu nutzen, wäre zu überlegen, ob wenigstens der Kammervorsitzenden oder dem Kammervorsitzenden ein Prüfungsrecht vorbehalten werden soll.

Zu § 511 a ZPO

Auch wenn eine Ausweitung der Rechtsmittelmöglichkeiten auch im Bereich von niedrigen Streitwerten ein Mehr an Rechtsstaatlichkeit bewirken mag, scheint die Regelung überzogen. Da eine Zulassungsberufung ohnehin bei geringeren Streitwerten vorgesehen ist, erscheint es ausreichend, den Wert der Beschwer, wie bisher, bei 1.500,- DM als Rechtsmittelgrenze zu belassen. Für den Regelfall dürfte einer Partei heute dieser Betrag zumutbar sein, wenn es sich nicht um Fälle grundsätzlicher Bedeutung handelt, die auf diese Weise einem Rechtsmittel ohnehin offenstehen.

Der Entwurf verwendet bei allen drei Rechtsmitteln (Zulassungsberufung, Annahmeverfahren, Revision) den Begriff der "Rechtssache grundsätzlicher Bedeutung". Die Begründung deutet darauf hin, dass hier von einem einheitlichen Rechtsbegriff auszugehen ist, der dennoch verschiedene Ausprägungen erfahren wird. Im Zusammenhang mit dem jeweiligen Rechtsmittel werden die Anforderungen wohl doch verschieden ausgeprägt sein. Hier wird es anfänglich wohl zu Unsicherheiten kommen.

Um den Druck auf das Bundesverfassungsgericht nicht zu erhöhen, könnte überlegt werden, eine Nichtzulassungsbeschwerde auch hier einzuführen, der Mehraufwand für das Oberlandesgericht ist dann aber nicht von der Hand zu weisen.

§§ 513, 516, 517

Bei diesen Regelungen handelt es sich um deutliche Verbesserungen gegenüber der derzeitigen Rechtslage.

Zu § 522

Auch wenn im Einzelfall die Besorgnis geäußert wird, über die Annahmeberufung könnte das Oberlandesgericht zu restriktiv den Zugang zur Rechtsmittelinstanz regulieren, so dürfte die Ausgestaltung dennoch sachgerecht sein. Hier kommt hinzu, dass die Entscheidung durch den Senat getroffen wird, so dass ausreichende Korrektive vorhanden sind.

Zu §§ 526, 527

Der Regelung ist in vollem Umfang zuzustimmen.

Zu § 529

Die Regelung erscheint sachgerecht. Nicht akzeptabel ist allerdings Abs. 3 dieser Vorschrift, insoweit kann auf die Ausführungen zu §139 ZPO verwiesen werden.

Zu § 531

Der Regelung ist zuzustimmen, wobei die Änderung des Entwurfs zu Abs. 2 Ziffer 3 gegenüber der Fassung im Arbeitsentwurf vom 11.10.1999 wohl nur redaktioneller Art ist.

Zu § 538

Die Vorschrift des §538 ZPO begegnet erheblichen Bedenken und sollte in dieser Form keinen Bestand haben. Es gibt, wenn natürlich auch nicht in der Mehrheit, erstinstanzliche Richter, die sehenden Auges die Sach- und Rechtsaufklärung nicht vorantreiben, weil diese Rechtshandlungen in der nächsten Instanz nachholbar sind und die Oberlandesgerichte sich ohnehin sehr schwer tun, einen Rechtsstreit wegen eklatanter Verfahrensmängel zurückzuverweisen. Die jetzt vorgesehene Regelung stellt ein derartiges Verhalten sanktionsfrei und wird eine solche Tendenz, zumal bei eigener Überlastung, begünstigen. Die Regelung ist dysfunktional und widerspricht allen bisherigen Erfahrungen, wonach nur in ganz außergewöhnlichen Fällen von der bisher zulässigen Zurückverweisung Gebrauch gemacht wird. Im Übrigen begegnet auch die Ziffer 3 auch insoweit Bedenken, als es von den Anträgen einer Partei abhängig gemacht wird, ob das Oberlandesgericht einen Rechtsstreit zurückverweisen kann. Wie auch bisher in §539 ZPO, muss bei groben Verfahrensverstößen eine Zurückverweisung zulässig sein, ohne dass es auf den Parteiwillen ankommt. Eine Korrektur könnte insofern eingeführt werden, als eine Zurückverweisung bei Verfahrensfehlern nur bei einer umfangreich durchzuführenden Beweisaufnahme möglich ist, so dass Missbräuche ausgeschlossen sind.

Zu §§ 542 ff.

Die Ablösung der Streitwertrevision durch eine allgemeine Zulassungsrevision mit dem Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde ist sachgerecht und wird begrüßt. Die wirtschaftlichen Interessen, die seitens der Anwaltschaft zum Teil ins Feld geführt werden, um nach wie vor eine streitwertabhängige Revision zu rechtfertigen, greifen kaum durch, da nach den empirischen Erhebungen die Zahl der Ablehnungen der Annahme nach §554 b ZPO zunimmt. Faktisch steuert der Bundesgerichtshof deshalb schon heute auch bei den Streitwertrevisionen die Annahme über die Rechtsfigur der Bedeutung der Sache. Aus rechtsstaatlichen Gründen ist die Ausweitung der revisiblen Verfahren ebenfalls zu begrüßen.

Zu §§ 567 ff.

Die Neuregelung des Beschwerdeverfahrens ist sachgerecht. Insbesondere die Aufhebung der Unterscheidung zwischen der sofortigen und einfachen Beschwerde mit genereller Abhilfemöglichkeit gibt die Chance einer zeitnahen und effektiveren Bescheidung. Rechte der Parteien werden nicht unangemessen verkürzt. Durch den Anwaltszwang, Begründungserfordernisse und Präklusionsfristen dürfte es hier zu einer strafferen Verfahrensgestaltung kommen.


Bonn, den 30. März 2000

 

Prof. Dr. Ursula Nelles
1. Vorsitzende
Kristiane Weber-Hassemer
Vorsitzende des Arbeitsstabs
Justizreform