Stellungnahme: 00-01


zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Stand 1. Februar 2000)

Stellungnahme vom

Der vorgelegte Entwurf beabsichtigt über notwendige Anpassungen an das europäische Gemeinschaftsrecht hinaus strukturelle Verbesserungen beim Erziehungsgeld und beim Erziehungsurlaub. Diese Idee wird vom djb grundsätzlich begrüßt, denn dieser hat regelmäßig kritisiert hat, dass das Erziehungsgeld seit seiner Einführung im Jahr 1986 nie erhöht wurde und zwar weder hinsichtlich der Höhe (600 DM) noch hinsichtlich der Einkommensanrechung. Allerdings nimmt der jetzt vorgelegte Entwurf keine Erhöhung des Erziehungsgeldes vor, sondern hebt lediglich die Grenzen bei der Einkommensanrechnung an für die Zeit ab dem siebten Monat. Die dadurch entstehenden Mehrausgaben werden jedoch durch eine höhere Minderung des Erziehungsgeldes wieder kompensiert. Im Ergebnis handelt es sich also um eine Mogelpackung.

Auch die Verbesserungen beim Erziehungsurlaub sind marginal und darüber hinaus juristisch und politische zweifelhaft zu bewerten. Der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs zu einem späteren Zeitpunkt, sprich bis zu achten Lebensjahr des Kindes, ist an die Zustimmung des Arbeitgebers gebunden. Insoweit bestehen erhebliche eg-rechtliche Bedenken. Der neue "Anspruch" auf Teilzeit wegen Kindererziehung wird vielen Frauen nichts nutzen, da sie in Kleinbetrieben arbeiten, in denen der Anspruch nicht gelten soll.

Zu den wichtigsten Punkten des Entwurfs nimmt der djb im einzelnen wie folgt Stellung:

1. Höhe des Erziehungsgeldes in den ersten sechs Monaten des Kindes

Bei seiner Einführung im Jahr 1986 betrug das Erziehungsgeld 600 DM. Dieser Betrag ist seit dem nie erhöht worden und soll auch nach dem Gesetzentwurf nicht steigen. Erziehungsgeld soll Erziehungsleistungen honorieren und müsste daher an die Entwicklung der Löhne und Gehälter bzw. an die Entwicklung von vergleichbaren Sozialleistungen mit Lohnersatzcharakter anknüpfen. Dies soll aber auch künftig nicht geschehen. Selbst bei einer Entwicklung nur entsprechend der Renten, ergäbe sich nach heutigem Recht ein Betrag von 830 DM. Bezogen auf die Einkommensentwicklung müsste das Erziehungsgeld heute bei fast 1.000 DM liegen. Eine Anpassung wie bei anderen Sozialleistungen ist für das Erziehungsgeld noch nicht einmal angedacht. Aufgrund des niedrigen Erziehungsgelde wird es Vätern, wenn sie Haupternährer der Familie sind, daher nach wie im Normalfall unmöglich sein, Erziehungsurlaub zu nehmen.

2. Erhöhung der Freibeträge nach dem sechsten Monat

Erziehungsgeld wird nur gezahlt, wenn das Familieneinkommen bestimmte Freibeträge nicht übersteigt. Diese Freibeträge sind in den ersten sechs Monaten höher und sinken danach ab. Da die Freibeträge seit 1986 niemals angehoben wurden, die Einkommen jedoch gestiegen sind, haben immer weniger Familien Anspruch auf Erziehungsgeld. Dies soll geändert werden, allerdings nur für die Freibeträge ab dem sechsten Monat. Im Ergebnis haben daher auch nach dem Entwurf weniger Familien in den ersten sechs Monaten Anspruch auf Erziehungsgeld als bei der Einführung des Gesetzes. Dies betrifft Verheiratete mit einem Einkommen über 100.000 DM. Bei derart "hohen" Einkommen wird unterstellt, dass kein Bedarf besteht. Erziehungsgeld ist jedoch nicht nur eine Leistung zu Verbesserung der finanziellen Situation von Familien, sondern auch Gegenleistung für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es ist daher nicht einzusehen, weshalb nicht - wenn schon Erziehungsgeld einkommensabhängig gezahlt wird - wenigstens die Anpassung an die Ausgangssituation im Jahr 1986 hergestellt wird und auch Familien mit höheren als durchschnittlichen Einkommen in den Genuss der Leistungen kommen können.

Soweit eine Anpassung der Freibeträge nach dem sechsten Monat vorgenommen wird, begrüßt dies der djb. Es wird dadurch einer seiner Forderungen entsprochen.

Allerdings werden die dadurch entstehenden "Mehraufwendungen" teilweise wieder hereingewirtschaftet, weil die Anrechnung des Einkommens zu einem höheren Prozentsatz erfolgt. Der Entwurf rechtfertigt dies damit, dass es in erster Linie darum ginge, die Situation von Familien mit mittleren Einkommen zu verbessern. Auf diese Art und Weise wird die durch die Einkommensanrechnung ohnehin schon bestehende Ungleichheit bei der Honorierung von Erziehungsleistung noch verstärkt. Erziehungsgeld hat anscheinend doch weniger eine ideelle Funktion als eine finanzielle. Wenn dem so ist, so fragt es sich, wozu der deutsche Gesetzgeber den Aufwand einer eigenständigen Familienlastenausgleichsleistung namens Erziehungsgeld betreibt. Die finanzielle Situation von Familien könnte auch durch das Steuerrecht und das Kindergeld geregelt werden. Den bürokratischen Aufwand für eine eigenständige Leistung Erziehungsgeld könnte man sich sparen, wenn diese doch keine weiteren Ziele hat, als die finanzielle Situation der Familie zu verbessern.

3. Wahlmöglichkeit

In der Erkenntnis, dass Väter so gut wie nie Erziehungsurlaub nehmen, solange das Erziehungsgeld nur 600 DM beträgt, schlägt der Entwurf ein Wahlrecht vor. Entweder gibt es 600 DM, die auf maximal zwei Jahre verteilt werden können oder es gibt 900 DM für maximal ein Jahr, vorausgesetzt die Einkommensanrechnung wirkt sich nicht aus. In jedem Fall muss der Gesamtbetrag für die kürzere Zeit niedriger sein als für die maximal möglichen zwei Jahre (Budgetierung). Das Budget soll nämlich kein Privileg für höhere Einkommensschichten sein. In diesem Zusammenhang von Privilegien zu sprechen, scheint reichlich verfehlt. Nachvollziehbar wäre es, wenn keine der beiden Wahlmöglichkeiten kostenträchtiger sein dürfte als die andere.

Von diesem Kritikpunkt abgesehen begrüßt es der djb jedoch, dass den Familien mehr Flexibilität eingeräumt wird und das Erziehungsgeld dazu dienen soll, auch Väter dazu zu bringen, Erziehungsurlaub zu nehmen.

4. Zulässige Erwerbstätigkeit

Für den Anspruch auf Erziehungsgeld wird vom Gesetz verlangt, daß keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Der djb hat dies stets kritisiert. Der Gesetzgeber sollte den Familien keine Vorgaben machen, wie sie Erziehung sicher stellen. Auch wer eine volle Erwerbstätigkeit ausübt, leistet daneben Erziehungsarbeit. Kinder in den ersten zwei Lebensjahren müssen in der Regel mehr als acht Stunden am Tag betreut werden. Außerdem haben alleinerziehende Mütter, die ihre Berufstätigkeit aus finanziellen Gründen überhaupt nicht reduzieren können, nichts vom Erziehungsgeld. Deshalb fordert der djb, das Erziehungsgeld allen Eltern zu zahlen unabhängig davon, wie sie die Erziehung tatsächlich organisieren wollen und können.

Bislang durfte nur eine reine Halbtagstätigkeit von bis zu 18 Stunden wöchentlich für das Erziehungsgeld unschädlich ausgeübt werden. Die Stundenzahl soll nach dem Entwurf auf 30 Stunden pro Woche heraufgesetzt werde. Dies wird seitens des djb als Schritt in die richtige Richtung bewertet.

5. Zeitpunkt des Erziehungsgeldes

Nach wie vor kann Erziehungsgeld nur in den ersten zwei Lebensjahren des Kindes beansprucht werden. Dadurch sollen Eltern angehalten werden, in der frühkindlichen Phase die Erziehung selbst zu übernehmen. Dies ist eine gesetzliche Vorgabe, die wenig Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse der Familien nimmt. Wenn in den ersten Lebensjahren beispielsweise ein Großelternteil die Kinderbetreuung übernehmen kann, sollte es möglich sein, dass die Eltern zu einen späteren Zeitpunkt die Kindererziehung selbst übernehmen. Bedenkt man, dass während der Mutterschutzfristen die Mutter ohnehin das Kind selbst betreut und vielleicht anschließend noch stillt, so wird der Vater in diesen Monaten ohnehin nicht als alleiniger Betreuer in Frage kommen. Für ihn wäre es jedoch unter Umständen richtig und wichtig, das Kind zu einer späteren Lebensphase selbst betreuen zu können. Wenn der Entwurf tatsächlich darauf abzielt, mehr Väter in den Erziehungsurlaub zu bringen, sollte die starre Regelung, dass Erziehungsgeld nur in den ersten zwei Lebensjahren bzw. bei der Budgetregelung sogar nur im ersten Jahr bean-sprucht werden darf, aufgegeben werden.

Mehr Flexibilität hinsichtlich des Zeitpunktes ist jedoch nicht nur Forderung zur Herstellung von mehr Gleichberechtigung zwischen Müttern und Vätern, sondern ergibt sich auch aus dem Auftrag die EG-Richtlinie 96/34 umzusetzen. Diese Richtlinie setzt eine Vereinbarung der Europäischen Sozialpartner um. In dieser Vereinbarung wird ein Elternurlaub vorgesehen, der bis zum achten Lebensjahr des Kindes genommen werden kann. Da Anspruch auf Erziehungsgeld in Deutschland nur neben einer nicht voller Erwerbstätigkeit besteht, fallen in der Regel Erziehungsgeld- und Erziehungsurlaubsanspruch zusammen. Da der Erziehungsurlaub nach der Richtlinie nicht auf die ersten zwei Lebensjahre begrenzt werden darf, steht die Erziehungsgeldregelung hinsichtlich des starren Zeitrahmens im Widerspruch zur Erziehungsurlaubsregelung.

6. Zeitpunkt des Erziehungsurlaub

Bislang besteht für berufstätige Eltern ein Anspruch auf Erziehungsurlaub nur in den ersten drei Lebensjahren des Kindes, also für maximal drei Jahre. Dies soll insoweit flexibilisiert werden, als von den drei Jahren ein Jahr bis zum achten Lebensjahr genommen werden kann, wenn der Arbeitgeber zustimmt. Dieses geringe Maß an Flexibilität, die darüber hinaus auch noch an die Zustimmung des Arbeitgebers gebunden ist, steht nicht im Einklang mit der EG-Richtlinie 96/34. Danach kann das Kind bis zu einem Alter von acht Jahren Erziehungsurlaub auslösen, ohne dass es der Zustimmung des Arbeitgebers bedarf. Dies ist auch gar nicht erforderlich, denn die Richtlinie setzt Punkt für Punkt eine Vereinbarung der europäischen Sozialpartner um. Die Arbeitgeber haben daher schon zugestimmt, dass der Rahmenzeitraum bis zum achten Lebensjahr des Kindes läuft.

Hinzu kommt, dass bei einem Wechsel des Arbeitgebers der neue Arbeitgeber nicht an die Zustimmung seines Vorgängers gebunden sein soll. Stimmt der neue Arbeitgeber nicht zu, dass der Erziehungsurlaub erst später genommen wird, soll der Anspruch auf Erziehungsurlaub insoweit verloren gehen. Die Rechtfertigung lautet, dass dies bei realistischer Bewertung der Chancengleichheit (wessen?) auf dem Arbeitsmarkt und seiner umfassenden Veränderung unvermeidbar sei. Sollte es bei dieser Einschränkung bleiben, ist der djb gespannt, wie die deutsche Bundesregierung dies vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg erläutern wird. Überhaupt ist die Begründung des Entwurfs zu §15 kaum nachvollziehbar. Wünschenswert wäre es, wenn der Zusammenhang zwischen den Interessen der mittelständischen Wirtschaft, der beruflicher Motivation der Eltern und den Wettbewerbsvorteilen des Arbeitgebers durch qualifizierte Nachwuchskräfte noch deutlicher erläutert werden könnte.

Der djb fordert eine flexible Wahl des Zeitpunkts des Erziehungsurlaubs, die den Bedürfnissen der Familie gerecht wird. Da auch ältere Schulkinder Betreuungsbedarf auslösen können, sollte die Altersgrenze für den Erziehungsurlaub viel höher liegen als es der Entwurf vorschlägt und von der Zustimmung des Arbeitgebers unabhängig sein, damit es ein echter Anspruch wird und nicht bloß eine politische Anregung.

7. Gemeinsamer Erziehungsurlaub

Der djb begrüßt, dass es künftig möglich sein soll, dass beide Eltern gemeinsam Erziehungsurlaub nehmen können. Wegen des geringen Erziehungsgeldes dürften jedoch nur wenige Familien finanziell in der Lage sein, diese Chance zu nutzen.

8. Ermäßigung der Arbeitszeit

Nach dem Entwurf sollen Eltern, die zunächst ganztags gearbeitet haben, auch eine Reduzierung auf Teilzeit wegen Kindererziehung verlangen können. Allerdings gilt dieser Anspruch nicht in allen Betrieben, denn Kleinbetriebe sind ausgenommen. Dahinter steckt wohl die Vorstellung, dass es einem kleineren Arbeitgeber zwar zugemutet werden kann, dass ein Elternteil gänzlich aufhört für ihn zu arbeiten, wenn er in Erziehungsurlaub geht. Allerdings wird die Grenze der Belastbarkeit kleiner Unternehmen erreicht, wenn statt des Urlaubs der Elternteil für die drei Jahre wegen Kindererziehung auf Teilzeit geht.

Der Entwurf räumt selbst ein, dass durch die Kleinbetriebsreglung 68% der Betriebe von dem Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung verschont werden. Bedenkt man, dass Erziehungsurlaub auch nach dem Entwurf weiterhin eine Frauenangelegenheit bleiben wird, Frauen aber gerade verstärkt in Kleinbetrieben beschäftigt sind, so fragt es sich, wer eigentlich faktisch diesen Anspruch einlösen können wird. Auch stellt sich die gesellschaftspolitische Frage, ob Arbeitnehmer in kleinen Unternehmen weniger schützenswert sind als solche in Großbetrieben. Wenn und soweit die zusätzlichen Belastungen kleineren Unternehmen nicht zugemutet werden können, so sollte man über Ausgleichsmechanismen nachdenken, die den Besonderheiten der Betriebe Rechnung tragen, aber nicht die Arbeitnehmer in kleineren Betrieben arbeitsrechtlich schlechter stellen als die in großen Unternehmen Beschäftigten.


Bonn, den 15. März 2000

 

gez. Prof. Dr. Ursula Nelles
1. Vorsitzende
gez. Prof. Dr. Ursula Rust
Vorsitzende der djb-Kommission
"Familienlastenausgleich"