Pressemitteilung: 21-19


Geschlechtergerechtigkeit auf die politische Agenda! djb veröffentlicht umfassenden Forderungskatalog zur Bundestagswahl 2021

Pressemitteilung vom

Zur Bundestagswahl 2021 fordert der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) alle Parteien auf, dem Verfassungsauftrag der faktischen Gleichberechtigung der Geschlechter endlich gebührend Rechnung zu tragen. Handlungsbedarf sieht der djb in allen Bereichen von Recht und Gesellschaft. Und er fordert: Besonders Frauen mit Behinderungen, lesbische, queere, trans* oder intergeschlechtliche Frauen, Frauen mit Migrationsgeschichte sowie Women of Color müssen besser vor Diskriminierung und Stereotypisierung geschützt werden.

Der djb hat einen umfassenden Forderungskatalog erstellt, an dem sich Wahlprogramme und -versprechen sowie ein künftiger Koalitionsvertrag messen lassen müssen.

Die Kernforderungen sind:

1. Häusliche und sexualisierte Gewalt an der Wurzel bekämpfen mit Kampagnen, Sensibilisierungsprogrammen und Bildung auf allen Ebenen

Jede vierte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexuelle Übergriffe. Mehr als einmal pro Stunde wird eine Frau in Deutschland von ihrem (Ex-)Partner körperlich angegriffen und jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet.

Es bedarf eines Paradigmenwechsels im öffentlichen Bewusstsein und politischen Handeln, nachdem Antifeminismus und Frauenhass keine zu vernachlässigenden individuellen Einstellungen sind, sondern die Verfassung und die individuellen Rechte von Frauen verletzen und das gesellschaftliche Miteinander zerstören. Der djb fordert, dass die künftige Bundesregierung endlich den völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention nachkommt. Dazu gehört die Durchführung regelmäßiger Kampagnen und Sensibilisierungsprogramme. Außerdem müssen Themen wie Gleichstellung, Rollenstereotype, geschlechtsbezogene Gewalt und Aufklärung über gängige Sexual- und Vergewaltigungsmythen in die offiziellen Lehrpläne auf allen Ebenen des Bildungssystems aufgenommen werden.

2. Ein effektiver und geschlechtergerechter Umgang mit geschlechtsspezifischen Straftaten, insbesondere durch verpflichtende Fortbildungen für Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei

Der größte Hemmschuh für die geschlechtergerechte Rechtsanwendung ist die fehlende Expertise bei den Strafverfolgungsbehörden zur richtigen Einordnung und Ahndung von geschlechtsspezifischen Straftaten. Deren Ursachen und Auswirkungen werden in strafgerichtlichen Entscheidungen oft verkannt. Gleichzeitig werden vorherrschende Geschlechterstereotype und bestehende Sexualitätsmythen unkritisch perpetuiert. Daher fordert der djb verpflichtende Fortbildungen für Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei, um diese für die geschlechtsspezifischen Dimensionen jedweder Form von Gewalt zu sensibilisieren.

Um den Schutz vor einer Re-Traumatisierung im Prozess zu gewährleisten, bedarf es zudem einer flächendeckenden kostenfreien psychosozialen Prozessbegleitung für alle Betroffenen von häuslicher oder sexualisierter Gewalt.

3. Intersektionalen Schutz von Gewaltbetroffenen gewährleisten und Zugang zu Unterstützungsangeboten sichern

Der djb fordert den weiteren Ausbau von Frauenhäusern und Beratungsstellen und deren gesicherte, dauerhafte Finanzierung. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf die Barrierefreiheit (im weiteren Sinne) der Unterstützungsangebote gerichtet werden. Auch müssen die rechtlichen Möglichkeiten verbessert werden, einen gewalttätigen Mann dauerhaft von der*dem bedrohten (Ex-)Partner*in fernzuhalten. Polizeiliche Platzverweise und Kontaktverbote nach dem Gewaltschutzgesetz reichen allein oft nicht aus. Insbesondere bedarf es einer Abstimmung mit dem Familienrecht, wonach der Umgang mit dem Kind ermöglicht werden muss, selbst wenn eine Gewaltschutzanordnung vorliegt.

Der djb fordert außerdem verbindliche Gewaltschutzkonzepte für die Unterbringung von Geflüchteten sowie die Aufhebung von Residenzpflichten und Wohnsitzauflagen, soweit diese einem selbstbestimmten Gewaltschutz entgegenstehen. Zudem müssen geschlechtsspezifische Belange bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems hinreichend berücksichtigt werden, um intersektionale Schutzbedarfe von geflüchteten Frauen zu gewährleisten. Besonders das Konzept der „Sicheren Herkunftsstaaten“ steht der tatsächlichen Anerkennung von geschlechtsspezifischer Gewalt als Fluchtgrund entgegen und muss ferner dringend korrigiert werden.

4. Bekämpfung von digitaler Gewalt

Digitale Gewalt ist inzwischen ein verbreitetes Mittel, um missliebige Meinungen und Personen zu verdrängen. Hass im Netz hat eine Geschlechterdimension. Wo Frauen sich online politisch äußern, riskieren sie sexistische Anmachen, pornografische Pöbeleien, die unbefugte sexualisierte Verwendung persönlicher Bildaufnahmen, Androhungen von Vergewaltigungen bis hin zu Morddrohungen. Dies verletzt nicht nur die Persönlichkeitsrechte von Frauen, sondern verändert das gesamte Klima des öffentlichen Diskurses. Viele Frauen ziehen sich zurück und verlieren damit die Möglichkeit, am digitalen öffentlichen Diskurs zu partizipieren und ihn mitzugestalten. Damit stellt digitale Gewalt eine erhebliche Demokratiegefährdung dar. Antifeminismus ist ein Bestandteil extremistischer frauengefährdender Ideologien geworden. Eingebettet in antisemitische Verschwörungsideologien wird der Feminismus als Strategie einer vermeintlich jüdischen Weltverschwörung angesehen, die für niedrige Geburtenraten von weißen Frauen verantwortlich sei.

Um diese Formen geschlechtsspezifischer demokratiegefährdender Rechtsverletzungen effektiv zu bekämpfen, fordert der djb ein digitales Gewaltschutzgesetz, das die Löschung und/oder (zeitweilige) Sperrung von Accounts ohne Klarnamenpflicht binnen weniger Stunden mit Hilfe von einstweiligen Verfügungsverfahren vor spezialisierten Gerichten ermöglicht. Unverzichtbar ist in diesem Zusammenhang eine Verbandsklage, damit Betroffene ihre Rechte nicht individuell durchsetzen müssen. Hate Speech im digitalen Raum sollte zudem als Beleidigungsdelikt auch ohne Strafantrag der verletzten Person verfolgt werden können, sofern dies den Interessen der verletzten Person nicht widerspricht. Der djb fordert außerdem, dass flächendeckend Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingeführt und mit adäquaten (personellen) Ressourcen ausgestattet werden. Auch müssen Tech-Unternehmen für die Verbreitung von Antifeminismus und Frauenhass auf ihren Diensten in die Verantwortung genommen werden. Zwingend erforderlich ist eine Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Insbesondere muss der Anwendungsbereich erweitert werden, sodass auch Plattformen mit weniger als zwei Millionen registrierten Nutzer*innen umfasst werden ebenso wie Messengerdienste. Aus Sicht des djb sollte zudem das Erfordernis spezifischer Inhalte konkretisiert werden, um eine konsequente Rechtsanwendung zu gewährleisten.

5. Überwindung diskriminierender Algorithmen und des Gender-Data-Gaps

Algorithmen sind die Grundlage, auf der intransparent Entscheidungen in vielen Lebensbereichen getroffen oder vorbereitet werden, ohne dass Wechselwirkungen mit gesellschaftlichen Ungleichheiten berücksichtigt werden. Da Algorithmen mit Daten trainiert werden, die in der Regel bereits strukturelle Diskriminierungen enthalten und die Programmierung selbst nicht auf Diskriminierungen geprüft wird, besteht das Risiko, dass algorithmische Systeme nicht nur gesellschaftliche Ungleichheiten widerspiegeln, sondern diese durch die Automatisierung exponentiell verschärft werden. In vielen Bereichen fehlen zudem Daten über Frauen. Dieser sogenannte Gender-Data-Gap führt zu Systemen und Produkten, die sich ausschließlich an einem männlichen Standardmodell ausrichten und für Frauen wenig passend oder sogar gefährlich sind. Der djb fordert daher einen nach Risiken abgestuften Ordnungsrahmen für Algorithmen und autonome Systeme, der wertebasiert und der Diskriminierungsfreiheit verpflichtet ist. Bestimmungen zu Aufsicht und Kontrolle sind dabei unverzichtbar. Prioritär zur Vermeidung ungerechtfertigter Benachteiligungen sind solche Systeme zu regulieren, die der Unterstützung oder Durchführung einer Entscheidungsfindung in den Bereichen Bewerbungs- und Personalmanagement, Arbeits- und Auftragsvermittlung, Gesundheitsversorgung und Pflege dienen. Das Ziel einer geschlechtergerechten diskriminierungsfreien Technikgestaltung ist in die Digitalstrategie der Bundesregierung aufzunehmen und muss auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigt werden.

6. Geschlechtergerechte Gestaltung der Digitalisierung institutionell absichern

Der djb sieht in der geschlechtergerechten Gestaltung des digitalen Transformationsprozesses eine der größten Herausforderungen der kommenden Legislaturperiode. Er verweist auf das Gutachten zum Dritten Gleichstellungsbericht, mit dem die von der Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenkommission im Januar 2021 eine umfassende Analyse und fundierte Forderungen vorgelegt hat. Der djb teilt den soziotechnischen Ansatz der Kommission, nach dem technologische Entwicklungen nicht neutral sind, sondern durch strukturelle und kulturelle Kontexte geprägt werden. Digitalisierung und Geschlechterverhältnisse beeinflussen sich damit wechselseitig. Die Integration einer Geschlechterperspektive in eine Digitalstrategie der künftigen Bundesregierung ist keine Selbstläuferin, sie muss vielmehr institutionell abgesichert werden; wichtige Schritte sind dabei die paritätische Besetzung von Digitalgremien des Bundes, die Schaffung von Organisationseinheiten als Impulsgeber zur Einbeziehung der Empfehlungen des Gutachtens oder die Verankerung des Aspekts der Geschlechtergerechtigkeit bei der Mittelvergabe zur Umsetzung der Digitalstrategie der Bundesregierung.

7. Gewährleistung reproduktiver Rechte und Abschaffung von § 219a StGB

Der djb fordert die zukünftige Bundesregierung auf, die mehrfachen Hinweise endlich ernst zu nehmen, die der Ausschuss der UN-Frauenrechtskonvention hinsichtlich der defizitären Lage bei den reproduktiven Rechten gegenüber Deutschland ausgesprochen hat. Der Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch muss gewährleistet werden, ohne die Schwangeren einer obligatorischen Beratung und einer dreitägigen Wartezeit zu unterwerfen. Eine flächendeckende medizinische Versorgung und eine Finanzierung durch die Krankenkasse ist sicherzustellen. Dies ist nur möglich, wenn Ärzt*innen darüber informieren dürfen, dass und in welcher Form sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Daher fordert der djb die Abschaffung von § 219a StGB. Stattdessen käme eine Regelung im Ordnungswidrigkeitenrecht infrage, welche das kommerzialisierte oder grob anstößige Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen durch Dritte erfasst. In diesem Zusammenhang ist eine rechtliche Unterbindung von Holocaust-Vergleichen im Kontext von Schwangerschaftsabbrüchen dringend geboten.

Außerdem muss effektiv gegen Belästigungen von Abtreibungsgegner*innen vor Beratungsstellen zu reproduktiver Gesundheit vorgegangen werden. Der djb fordert daher die Schaffung einer bundeseinheitlichen Regelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz, die ein Vorgehen gegen Abtreibungsgegner*innen ermöglicht.

8. Sanktionslücken bei sexueller Belästigung schließen

Sexuelle Belästigung ist bislang nur als körperliche sexuelle Belästigung und in den Fällen strafbar, in denen sie Straftatbestände wie etwa den der Beleidigung, Nötigung oder Bedrohung erfüllt. Doch auch nicht körperliche Formen der sexuellen Belästigung sind eine verbreitete Form von Alltagssexismus, die das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzen können. Dies ist zum Beispiel der Fall bei sexueller „Anmache“ erheblich älterer Männer gegenüber Mädchen, dem Masturbieren vor einer anderen Person in einem Abhängigkeitsverhältnis, dem längeren Umkreisen einer unbekannten Frau auf einem offenen Platz durch einen Mann, der immer lauter stöhnt wie in einem Pornofilm, oder dem verbalen sexuellen Belästigen einer Person in einem Zugabteil durch Fußballfans, die im ganzen Zug verteilt sind. Die vorliegende Sanktionierungslücke sollte durch die Schaffung eines eigenen Straftatbestands oder einer Ordnungswidrigkeit geschlossen werden.

9. Negative Erwerbsanreize und Nachteile sozialer Leistungen beseitigen, die der eigenständigen finanziellen Absicherung von Frauen entgegenstehen

Das Sozial- und Steuerrecht enthält nach wie vor zahlreiche Regelungen, die dem Wechsel in eine existenzsichernde Beschäftigung und damit einer eigenständigen finanziellen Absicherung im Lebensverlauf von Frauen entgegenstehen. Der djb fordert, diese Erwerbshürden schnellstmöglich zu beseitigen. Dazu gehören insbesondere das Ehegattensplitting, die Lohnsteuerklasse V, die unzureichende Absetzbarkeit erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten, die beitragsfreie Mitversicherung für Ehepartner*innen in der Krankenkasse und die steuerliche Privilegierung geringfügiger Beschäftigung. Gleichzeitig ist zu gewährleisten, dass Leistungen zur sozialen Sicherung, wie sie in der Covid 19-Pandemie notwendig waren, auch dann greifen, wenn es sich um prekäre Beschäftigungsverhältnisse handelt, etwa geringfügige Beschäftigung, Plattformarbeit, Leiharbeit oder auch Soloselbstständigkeit.

10. Förderung von Gleichheit im Erwerbsleben und einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur

Die Bundesregierung muss internationale Verpflichtungen einhalten und konkrete Maßnahmen ergreifen, um die ausgeprägte geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes in Deutschland zu beseitigen. Insbesondere muss die geschlechtsspezifische Lohnungleichheit, die aktuell noch immer bei 18 Prozent liegt, bekämpft werden, indem Entgeltsysteme und -praktiken mit entsprechenden digitalen Tools und Normierungen proaktiv überprüft und entsprechend dem Entgeltgleichheitsgebot geändert werden. Ein wichtiger Schritt ist die Entwicklung einer ambitionierten und umfassenden Equal-Pay-Richtlinie auf europäischer Ebene. Dabei sollte die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass der derzeitige Kommissionsvorschlag zur Entgelttransparenz sowohl im sachlichen sowie persönlichen Anwendungsbereich erweitert wird, um effektiv auf eine tatsächliche Gleichstellung im Erwerbsleben hinzuwirken.

Des Weiteren müssen Regulierungen geschaffen werden, die den Interessen von Frauen auf allen Arbeitsplätzen, nicht nur in Führungspositionen, und in allen Beschäftigungsbereichen Rechnung tragen. Um diskriminierende Gehalts-, Personal- und Arbeitszeitstrukturen zu überwinden, fordert der djb ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, das sowohl große als auch kleine und mittelständische Unternehmen verpflichtet, Diskriminierungsstrukturen zu erkennen, deren Gründe zu analysieren und schließlich Veränderungspotenzial zu ermitteln und auszuschöpfen. Wichtige Eckpfeiler für das Erreichen einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur sind dabei Berichtspflichten an externe staatlich zertifizierte Institutionen, Verbandsklagen, Bußgelder sowie bei gleichstellungspolitischen Erfolgen steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Erleichterungen.

11. Wiedereinstieg und Vereinbarkeit fördern, insbesondere durch die Sicherung der Kinderbetreuung

Nach einer Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit aufgrund von Familienpflichten scheitert der Wiedereinstieg in das Berufsleben in der Praxis häufig an einer nicht ausreichenden Infrastruktur bezogen auf die Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Der djb fordert daher u.a. die Unterstützung des beruflichen Wiedereinstiegs bei Familienpflichten, die Förderung eines beruflichen Wiedereinstiegs nach einer Familienphase durch Eingliederungsleistungen sowie einen individuellen Rechtsanspruch auf die Betreuung von Kindern auch unter drei Jahren bzw. auf Kinderbetreuungskosten in angemessener Höhe.

Der djb begrüßt grundsätzlich den kürzlich vom Bundestag beschlossenen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter, der einerseits die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken, anderseits die Bildungschancen von Kindern fördern kann. Dafür muss ein Rechtsanspruch aber auch tatsächlich umgesetzt und durch qualitätssichernde Maßnahmen flankiert werden. Unter anderem bedarf es einer breiten Ausbildungsinitiative für Erzieher*innen sowie einer besseren Bezahlung, damit das Berufsfeld generell attraktiver wird. Räumlichkeiten müssen baulich entsprechend für die Ganztagsbetreuung hergerichtet und das Angebot auskömmlich finanziert werden.

12. Egalitäre Verteilung von Sorgearbeit fördern

Um eine egalitäre Aufteilung der Sorgearbeit der Eltern zu fördern, fordert der djb, konkrete Regelungen für paritätische Sorgemodelle zu schaffen. So müssen die zu starren 70/30-Quoten im Unterhaltsvorschussrecht flexibilisiert werden. Außerdem ist eine 10-tägige Freistellung für den zweiten Elternteil nach der Geburt eines Kindes sowie die Erhöhung der nichtübertragbaren Elterngeld-Partnermonate von zwei auf vier Monate dringend erforderlich. Die Schutzvorschriften während Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit müssen zudem auf selbständig arbeitende Personen ausgeweitet werden.

Der djb fordert außerdem, vertieft zu prüfen, ob „fürsorgeleistende Erwerbstätige“, d.h. Eltern und Pflegende von Angehörigen, effektiver vor Diskriminierung geschützt werden müssen.

13. Überwindung der Diskriminierung von trans* und lesbischen Eltern durch die Abschaffung der Stiefkindadoption

Auch in der 19. Legislaturperiode ist die dringend notwendige Reform des Abstammungsrechts nicht eingeleitet worden. Somit können verheiratete Frauenpaare, anders als heterosexuelle Ehepaare, noch immer nicht gemeinsam eine originär rechtliche Elternschaft übernehmen. Die nicht leibliche Mutter muss sich einem belastenden und häufig langwierigem Adoptionsverfahren aussetzen, was dem Kindeswohl mit Blick auf Unterhalts- und Erbrechtsansprüche widerspricht. Der djb fordert ein diskriminierungsfreies Abstammungsrecht, welches es unabhängig vom Geschlecht ermöglicht, ohne Umwege in die zweite Elternstelle einzurücken. Dies ist aus Sicht des djb verfassungsrechtlich geboten.

Auch das Erbrecht muss an die geänderten Lebenswirklichkeiten moderner Familien angepasst werden unter Berücksichtigung der tatsächlichen Belange der überlebenden Ehepartner*innen, statistisch noch immer häufiger Frauen.

14. Gewährleistung einer adäquaten Alterssicherung, auch für Frauen

Angesichts des anhaltenden Gender-Pension-Gaps, der in Deutschland im Jahr 2019 bei 49 Prozent lag, sind dringend Reformen notwendig, um Altersarmut von Frauen vorzubeugen. Dafür muss die Zukunft der gesetzlichen Rente nicht nur unter Gesichtspunkten der Finanzierbarkeit, sondern stärker auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lebens- und Erwerbsverläufe von Frauen und Männern diskutiert werden.

Neben Maßnahmen zur Überwindung des Gender-Pay-Gaps fordert der djb insbesondere die Kindererziehungszeiten auch für vor 1992 geborene Kinder auf volle drei Jahre auszuweiten und die Hinterbliebenenrente sowie die Erziehungsrente nicht mehr an der Ehe, sondern an der gemeinsamen Elternschaft auszurichten. Des Weiteren müssen rentenrechtliche Maßnahmen hinsichtlich ihrer geschlechtsbezogenen Auswirkungen geprüft werden, so dass frauenspezifische Lebenssituationen in der Alterssicherung besser berücksichtigt werden können.

Dazu gehört auch, die steuerliche Förderung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge vor allem für untere Einkommensgruppen zu evaluieren und ggf. neue gleichstellungsorientierte Vorschläge zu entwickeln.

15. Wege zur Parität in den Parlamenten ebnen durch verfassungskonforme Paritätsgesetze und die Beseitigung diskriminierender Strukturen in der Politik

Nach den Bundestagswahlen 2017 sank der Anteil der weiblichen Abgeordneten im Bundestag auf nur 30,9 Prozent und damit auf den niedrigsten Anteil innerhalb der letzten 20 Jahre. Die Zahlen zeigen, dass Parität sich nicht von allein einstellt und dass alle rechtlichen Schritte ergriffen werden müssen, um Frauen die gleichberechtigte politische Teilhabe zu ermöglichen. Zwar wurden die Paritätsgesetze aus Brandenburg und Thüringen von den Landesverfassungsgerichten gekippt. Daraus folgt allerdings nicht, dass Paritätsgesetze grundsätzlich verfassungswidrig sind. Es kommt vielmehr auf die konkrete Ausgestaltung des jeweiligen Paritätsgesetzes an, welches die mit Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz kollidierenden Verfassungsgüter in einen angemessenen Ausgleich bringen muss. In diese Richtung deutet auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Februar 2021 (Az. 2 BvC 46/19). Der djb fordert daher den Gesetzgeber auf, verfassungskonforme Paritätsgesetze zu erarbeiten und zu erlassen, um Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz vollumfänglich Geltung zu verschaffen.

Die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen scheitert auch an den Strukturen in den Parteien und an der politischen Kultur, die – das zeigt sich etwa an Sitzungszeiten – Frauen benachteiligen. Diese Hindernisse sind in den Blick zu nehmen und zu beseitigen, etwa durch Anhebungen des Umfangs der Parteienfinanzierung, wenn diese eine paritätische Kandidat*innenaufstellung in ihrer Satzung vorsehen und auch tatsächlich umsetzen. Bei der anstehenden Wahlrechtsreform sollten zudem Modelle, die Parität fördern, verstärkt in den Blick genommen werden, wie z.B. ein gestärktes Listenwahlrecht oder die sogenannte freiwillige Doppelkandidatur.

16. Bundesstiftung Gleichstellung verfassungskonform gestalten: Faktische Männerquote im Direktorium aufheben und die politische Unabhängigkeit des Stiftungsrats sichern

Im Mai 2021 wurde die auch seitens des djb geforderte Bundesstiftung für Gleichstellung auf den Weg gebracht. Die Stiftung kann das Politikfeld Gleichstellung in Deutschland maßgeblich voranbringen, wenn sie wissensbasierte Gleichstellungspolitik fördert, wichtige gleichstellungspolitische Ziele operationalisiert und die Ressorts bei Entwicklung, Umsetzung und Evaluation von politischen Strategien berät.

Die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes zur Errichtung der Bundesstiftung Gleichstellung muss jedoch nachgebessert werden. Insbesondere gilt es, die Pflicht einer paritätischen Besetzung des Direktoriums, die eine faktische Männerquote darstellt, zu beseitigen. Zudem ist die Zusammensetzung der Organe, in erster Linie die Besetzung des Stiftungsrats, nicht geeignet, die angestrebte fachliche und politische Unabhängigkeit der Stiftung zu gewährleisten. Der djb fordert, dass der Stiftungsrat spätestens ab seiner zweiten Amtsperiode zu einem pluralistischen Gremium weiterentwickelt wird, in dem zivilgesellschaftliche Akteure stärker repräsentiert sind.

17. Vollumfängliche Umsetzung internationaler und europäischer Menschenrechtsverträge

Der djb fordert, bei allen Aktivitäten der Bundesregierung auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene Menschenrechten von Frauen effektiv Wirksamkeit zu verschaffen. Dabei muss die Bundesregierung institutionelle Strukturen schaffen, die nicht nur die Umsetzung von Gender Mainstreaming nach § 2 GGO gewährleisten, sondern darüber hinaus die Durchführung eines Mainstreaming von Menschenrechten von Frauen bei allen Aktivitäten der Bundesregierung beaufsichtigen und garantieren. Des Weiteren fordert der djb die künftige Bundesregierung auf, die bestehenden Vorbehalte im Rahmen der Istanbul-Konvention zurückzunehmen und sich auf europäischer Ebene nachdrücklich für eine unverzügliche und vorbehaltlose Ratifikation und Umsetzung der Istanbul-Konvention durch die Europäische Union und die anderen Mitgliedstaaten einzusetzen. Auch sollten bereits Auszubildende sowie alle in der Praxis – insbesondere in staatlichen Funktionen – tätige Personen regelmäßig und verpflichtend zu Belangen der UN-Frauenrechtskonvention und den weiteren für Geschlechtergerechtigkeit relevanten Menschenrechtsinstrumenten geschult werden, um eine effektive Umsetzung zu gewährleisten.

18. Bekämpfung von Diskriminierung in der juristischen Ausbildung

Die juristische Ausbildung ist ein gleichstellungspolitisches Thema. Während seit über zehn Jahren mehr Frauen als Männer das Jura-Studium absolvieren, liegt der Anteil der weiblichen Jura-Professorinnen immer noch bei nur knapp 18 Prozent. Die juristische Ausbildungsliteratur ist überwiegend von Männern verfasst und gespickt mit stereotypen und diskriminierenden Darstellungen. Bei den juristischen Staatsprüfungen schneiden Frauen und Kandidat*innen mit (zugeschriebenem) Migrationshintergrund statistisch signifikant schlechter ab. Lehrformate, die auf die Befähigung zu kritischem und insbesondere diskriminierungssensiblem Denken zielen, nehmen in der juristischen Ausbildung einen deutlich zu geringen Raum ein. Diese Befunde offenbaren eine strukturelle Schieflage, die nicht nur problematisch ist für die jeweils individuell Betroffenen. Sie ist besonders inakzeptabel vor dem Hintergrund der überragenden Bedeutung, die der juristischen Ausbildung im Rahmen der Bildung und Stärkung des demokratischen und sozialen Rechtstaats zukommt, in dem Jurist*innen regelmäßig Schlüsselpositionen besetzen.

Daher fordert der djb unter anderem eine verpflichtend diverse Besetzung der Prüfungskommissionen in den juristischen Staatsprüfungen, obligatorische Schulungen von Prüfenden, gezielte Maßnahmen zur Schaffung einer diverseren Professor*innenschaft, die Verankerung kritischer Perspektiven auf das Recht als selbstverständlicher Bestandteil der juristischen Ausbildung sowie die Anerkennung von Gender- und Diversitätskompetenz als Schlüsselqualifikation.

 

Den umfassenden Forderungskatalog finden Sie hier.