Pressemitteilung: 18-25


100 Tage Bundesregierung: Von Alterssicherung bis Wechselmodell – Juristinnenbund zieht Bilanz

Pressemitteilung vom

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„Die 100 Tage Bilanz der Bundesregierung auf dem Gebiet der Frauen- und Gleichstellungspolitik ist durchwachsen“, erklärt die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds e.V. (djb) Prof. Dr. Maria Wersig. „Mit der Brückenteilzeit hat ein wichtiges und längst überfälliges Vorhaben zur Beendigung der Teilzeitfalle das Bundeskabinett passiert. Für wesentliche gleichstellungsrelevante Vorhaben, wie ein Kita-Qualitätsgesetz und Maßnahmen zum Schutz von Frauen vor Gewalt sind erste Weichenstellungen erkennbar. Die Leerstellen im Koalitionsvertrag bleiben bestehen, dies sind zum Beispiel die Themen Frauen in Führungspositionen, Entgeltgleichheit und das Steuerrecht. Gleichstellung ist ein Querschnittsthema – dies muss in der Handschrift aller Ressorts der Bundesregierung sichtbar werden und sich sowohl inhaltlich als auch personell abbilden. Bezogen auf Spitzenämter der Politik hat auch diese Bundesregierung die paritätische Teilhabe von Frauen nicht annähernd erreicht.“

Gleichstellungsrelevante Weichen der ersten 100 Tage – Ausgewählte Anmerkungen
Alterssicherung

Die Rentenkommission wurde eingesetzt, vier der zehn Mitglieder der Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ sind Frauen. Das Ziel der paritätischen Gremienbesetzung ist damit fast erreicht. Der djb verbindet damit die Hoffnung, dass auch die geschlechtergerechte Ausgestaltung der Alterssicherung Thema der Kommissionsarbeit sein wird. Derzeit beziehen Frauen in Deutschland im Durchschnitt eine um 46 Prozent geringere Rente als Männer. Dieser sogenannte Gender Pension Gap darf nicht weiter zementiert werden. Erste Bemühungen verzeichnet der djb außerdem im Hinblick auf die Ausweitung der für die Rente anrechenbaren Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten ist es jedoch fragwürdig, dass diese Ausweitung nur für Familien mit mindestens drei Kindern gelten soll.

Gewaltschutz

Die Ankündigung der Bundesfrauenministerin, ein Investitions-, Innovations- und Sanierungsprogramm zum Schutz von Frauen vor Gewalt ins Leben zu rufen und das Thema Gewaltschutz in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Trotz einiger existierender Regelungen und Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt besteht in Deutschland noch erheblicher Handlungsbedarf, um sicherzustellen, dass alle Frauen sicher und frei von Gewalt leben können. Bereits anlässlich des Inkrafttretens des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) am 1. Februar 2018 hat der djb auf die bestehenden Umsetzungsdefizite hingewiesen sowie zentrale Handlungsverpflichtungen aufgezeigt. So muss unter anderem der effektive Zugang zu Schutzunterkünften und Beratungsstellen gewährleistet werden – auch durch eine verlässliche Finanzierung. Zudem ist eine Fortbildungspflicht für Polizei, Staatsanwaltschaften und Justiz zum angemessenen Umgang mit sexualisierter Gewalt und den hiervon Betroffenen einzuführen.

Digitalisierung

Die Digitalisierung ist dabei, alle Bereiche unserer Gesellschaft grundlegend und mit hoher Dynamik zu verändern. In einer Phase, in der die Politik grundlegende Weichen zur Gestaltung des digitalen Wandels stellt, ist es wichtig die Geschlechterperspektive mit einzubeziehen. Der djb erwartet deshalb, dass sowohl der Digitalrat als auch die Daten-Ethikkommission in ihrer Zusammensetzung der Geschlechtergerechtigkeit Rechnung tragen. Im Übrigen regt der djb an, ein Fachgremium auf Bundesebene zu schaffen, das die vielfältigen Auswirkungen des digitalen Wandels auf Frauen umfassend in den Fokus nimmt.

Selbständige Frauen

Positiv zu vermerken ist die auf den Weg gebrachte Senkung des Mindestversicherungsbeitrags in der Gesetzlichen Krankenversicherung, die den erheblich geringeren Durchschnittseinkommen von solo-selbstständigen Frauen sehr viel eher entspricht als der bislang angesetzte Betrag.

Brückenteilzeit

Der djb begrüßt die längst überfällige Einführung der Brückenteilzeit. Das im Kabinett bereits beschlossene Gesetz ist ein erster Schritt zur Überwindung der sogenannten „Teilzeitfalle“, von der überwiegend Frauen betroffen sind. Dies ist eine wesentliche Ursache für den Gender Pay Gap und den Gender Pension Gap. Unfreiwillig in Teilzeit Beschäftigte sollen nunmehr leichter als bisher eine Erhöhung ihrer Arbeitszeit durchsetzen können. Außerdem ist ein befristeter Anspruch auf Teilzeit vorgesehen.

Kinderbetreuung

Mit der Vorlage seines Entwurfs für ein Kita-Qualitätsentwicklungsgesetz hat das BMFSFJ einen ersten Schritt getan, um – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – die Lage der Kinderbetreuung in Deutschland zu verbessern. Hinsichtlich des von allen Koalitionspartnern schon im Wahlkampf angekündigten Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung für Grundschulkinder ist die Bundesregierung in den ersten 100 Tagen leider nicht tätig geworden. Auch die vorgesehene Förderung der beruflichen Ausbildung für Erzieherinnen und Erzieher, mit dem Ziel die Attraktivität dieses Berufsfelds zu steigern, existiert bisher nur auf dem Papier.

Wechselmodell

Zur politischen Diskussion über die Kindererziehung im Wechselmodell nach Trennung der Eltern sieht der djb keine Möglichkeit und keinen Bedarf für die Etablierung dieses Modells als gesetzliches Leitbild. Handlungsbedarf besteht vielmehr bei der unterhalts- und sozialrechtlichen Ausgestaltung des Wechselmodells. Unterhalts- und Existenzsicherungsrecht müssen gemeinsame Betreuungsmodelle (bis hin zum Wechselmodell) ermöglichen und dabei den Bedarf von Kindern, die zwischen zwei Haushalten pendeln, verlässlich absichern. Dies gilt auch für Familien im SGB II-Leistungsbezug.

Abschaffung des § 219a StGB

Der Forderung des djb und vieler weiterer Organisationen nach der Abschaffung des § 219a StGB ist die Bundesregierung noch nicht nachgekommen. Der djb begrüßt, dass am 27. Juni 2018 eine Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags zu dem Thema stattfindet, an der eine Vertreterin des djb teilnimmt. Das Ziel, Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte bezogen auf reine Sachinformationen zum Schwangerschaftsabbruch zu erreichen, sollte nach der Anhörung zügig umgesetzt werden.
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Gleichstellung in Bundesregierung und Bundesministerien
Anteile von Frauen und Männern (Stand April 2018)

Kabinett:
7 Frauen (44%), 9 Männer, (56%)

Parlamentarische Staatssekretär*innen und Staatsminister*innen:
24 Frauen (29,3%), 58 Männer (70,7%)

Nur verbeamtete Staatssekretär*innen:
4 Frauen (12,1%), 29 Männer (87,9%)

Abteilungsleitungen in Ministerien:
34 Frauen (28,6%), 85 Männer (71,4%)

Führung gesamt einschließlich Ministerien und Staatssekretär*innen:
57 Frauen (25,1%), 172 Männer (74,9%)