24. November 2015
Offener Brief zur Ratifizierung der Istanbul-Konvention:
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
bereits im Mai 2014 hat der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) mit einer Stellungnahme auf den Änderungsbedarf im Sexualstrafrecht hingewiesen (http://www.djb.de/Kom/K3/st14-07/). Durch zahlreiche in der forensischen Praxis festgestellte Schutzlücken wird belegt, dass der bestehende Rechtsschutz im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung nicht ausreichend ist. Im Hinblick auf die zur Ratifikation anstehende Istanbul-Konvention des Europarats von 2011 wurde dazu vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Rahmen der Justizministerkonferenz im November 2014 mitgeteilt, dass das Sexualstrafrecht geändert werden solle. Die damalige Vorsitzende der Justizministerkonferenz Uta-Maria Kuder hat nach Presseberichten ausgeführt, künftig solle „jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung unter Strafe stehen“ (FAZ vom 6. November 2014), so wie es in dem Änderungsvorschlag des djb vom 25. Juli 2014 formuliert (http://www.djb.de/Kom/K3/14-14/) und in Artikel 36 der Istanbul-Konvention vorgesehen ist.
Zwischenzeitlich hat zwar das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Referentenentwurf erarbeitet. Dieser befindet sich jedoch seit vier Monaten in der Ressortabstimmung, ohne dass absehbar wäre, wann der Abstimmungsprozess innerhalb der Bundesregierung abgeschlossen sein und dem Verfahren ein Fortgang gegeben werden kann (Antwort von Staatssekretär Christian Lange auf die kleine Anfrage, Bundestagssitzung Plenarprotokoll 18/123 vom 23. September 2015).
Die Prävalenz des Problems ergibt sich ausweislich der 2014 veröffentlichten Studie der Europäischen Grundrechteagentur (European Union Agency for Fundamental Rights) „Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung“ daraus, dass insgesamt 11% der Frauen in der EU seit dem 15. Lebensjahr eine Form von sexueller Gewalt erlebt haben. Spezifische Formen der sexuellen Belästigung, die in der Erhebung als bedrohlich und schwerwiegend für die Befragten identifiziert wurden, darunter unerwünschte Berührungen, Umarmungen und Küsse, haben in den letzten 12 Monaten vor der Befragung 13% der Frauen erlebt. Diese Zahlen machen das hohe Ausmaß unerwünschter sexueller Übergriffe gegen Frauen und die Notwendigkeit eindeutiger Straftatbestände zu ihrem Schutz deutlich. Die Istanbul-Konvention, „das erste rechtsverbindliche regionale Instrument, das sich umfassend mit unterschiedlichen Formen von Gewalt gegen Frauen wie […] sexueller Gewalt und sexueller Belästigung beschäftigt“ (FRA - Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung. Ergebnisse auf einen Blick, S. 7), hat die Gewaltbetroffenheit von Frauen im Blick. Sie ist am 1. August 2014 nach zehn Ratifizierungen in Kraft getreten. Der djb weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass inzwischen 19 Staaten die Istanbul-Konvention ratifiziert haben, darunter Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Spanien und die Türkei.
In der Sorge, dass der voranschreitende Zeitablauf der Legislaturperiode bei weiterer Verzögerung des parlamentarischen Verfahrens eine Reform des Sexualstrafrechts und die Ratifizierung der Istanbul-Konvention für Deutschland gefährdet, nimmt der djb den 25. November, seit 1999 von den UN deklarierter „Internationaler Tag gegen Gewalt gegen Frauen“, nun zum Anlass, Sie zu bitten, die Ressortabstimmung abzuschließen und den Referentenentwurf zur Verbändeanhörung freizugeben.
Mit freundlichen Grüßen
Ramona Pisal
Präsidentin
Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission Strafrecht