Das Bundesministerium der Justiz hat in seinen Informationen für
die Presse vom 15/04/2005 die Ausführungen zum "Eckpunktepapier
Maßnahmen zum Schutz von Stalking-Opfern" damit eingeleitet, dass
der englische Begriff Stalking aus der Jägersprache stamme und
soviel bedeute wie "Anpirschen" oder "Anschleichen". Stalker, so
heißt es weiter, "stellen ihren Opfern nach, lauern ihnen vor
ihrer Wohnung oder am Arbeitsplatz auf - in schweren Fällen
verletzten sie ihre Opfer, töten sie sogar. Stalker sind häufig
sehr erfinderisch, um ihren Opfern nahe zu kommen, daher gibt es
viele verschiedene Verhaltensweisen, die sich hinter dem Phänomen
Stalking verbergen".
Nun stammt nicht nur der Begriff Stalking aus der englischen
Sprache, sondern die metaphorische Umschreibung eines rechtlichen
Problems gehört zu den Eigenheiten des angelsächsischen
Rechtskreises, dem mit dem Common law eine Methode eigen ist, die
kodifikatorischen Systemen wie dem kontinentaleuropäischen Recht
eher fremd sind. Es kann deshalb auch nicht darum gehen, diese
bildhafte Umschreibung eines sozialen Phänomens durch eine
abstrakte Definition zu ersetzen, sondern es ist - wenn man sich
auf einen solchen Ansatz einlässt - notwendig, die
unterschiedlichen sozialen Probleme oder die unterschiedlichen
Verhaltensweisen von "Stalkern" zunächst zu analysieren, damit
für das deutsche Strafrechtssystem adäquate rechtliche Reaktionen
gesucht werden können, die entsprechend dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit geeignet, erforderlich und angemessen sind.
Soweit der Strafrechtskommission bekannt ist, sind die Phänomene,
die gemeinhin mit dem Begriff "Stalking" verbunden sind, in
sozialwissenschaftlich aussagekräftiger Weise bislang jedenfalls
für die Bundesrepublik noch nicht untersucht worden. Auch auf
europäischer Ebene hat die Diskussion soeben erst begonnen. So
ist beispielsweise erst mit Frist zum 15.03.2005 eine
Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen im Rahmen des
Daphne-Programms II (2004 - 2008) ergangen, Vorschläge zur
Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und
Frauen sowie zum Schutz von Opfern und gefährdeten Gruppen
einzureichen, darunter auch zu Fragen des Stalking. Die Forschung
beginnt auf diesem Gebiet also erst.
Zum Zwecke einer ersten Annäherung an das Problem hat die
Strafrechtskommission des djb vier Gefährdungsbereiche
beziehungsweise Lebenssituationen ausgemacht, in denen obsessive
Verfolgung typischerweise zu beobachten ist. Die konkreten
Verhaltensweisen, in denen sich diese obsessive Verfolgung
manifestiert, sind in den so herausgearbeiteten Lebenssituationen
sehr verschieden, wenn auch die Gemeinsamkeit darin besteht, dass
die Nachstellungen auf Zermürbungsstrategien hinauslaufen, die zu
einer Zerstörung des Grundvertrauens der verfolgten Person führen
und sie so in der Wahrnehmung ihrer Freiheitsrechte
beeinträchtigen. Die Lebenssituationen, in denen derartige
Nachstellungen häufig oder typischerweise anzutreffen sind, sind
die folgenden:
1. Nachstellungen in gestörten oder nach beendeten
Beziehungen
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit empirisch abgesicherter
Aussagen kann aus der wissenschaftlichen Forschung zu häuslicher
Gewalt jedenfalls festgehalten werden, dass die gefährlichste
Situation insbesondere für Frauen und Kinder die Phase ist, die
der Auflösung einer Beziehung nachfolgt. Die so genannten, oft
blutigen, "Familiendramen", wie sie in einschlägigen
Presseberichten oft genannt werden, zeichnen sich regelmäßig
dadurch aus, dass der Ex-Partner sich nicht damit abfinden kann
oder will, dass eine familiäre oder sonstige persönliche
Beziehung beendet ist. In vielen Fällen greifen daher die
Ex-Partner zu verschiedenen Mitteln, um entweder ihre
"Besitzansprüche" gegenüber früheren Lebenspartnerinnen oder auch
ihren Kindern dadurch geltend zu machen, dass sie der Frau damit
drohen, die Kinder zu entführen, die Frau stets und ständig
telefonisch zu terrorisieren, ihre einzelnen Schritte zu
überwachen oder ihr auf sonstige Weise zu verstehen zu geben,
dass sie - wenn nicht mit ihm - dann auch mit niemand anderem
mehr frei und ungefährdet leben kann.
Soweit diese Nachstellungen strafrechtlich schon jetzt relevant
sind, also etwa den Bereich der Nötigung oder der strafbaren
Bedrohung erreichen oder körperliche Gewalthandlungen umfassen,
sind weitere Spezialstraftatbestände nicht erforderlich. Es geht
nicht primär darum, durch Repressionsmaßnahmen begangenes
Fehlverhalten zu ahnden, sondern es geht um eine Situation, in
der eine Eskalation, das heißt eine Gefahr von den verfolgten
Ex-Angehörigen abzuwenden ist.
Diese Gefahrenabwehr ist der spezifische Gegenstand des
Gewaltschutzgesetzes. Nur im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes
können die konkret individuellen Verhaltensweisen des "Stalkers"
in entsprechende Verfügungen und Verbote aufgenommen werden,
deren Einhaltung strafbewehrt ist.
Im Übrigen sind die ideenreichen Strategien, die auf Zermürbung
der verletzten Personen ausgerichtet sind, zu vielfältig, als
dass sie in einen Straftatbestand eingestellt werden könnten, der
den Grenzen des Bestimmtheitsgebotes entspricht.
2. Nachstellungen am Arbeitsplatz
Die Grenzen zwischen "Stalking" und dem ebenso metaphorischen und
unbestimmten Begriff des "Mobbing" sind fließend. Soweit
Nachstellungen, die auf die Paralyse der Freiheit von Einzelnen
gerichtet sind, sexueller Natur sind, sind sie im
Beschäftigtenschutzgesetz erfasst. Die Strafrechtskommission hält
es für unerlässlich, dass das im Beschäftigtenschutzgesetz
vorgesehene Instrumentarium zur Bekämpfung solcher
Verhaltensweisen auch tatsächlich umgesetzt wird. Paragraph 7 des
Beschäftigtenschutzgesetzes schreibt zwar zwingend vor, dass "in
Betrieben und Dienststellen … dieses Gesetz an geeigneter Stelle
zur Einsicht auszulegen oder auszuhängen ist". Keines der
Mitglieder der Kommission hat jemals einen solchen Aushang zu
Gesicht gekriegt. Vielmehr ist die Unkenntnis selbst der Existenz
dieses Gesetzes nach wie vor die Regel.
Soweit Nachstellungen "nur" den Grad des Mobbing erreichen, ist
zum Einen auf eine effiziente Gestaltung des Arbeitsrechts
hinzuwirken, um diesem Phänomen angemessen Rechnung zu tragen.
Daneben greifen im strafrechtlichen Bereich die Tatbestände von
Verleumdung und übler Nachrede, §§ 186, 187 StGB. Schließlich ist
auch in diesen Fällen ein Antrag auf Erlass einer Schutzanordnung
nach dem Gewaltschutzgesetz nicht nur möglich, sondern
vorgesehen. § 1 Absatz 2 GewaltSchG betrifft gerade die Fälle von
Nachstellungen im Bereich des Stalking, die nach geltendem noch
nicht strafrechtlich relevant sind. Eine Beziehung der
Beteiligten untereinander setzt das Gewaltschutzgesetz nicht
voraus.
Im Übrigen gilt auch hier, dass die Verhaltensweisen im Einzelnen
eine sichere Grenzziehung zwischen noch sozialadäquatem Verhalten
und schon zu unterbindendem Übergriff nicht zulassen und deshalb
generell abstrakt so wenig bestimmbar sind, dass von einer
strafrechtlichen Vorschrift jedenfalls abzusehen ist.
3. Nachstellungen in Gruppen oder Banden
Ähnlich wie am Arbeitsplatz können auch sonstige "Orte", an denen
mehrere Personen regelmäßig zusammenkommen, die Plattform für
Nachstellungen bilden. Gruppen, Cliquen oder Banden -
insbesondere Jugendlicher - sind nicht selten darauf angelegt,
einzelne Gruppenmitglieder durch Verhaltensweisen auszugrenzen,
die man als Nachstellung im Sinne von Stalking bezeichnen könnte.
Auch hier geht es, rechtlich betrachtet, nicht primär darum, die
Gruppe als ganze zu kriminalisieren - von Beweisschwierigkeiten
ganz abgesehen -, sondern um Gefahrenabwehr, für die das
Strafrecht nicht die geeignete Materie ist.
4. Nachstellungen bei phantasierten Wunschbeziehungen
Das eigentlich Obsessive, das mit dem Begriff Stalking verbunden
wird, offenbart sich in Phänomenen, die nicht nur, aber
insbesondere von Prominenten häufig beklagt werden. Dem liegt zu
Grunde, dass eine einzelne Person sich in eine (meistens)
Liebesbeziehung hineinphantasiert und diese Phantasien in
konkrete Nachstellungen umsetzt. Ob und inwieweit solcher Art
motivierte Nachstellungen überhaupt ein nennenswertes reales
Phänomen darstellen, ist bislang nicht erforscht. Mit Blick auf
mögliche Einzelfälle dieser Art, die regelmäßig ihren Grund in
psychischen Verirrungen finden dürften, hält die
Strafrechtskommission es für mehr als zweifelhaft, dass ein
generell abstraktes Strafgesetz eine geeignete (oder sogar
erforderliche) rechtliche Maßnahme ist. Der wegen seiner Weite
schon jetzt fragwürdige Tatbestand der Nötigung ist insoweit auch
die Untergrenze einer Einwirkung auf verletzte Personen, für die
Strafe als Reaktion ein angemessenes Mittel ist. Dabei ist zu
bedenken, dass die psychische Auffälligkeit der Täter gerade in
diesen Fällen wegen möglicher Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) keine
oder wegen verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nur eine sehr
geringe Strafe nach sich zieht und die Anordnung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu Recht am
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheitert. Ein neuer
Straftatbestand würde dieses Problem also nicht lösen können.
Der djb meint deshalb, dass auch für diese Fälle die im
Gewaltschutzgesetz vorgesehenen zivil-, polizei- und sonstigen
verwaltungsrechtlichen Maßnahmen ein geeignetes Mittel sind, die
Gefahr von der verfolgten Person abzuwenden.
Zusammenfassend stellt der djb fest, dass die vorhandenen
Strafgesetze ausreichen, um dem Phänomen des Stalking zu
begegnen. Über eine Ausweitung oder Ergänzung der
Straftatbestände sollte deshalb erst dann nachgedacht werden,
wenn die Gefährdungssituationen, die man gemeinhin mit dem
Begriff "Stalking" zu erfassen meint, aufgrund empirischer
Erhebungen näher umrissen sind und eine Vertypung der
entsprechenden sozialschädlichen Verhaltensweisen möglich wird.
Das schließt eine Optimierung der bestehenden Regelungen zum
Beispiel im Gewaltschutzgesetz, im Beschäftigtenschutzgesetz oder
im allgemeinen Arbeitsrecht nicht aus. Vorschläge für eine
Modifizierung und Anpassung des Gewaltschutzgesetzes sind in
einer gesonderten Stellungnahme herausgearbeitet.
13. Juni 2005
Margret Diwell | Ursula Nelles |
Präsidentin | Vorsitzende der Kommission |
Strafrecht | |
Dagmar Freudenberg | |
Vorsitzende der Kommission Gewalt gegen Frauen und Kinder |