Gemeinsames Themenpapier vom Deutschen Juristinnenbund e.V. (djb) und dem Netzwerk Steuergerechtigkeit
I. Gleichberechtigung stärken und Potenziale nutzen
Die Lebensrealitäten von Familien in Deutschland haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Die heutige Familienpolitik muss diesen Veränderungen Rechnung tragen. Das Ehegattensplitting ist ein Relikt aus den 1950er Jahren, es fördert besonders Einverdienstehen in hohen Einkommensgruppen.
Viele Zweitverdienende, oft Frauen, reduzieren ihre Arbeitszeit oder verzichten auf eine eigene Erwerbstätigkeit, weil sich zusätzliche oder vermehrte Erwerbstätigkeit steuerlich weniger lohnt. Dies führt nicht nur zu geringeren Einkommen, sondern auch zu Nachteilen bei der sozialen Absicherung, insbesondere in der Rente. Paare mit gleich hohem Einkommen profitieren hingegen nicht vom Splitting. Insgesamt führt das Splitting zu öffentlichen Mindereinnahmen von rund 25 Milliarden Euro pro Jahr.
II. Warum eine Reform notwendig ist
Die Vorstellung, dass Ehe und Familie automatisch zusammengehören, ist längst überholt. Heute wachsen viele Kinder mit nicht verheirateten Eltern oder in alleinerziehenden Haushalten auf. Dennoch profitieren ausschließlich verheiratete Paare vom Ehegattensplitting – unabhängig davon, ob sie Kinder haben –, während viele andere Familienmodelle leer ausgehen.
Zudem steht das Ehegattensplitting im Widerspruch zum Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern. Es setzt Fehlanreize für eine traditionelle Rollenverteilung, statt den Zugang zu eigenständiger wirtschaftlicher Sicherheit zu fördern. OECD, die Europäische Kommission und deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute warnen seit Jahren davor, dass das Ehegattensplitting Frauen häufiger in Teilzeit drängt und damit ihre Chancen auf Führungspositionen mindert.
In Deutschland ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen zwar hoch, doch der Anteil der Frauen in Teilzeit ist im internationalen Vergleich überdurchschnittlich. Diese hohe Teilzeitquote geht oft mit finanzieller Abhängigkeit, geringeren Karrierechancen und einem erhöhten Risiko von Altersarmut einher.
Die Abschaffung des Ehegattensplittings ist nicht nur ein gleichstellungs- und familienpolitisches Gebot, sondern angesichts des Fachkräftemangels auch volkswirtschaftlich erforderlich.
III. Unser Vorschlag für eine gerechtere Lösung
Das Ehegattensplitting ist weder verfassungsrechtlich noch politisch alternativlos. Reformoptionen werden seit Jahrzehnten diskutiert. Eine moderne Familienbesteuerung muss sich an den tatsächlichen Bedürfnissen von Familien orientieren – unabhängig vom Familienmodell.
Das Ziel ist die Einführung der Individualbesteuerung von Eheleuten mit übertragbarem Grundfreibetrag. Der Übergang kann schrittweise erfolgen, um mögliche Härten, insbesondere für bestehende Ehen, abzufedern. Da auch Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen, wenn auch in geringem Ausmaß, derzeit vom Splitting profitieren, ist es unerlässlich, die Mehreinnahmen gezielt zur finanziellen Entlastung von Familien einzusetzen.
Unser Vorschlag:
- Sofortige Abschaffung der Steuerklassen III und V, um eine gerechtere Steuerverteilung – auch in den monatlichen Abrechnungen – zu gewährleisten.
- Überwindung des bisherigen Ehegattensplittings durch eine Begrenzung des Splittings auf einen maximalen Übertragungsbetrag und, in einem weiteren Schritt, die Einführung der Individualbesteuerung von Eheleuten mit übertragbarem Grundfreibetrag. Die Notwendigkeit von Übergangsregelungen für bestehende Ehen sowie eine Kombination mit einer Einkommensteuertarifreform sollten geprüft werden, um mögliche Mehrbelastungen für Paare und Familien mit niedrigen oder mittleren Einkommen zu vermeiden.
- Die bisherigen Minijobs sollen in sozialversicherungs- und einkommensteuerpflichtige Beschäftigungsverhältnisse überführt werden, bei denen – ähnlich wie bei den Midijobs – die Sozialbeiträge überwiegend oder vollständig von den Arbeitgebern getragen werden.
- Die Mehreinnahmen aus der Reform sollten gezielt in den Ausbau der Infrastruktur für Kinderbetreuung und Pflege sowie in die Erhöhung des Kindergeldes investiert werden, um Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen, die derzeit vom Splitting profitieren, nicht zu belasten.
Die Modernisierung der Ehegattenbesteuerung ist überfällig. Das Ehegattensplitting schafft Ungerechtigkeiten und spiegelt nicht die Lebensrealitäten moderner Familien wider. Eine schrittweise Rückführung der Splittingvorteile hin zur Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag stärkt die wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen, fördert die Arbeitsmarktintegration und erschließt Fachkräftepotenziale – ein sozial gerechter und wirtschaftlich notwendiger Schritt.
Ursula Matthiessen-Kreuder
Präsidentin
Prof. Dr. Susanne Dern
Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich
Julia Jirmann
Referentin für Steuerrecht und Steuerpolitik im Netzwerk Steuergerechtigkeit