Stellungnahme: 22-24


zum Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze - Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, mit dem Teilbereiche des SGB II erneuert werden sollen. Damit das Bürgergeld tatsächlich zu mehr Chancengerechtigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe – so die Zielsetzung der Bundesregierung – führt, ist es von zentraler Bedeutung, dass das Gesetzesvorhaben konsequent Benachteiligungen von Frauen durch das SGB II abbaut sowie gleichstellungspolitische Ziele verfolgt.

Positiv hervorzuheben ist, dass das Mutterschaftsgeld künftig nicht mehr auf die SGB II-Leistungen angerechnet werden soll. Jedoch fällt auf, dass die gleichstellungspolitischen Auswirkungen des Gesetzesvorhabens nicht ausreichend geprüft wurden. Dies gilt insbesondere für das rechtliche Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft, das Frauen in eine Abhängigkeit vom Einkommen der Partner*innen bringt, sowie für die Nichtberücksichtigung des Umgangsmehrbedarfs. Zudem weist der djb darauf hin, dass der Begriff des „Bürgergelds“ nicht einer geschlechtergerechten Sprache entspricht und durch einen anderen ersetzt werden sollte.

Der djb regt daher dringend eine Überarbeitung des Gesetzentwurfs aus gleichstellungspolitischer Perspektive an:

Gleichstellungs-Check umfassend durchführen

Eine umfassende Gesetzesfolgenabschätzung des Regierungsentwurfes aus Gleichstellungssicht fehlt, obwohl im Koalitionsvertrag ein „Gleichstellung-Check“ für zukünftige Gesetze und Maßnahmen vereinbart wurde (Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 114) und in § 2 GOO ein Gender-Mainstreaming vorgesehen ist. Auch wenn der Regierungsentwurf ausdrücklich darauf hinweist, dass Frauen über die Hälfte der SGB-II-Leistungsberechtigten darstellen und davon etwa die Hälfte Frauen mit Kindern sind, werden die Ausführungen zu den Folgen des Gesetzes einer umfassenden gleichstellungspolitischen Folgenabschätzung nicht gerecht (BT-Drucks. 20/3873, S. 67).

Aus Sicht des djb sollte der von den Regierungsparteien vereinbarte „Gleichstellungs-Check“ im laufenden Gesetzgebungsverfahren nachgeholt und die Auswirkungen der Bedarfsgemeinschaft und des fehlenden Umgangsmehrbedarfs ausführlich geprüft werden.

Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft korrigieren – vertikale Berechnungsmethode einführen

Aus gleichstellungspolitischer Sicht wird seit langem kritisiert, dass das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft strukturell Frauen benachteiligt. Die horizontale Anrechnung von Partner*inneneinkommen führt nämlich dazu, dass hilfebedürftige Frauen aus dem eigentlich bestehenden Leistungsanspruch herausgedrängt werden, wenn Partner*innen oder der Ehegatte über ausreichend Einkommen verfügen. Das Einkommen der Partner*innen wird nach der horizontalen Methode auf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft unabhängig von der Höhe des Einkommens verteilt. Über diese horizontale Verteilung wird der echte Bedarf der Partnerin jedoch verschleiert. Es werden außerdem ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse verstärkt, die der Gleichstellung von Frauen diametral entgegenstehen.

Dies gilt umso mehr für nichteheliche Lebensgemeinschaften, auf die die Bedarfsgemeinschaft ebenfalls anwendbar ist, bei denen jedoch kein Anspruch auf Unterhalt besteht. Diese Abhängigkeit besteht auch für Kinder, die Frauen in eine neue Partnerschaft bringen (Patchworkfamilien). Auch hier wird sozialrechtlich eine Abhängigkeit der Stiefkinder vom Partner*inneneinkommen geschaffen, die mit keiner familienrechtlichen Unterhaltspflicht korrespondiert.

In der Bedarfsgemeinschaft kommt somit eine überkommene Vorstellung der Versorgerehe bzw. Versorgerpartner*innenschaft des SGB II zum Ausdruck, die nicht mit Art. 3 Abs. 2 GG zu vereinbaren ist und die eigenständige Existenzsicherung von Frauen beeinträchtigt.

Daher fordert der djb seit der Einführung von „Hartz IV“ die geschlechtergerechte Umgestaltung der Bedarfsgemeinschaft. Dazu gehört, dass eine Regelung getroffen wird, bei der im Rahmen der Bedarfsgemeinschaften eine vertikalen Berechnungsmethode zur Anwendung kommt, wie sie vor 2005 praktiziert wurde: Nach der Ermittlung des individuellen Bedarfs des Einkommens erwirtschaftenden Partners bzw. der Partnerin sollte nur das überschießende Einkommen auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft – vorrangig auf den Bedarf der gemeinsamen Kinder, nachrangig auf den Bedarf der hilfebedürftigen Frau – verteilt werden.

Umgangsmehrbedarf implementieren

Der djb kritisiert außerdem, dass der vorliegende Gesetzentwurf keine Regelung enthält, die den Bedarf von Kindern in Trennungsfamilien realitätsgerecht abbildet. Obwohl ein sog. Umgangsmehrbedarf seit Jahren von vielen Verbänden und auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung als verfassungsrechtlich begründeter Bedarf angemahnt wird (BSG v. 14.12.2021 – B 14 AS 73/20 R; BSG v. 7.11.2006 – B 7b 14/06 R), wurde er bisher nicht als typischer Mehrbedarf ins SGB II aufgenommen.

Dies benachteiligt Familien im Falle der Scheidung oder Trennung. Für eine Gleichstellung von Frauen braucht es einen Umgangsmehrbedarf: Frauen machen den weitüberwiegenden Teil der Alleinerziehenden aus – die quotalen Übertagungen des Sozialgeldes werden der Hauptfinanzierungslast im Haushalt der alleinerziehenden Mutter nicht gerecht. Zudem behindert eine Unterdeckung von Umgangsbedarfen, dass eine paritätischere Elternverantwortung nach der Trennung umgesetzt wird.

Der djb plädiert aus diesen Gründen mit Nachdruck für eine entsprechende Ergänzung des Regierungsentwurfs.

 

Prof. Dr. Maria Wersig

Präsidentin des djb

 

Prof. Dr. Cara Röhner

Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich