Stellungnahme: 22-13


zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme vom 23. Juni 2022 vor dem Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen des Niedersächsischen Landtages.

Der djb begrüßt den grundsätzlichen Reformwillen im Bereich der juristischen Ausbildung. Die vorliegenden Entwürfe werden jedoch nur zum Teil dem Anliegen gerecht. Die Vorschläge zum Referendariat in Teilzeit und der Verankerung der kritischen Reflexion des Rechts als Ausbildungsziel sind richtige Ansätze, die juristische Ausbildung inklusiver zu gestalten und bisher marginalisierten Perspektiven mehr Raum zu verschaffen.

Der djb hält jedoch weitere Regelungen für notwendig und regt im Folgenden an, in Niedersachsen über eine bloße Anpassung an die reformierten §§ 5a, b DRiG hinauszugehen.
Darüber hinaus empfiehlt der djb, mit Blick auf die mündlichen Teile der Staatsexamina in § 3 Abs. 1 S. 2 und § 9 Abs. 1 S. 2 NJAG, jedenfalls aber in § 23 Abs. 1 und § 39 Abs. 4 NJAVO, das Ziel einer diskriminierungsfreien Prüfungspraxis zu verankern. Dazu gehören etwa die geschlechtergerechte Besetzung der Prüfungskommissionen, vgl. § 7 Abs. 3 S. 4 JAVO Schleswig-Holstein, verpflichtende Schulungen für Prüfer*innen und die Implementierung eines Beschwerde- und Kontrollsystems (s. jüngst die Forderungen des djb-Arbeitsstabs Ausbildung und Beruf: Heppner, Charlotte / Wienfort, Nora / Härtel, Sophia: Die mündliche Prüfung in den juristischen Staatsexamina – eine Blackbox mit Diskriminierungspotential, in: Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft 2022/1, S. 26 ff. (auch hier online abrufbar)).

Zu den Änderungsvorschlägen im Einzelnen:

§ 3 Abs. 2 und 3 NJAG neue Fassung

Der djb begrüßt die neuen § 3 Abs. 2 und 3 NJAG und die damit verbundene Anpassung an § 5a Abs. 2 S. 3 DRiG. In der beabsichtigten Fassung des Abs. 3 kommt indes die besondere rechtspolitische Stellung und die damit verbundene Verantwortung, die Jurist*innen in einer rechtsstaatlichen Demokratie zukommt, nicht zum Ausdruck.

Jurist*innen müssen auch über die in Abs. 2 benannten Unrechtsherrschaften und die generisch gehaltene „kritische Reflexion des Rechts” hinaus für Rechtsfragen von Diskriminierung, Ungleichheiten und Machtmissbrauch sensibilisiert sein. Der Schutz von Minderheiten und die Beseitigung von Diskriminierung sind wichtige Aufgaben des Rechts als System der Freiheitssicherung. Historisch und gegenwärtig bekommen Angriffe auf die Grundlagen des Rechtsstaats besonders diejenigen zu spüren, die in der Gesellschaft ohnehin marginalisiert sind. So gehen Attacken insbesondere aus dem rechten politischen Spektrum häufig mit offenem Rassismus und Frauenhass einher.

Es sollte daher im NJAG ausdrücklich festgehalten werden, dass die Befähigung zum reflektierten Umgang mit dem Recht ein kritisches Bewusstsein um Diskriminierung und Exklusion im und durch Recht umfasst.

Der djb schlägt aus diesem Grund vor, § 3 Abs. 3 Hs. 1 NJAG wie folgt zu formulieren:

„Die Inhalte des Studiums berücksichtigen die ethischen Grundlagen des Rechts und fördern die Fähigkeit zur kritischen Reflexion des Rechts und seines Missbrauchspotentials, insbesondere indem sie Sensibilität schaffen für menschenverachtende Ideologien wie Rassismus, Antisemitismus und Sexismus sowie deren Mechanismen und Ausdrucksformen;“

Sexistische Ideologien zielen auf die Herabwürdigung von Personen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Dies schließt geschlechterstereotype Annahmen zur natürlichen Zweigeschlechtlichkeit, zu den Rollenerwartungen und zur sexuellen Orientierung ein. In der Vermittlung von Gender- und Diversity-Kompetenzen wird die Wahrnehmung von solchen (unbewussten) Werthaltungen und Handlungsmustern in gesellschaftlichen Hierarchieverhältnissen reflektiert. Diese sollten daher in der juristischen Ausbildung gestärkt werden. Eine entsprechende Klarstellung in § 3 Abs. 3 Hs. 2 NJAG im Zuge der anstehenden Änderungen regt der djb ausdrücklich an.

§ 5 Abs. 3 S. 3 NJAG neue Fassung

Der djb beurteilt die Reduktion der sich ohnehin schon am Existenzminimum bewegenden Unterhaltsbeihilfe kritisch.

Die Unterhaltsbeihilfe wird nicht im Gegenzug zur verrichteten Arbeit geleistet, sondern zur Deckung der Lebenshaltungskosten. Diese verringern sich bei einem Referendariat in Teilzeit aber gerade nicht, sondern können sich bei Sorgeverantwortung sogar erhöhen. Auch ist es den Referendar*innen nicht zuzumuten, einen etwaigen Familienzuschlag zum Ausgleich für die persönlichen Unterhaltseinbußen einsetzen zu müssen. Referendar*innen könnten so gezwungen sein, sich allein aus finanziellen Gründen gegen die Teilzeit zu entscheiden.

In anderen Bundesländern wird zudem die Unterhaltsbeihilfe gerade nicht gekürzt, wenn sich die Ausbildung in Härtefällen (die in § 7a Abs. 1 S. 3 NJAG n.F. der Sorgeverantwortung in S. 1 gleichgestellt werden) verzögert. Vgl. Art. 3 Abs. 4 S. 2 BaySiGjurVD und § 5 Abs. 2 Nr. 2 NRW-VO über die Gewährung einer monatlichen Unterhaltsbeihilfe an Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare. § 5 Abs. 3 S. 3 NJAG i.V.m. § 11 Abs. 1 Hs. 2 NBesoldungsgesetz ließen eine solche Regelung ebenfalls zu.

Einfügen eines § 5 Abs. 5 NJAG

Der djb regt zudem an, in einem § 5 Abs. 5 NJAG die Einrichtung eines Personalrates der Referendar*innen mit einer Gleichstellungsbeauftragten zu regeln und diese mit § 31 JAO Berlin vergleichbaren Rechten auszustatten.

Sie können Beschwerden und Anregungen bündeln, weiterleiten und die Bedürfnisse der Referendar*innen sichtbar machen. Der Personalrat ist u.a. in Berlin und Brandenburg etabliert und sorgt dort spürbar für eine Entlastung der Referendar*innen und Ausbilder*innen. Die Gleichstellungsbeauftragte könnte als eine unabhängige Beratungsstelle fungieren, gerade für sorgetragende Referendar*innen. Ein neuer § 5 Abs. 5 könnte somit sicherstellen, dass die Ziele des geplanten Gesetzes auch erreicht werden.

§ 7a NJAG neue Fassung

Der djb begrüßt, dass bei der Gestaltung des Rechtsrahmens für das Referendariat die Belange von Referendar*innen mit Sorgeverantwortung Berücksichtigung finden sollen. Die Pandemie hat deren Belastung potenziert und deutlich gemacht, dass eine solche Anpassung dringend Not tut (vgl. schon Stellungnahmen des djb hier und zuletzt hier). Es ist daher zu begrüßen, dass durch eine Änderung des NJAG die Option geschaffen werden soll, das Referendariat in Teilzeit zu absolvieren.

Damit wird der Staat seinem Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 1 GG gerecht und verwirklicht das Fördergebot aus Art. 3 Abs. 2 GG. Nur so kann sichergestellt werden, dass entsprechend der Vorgaben von Art. 33 Abs. 2 GG tatsächlich ein gleicher Zugang erfolgt.

Der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form wird jedoch zu keiner nennenswerten Entlastung derjenigen führen, die sich für ein Referendariat in Teilzeit entscheiden sollten.

Zu Abs. 1

Der djb begrüßt die Härteklausel in § 7a Abs. 1 S. 3 NJAG. Diese sollte allerdings der gesamten Vielfalt der Lebensrealitäten Rechnung tragen, aus denen heraus heute Menschen den Vorbereitungsdienst ableisten und daher nicht als enge Ausnahmevorschrift gehandhabt werden. S. 3 sollte daher wie S. 1 als Anspruch ausgestaltet werden. Neben den in der Gesetzesbegründung erwähnten Fällen der eingeschränkten Teilhabe aufgrund einer Erkrankung oder Schwerbehinderung sollten auch sorgetragende Beziehungen erfasst werden, die über das strikt an Biologie und Ehe orientierte gesetzliche Bild aus S. 1 hinausgehen.

Zu Abs. 2

Um Referendar*innen mit Sorgeverantwortung mehr Flexibilität und zugleich Rechtssicherheit zu garantieren, braucht es großzügigere Modelle, die auf Bedürfnisse individuell Rücksicht nehmen. Die pauschale – und zugleich nicht nennenswerte– Reduktion um ein Fünftel ist nicht geeignet, der Mehrbelastung aller Sorgeverantwortlichen gerecht zu werden. Um eine spürbare Entlastung zu schaffen, ist die Arbeitszeit um mindestens ein Drittel zu verringern. 

Die vorgesehene Reduktion geht nicht über die derzeit in Einzelfällen praktizierte Entlastung von Referendar*innen mit Kindern hinaus, die von wenigen Ausbilder*innen individuell angeboten wird. Angesichts der aktuell eher freihändigen Gestaltung des Ausbildungsrahmens im Referendariat, der in der Praxis maßgeblich von individuellen Absprachen mit bzw. einseitigen Vorgaben durch die jeweiligen Ausbilder*innen bestimmt wird, muss es dringend rechtssichere Vorgaben für das Ableisten in Teilzeit geben.

Ausbilder*innen sollten darüber hinaus ausdrücklich verpflichtet werden, individuell auf die besonderen Bedürfnisse von Referendar*innen mit Sorgeverpflichtungen einzugehen. Dabei muss gewährleistet sein, dass Referendar*innen mit Sorgeverantwortung neben den Pflichtveranstaltungen ausreichend Zeit zum Lernen haben, indem beispielsweise die Einzelausbilder*innen angehalten werden, den Umfang von Aktenbearbeitung angemessen zu halten oder zu ermöglichen, Probeklausuren flexibler zu schreiben. Der Rahmen der Stationsausbildung wird regelmäßig zulasten der persönlichen Vorbereitungszeit überzogen. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Missstand im Teilzeitmodell ohne ausdrückliche Regelungen zuspitzt und so faktisch leerläuft.

Darüber hinaus muss gewährleistet werden, dass die Ausbildungszeiten, besonders die Veranstaltungen in den Arbeitsgemeinschaften und Klausurenkursen, an Betreuungszeiten angepasst sind.

Zu Abs. 3

Kritisch zu beurteilen ist zudem die pauschale Verlängerung des Referendariats. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb gerade die geringfügige Arbeitszeitreduzierung von einem Fünftel in den Stationen eine Verlängerung der Ausbildungszeit insgesamt zur Folge haben muss und wieso die Reduzierung nicht einmal der Verlängerung anteilig entspricht. Gegen eine Verlängerung des Referendariats sprechen insbesondere zwei Gründe.

Die geplante Reduzierung der Unterhaltsbeihilfe schlägt dann noch mehr zu Buche. Finanzielle Gründe dürfen nicht dazu führen, dass das Teilzeitreferendariat nicht in Anspruch genommen wird. Diese Gefahr besteht jedoch, wenn das prekäre Anstellungsverhältnis durch noch unattraktiver wird und sich dieser Zustand über einen noch längeren Zeitraum erstreckt.

Die „angemessene Verteilung” der Verlängerungszeit nach S. 2 birgt zudem einen gewaltigen bürokratischen Aufwand, der die Referendar*innen und Ausbilder*innen nur zusätzlich belasten wird, wie der Gesetzgeber in seiner Begründung zu Abs. 4 schon zu erahnen scheint.

Eine solche Verlängerung ist auch nicht verfassungsrechtlich geboten in Hinblick auf den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und den damit einhergehenden Grundsatz der Chancengleichheit. Denn das an Voraussetzungen – die Sorgeverantwortung – geknüpfte Teilzeitreferendariat dient gerade dazu, eben diese Chancengleichheit herzustellen, indem bestehende Nachteile ausgeglichen werden. Dass in der Einzelausbildung weniger Leistungen erbracht werden als durch andere Referendar*innen fällt bei einer Arbeitsreduzierung um bloß ein Drittel nur unerheblich ins Gewicht.

Der djb fordert daher, eine Verlängerung des Referendariats allenfalls optional einzuführen. Auf Antrag der Referendar*innen ist die Ausbildungszeit um bis zu ein halbes Jahr zu verlängern. Das Missbrauchspotential einer solchen Regelung wird in der Gesetzesbegründung nicht realistisch eingeschätzt. Tatsächlich entspricht es viel mehr der Erfahrung, dass Referendar*innen unter großem finanziellen, emotionalen, karriere- und familienbedingten Druck stehen, das Referendariat möglichst schnell zu absolvieren. Eine solche Missbrauchsgefahr wird in Bezug auf das erste Examen, dessen Zeitpunkt viel flexibler gewählt werden kann, schließlich auch – zurecht – nicht angemahnt.

Zu Abs. 4

Die Einfügung des Abs. 4 sieht der djb äußerst kritisch. Die Vorschrift schwächt die Rechte aus Abs. 1 erheblich. Die äußerst schwammigen Begrifflichkeiten werden zu Rechtsunsicherheit bei den ohnehin schon ausgelasteten Referendar*innen führen. Abs. 4 öffnet zudem Tür und Tor für die Aushöhlung des Teilzeitrechts.

Die Bedenken, die zur Schaffung dieses Ausnahmetatbestandes führen, namentlich dass der Prüfungsturnus durch die Verlängerung nicht eingehalten werden kann, dürfen nicht zulasten der Referendar*innen gehen. Ihnen sollte vielmehr durch eine pragmatische Regelung schon im Gesetzgebungsverfahren begegnet werden. Abs. 4 ist daher ersatzlos zu streichen.

 

Brigitte Meyer-Wehage                                                       

Vorsitzende des Landesverbandes Niedersachsen                                          

 

Helene Evers

Vorsitzende des Arbeitstabs Ausbildung und Beruf im djb