Stellungnahme: 22-09


zum Gesetzesentwurf zur Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e. V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB), zur Änderung des Heilmittelwerbegesetzes und zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (BT-Drs. 20/1635, BR-Drs. 161/22), sowie zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU „Interessen der Frauen stärken, Schutz des ungeborenen Lebens beibehalten“ (BT-Drs. 20/1017) und dem Antrag der Abgeordneten Heidi Reichinnek u.a. und der Fraktion DIE LINKE „§ 219a des Strafgesetzbuches streichen – Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit und ausreichende Versorgung sicherstellen“ (BT-Drs. 20/1763).

Der djb begrüßt die vollständige Streichung des § 219a StGB, fordert darüber hinaus aber die Entfernung von Schwangerschaftsabbrüchen aus dem Verbot der Publikumswerbung nach § 12 Abs. 1 HWG. Der djb mahnt zudem weiteren Verbesserungsbedarf an, insbesondere in Bezug auf die Informations- und Versorgungslage.

Die mit der Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vorgesehene Rehabilitierung der auf Grundlage des § 219a StGB verurteilten Personen ist zu begrüßen und eine naheliegende Konsequenz aus der Streichung des § 219a StGB.

I.   Streichung des § 219a StGB

Die Streichung der Norm § 219a StGB wird nachdrücklich begrüßt. Sie trägt einer langjährigen Forderung des djb Rechnung.

Tathandlung der Vorschrift § 219a StGB ist das öffentliche Anbieten, Ankündigen, Anpreisen oder das Bekanntgeben von Inhalten, die über eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs informieren. Sie kann sich auf Mittel, Gegenstände oder Verfahren zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen beziehen. Die handelnde Person macht sich dann strafbar, wenn sie die Tat des eigenen Vermögensvorteils wegen oder grob anstößig begeht.

Die Vorgängervorschriften des § 219a StGB (§ 219 und § 220 RStGB) entstammen dem Jahr 1933[1] und damit aus einer Zeit, zu der jede Form von Schwangerschaftsabbrüchen unter Strafe stand. Schon bei der Zusammenführung beider Vorschriften im Jahr 1974 unter der neuen amtlichen Überschrift „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ hätte es nahe gelegen, die Informationen in Bezug auf die zeitgleich legalisierten Formen von Abbrüchen von dem strafbewehrten Verbot auszunehmen. Die damals neugefasste Vorschrift sollte verhindern, dass Schwangerschaftsabbrüche „in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt“[2] oder kommerzialisiert werden. Neben der einschränkenden Begehungsweise „grob anstößig“ wurde deshalb auch die Begehungsweise „des eigenen Vermögensvorteils wegen“ eingefügt. Durch die so begründete Ambivalenz von legalisierten Formen des Abbruchs und fortdauernder, umfassender Kriminalisierung öffentlicher Informationen über diese legalen Formen des Abbruchs wurde eine widersprüchliche Rechtslage geschaffen: Die strafbare sachliche Information über erlaubte Handlungen. Die Verknüpfung mit (auch mittelbaren) finanziellen Interessen ist aber für eine der Berufsfreiheit unterfallende Gesundheitsleistung kein geeignetes Kriterium für die Feststellung sozialschädlichen Verhaltens, mithin strafwürdigen Unrechts. Gleiches gilt für die Tabuisierung[3] erlaubter Handlungen.

Kriminalpolitische Bedeutung erlangte § 219a StGB erst durch vermehrte Strafanzeigen von radikalen Abtreibungsgegner*innen seit 2015,[4] wodurch auch die Zahl der Ermittlungsverfahren erheblich zunahm. Im Jahr 2017 kam es zu einer medienwirksamen Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 219a StGB.[5]

Mit der anschließenden Reform aus dem Jahr 2019 und der Einführung des § 219a Abs. 4 StGB wurde schließlich eine einzige sachliche Information vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen: Ärzt*innen, Krankenhäuser und Einrichtungen können seither ausschließlich darüber informieren, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Über die Mittel, Gegenstände und Verfahren dürfen sie allerdings weiterhin nicht informieren. Weitere Verurteilungen von Ärzt*innen auf Grundlage der neuen Fassung folgten.[6]

Nur klarstellend ist anzumerken, dass § 219a StGB selbst zu keinem Zeitpunkt Teil der Überprüfungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch war und Bezugnahmen auf diese Entscheidungen[7] im Rahmen des § 219a StGB fehlgehen. Insbesondere war die Regelung kein Bestandteil des 1993 durch das BVerfG entwickelten Schutzkonzepts, welches zudem vor dem Hintergrund aktueller menschenrechtlicher Entwicklungen einer kritischen Reflektion bedarf.[8]

1.  Teilweise Verfassungswidrigkeit des § 219a StGB

Wie der djb kürzlich in seiner Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. Dezember 2020 – 1 Ss 96/20 –, b) das Urteil des Landgerichts Gießen vom 12. Dezember 2019 – 4 Ns – 406 Js 15031/14-, sowie mittelbar gegen § 219a StGB in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch vom 2. März 2019 (BGBl. I S. 350) ausgeführt hat, ist der Straftatbestand des § 219a StGB, soweit sich die Vorschrift auf sachliche Informationen über gerechtfertigte und tatbestandslose Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 1 bis 3 StGB bezieht, verfassungswidrig.[9]

Die Regelung des § 219a StGB greift in nicht hinnehmbarer Art und Weise unverhältnismäßig in die Grundrechte von Ärzt*innen und der ungewollt schwangeren Personen ein. Die Vorschrift verstößt gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, die Informationsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. GG, die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 GG. Sie verletzt zudem die Gleichheitsrechte des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Als Strafvorschrift greift sie außerdem in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG der Ärzt*innen ein, indem sie mit der Berufsausübung verbundenes Verhalten mit einem sozialethischen Unwerturteil belegt.

Die Verfassungswidrigkeit des § 219a StGB folgt bereits daraus, dass der Strafvorschrift kein legitimer Zweck zugrunde liegt, soweit sie auf die Verhinderung sachlicher Informationen über gerechtfertigte und tatbestandslose Schwangerschaftsabbrüche abzielt. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass die vorgebrachten Ziele nicht nur in Bezug auf allgemeine Verhaltensvorschriften zu betrachten sind, sondern aufgrund des in einer strafrechtlichen Verurteilung enthaltenen staatlichen sozialethischen Unwerturteils auch Mindestanforderungen in Bezug auf die Verhinderung strafwürdigen, mithin sozialschädlichen Verhaltens aufweisen müssen. Aufgrund des Unwerturteils kommt dem Übermaßverbot auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besondere Bedeutung bei der Überprüfung von Strafnormen zu.[10] Aufgabe des Strafrechts ist es, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen.[11] Als ‚ultima ratio‘ wird es dann eingesetzt, „wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist.“[12] Das ist für die von § 219a StGB verfolgten Ziele nicht erfüllt, soweit sie auch das strafbewehrte Verbot sachlicher Informationen über gerechtfertigte und tatbestandslose Schwangerschaftsabbrüche erfassen.

Selbst wenn man aber die konkreten mit Strafe bedrohten Verhaltensweisen ausblendet und abstrakt die Ziele der Verhinderung einer Kommerzialisierung oder den Schutz des ungeborenen Lebens anführt, ist das Verbot sachlicher Informationen nicht geeignet, diese Zwecke zu erreichen. Angesichts bestehender und im Regierungsentwurf vorgesehenen Regulierungen ärztlichen Werbens ist die Strafvorschrift für diese Zwecke auch nicht erforderlich. In jedem Fall ist die Strafbewehrung für sachliche Informationen über erlaubte Verhaltensweisen im Hinblick auf die damit verbundenen Grundrechtseingriffe unangemessen. Die mit § 219a StGB einhergehenden Grundrechtseingriffe sind damit unverhältnismäßig.

a. Zur Verhinderung der Kommerzialisierung

Für den Beruf der Ärzt*innen ist eine Differenzierung zwischen sachlicher Information und unangemessener Kommerzialisierung erforderlich, vor der auch das Strafrecht sich nicht verschließen darf. Die Abgrenzung zwischen unangemessener Kommerzialisierung und sachlicher, angemessener Information wird nicht nur durch die sich an der „(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“ (MBO-Ä) orientierenden Berufsordnungen für Ärzt*innen näher konkretisiert, sondern war bereits Gegenstand bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen. Danach genügen die berufsrechtlichen Vorgaben zur Verhinderung einer Kommerzialisierung verfassungsrechtlichen Anforderungen nur, soweit sie interessengerechte und sachangemessene Informationen, die keinen Irrtum erregen, ermöglichen[13]. Dem entspricht auch die Regelung des § 27 MBO-Ä[14], dessen Abs. 2 klarstellt, dass Ärzt*innen sachliche berufsbezogene Informationen gestattet sind. Über dieses Ziel der Verhinderung einer unangemessenen Kommerzialisierung geht § 219a StGB weit hinaus. Sachliche Informationen, die keinen anpreisenden oder vergleichenden Charakter haben, sondern lediglich über die bestehenden Möglichkeiten einer zugelassenen Behandlung aufklären, können mit dem Ziel der Verhinderung einer Kommerzialisierung nicht erfasst und schon gar nicht mit einem staatlichen Unwerturteil versehen werden.

Die ärztlichen Berufsordnungen untersagen ferner entsprechend § 27 MBO-Ä explizit berufswidrige Werbung, insbesondere anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Das erklärte Ziel der berufsrechtlichen Beschränkung ärztlicher Kommunikation ist danach „die Vermeidung einer dem Selbstverständnis der Ärztin oder des Arztes zuwiderlaufenden Kommerzialisierung des Arztberufes“. Patient*innen sollen darauf vertrauen können, dass sich Ärzt*innen nicht von kommerziellen Interessen leiten lassen. Nach § 3 HWG und § 5 UWG ist irreführende Werbung verboten; die im Entwurf vorgesehene Aufnahme von Schwangerschaftsabbrüchen in § 1 HWG stellt zudem sicher, dass der dort aufgestellte Maßstab künftig auch für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen gilt. § 14 HWG enthält sogar eine Strafvorschrift im Falle eines Verstoßes gegen § 3 HWG. § 6 UWG verbietet unlautere vergleichende Werbung. Damit steht die Vermeidung unangemessener Kommerzialisierung bereits im Mittelpunkt der für Ärzt*innen einschlägigen Regelungen.

Das berufsbezogene ärztliche Kommunikationsrecht wird durch die Landesärztekammern durchgesetzt. Die Kammern können Pflichtverletzungen mit Bußgeldern ahnden, deren Höchstsätze zwischen 25.000 und 200.000 Euro liegen. Diese Sanktionen garantieren die Effektivität der berufsrechtlichen Verhinderung unangemessener Kommerzialisierung ärztlicher Tätigkeit. Hinzu kommt, dass Ärzt*innen hiernach auch verpflichtet sind, keine berufswidrige Werbung durch Dritte zu veranlassen oder auch nur zu dulden. Dabei gehen Landesärztekammern und Rechtsprechung davon aus, dass Ärzt*innen grundsätzlich in der Lage und damit auch verpflichtet sind, berufswidrige Werbung durch Dritte zu unterbinden. Dieses Duldungsverbot macht neben den Sanktionen das berufsbezogene ärztliche Kommunikationsrecht zu einem höchst effektiven Instrument der Verhinderung unangemessener Kommerzialisierung. Damit liegt eine mildere, aber gleich wirksame (wenn nicht gar effektivere) Regelung vor.

b. Zur Verhinderung einer Normalisierung/Verharmlosung in der Öffentlichkeit („Klimaschutz“)

Der Erhalt eines tatsächlich bestehenden oder mutmaßlichen Konsenses über Werte- oder Moralvorstellungen kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht unmittelbares Ziel strafgesetzgeberischer Tätigkeit sein.[15] Genau darauf läuft aber das strafbewehrte Informationsverbot über Schwangerschaftsabbrüche hinaus.

Die sachliche Information über rechtlich zulässige Abbrüche kann aber nicht schon deshalb sozialschädlich sein, weil sie möglicherweise geeignet ist, einen gesellschaftlichen Diskurs über Schwangerschaftsabbrüche zu ermöglichen. Die Eröffnung eines Diskurses auf Basis von sachlichen Informationen stellt kein für das Zusammenleben der Menschen unerträgliches Verhalten dar, sondern ist vielmehr Grundlage der nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit. Das Verbot des gesellschaftlichen Meinungsaustauschs über Schwangerschaftsabbrüche unter Androhung von Strafe widerspricht dem für die freiheitlich-demokratische Grundordnung schlechthin konstituierenden Charakter der Meinungsfreiheit.[16] Dass es sich bei Schwangerschaftsabbrüchen um ein kontrovers diskutiertes, mit grundlegenden ethisch-moralischen Fragestellungen verknüpftes Thema handelt, ändert an diesem Befund nichts, sondern unterstreicht nur die Notwendigkeit eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses zur Auslotung seiner rechtlichen Ausgestaltung.

Der Legitimität des Zwecks, eine Verharmlosung von Schwangerschaftsabbrüchen durch ein Informationsverbot zu verhindern, steht auch entgegen, dass der Zugang zu Informationen im Kontext reproduktiver Tätigkeit nach internationalem Recht sicherzustellen ist. Deutschland ist als Vertragspartner des Sozialpakts (ICESCR) und der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) grundsätzlich zur Gewährleistung sachlicher und ärztlich gesicherter Informationen verpflichtet, auf die Betroffene im Falle eines Schwangerschaftskonflikts Zugriff hätten. So betont der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte auf Grundlage des Art. 12 Sozialpakt, dass reproduktive Gesundheit auch den Zugang zu solchen Informationen umfasst, die für die Reproduktion relevant sind. Nur so könne eine freie und verantwortungsvolle Entscheidung im Kontext der Reproduktion sichergestellt werden.[17] In die gleiche Richtung weist der vom UN-Frauenrechtsausschuss übermittelte Fragenkatalog, die sogenannte „List of Issues and Questions prior to Reporting“: Deutschland solle dazu Stellung beziehen, wie die Einschränkung des Rechts von Frauen auf Zugang zu Diensten und Informationen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit durch das Informationsverbot gemäß § 219a StGB gerechtfertigt wird.[18] Gleichzeitig identifiziert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Informationsbeschränkungen explizit als Barriere für die Gewährleistung sicherer Schwangerschaftsabbrüche.[19]

c. Zum Schutz des ungeborenen Lebens

Jedenfalls mittelbar verfolgte der Gesetzgeber bisher mit § 219a StGB das Ziel, das ungeborene Leben zu schützen. Darin liegt zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts[20] grundsätzlich ein legitimer Zweck. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Tatbestand des § 219a StGB nicht zwischen den verschiedenen Formen des Schwangerschaftsabbruchs nach §§ 218, 218a StGB unterscheidet. Die sachliche Information über straffreie (d.h. tatbestandslose oder gerechtfertigte) Formen des Schwangerschaftsabbruchs stellt keine rechtlich relevante Gefahr für das ungeborene Leben dar. Denn die geltende Gesetzeslage, nach der bestimmte Formen des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218a StGB straffrei sind, enthält bereits eine gesetzgeberische – und vom Bundesverfassungsgericht gebilligte – Abwägung zwischen dem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung der ungewollt schwangeren Person einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben andererseits. Soweit es sich um tatbestandslose bzw. rechtmäßige Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a StGB handelt, hat der Gesetzgeber selbst den Schutz des ungeborenen Lebens zurücktreten zu lassen. Wenn aber bereits der Abbruch selbst als tatbestandslos beziehungsweise rechtmäßig und damit nicht als strafbare Gefährdung des ungeborenen Lebens erachtet wird, kann es für die – von einer tatsächlichen Gefährdung noch wesentlich weiter entfernte – öffentliche Information über derartige Abbrüche erst recht nicht auf den Schutz dieses Rechts ankommen.

Das Ziel, ungeborenes Leben zu schützen, kann durch ein Informationsverbot ohnehin nicht erreicht werden. Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Entschluss zum Abbruch einer Schwangerschaft durch derartige Informationen hervorgerufen oder zumindest verstärkt werden könnte. Ein derartiger Zusammenhang ist nicht ersichtlich und reine Spekulation. Es ist auch nicht erkennbar, inwieweit Informationen über die Art und Weise der Behandlung eine ungewollt schwangere Person zum Abbruch einer Schwangerschaft veranlassen oder ermutigen könnten.

2.  Streichung ist auch kriminalpolitisch sinnvoll

Das Verbot der Sachinformation über straffreie Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzt*innen hat zur Folge, dass ungewollt schwangere Personen sich nicht oder nicht rechtzeitig aus frei zugänglichen Quellen umfassend informieren können, wodurch diese in ihrer Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. GG verletzt werden. Dadurch wird auch ihre grundrechtlich nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Wahlfreiheit bezüglich der behandelnden Ärzt*innen ebenso eingeschränkt wie die Entscheidung über die Modalitäten, etwa ob der Abbruch unter Vollnarkose, örtlicher Betäubung oder medikamentös vorgenommen werden soll. Da der Frage nach einem möglichen Schwangerschaftsabbruch eine für die betroffene Person zentrale Lebensentscheidung darstellen kann, kommt dem Zugang zu sachlichen Informationen eine gesteigerte Bedeutung zu. Eine zentrale Rolle kommt dabei den behandelnden Ärzt*innen zu, die den barrierefreien und vertrauensbasierten Zugang zu sachlichen Informationen in besonderem Maße gewährleisten können. Die nach § 13 Abs. 3 SchKG vorgesehenen optionalen Angaben auf der Liste der Bundesärztekammer (BÄK) sind schon aufgrund des geringen Informationsgehalts nicht geeignet, das durch § 219a StGB erzwungene Informationsdefizit zu beheben. Für die betroffenen Personen bedeutsame Einschränkungen gehen aus den von der BÄK veröffentlichten Informationen nicht hervor, etwa ob nur indizierte Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, oder ob Abbrüche nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. nicht nach der zehnten Schwangerschaftswoche) vorgenommen werden. Schließlich werden die Informationen durch die BÄK lediglich monatlich aktualisiert (§ 13 Abs. 3 Satz 3 SchKG), sodass die Liste kurzfristige Änderungen in der angebotenen Versorgung nicht erfassen kann. Außerdem führt jede Verzögerung zu einem erhöhten Komplikations- und Gesundheitsrisiko.

Derzeit stoßen ungewollt schwangere Personen bei einer Internetrecherche über die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen unweigerlich auf Webseiten von radikalen Abtreibungsgegner*innen, die gezielt Desinformation verbreiten und Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust gleichsetzen. Dies verdeutlicht nochmals, wie wichtig sachliche Informationen durch Expert*innen – und insbesondere durch Ärzt*innen – sind.

Selbst wenn die Frage der Verfassungswidrigkeit anders beurteilt werden sollte, so ist die Abschaffung des § 219a StGB aus rechtspolitischen Gründen zu begrüßen. In den zuletzt diskutierten Fällen der sachlichen Information über erlaubte Abbrüche führt letztlich allein der Umstand eines eigenen Vermögensvorteils zur Strafbarkeit der informierenden Ärzt*innen. Dass Ärzt*innen für ihre Tätigkeit ein angemessenes Honorar fordern, macht sachliche Informationen über die angebotenen Leistungen aber keineswegs sozialschädlich und damit zu einem sinnvollen Anknüpfungspunkt für eine strafrechtliche Regulierung. Durch ihre Tätigkeit tragen sie vielmehr dazu bei, dass der Staat seinem gesetzlichen Versorgungsauftrag nachkommt (§ 13 SchKG). Das Fordern eines angemessenen Honorars ist schließlich auch nach der Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte vorgesehen (§ 12 Abs. 1 MBO-Ä); insbesondere dürfen die Honorare nicht unlauter unterschritten werden. Das Erlassen eines Honorars ist nur in Ausnahmefällen vorgesehen (§ 12 Abs. 3 MBO-Ä). Durch die Vorgaben in § 27 MBO-Ä ist auch für alle anderen Gesundheitsleistungen bereits Sorge dafür getragen, dass eine dem Selbstverständnis von Ärzt*innen zuwiderlaufende Kommerzialisierung unterbunden und dies mit dem Bedürfnis sachlicher Informationen in einen sachgerechten Ausgleich gebracht wird.

Die verfassungsrechtlich wohl unbedenklicheren Fallkonstellationen des § 219a Abs. 1 StGB, insbesondere das grob anstößige Werben durch Dritte oder das Anbieten strafbarer Abbrüche sind rechtstatsächlich weitestgehend bedeutungslos.[21] Eine vollständige Streichung des § 219a StGB würde in begrüßenswerter Weise dazu führen, dass die strafrechtliche Sonderrolle für Schwangerschaftsabbrüche immerhin insoweit entfiele, als dass für strafbare Schwangerschaftsabbrüche die gleichen Regeln gelten wie für andere Straftaten: Das strafrechtlich relevante Vorfeld beginnt für Vergehen erst bei einer öffentlichen Aufforderung zu ihrer Begehung (§ 111 StGB).

II.  Änderung des HWG

Mit der Aufnahme von Schwangerschaftsabbrüchen in § 1 HWG wird der Schwangerschaftsabbruch anderen medizinischen Gesundheitsleistungen gleichgestellt, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Irreführende Werbung kann so angemessen verhindert werden. § 11 HWG stellt zudem darüberhinausgehende hohe Anforderungen an Publikumswerbung. Unter Berücksichtigung der bereits bestehenden berufsrechtlichen Vorgaben zur Regulierung ärztlicher Werbung, die eine unangemessene Kommerzialisierung sowie sonstige berufswidrige, etwa anpreisende oder vergleichende, Werbung untersagen, ist den Bedenken vor unangemessener Werbung für Schwangerschaftsabbrüche durch das Abschaffen des § 219a StGB umfassend Sorge getragen.

Der djb begrüßt ferner die Ausnahme von Schwangerschaftsabbrüchen aus dem Verbot der Publikumswerbung nach § 12 Abs. 2 HWG. Anders als das Verbot der irreführenden Werbung nach § 3 HWG oder die berufsrechtlichen Vorgaben zur Verhinderung einer unangemessenen Kommerzialisierung umfasst das Verbot der Publikationswerbung nach § 12 HWG grundsätzlich auch sachliche Informationen in Bezug auf die in der Anlage zu § 12 HWG aufgeführten Krankheiten oder Leiden, darunter krankhafte Komplikationen bei der Schwangerschaft, wozu auch der medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbruch zählt.

Allerdings scheint übersehen worden zu sein, dass sich die im Entwurf vorgesehene Ausnahme für das Verbot der Publikumswerbung explizit nur auf die Werbeinhalte nach § 12 Abs. 2 Satz 1 HWG bezieht und daher nur auf „andere Mittel, Verfahren, Behandlungen oder Gegenstände“ Anwendung findet. Unberührt bleibt nach der vorgesehenen Formulierung das für Arzneimittel und Medizinprodukte geltende Verbot nach § 12 Abs. 1 HWG. Insbesondere Informationen über die für medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche zu verwendenden Arzneimittel wären dann weiterhin nicht möglich. Gerade bei medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen ist aber das von § 12 HWG angestrebte Ziel, risikoreiche Selbstmedikation zu verhindern, nicht nachvollziehbar. Zum einen schreibt § 47a Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes für das hierfür erforderliche Arzneimittel Mifegyne einen Sondervertriebsweg vor. Danach dürfen Arzneimittel, die zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs zugelassen sind, nur an Einrichtungen im Sinne des § 13 SchKG auf Verschreibung von dort behandelnden Ärzt*innen abgegeben werden, sind also noch nicht einmal mit Rezept in der Apotheke erhältlich. Zum anderen ist davon auszugehen, dass sich betroffene Personen gerade im Fall einer medizinischen Indikation bereits in ärztlicher Behandlung befinden.

Das einleitend in der Gesetzesbegründung formulierte Ziel, umfassende Informationen für schwangere Personen über gerechtfertigte und tatbestandslose Schwangerschaftsabbrüche sowie deren therapeutische Umsetzung zu ermöglichen, würde durch das Beibehalten des Verbots nach § 12 Abs. 1 HWG stark eingeschränkt. Die Benennung von Wirkstoffen ist zur Information über Wirkweise, Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten essenziell. Dieser wichtige Informationsstrang wird nach der derzeit entworfenen Fassung abgeschnitten.

Zudem würde die durch die Abschaffung des § 219a StGB angestrebte Rechtssicherheit für Ärzt*innen durch das Beibehalten des Verbots nach § 12 Abs. 1 HWG konterkariert. Insbesondere bestünde das Risiko, dass der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 HWG über medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche hinaus ausgedehnt und faktisch auf alle Formen der gerechtfertigten und tatbestandslosen Schwangerschaftsabbrüche angewendet würde, da sich die dafür zu verwendenden Arzneimittel und Medizinprodukte nicht unterscheiden. Es ist außerdem zu besorgen, dass das Verbot nach § 12 Abs. 1 HWG in Verbindung mit dem Ordnungswidrigkeitentatbestand nach § 15 Abs. 1 Nr. 9 HWG von Abtreibungsgegner*innen als Ersatz für § 219a StGB genutzt und zur fortgesetzten Anzeige von Ärzt*innen instrumentalisiert würde.

Aus diesem Grund ist die im Entwurf vorgesehene Ausnahme von § 12 HWG für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen auf alle Inhalte nach den Absätzen 1 und 2 zu erweitern. Dies könnte etwa durch die Verankerung in einem neuen Absatz 3 gewährleistet werden.

III. Rehabilitierung der verurteilten Personen

Der djb begrüßt, dass die Anregung zur Rehabilitation von nach § 219a StGB verurteilten Personen in dem Gesetzentwurf sowie im Antrag der Fraktion DIE LINKE Berücksichtigung gefunden hat.

Die Verurteilungen verletzen die Ärzt*innen in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Verfahren und Verurteilungen waren für die Betroffenen mit teils erheblichen Diffamierungen verbunden. Durch die Urteile wurde die in § 219a angelegte Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen fortgeschrieben. Das einer strafrechtlichen Verurteilung anhaftende sozialethische Unwerturteil ist für die Ärzt*innen auch deshalb zu korrigieren, da sie einen für den staatlichen Versorgungsauftrag unverzichtbaren Beitrag geleistet haben. Der Staat versäumt es nicht nur, selbst für einen ausreichenden Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen zu sorgen, sondern hat auch die unzureichende Informationslage lange nicht ernst genommen. Die verurteilten Ärzt*innen haben dazu beigetragen, diesen Missstand zu beheben.

Die Verurteilungen stehen zudem im Gegensatz zu den Grundrechten reproduktiver Selbstbestimmung und reproduktiver Gesundheit. Der Staat ist zur Gewährung dieser Grundrechte verpflichtet.

IV. Weitergehende Forderungen

Der djb mahnt nachdrücklich weitere Maßnahmen an, um die reproduktive Selbstbestimmung schwangerer Personen zu gewährleisten. Dazu zählen insbesondere folgende Maßnahmen:

1.  Informationslage und Schutz der Beratungsstellen und Einrichtungen

Die im Entwurf anvisierte Streichung von § 219a StGB wird nicht automatisch zu einer zufriedenstellenden Informationslage für ungewollt schwangere Personen führen. Hier braucht es eine aktive Verbesserung der Informationslage durch weitere Maßnahmen.

Die rechtliche Möglichkeit, öffentlich zu informieren, ist insbesondere dann nicht ausreichend, wenn jede öffentliche Äußerung das Risiko birgt, zum Ziel massiver Anfeindungen durch Abtreibungsgegner*innen zu werden, beispielweise mittels Gehsteigbelästigungen. Ziel muss es sein, Anfeindungen zu unterbinden und Einrichtungen sowie Beratungsstellen besser zu schützen. Der Schutz der diese Orte aufsuchenden Personen vor Belästigungen und Bedrängungen muss gewährleistet werden. Diese Personen werden dadurch in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Die Fraktion CDU/CSU weist zurecht darauf hin, dass solche Verhaltensweisen nicht mit einem Einsatz für den Lebensschutz legitimiert werden können. Zu einem wirksamen Schutz gehört auch, worauf die Fraktion DIE LINKE in ihrem Antrag zutreffend hinweist, die effektive Unterbindung von Holocaust-Vergleichen und sonstigen Fehlinformationen einerseits unmittelbar vor den betroffenen Einrichtungen und Beratungsstellen, sowie im digitalen Raum.

2.  Versorgungslage verbessern

Zur Sicherstellung und Förderung der reproduktiven Selbstbestimmung schwangerer Personen muss die Versorgungslage selbst weiter verbessert und barrierefrei ausgestaltet werden.

Eine am 3. März 2022 durch die CORRECTIV-Redaktion veröffentlichte Recherche[22] hat aufgezeigt, dass Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft zu einem erheblichen Anteil keine Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungslösung anbieten. Gerade diese Form macht aber rund 96 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche aus.[23] Hierbei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass jede Verzögerung zu einem erhöhten Komplikations- und Gesundheitsrisiko für die schwangere Person führt, sodass lange Anfahrten zu Beratungsstellen und Praxen unbedingt zu vermeiden sind. Die Bundesländer sind anzuhalten, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um ihrem Versorgungsauftrag nach § 13 Abs. 2 SchKG gerecht zu werden. Der djb unterstützt insofern die Anträge der Fraktionen CDU/CSU sowie DIE LINKE. Zu den möglichen Maßnahmen kann als ein Baustein die von der Fraktion DIE LINKE beantragte Verankerung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Ausbildung gehören. Ein weiteres Zuwarten auf die Erfüllung bereits bestehender staatlicher Verpflichtungen ist allerdings nicht hinzunehmen. Der djb regt daher nachdrücklich an, die Verpflichtung von Kliniken in öffentlicher Hand zur Gewährleistung eines ausreichenden Angebots, wie von der Fraktion DIE LINKE beantragt, ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Der djb fordert ferner, die Ankündigungen im Koalitionsvertrag wie die Möglichkeit einer Online-Schwangerschaftskonfliktberatung und die flächendeckende Versorgung mit Beratungseinrichtungen[24] schnellstmöglich umzusetzen.

3.  Einsetzung der Kommission zu Fragen der reproduktiven Selbstbestimmung und Überprüfung des Beratungsmodells

Der djb unterstützt darüber hinaus die schnellstmögliche Bildung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Kommission zu Fragen der reproduktiven Selbstbestimmung. Diese sollte es sich unter anderem zur Aufgabe machen, die Notwendigkeit und Effektivität des Beratungsmodells bei Schwangerschaftsabbrüchen zu überprüfen. Im Rahmen dieser Debatte wird die auch im Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Ausdruck kommende Ansicht der CEDAW-Kommission zu berücksichtigen sein, die Deutschland zuletzt empfohlen hat, ungewollt schwangeren Personen den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ohne die verpflichtende Beratung und die dreitägige Wartezeit zu ermöglichen, sowie die Kostenübernahme durch die Krankenkassen sicherzustellen.[25] Das Recht auf eine kostenlose und auf Wunsch anonyme Beratung, das jetzt schon in § 2 SchKG enthalten ist, ist selbstverständlich weiterhin beizubehalten.

4.  Erstattung der Kosten von empfängnisverhütenden Mitteln

Der djb regt an, den kostenlosen Zugang zu empfängnisverhütenden Mitteln deutlich auszubauen. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die Grenze des Anspruchsalters für die Kostenübernahme gem. § 24a Abs. 2 SGB V für verschreibungspflichtige empfängnisverhütende Mittel von 22 auf 25 Jahre anzuheben, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der djb begrüßt insbesondere die Forderung, Personen, die im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs schon jetzt einen Anspruch auf Kostenerstattung hätten, einen Anspruch auf kostenlose Versorgung mit verschreibungspflichtigen empfängnisverhütenden Mitteln zu gewährleisten. Dringend erforderlich ist in diesem Zusammenhang aber die Einbeziehung nichtverschreibungspflichtiger empfängnisverhütender Mittel, um die geschlechtergerechte Verantwortungsteilung für die Empfängnisverhütung zu fördern.

Der djb regt zudem an zu prüfen, ob eine Altersbeschränkung für die Kostenübernahme gänzlich entfallen könnte. Ein kostenloser und damit niedrigschwelliger und weniger diskriminierungsanfälliger Zugang zu empfängnisverhütenden Mitteln für alle Personen würde einen wichtigen Beitrag für die Stärkung der reproduktiven Selbstbestimmung leisten.

V.  Fazit

Die Abschaffung des § 219a StGB beseitigt die Verletzung der Berufsfreiheit der informierenden Ärzt*innen. Sie ist zudem ein erster wichtiger Schritt, um die reproduktive Selbstbestimmung von ungewollt schwangeren Personen zu verbessern und die fortdauernde Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu beenden. Die Rehabilitierung der auf Grundlage des § 219a StGB verurteilten Personen setzt hierfür ebenfalls ein wichtiges Zeichen. Für das Ziel des Entwurfs, umfassend sachliche Informationen durch Ärzt*innen zu gewährleisten, ist die für § 12 Abs. 2 HWG vorgesehene Ausnahme von dem Verbot von Publikationswerbung für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen auf die Inhalte nach § 12 Abs. 1 HWG zu erweitern. Für eine vollständige Gewährleistung reproduktiver Selbstbestimmung und reproduktiver Gesundheit sind zudem weitere Maßnahmen erforderlich. Insbesondere muss der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen verbessert werden und entsprechende Barrieren müssen sowohl durch eine verbesserte Informations- als auch Versorgungslage abgebaut werden. Der Gesetzesentwurf ist daher nur ein erster Schritt und kann unter keinen Umständen die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ersetzen.

 

Prof. Dr. Maria Wersig               
Präsidentin        

Dr. Leonie Steinl, LL.M. (Columbia)
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

Inga Schuchmann
Mitglied der Kommission Strafrecht

 


[1] §§ 218, 219 RStGB; vgl. Reichsgesetzblatt vom 29. Mai 1933, Teil I, S. 295 (296).

[2] BT-Drs. 7/1981 (neu), S. 17.

[3] In der Gesetzesbegründung vom 12.02.2019 steht immerhin noch, dass § 219a StGB verhindern solle, dass Schwangerschaftsabbrüche „in der Öffentlichkeit verharmlost dargestellt [...]“ würden, BT-Drs. 19/7693, S. 7.

[4] Im Jahr 2015 stieg die Anzahl der in der PKS erfassten Ermittlungsverfahren von „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft § 219a StGB“ (Schlüssel 040040) auf 27 Fälle (im Jahr 2014 waren es noch zwei und im Jahr 2013 elf Fälle). Ein Höchststand wurde 2016 mit 35 Fällen erreicht. Mit anhaltender rechtspolitischer Diskussion sanken die Ermittlungsverfahren im Jahr 2019 und 2020 wieder auf jeweils einen Fall.

[5] Amtsgericht Gießen, Urteil vom 24.11.2017 – 507 Ds 501 Js 15031/15 (juris) = NStZ 2018, 416; nach erfolgloser Berufung wurde die Revision aufgrund der zwischenzeitlich in Kraft getretenen Gesetzesänderung zunächst an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der daraufhin abgeänderte Rechtsfolgenausspruch des LG Gießen wurde bestätigt durch OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22.12.2020 – 1 Ss 96/20; seit Februar 2021 unter 2 BvR 390/21 anhängig beim BVerfG.

[6] AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 14.06.2019 – 253 Ds 143/18, bestätigt durch KG, Beschluss vom 19.11.2019 – 3-80/19, 3-81/19; AG Coesfeld, Urteil vom 20.05.2021 – 3a Ds-30 Js 580/20-249/20, bestätigt durch OLG Hamm, Beschluss vom 21.10.2021 – 4 RVs 102/21.

[7] Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1/74 (juris) = NJW 1975, 573; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 28.05.1993 – 2 BvF 2/90 = NJW 1993, 1751.

[8] Dazu sogleich unten.

[9] Vgl. djb-Stellungnahme 22-05 vom 31.3.2022, abrufbar unter:
<https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st22-05>.

[10] BVerfGE 120, 224 <239 f.>.

[11] BVerfGE 27, 18 <29>.

[12] BVerfGE 120, 224 <239 f.>.

[13] Vgl. BVerfG 1 BvR 191/05, Rn. <14>.

[14] § 27 MBO-Ä – Erlaubte Information und berufswidrige Werbung:

(1) Zweck der nachstehenden Vorschriften der Berufsordnung ist die Gewährleistung des Patientenschutzes durch sachgerechte und angemessene Information und die Vermeidung einer dem Selbstverständnis der Ärztin oder des Arztes zuwiderlaufenden Kommerzialisierung des Arztberufs.

(2) Auf dieser Grundlage sind Ärztinnen und Ärzte sachliche berufsbezogene Informationen gestattet.

(3) Berufswidrige Werbung ist Ärztinnen und Ärzten untersagt. Berufswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Ärztinnen und Ärzte dürfen eine solche Werbung durch andere weder veranlassen noch dulden. Eine Werbung für eigene oder fremde gewerbliche Tätigkeiten oder Produkte im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit ist unzulässig. Werbeverbote aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen bleiben unberührt.

[15] Vgl. BVerfGE 153, 182 <271 Rn. 234>; 120, 224 <264>.

[16] Vgl. BVerfGE 7, 198 <208>.

[17] Dazu Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Allgemeine Bemerkung Nr. 22, E/C.12/GC/22, 2. Mai 2016, § 6; zustimmend auf Grundlage des Art. 12 UN-Frauenrechtskonvention: Ausschuss zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau, Allgemeine Bemerkung Nr. 24, A/54/38/Rev.1, chap. I, 1999, § 31 (b).

[18] Ausschuss zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau, Liste der Themen und Fragen vor der Vorlage des neunten periodischen Staatenberichts Deutschlands, CEDAW/C/DEU/QPR/9, 11. März 2020, para. 16.

[19] WHO, Abortion care guideline, 2022, S. 12.

[20] vgl. BVerfGE 39, 1 <37>; 88, 203 <251>.

[21]  Hierfür spricht auch die Tatsache, dass es in den Jahren 2015, 2016 und 2017 trotz der gestiegenen Zahl an Ermittlungsverfahren (Vgl. Fn. 2) zu jeweils nur einer Verurteilung gem. §§ 219a, 219b StGB gekommen ist, s. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 3, Rechtspflege Strafverfolgung, aus den Jahren 2015, 2016, 2017.

[22] Abrufbar unter <https://correctiv.org/aktuelles/gesundheit/2022/03/03/keine-abtreibungen-in-vielen-oeffentlichen-kliniken/>, Stand: 12.5.2022.

[23] Nach Destatis, abrufbar unter <https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Schwangerschaftsabbrueche/Tabellen/03-schwangerschaftsabbr-rechtliche-begruendung-schwangerschaftsdauer_zvab2012.html%3Bjsessionid=62D236D399E67725469752A3237EA631.live712>, Stand: 12.5.2022.

[24] Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP) S. 116.

[25] CEDAW/C/DEU/CO/7-8, Concluding observations on the combined seventh and eight periodic reports of Germany, 9 March 2017: „38. In line with its general recommendation No. 24 (1999) on women and health, the Committee recommends that the State party: […] (b) Ensure access to safe abortion without subjecting women to mandatory counselling and a three-day waiting period, which the World Health Organization has declared to be medically unnecessary, and ensure that such procedures are reimbursed through health insurance”.