Stellungnahme: 21-05


zu den geplanten Änderungen des Deutschen Richtergesetzes betreffend die juristische Ausbildung

Stellungnahme vom

Der Bundesrat hat am 12. Februar 2021 seine Stellungnahme zum Regierungsentwurf zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und Änderung weiterer Vorschriften veröffentlicht (BR-Drs. 20/21). Sowohl der Regierungsentwurf als auch die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen befassen sich mit Vorschriften des Deutschen Richtergesetzes (DRiG), die die juristische Ausbildung betreffen.

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt den grundsätzlichen Reformwillen im Bereich der juristischen Ausbildung. Die vorliegenden Entwürfe sind jedoch nur teils positiv zu beurteilen. Die Vorschläge zum Referendariat in Teilzeit und der Verankerung der kritischen Reflexion des Rechts als Ausbildungsziel sind richtige Ansätze, die juristische Ausbildung inklusiver zu gestalten und alternativen Perspektiven mehr Raum zu verschaffen. Es besteht jedoch bei beiden Punkten Nachbesserungspotential. Die Abschaffung der Gesamtnote hingegen geht mit der Entwertung des Schwerpunktstudiums einher und ist abzulehnen.

Zu den Änderungsvorschlägen im Einzelnen:

§ 5b Abs. 6 neu (RegE): Vorbereitungsdienst in Teilzeit

Der djb begrüßt, dass bei der Gestaltung des Rechtsrahmens für das Referendariat die Belange von Referendar*innen mit Sorgeverantwortung Berücksichtigung finden sollen. Nicht zuletzt die aktuelle Situation während der Pandemie hat die Belastung von Referendar*innen mit Sorgeverantwortung potenziert und mehr als deutlich gemacht, dass es dringend Not tut, Möglichkeiten zu schaffen, das Referendariat flexibel an die Bedürfnisse dieser Referendar*innen anzupassen (vgl. schon hier). Es ist daher uneingeschränkt zu begrüßen, dass durch eine Änderung des DRiG die Möglichkeit geschaffen werden soll, das Referendariat in Teilzeit zu absolvieren. Das im Regierungsentwurf angedachte Konzept des Teilzeitreferendariats mit einer pauschalen Reduzierung der Arbeitszeit um ein Fünftel bei Verlängerung der Gesamtdauer des Vorbereitungsdienstes um ein Viertel wird jedoch zu keiner nennenswerten Entlastung führen.

Um Referendar*innen mit Sorgeverantwortung mehr Flexibilität und zugleich Rechtssicherheit zu garantieren, braucht es großzügigere Modelle, die auf die jeweiligen Bedürfnisse individuell Rücksicht nehmen. Die pauschale – und zugleich mickrige – Reduktion um ein Fünftel ist nicht geeignet, der Mehrbelastung aller Sorgeverantwortlichen gerecht zu werden. Diese Reduktion geht nicht über die derzeit in Einzelfällen praktizierte Entlastung von Referendar*innen mit Kindern hinaus, die von wenigen Ausbilder*innen individuell angeboten wird. Angesichts der aktuell eher freihändigen Gestaltung des Ausbildungsrahmens im Referendariat, der in der Praxis maßgeblich von individuellen Absprachen mit bzw. einseitige Vorgaben durch die jeweiligen Ausbilder*innen bestimmt wird, muss es dringend rechtssichere Vorgaben für das Ableisten in Teilzeit geben. Ausbilder*innen sollten darüber hinaus ausdrücklich verpflichtet werden, individuell auf die besonderen Bedürfnisse von Referendar*innen mit Sorgeverpflichtungen einzugehen. Dabei muss gewährleistet sein, dass Referendar*innen mit Sorgeverantwortung neben den Pflichtveranstaltungen ausreichend Zeit zum Lernen haben, indem beispielsweise die Einzelausbilder*innen angehalten werden, die Mehrarbeit durch Aktenbearbeitung angemessen gering zu halten oder zu ermöglichen, dass Probeklausuren flexibler geschrieben werden dürfen. Darüber hinaus muss gewährleistet werden, dass die Ausbildungszeiten, besonders die Veranstaltungen in den Arbeitsgemeinschaften und Klausurenkursen, an Betreuungszeiten angepasst sind.

Kritisch zu beurteilen ist zudem die pauschale Verlängerung des Referendariats insgesamt. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine Arbeitszeitreduzierung in den Stationen eine 1:1-Verlängerung der Ausbildungszeit insgesamt zur Folge haben muss. Jedenfalls muss bei einer Verlängerung des Referendariats gerade für Referendar*innen mit Kindern eine existenzsichernde Unterhaltsbeihilfe garantiert sein. Finanzielle Gründe dürfen nicht dazu führen, dass die Möglichkeit des Teilzeitreferendariats nicht in Anspruch genommen wird. Diese Gefahr besteht jedoch, wenn das prekäre Anstellungsverhältnis durch die Teilzeit noch unattraktiver wird und sich dieser Zustand über einen noch längeren Zeitraum erstreckt.

§ 5a Abs. 2 Satz 3 a neu (BR-Stellungnahme): kritische Reflexion des Rechts anhand des NS-Unrecht

Zu begrüßen ist das Vorhaben, die Befähigung zur kritischen Reflexion des Rechts ausdrücklich als Ausbildungsziel im DRiG zu verankern. Der djb fordert schon lange, dass die juristische Ausbildung reflexive Kompetenzen für den kritischen Umgang mit Recht vermittelt sowie für Rechtsfragen von Diskriminierung, Hierarchien und Ungleichheiten sensibilisiert (vgl. hier sowie hier).

In diesem Zusammenhang unterstützt der djb das Vorhaben, die Beschäftigung mit dem NS-Unrecht in den Pflichtstoff der juristischen Ausbildung zu integrieren. Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zeigt besonders drastisch, wohin es führen kann, wenn Jurist*innen ein ihrer Funktion entsprechendes berufsethisches Selbstverständnis missen lassen. Ferner eignet sich das Extrembeispiel der nationalsozialistischen Geschichte, um den kritischen Blick auf Recht und Rechtsanwendung zu schulen.

Um angemessen mit Gerechtigkeitsfragen moderner Gesellschaften umgehen zu können und ihrer Rolle als aktive Akteur*innen eines demokratischen Rechtsstaats gerecht zu werden, braucht es Jurist*innen, die auch darüber hinaus für Rechtsfragen von Diskriminierung, Hierarchien und Ungleichheiten sensibilisiert sind. Nicht zuletzt ist der Schutz von Minderheiten und die Beseitigung von Diskriminierung eine wichtige Aufgabe des Rechts als System der Freiheitssicherung. Historisch und gegenwärtig bekommen Angriffe auf die Grundlagen des Rechtsstaats besonders diejenigen zu spüren, die in der Gesellschaft ohnehin marginalisiert sind. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass gegenwärtige Attacken insbesondere aus dem rechten politischen Spektrum häufig mit offenem Rassismus und Frauenhass einhergehen. Ein resilienter Rechtsstaat braucht Jurist*innen, die für Funktions- und Wirkungsweisen von Diskriminierung sensibilisiert sind und die sich der Machtverhältnisse gewahr sind, die das Recht prägen und vom Recht geprägt werden.

Es sollte daher im DRiG ausdrücklich festgehalten werden, dass die Befähigung zur reflexiven Umgangsweise mit dem Recht ein kritisches Bewusstsein um Diskriminierung und Exklusion im und durch Recht umfasst.

Der djb schlägt daher vor, § 5a Abs. 2 Sätze 3-4 DRiG wie folgt zu formulieren:

„Im gesamten Studium ist die Fähigkeit zur kritischen Reflexion des Rechts einschließlich seines Missbrauchspotentials zu fördern. Die Vermittlung dieser Kernkompetenz erfolgt in Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht und mit menschenverachtenden Ideologien, insbesondere Rassismus, Antisemitismus, Sexismus sowie deren Mechanismen und Ausdrucksformen.“

Sexistische Ideologien zielen auf die Herabwürdigung von Personen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Dies schließt geschlechterstereotype Annahmen zur natürlichen Zweigeschlechtlichkeit, zu den Rollenerwartungen an Männer und Frauen und zur sexuellen Orientierung ein.

Auch in der Vermittlung von Gender- und Diversity-Kompetenzen wird die Wahrnehmung von (unbewussten) Werthaltungen und Handlungsmustern in gesellschaftlichen Hierarchieverhältnissen reflektiert. Sowohl Grundlagenfächer als auch Schlüsselqualifikationen wie Gleichstellungs- und Diversity-Sensibilität sollten daher in der juristischen Ausbildung gestärkt werden. Eine entsprechende Klarstellung in § 5a Abs. 3 DRiG im Zuge der anstehenden Änderungen regt der djb ausdrücklich an.

§ 5d Abs. 2 Satz 4 neu (BR-Stellungnahme): Gesamtnote streichen

Der djb lehnt den Vorschlag des Bundesrates ab, keine Gesamtnote aus staatlichem Teil und Universitätsteil mehr zu bilden und im Examenszeugnis auszuweisen. Es wird bezweifelt, dass hiermit das vorgebliche Ziel – die bessere Vergleichbarkeit der Noten – erreicht werden kann. Stattdessen führt ein solches Vorgehen zur schleichenden Entwertung des Schwerpunktbereichs. In der – nachvollziehbaren und im Studium ausdrücklich geschulten – Examenspragmatik der Studierenden würde das Schwerpunktstudium erheblich an Bedeutung verlieren und es würde die Studierenden daran hindern, Zeit und Begeisterung in das Schwerpunktstudium zu investieren. Auf die damit verbundenen drohenden Fehlentwicklungen hat der djb bereits gegenüber dem Koordinierungsausschuss Juristenausbildung hingewiesen und zielführendere Lösungsvorschläge unterbreitet (siehe hier).

Der Vorschlag des Bundesrates wirkt aber vor dem Hintergrund des gleichzeitigen Vorhabens besonders verfehlt, kritische Reflexion in der Ausbildung zu fördern. In der Tat stünde die Entwertung der Schwerpunktbereichsnote diesem Ziel diametral entgegen. Aktuell bietet vielerorts allein das Schwerpunktstudium Raum für kritische Reflexionen. Die vom Entwurf geforderte Reflexionskompetenz kann außerdem durch die Ausbildungsformate und -inhalte im Schwerpunktbereichsstudium in besonderem Maße gefestigt und vertieft werden. Der djb fordert deshalb schon lange, das Schwerpunktbereichsstudium zu stärken anstatt es zu entwerten und somit den Raum auszubauen, in dem reflexive Kompetenzen für den kritischen Umgang mit Recht vermittelt und erlernt werden können (vgl. hier und hier).

Von diesem Vorschlag sollte im weiteren Gesetzgebungsverfahren daher dringend Abstand genommen werden.

 

Prof. Dr. Maria Wersig

Präsidentin

 

Selma Gather

Vorsitzende des Arbeitsstabs Ausbildung und Beruf