Stellungnahme: 20-24


zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zum Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Stellungnahme vom

I. Vorbemerkungen

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zur anstehenden Reform des Vormundschaftsrechts, aber auch des Betreuungsrechts.

Der Entwurf ist im Grundsatz zu begrüßen. Aufgrund des Umfangs wird sich der djb auf einige ausgewählte Aspekte beschränken (müssen).

Kritisch zu sehen ist jedoch die Regelung zum Vertretungsrecht für Eheleute, die in der angedachten Fassung vom djb abgelehnt wird.

Darüber hinaus ist weder der Referentenentwurf selbst noch die neuen gesetzlichen Formulierungen in einer geschlechtsneutralen Sprache abgefasst. Dies widerspricht den Vorgaben des Bundesgleichstellungsgesetzes und der GGO. Danach sollen Gesetzentwürfe die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen (§ 42 Absatz 5 Satz 2 GGO, § 1 Absatz 2 des Bundesgleichstellungsgesetzes). Die linguistische Forschung zeigt, dass die Verwendung des „Generischen Maskulinums“ nicht geschlechtsneutral aufgefasst wird. Vielmehr bewirkt es, dass Frauen gedanklich in einem geringeren Maße bedacht und einbezogen werden, das gilt auch bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen. Damit besteht das Risiko, dass die besonderen Lebenslagen von Frauen ausgeblendet werden. Geschlechtergerechte Sprachformen können das ändern. Gerade die Sprache der Gesetzgebung, die alle Bürger*innen erreichen soll und in rechtlichen Entscheidungen als Maßstab herangezogen wird, muss daher gleichstellungsorientiert und diskriminierungsfrei formuliert sein.

II. Materielles Recht

 

1. zu Artikel 1 Nr. 7 - § 1358 BGB-E

Der Entwurf unternimmt einen weiteren Versuch der „gegenseitigen Vertretung von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge“. Ein entsprechendes Vorhaben war bereits Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens sowohl im Jahr 2017 (BT-Drs. 18/10485) als auch in der 15. Legislaturperiode 2004 (BT-Drs. 15/2494). Zuletzt ist der Entwurf der Diskontinuität anheimgefallen.

Anzumerken ist, dass der jetzige Entwurf im Kern der durch Änderungsanträge modifizierten Norm von 2016 entspricht, wenn auch die Formulierungen „schlanker“ gewählt sind.

Die Bedenken, die seinerzeit gegen die in Aussicht genommene Regelung vorgebracht worden sind, haben nach wie vor an Aktualität nicht verloren. Beispielhaft kann auf die Stellungnahmen von Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Lipp[1] und der Stiftung Patientenschutz[2] verwiesen werden.

Auch der djb hält eine solche Vertretungsregelung weder für geboten noch für sachgerecht.

Zudem ist die Komplexität der angedachten Vorschrift und ihr Anwendungsbereich mit Rücksicht auf das geltende Recht zu überdenken.

Denn in der Praxis haben sich die Erteilung von Vorsorgevollmachten und Patient*innenverfügungen durchgesetzt, ebenso wie die Einschaltung des Betreuungsgerichts, sofern noch nötig. Schwierig ist, dass das Verhältnis des gesetzlichen Vertretungsrechts des § 1358 BGB-E zu den Patient*innenverfügungen nicht hinreichend klar geregelt ist.

Im Rahmen der Auswahl eines Betreuers oder einer Betreuerin wird – regelmäßig nach Anhörung (!) der*des Betroffenen – der andere Ehegatte mit einbezogen. Sollte eine Anhörung nicht (mehr) möglich sein, wird das Gericht entscheiden. In allen Fällen ist der andere Ehegatte nicht gehindert, die Übernahme der Betreuung im Fall eigener Überforderung oder aus anderen persönlichen Motiven heraus, abzulehnen. Dies geschieht in der Praxis nicht selten.

Im Rahmen der Gesundheitssorge gewinnen in der Praxis Patient*innenverfügungen zunehmend an Bedeutung, so dass sich – wie im Gesetzgebungsverfahren aus 2017 – einmal mehr die Frage stellt, ob es einer gesetzlichen Vertretungsregelung im Ergebnis noch bedarf.

Im Einzelnen:

a) Ein Ehegattenvertretungsrecht wie in § 1358 BGB-E vorgesehen, ist aus Sicht des djb nicht erforderlich. Richtig dürfte sein, dass Ehepartner*innen in Notfällen in aller Regel füreinander Verantwortung und Vertretung in Angelegenheiten der Gesundheitssorge übernehmen wollen. Sie haben aber die rechtliche Möglichkeit, diesem Willen in einer Vorsorgevollmacht Ausdruck zu verleihen und auf diese Weise ein Betreuungsverfahren zu vermeiden. Eine solche Vorsorgevollmacht kann auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten und mit wenig Aufwand erstellt werden. Die Vorsorgevollmacht ist, wenn sie mit Bedacht erteilt wird, ein guter Weg vorzusorgen und er wird in Deutschland zunehmend beschritten. Das Zentrale Vorsorgeregister teilt mit, dass dort aktuell über vier Millionen Registrierungen zu verzeichnen sind (gegenüber 3,4 Millionen im Jahr 2016).  

Demgegenüber kann die Einführung eines gesetzlichen Vertretungsrechts unter Ehepartner*innen in der Bevölkerung leicht zu der – unzutreffenden – Annahme führen, dass eine eigene Vorsorge durch eine Vorsorgevollmacht nicht (mehr) nötig sei. Es ist zu bezweifeln, dass allen Betroffenen die Details der gesetzlichen Regelung in § 1358 BGB-E bewusst sind, wonach sie bei der Ausübung ihres Vertretungsrechts an enge Vorgaben gebunden sind und hierbei z.B. andere Angehörige anhören müssen oder in bestimmten Fällen das Einvernehmen mit den verantwortlichen Ärzt*innen suchen müssen, ansonsten das Betreuungsgericht anzurufen haben.

b) Das Motiv für die Einführung eines gesetzlichen Vertretungsrechts für Ehepartner*innen ist vorrangig fiskalischer Natur. Die Anzahl der einstweiligen Anordnungen zur Bestellung eines vorläufigen Betreuers oder einer vorläufigen Betreuerin soll sich reduzieren, die entsprechenden Kosten bei den Gerichten entfallen. Im Referentenentwurf wird geschätzt, dass sich die Anzahl der einstweiligen Anordnungen um 22.500 reduziert und anschließend vorgerechnet, dass für die Länder ein Erfüllungsaufwand von jährlich gerundet 1.200 000 Euro (Rechtspfleger*innen und Servicekräfte) sowie von weiteren jährlich gerundet 770.000 Euro (richterliche Tätigkeit) entfällt.

Diese Zahlen sind nicht gesichert. Zu bemerken ist, dass die Betreuungsstatistik erst seit wenigen Jahren überhaupt die einstweiligen Anordnungen zur Bestellung eines Betreuers oder einer Betreuerin separat erfasst, die entsprechende Vorgabe aber wohl noch nicht einmal von allen Ländern umgesetzt wird. Der Entwurf rechnet daher für ganz Deutschland mit einer Anzahl von ca. 100.000 einstweiligen Anordnungen pro Jahr, wovon nach Angaben von erfahrenen Praktiker*innen geschätzt ca. 75.000 Verfahren in einer krankheitsbedingten Akutsituation erfolgen. Der Anteil der Verfahren, in denen ein* Angehörige*r (Ehepartner*in, Kinder oder Eltern) zur*zum Betreuer*in bestellt wird, betrage nach den jüngsten statistischen Daten nur noch knapp 50 Prozent, weshalb der Anteil der hier relevanten Verfahren (Bestellung des Ehegatten) noch weiter zu reduzieren sei und schätzungsweise bei 30 Prozent von 75.000, also bei 22.500 Fällen liege.

Gegen eine Einsparmöglichkeit in der genannten Höhe spricht auch die (durchaus zu Recht vorgesehene) zeitliche Beschränkung des gesetzlichen Ehegattenvertretungsrecht auf maximal drei Monate. Ist abzusehen, dass der oder die Ehepartner*in in dem vorgegebenen Zeitrahmen von drei Monaten nicht so weit wiederhergestellt sein wird, dass sie ihre Angelegenheiten wieder selbst regeln kann, ist unverzüglich Kontakt mit dem Betreuungsgericht aufzunehmen, damit rechtzeitig zum Ende des Vertretungsrechts die Bestellung einer*eines Betreuer*in erfolgen kann. Eine Verlängerung ist nicht möglich. Die betreuungsvermeidende Wirkung des gesetzlichen Vertretungsrechts für Ehegatten dürfte sich daher in sehr engen Grenzen halten.

c) Die Abgrenzung zu § 1357 BGB ist nicht gelöst, die im Hinblick auf die Regelungen der angedachten Vorschrift aber nicht entbehrlich ist (vgl.§ 1358 Abs. 1 Nr. 2 und 4 BGB-E).

d) Mit § 1358 BGB-E wird außerdem ein ganz neuer Zustand der Vertretungsbedürftigkeit der*des zu vertretenden Ehepartner*in ins Gesetz eingeführt, der nicht vollständig deckungsgleich ist mit fehlender Geschäftsfähigkeit oder fehlender Einwilligungsfähigkeit oder mit Betreuungsbedürftigkeit. Gleichwohl weist dieser Zustand, der den Mechanismus des § 1358 BGB-E auslöst, mit allen diesen Konzepten höchst unklare Schnittstellen auf.

Zunächst zur Betreuungsbedürftigkeit. Laut Gesetzesentwurf orientiere sich die Norm „bewusst an den Voraussetzungen zur Bestellung eines Betreuers“ (S. 201). Doch Orientierung bedeutet offenbar keinen Gleichlauf. Während es in § 1358 BGB-E heißt: „Kann ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder einer Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen (vertretener Ehegatte), ...“ (§ 1358 I 1 BGB-E) heißt es in § 1814 I BGB-E: „Kann ein Volljähriger seine Angelegenheiten ganz oder teilweise rechtlich nicht besorgen und beruht dies auf einer Krankheit oder Behinderung, ...“ (§ 1814 I BGB-E). Die Konzepte haben offenbar erhebliche Überschneidungen, sind aber schon textlich nicht deckungsgleich. Weiter zur fehlenden Einwilligungsfähigkeit: Ganz offensichtlich geht der Entwurf davon aus, dass die zu vertretende Ehegattin bzw. der zu vertretende Ehegatte nicht einwilligungsfähig ist, denn § 1358 I Nr. 1 BGB-E deckt Einwilligungen in ärztliche Heilbehandlungen ab. Auch das Verhältnis zur Geschäftsfähigkeit ist unklar; offenbar hat der Zustand der Vertretungsbedürftigkeit erhebliche Schnittstellen mit Geschäftsunfähigkeit, deckungsgleich ist er nicht.

Der djb hält es deshalb für verfehlt und irreführend, neben Geschäftsfähigkeit, Betreuungsbedürftigkeit und Einwilligungsfähigkeit ein weiteres Institut der „Ehegattenvertretungsbedürftigkeit“ einzuführen.

e) Der Kreis der Befugnisse des vertretenden Ehegatten bzw. der vertretenden Ehegattin in § 1358 Abs. 1 BGB-E weist einige Schwächen auf. Zunächst ist anzumerken, dass „Krankenhausverträge“ kein feststehender Terminus eines gesetzlichen Vertragstypus ist; im BGB sollten deshalb derlei Begrifflichkeiten mit Zurückhaltung verwendet werden. Besser wäre „Verträge mit Krankenhäusern“ o.ä. Auch fehlen in der Aufzählung die Werkverträge, die im gesundheitlichen Bereich häufig geschlossen werden, wie z.B. im Hinblick auf Laboruntersuchungen oder die Anfertigung von Prothesen. Schließlich wird noch in den zugrundeliegenden Vertragsverhältnissen differenziert, die eine Binnenstimmigkeit vermissen lassen. So heißt es in der Entwurfsbegründung: „Soweit die Behandlung nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung ohne Vertragsabschluss abgedeckt ist, müssen entsprechende Verträge abgeschlossen werden.“ Dabei wird übersehen, dass selbstverständlich auch im Bereich der von der gesetzlichen Krankenversicherung gedeckten Leistungen Behandlungsverträge iSv § 630a BGB geschlossen werden, nur der Zahlungsanspruch der Ärzt*innen richtet sich nicht gegen die Patient*innen. 

Allgemein ist an den Befugnissen des § 1358 Abs. 1 BGB-E hochproblematisch, dass der in der Entwurfsbegründung deutlich angelegte Charakter als Notvertretungsrecht („eilige … unaufschiebbare Maßnahmen“, S. 202; „notwendig und unaufschiebbar“) im Normtext in keiner Weise reflektiert ist.

f) Zu überprüfen sind ferner die Pflichten, die sich aus § 1358 Abs. 3 BGB-E ergeben.

Dazu ist vorauszuschicken, dass nach Abs. 2 der Vorschrift die Ärzt*innen gegenüber dem oder der vertretenden Ehepartner*in von der Schweigepflicht entbunden sind, diese die Krankenunterlagen einsehen und ihre Weitergabe an Dritte bewilligen dürfen, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen, also ein Vertretungsfall gegeben ist.

Allerdings sollen nach Abs. 3 der Norm diese Berechtigungen nicht bestehen, wenn z.B. die Ehegatten getrennt leben (Nr. 1), dem vertretenden Ehegatten oder den behandelnden Ärzt*innen bekannt ist, dass der*die vertretene Ehepartner*in die Vertretung durch den anderen ablehnt, jemand anderer bevollmächtigt (Nr. 2 lit. a) und b) oder ein*e Betreuer*in bestellt ist.

Die Stellung der behandelnden Ärzt*innen sowie ihre Prüfungspflichten werden in diesem Zusammenhang nicht deutlich. Der Begründung zum Entwurf lässt sich entnehmen, dass sie keine gesteigerten Pflichten treffen (sollen); allerdings fehlt es dem Entwurf insoweit (wiederum) an Stimmigkeit.

aa) So haben gemäß § 1358 Abs. 4 BGB-E die Ärzt*innen nicht nur das Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 (=Vertretungsfall) zu bestätigen, sondern die Bestätigung gemeinsam mit einer Erklärung, die sich über Ausschlussgründe nach Abs. 3 zu verhalten hat, der vertretenden Ehegattin bzw. dem vertretenden Ehegatten auszuhändigen.

Folgt man der Begründung zur Vorschrift, können die Ärzt*innen „leicht“ über eine Einsichtnahme in das Vorsorgeregister feststellen, ob die*der vertretene Ehepartner*in z.B. einen Widerspruch hat eintragen lassen.

Unabhängig davon, dass die Änderung der Vorsorgeregister-Verordnung (Artikel 5) in diesem Zusammenhang zusätzliche (datenschutzrechtliche) Fragen aufwirft, ist ein solches Vorgehen weder zumutbar noch sachgerecht. Denn in der Regel erteilen sich die Ehepartner*innen wechselseitig Vollmacht und benennen für den Fall, dass ihnen gemeinsam etwas zustößt, eine dritte Person.

In Trennungskonstellationen wird die (Vorsorge-)Vollmacht regelmäßig widerrufen. Das Normengefüge ist daher unnötig komplex gestaltet und es liegt nahe, dass die Ärzt*innen in den Situationen, in denen eine schnelle Entscheidung notwendig ist, sich auf den beschriebenen Weg nicht verweisen lassen, sondern zur eigenen Sicherheit das Betreuungsgericht einschalten.

bb) Schließlich ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm nicht, dass in dem Dokument die Ausschlussgründe nach Abs. 3 nicht nur darzulegen, sondern „auf Wunsch dem Ehegatten von dem Arzt bzw. einem Verwaltungsmitarbeiter der Klinik zu erläutern (sind)“ (Entwurf S. 206).

cc) Kritisch zu sehen ist auch das Erfordernis positiver Kenntnis der Ablehnung des vertretenen Ehegatten bzw. der vertretenen Ehegattin.

Denn es ist unklar, wann ein Arzt oder eine Ärztin „positive Kenntnis“ von dieser Ablehnung hat. Man stelle sich vor, die Kinder des vertretenen Ehegatten treten an die Ärzte*innen heran und legen glaubhaft und detailreich dar, dass der Vater eine Vertretung durch die Mutter strikt ablehne. Begründet dies positive Kenntnis von der Ablehnung oder lediglich (grob) fahrlässige Unkenntnis?

g) Mit dem vorliegenden Entwurf wird – im Ergebnis – außerdem eine Unstimmigkeit im Haftungssystem herbeigeführt.

Diese Unstimmigkeit resultiert daraus, dass § 1358 BGB-E auf positive Kenntnis der Ablehnung sowie die (Nicht-)Vorlage der Versicherung nach § 1358 Abs. 4 Nr. 3 BGB-E abstellt, das Haftungsregime nach geltendem Recht aber vom Maßstab der Fahrlässigkeit beherrscht wird:

Nach dem Entwurf verhält es sich so, dass Ärzt*innen, die die vertretende Ehegattin bzw. den vertretenden Ehegatten das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen haben unterzeichnen lassen und die selbst nur (grob) fahrlässige Unkenntnis vom Vorliegen von Ausschlussgründen haben, auf der Grundlage der Annahme des Vorliegens des Ehegattenvertretungsrechts handeln werden und aus Perspektive von § 1358 BGB-E alles ihnen Obliegende getan haben. Nun sind indes Fälle denkbar, in denen gleichwohl das Ehegattenvertretungsrechts ex lege fehlt – bspw. wenn die bzw. der Vertretende das Getrenntleben verschweigt/verkennt, §§ 1567, 1358 Abs. 3 Nr. 1 BGB-E – und der*die Ärzt*in hiervon in (grob) fahrlässiger Unkenntnis ist.

In derartigen Fällen fehlt es an einer wirksamen Einwilligung (§ 630d BGB) für die ärztlichen Eingriffe, wenn die Einwilligung vom vertretenden Ehegatten ohne Vertretungsmacht erteilt wurde. Die Ärzt*innen sind folglich grundsätzlich schadensersatzpflichtig nach §§ 630a, 630d, 280 I BGB sowie nach § 823 I BGB. Sofern sie das Vorliegen des Ausschlussgrundes nicht kennen konnten, scheitern diese Ansprüche am fehlenden Vertretenmüssen, §§ 280 I 2, 276 BGB. Sofern sie indes fahrlässig die Voraussetzungen des § 1358 BGB-E verkannt haben, kann das Vertretenmüssen nicht mehr verneint werden. Die Ärzt*innen, die alles von § 1358 BGB-E Geforderte getan haben, haften somit gleichwohl. Dass eine solche Regelung von Ärzt*innen positiv aufgegriffen werden wird, steht zu bezweifeln.

Ferner handelt in diesem Fall der vertretende Ehegatte bzw. die vertretende Ehegattin als Vertreter*in ohne Vertretungsmacht im Sinne des § 179 BGB. Doch diese Haftung entfällt, wenn – wie hier der Arzt, die Ärztin – „der andere Teil den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste“ (§ 179 III 1 BGB). Es kommt folglich zu einer Haftungslücke, weil § 1358 BGB-E auf die positive Kenntnis abstellt und für § 179 BGB schon auf die fahrlässige Unkenntnis genügt. Diesen Widerspruch vermag der Entwurf nicht aufzulösen. 

h) Verschärft wird die beschriebene Problematik dadurch, dass – offenbar gewollt – eine Missbrauchskontrolle nicht vorgesehen ist. Alle Fürsorgeverhältnisse – Betreuungsrecht, Vormundschaftsrecht, Recht der elterlichen Sorge – enthalten detaillierte umfangreiche Regelungen zur Missbrauchskontrolle. Es ist unverständlich, dass dies hier – bis auf die Grenze des § 1358 Abs. 1 Nr. 3 BGB-E iVm § 1831 BGB-E – völlig fehlt.

 

2. zu Artikel 1) Nr. 16 ff.- §§ 1643 f. BGB-E

Neben einigen durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 22. Juli 2017 (BGBl I S. 2149 ff.) notwendig gewordenen Korrekturen im Hinblick auf die §§ 2290 ff. und §§ 2347 ff. BGB, verweisen die Genehmigungstatbestände umfassend auf das Betreuungsrecht.

Aus familienrechtlicher Sicht zu begrüßen ist, dass § 1644 BGB-E der Elternautonomie den Vorrang einräumt und die Vorschrift als Regel-Ausnahme-Verhältnis konzipiert ist (Abs. 1).

Im Rahmen der (negativen) Kindeswohlprüfung soll der Kindeswille Berücksichtigung finden unter Beachtung der Wertungen des § 1626 Abs. 2 BGB (S. 224). Inwieweit damit die Aufklärungspflichten (§ 26 FamFG) eine neue Dimension erhalten, wird die Praxis zeigen, zumal sich weder die Erforschung des Kindeswillens noch deren Wertung aus dem Wortlaut der Norm ergibt.

Aufgrund der vorgesehenen Kindeswohlprüfung kann sich zudem ein Abgrenzungsproblem bezogen auf § 1666 BGB ergeben.

Da den Eltern über § 1666 BGB – bei richterlicher Zuständigkeit - auch die Vermögenssorge entzogen werden kann, wird die Praxis zeigen (müssen), ob bei einer Kindeswohlgefährdung das Verfahren durch den oder die Rechtspfleger*in vorgelegt wird und damit Entscheidungen möglicherweise verlagert oder jedenfalls verzögert werden.

Welche Ermittlungen (§ 26 FamFG) schließlich die Prüfung der „Grundsätze(n) einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung“ erfordern, bleibt nach der Begründung allerdings offen.

 

3. zu Artikel 1 Nr. 21 – Kapitel 2 Amtsvormundschaft

In den §§ 1786 und 1787 BGB-E wird die Amtsvormundschaft für nichtehelich geborene Kinder geregelt, wobei § 1786 BGB-E im Wesentlichen dem bisherigen § 1791c BGB entspricht, der (nur) redaktionell überarbeitet worden ist. Im Hinblick auf die angestrebte Reform verwundert die aufrechterhaltenen Differenzierungen zwischen nichtehelich und ehelich geborenen Kindern, auch im Hinblick auf die anonyme Geburt (§ 1787 BGB-E).

Es wird ausdrücklich angeregt, es bei den Allgemeinen Vorschriften (Unterkapitel 1) in den genannten Fällen zu belassen, um unnötige Diskriminierungen zu vermeiden.

 

4. zu Artikel 1 Nr. 21 – Kapitel 2 § 1830 BGB-E

Die beabsichtigte Regelung übernimmt § 1905 BGB in seiner bisherigen Fassung mit nur zwei redaktionellen Änderungen. In der Sache wird an der Norm festgehalten. Der djb spricht sich nachdrücklich gegen eine Beibehaltung der Vorschrift aus und wiederholt seine Forderung aus dem Jahr 2019 auf Streichung. Denn betroffen sind überwiegend Frauen mit Lernschwierigkeiten (sogenannter geistiger Behinderung). Nicht selten erfolgt eine Sterilisation noch immer rein „prophylaktisch“. Die Informationsketten von Ärzt*innen und Verwandten sind eher ergebnisorientiert und zielen weniger auf das Empfinden und die Wünsche der Betroffenen ab. Handlungsbedarf ist nicht zu leugnen, da die Istanbul-Konvention die Streichung verlangt (Artikel 39 (b). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Themenpapier 4 des djb (st19-27) Bezug genommen.

 

5. zu Art. 2 Nr. 1 - Änderung an Art. 7 EGBGB

Die Abkehr von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung im Bereich der Geschäftsfähigkeit kommt höchst überraschend und ist nicht gerechtfertigt. Es handelt sich um eine jahrzehntelang bewährte Anknüpfung, die keiner ernsthaften Kritik ausgesetzt ist. Der Entwurf begründet die Abkehr mit der Erleichterung des Rechtsverkehrs – es sei einfacher, deutsches Recht als ausländisches Recht anzuwenden. Damit verkennt der Gesetzgeber die maßgebende Prämisse des deutschen Internationalen Privatrechts (IPR), dass nach dem sachnächsten Recht gesucht wird, nicht nach dem „bequemsten“. Die Änderung ist zudem unverständlich. Denn es wird von „§§“ des EGBGB gesprochen (auf S. 238 und auf S. 268), wo indes Artikel gemeint sind. Außerdem verhält sich der Gesetzgeber nicht zu Art. 12 EGBGB, der doch gerade dazu gedacht ist, mit Blick auf die Staatsangehörigkeitsanknüpfung des Art. 7 EGBGB den Rechtsverkehr zu schützen.

Womöglich ist die Regelung des Art. 12 EGBGB übersehen worden. Ferner ist schon die Grundüberlegung, dass die Aufenthaltsanknüpfung von der Pflicht zur Ermittlung und Anwendung fremden Rechts entlaste (S. 382), verfehlt. Da (immerhin) die „einmal erlangte Geschäftsfähigkeit … durch einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts nicht beeinträchtigt" wird (Art. 7 Abs. 2 S. 2 EGBGB-E), werden die Rechtsanwender*innen künftig in Problemfällen deutlich mehr fremdes Recht anwenden müssen, weil eine Person typischerweise im Laufe ihres Lebens weitaus mehr gewöhnliche Aufenthalte begründet als Staatsangehörigkeiten innehat.

 

6. zu Art. 2 Nr. 2 Art. 15 EGBGB-E neu

Art. 15 EGBGB-E erklärt § 1358 BGB-E zur Eingriffsnorm und möchte sie für alle im Inland getätigten Angelegenheiten der Gesundheitssorge anwenden. Der djb hält den Regelungsvorschlag für europarechtswidrig.

Ein weiter Teil der von § 1358 BGB-E abgedeckten Angelegenheiten wird wegen seiner vermögensrechtlichen Auswirkungen vom sachlichen Anwendungsbereich der EuGüVO verdrängt sein, so dass insoweit das allgemeine Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB verdrängt ist. Art. 30 I EuGüVO gestattet zwar die Anwendung der Eingriffsnormen der lex fori. Doch an die Annahme des Vorliegens einer Eingriffsnorm sind hohe Anforderungen zu stellen. So führt Erwägungsgrund 53 der EuGüVO aus: „Aus Gründen des öffentlichen Interesses wie der Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung eines Mitgliedstaats sollte es gerechtfertigt sein, dass die Gerichte und andere zuständige Behörden der Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, in Ausnahmefällen auf der Grundlage von Eingriffsnormen Ausnahmeregelungen anzuwenden. Dementsprechend sollte der Begriff „Eingriffsnormen“ Normen von zwingender Natur wie zum Beispiel die Normen zum Schutz der Familienwohnung umfassen. Diese Ausnahme von der Anwendung des auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Rechts ist jedoch eng auszulegen, damit sie der allgemeinen Zielsetzung dieser Verordnung nicht zuwiderläuft.“

Und allgemein wird im Europarecht eine Eingriffsnorm als eine „zwingende Vorschrift [verstanden], deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“ (Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO). Diesen Anforderungen hält § 1358 BGB-E nicht stand. Erstens genügt die Begründung des Entwurfs nicht, um den Charakter als Eingriffsnorm zu bejahen. Der Entwurf schreibt (erschöpfend): Der Eingriffsnormcharakter der Norm „rechtfertigt sich aus ihrer Bedeutung für den Rechtsverkehr. So wird das ärztliche Personal bzw. die Verwaltung von Krankenhäusern im Behandlungsfall davon entlastet, zunächst zu ermitteln, welchem Recht die Vertretungsmacht unterliegt, und ggfs. ausländisches Recht auszulegen und anzuwenden. Stattdessen kann uneingeschränkt deutsches Recht zur Anwendung kommen“ (S. 370). Ein solcher Satz, der letztlich mit „Es ist den Rechtsanwender*innen lästig, fremdes Recht anzuwenden“ paraphrasiert werden kann, begründet keinen Eingriffsnormcharakter. Auch das vom Entwurf verwendete „Label“ als Eingriffsnorm begründet noch keinen Eingriffsnormcharakter. Zweitens wäre es ohnehin überraschend, dass eine Norm, deren Entstehung seit nahezu zwanzig Jahren in der Diskussion ist (s.o. Ziffer II Nr. 1) und für deren Funktionen auch viele andere Institute zu Gebote stehen (Vorsorgevollmacht, Betreuung, Patient*innenverfügung), plötzlich „entscheidend für die Wahrung des öffentlichen Interesses“ sein soll. Es wird sicherlich nicht lange dauern, bis der EuGH diesen „Trick“ des deutschen Gesetzgebers enttarnt und sanktioniert.

III. Fazit

Ein gesetzliches Vertretungsrecht für Ehepartner*innen in Angelegenheiten der Gesundheitssorge mit seinen notwendigen Folgeänderungen ist verzichtbar und wird vom djb explizit abgelehnt.

Im Übrigen wiederholt der djb seine Forderung auf Streichung des § 1905 BGB bzw. der inhaltsgleichen (Neu-)Regelung in § 1830 BGB-E.

 

 

Prof. Dr. Maria Wersig 
Präsidentin   

Brigitte Meyer-Wehage
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und
Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften

 


[1]https://www.bundestag.de/resource/blob/496022/25c23648e63791dc4f077857e81a08fc/lipp-data.pdf.

[2]https://www.stiftung-patientenschutz.de/uploads/docs/Beistandschaft_Ehegatten_Stellungnahme_Patientenschutz_Info-Dienst_2017_2.pdf.