Stellungnahme: 12-08


zum Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen (Stand: 30. Mai 2012)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) bedankt sich für die Möglichkeit, zum Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen Stellung nehmen zu können.

Der vorliegende Diskussionsentwurf birgt aber Gefahren für die informationelle Selbstbestimmung, nicht nur der Beschuldigten, sondern auch der Geschädigten, insbesondere der Geschädigten von Gewaltstraftaten und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Deren Schutz wird der vorliegende Entwurf noch nicht ausreichend gerecht.

Der djb sieht daher Nachbesserungsbedarf in folgenden Punkten:

  1. Nicht löschbare Kennzeichnung der Quelldateien zum Schutz vor deren Weitergabe an Unbefugte
  2. Keine Weitergabe von Bild-Ton-Aufzeichnungen an Beschuldigte/Angeklagte
  3. Gewährleistung der Rücksichtnahme auf Verletztenrechte (Nr. 220 Abs. 2 RiStBV)

 

Zu 1: Nicht löschbare Kennzeichnung der Quelldateien zum Schutz vor deren Weitergabe an Unbefugte

Das Problem, insbesondere bei Strafverfahren wegen sexualisierter und körperlicher Gewalt, besteht darin, dass Bestandteile aus der Akte, wie z.B. Vernehmungsprotokolle, aber auch Bilder und Gutachten, über Beschuldigte immer wieder unbefugten Personen zugänglich gemacht werden, teilweise sogar im Internet verbreitet werden. Die damit einhergehende Persönlichkeitsrechtsverletzung lässt sich mit den zur Verfügung stehenden zivilrechtlichen Mitteln oft nicht unterbinden. Benutzte Server befinden sich z.B. im Ausland, wodurch der Zugriff erheblich erschwert, in der Praxis teilweise sogar unmöglich ist. Weiterhin sind diejenigen Personen, die unbefugt Daten ins Netz stellen, oft nicht identifizierbar. Dies führt zu erheblichen Belastungen der Betroffenen, da die Verbreitung in der Regel Informationen oder Bilder aus dem Intimbereich oder aber Informationen zur Gesundheit, mithin besonders schützenswerte Rechtsgüter betrifft.

Mit der elektronischen Akte, die problemlos nicht nur durch Mausklick verschickt, sondern auch auf jedem Smartphone abgerufen werden kann, ist die Hürde der unbefugten Weitergabe äußerst niedrig. Im Gegensatz zu der herkömmlichen Papierakte ist weder aufwendiges Kopieren oder Scannen noch postalisches Verschicken oder eigenhändiges Weiterreichen erforderlich, um Aktenbestandteile oder die komplette Akte weiterzugeben.

Die in § 32d Absatz 3 des Entwurfs normierte Pflicht, bei Akteneinsicht den Namen der Antragstellerin oder des Antragstellers als „Wasserzeichen“ auf der bereitgestellten Akte dauerhaft kenntlich zu machen, schafft zwar insofern gegenüber der jetzigen Situation eine größere Hürde im Hinblick auf eine unbefugte Weitergabe, als die/der Antragsteller/in und insofern immer auch die Quelle kenntlich ist. Bereits jetzt wird häufig in den Kanzleien die Papierakte gescannt und dann gänzlich ungeschützt an die Mandant/inn/en weitergegeben. Der Schutz über die Namenskennung ist jedoch nur dann gewährleistet, wenn sichergestellt ist, dass trotz etwaiger Kopier- und Bearbeitungsmöglichkeiten diese Kennzeichnung auf allen Teilen einer Seite sichtbar bleibt und nicht oder jedenfalls nur mit erheblichem Aufwand entfernt werden kann.

Hierfür sollten die konkreten Anforderungen an Datenschutz und -sicherheit bundeseinheitlich sein. Jedenfalls sollte verhindert werden, dass einzelne Länder aufgrund enger Finanzmittel mögliche Sicherungsmaßnahmen unterlassen.

Für die Einsicht in den Räumen der Staatsanwaltschaft muss gewährleistet sein, dass die Akte lediglich sichtbar ist, ohne dass jedoch Kopiermöglichkeiten bestehen.

Sicherzustellen ist auch, dass die elektronische Weitergabe der Akte an die Mandantin/den Mandanten ebenfalls nur durch De-Mail oder ein anderes sicheres System erfolgt.

 

Zu 2: Keine Weitergabe von Bild-Ton-Aufzeichnungen an Beschuldigte/Angeklagte

Bild-Ton-Dateien sind besonders sensibel und der Umgang hiermit bei elektronischer Aktenführung ist nicht explizit geregelt. Entsprechend den Erläuterungen zum Entwurf stellen Bild-Ton-Dateien zwar keine elektronischen Dokumente im Sinne des Entwurfs dar, da sie nicht in Papierform übertragbar sind (S. 24), allerdings sind sie als Aktenbestandteil grundsätzlich den Beteiligten als Kopie zu überlassen, sofern nicht die Zeugin/der Zeuge der Überlassung einer Kopie widerspricht (§ 58a Abs. 2, Satz 3 und Abs. 3 StPO). Eine Änderung des § 58a StPO durch den Entwurf ist nur insofern vorgesehen, als § 41 Nr. 8 des Entwurfs vorsieht, dass die Formulierung „auf Bild- und Tonträger“ durch die Formulierung „in Bild und Ton“ ersetzt wird. Hiermit soll nach den Erläuterungen nur sichergestellt sein, dass zukünftig keine mobilen Datenträger verwendet werden müssen (S. 34). Eine Versendung ist mithin vorgesehen, ohne dass explizite Sicherungsmaßnahmen gegen eine unbefugte Weitergabe vorhanden sind. Eine Versendung an Beschuldigte sollte im Hinblick auf die Besonderheit dieser Daten aber generell und ausdrücklich untersagt werden. Problematisch ist jedoch eine damit möglicherweise verbundene Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit, wenn z.B. Zeugenvernehmungen nur noch als Bild- und Ton-Datei existieren und die Aussage nicht verschriftlicht ist. Im Hinblick auf die Strafbarkeit des § 201 StGB einerseits, womit die besondere Schutzwürdigkeit des Rechts am eigenen Bild untermauert wird, und die oft bestehende Unmöglichkeit praktischer Sanktionierung von Verstößen andererseits, z.B. durch die Möglichkeit anonymer Netznutzung und globaler Serverstrukturen muss aber jedenfalls gewährleistet sein, dass Missbrauch der Ton- und Bildaufnahmen durch geeignete Maßnahmen vermieden wird. Allein das Verbot in § 58a Absatz 2 Satz 4 StPO ist nicht ausreichend. Sollte hier ein robuster technischer Kopierschutz nicht möglich oder sollten andere geeignete Schutzmaßnahmen technisch nicht umsetzbar sein, ist die Weitergabe an Beschuldigte zwingend zu unterbinden und die/der Verteidiger/in gezwungen, entweder die Vernehmung zu verschriftlichen oder aber die für eine effektive Verteidigung notwendige Besprechung solcher Aussagen mit ihrer/seiner Mandantin bzw. ihrem/seinem Mandanten durch die Inaugenscheinnahme in der Kanzlei zu ermöglichen.

 

Zu 3: Gewährleistung der Rücksichtnahme auf Verletztenrechte (Nr. 220 Abs. 2 RiStBV)

Die elektronische Akte kann auch zu einer einfacheren und damit durchgängigeren Handhabung der in Nr. 220 Abs. 2 RiStBV niedergelegten Vorgaben zur Rücksichtnahme auf Persönlichkeitsrechte von Verletzten in Sexualstrafverfahren führen, wonach Lichtbilder von Verletzten, die sie ganz oder teilweise unbekleidet zeigen, „in einen verschlossenen Umschlag“ (sehr unpraktisch, dann kann schlecht auf einzelne Fotos Bezug genommen werden) „oder gesondert geheftet zu den Akten zu nehmen“ und bei der Gewährung von Akteneinsicht – soweit sie nicht für die verletzte Person selbst erfolgt – aus der Akte zu nehmen sind. Hier sollten im Hinblick auf die erhöhte Gefahr schneller Verbreitung von Akteninhalten im Rahmen der Neuregelung konkrete Vorgaben für die Anlage einer gesonderten elektronischen „Lichtbildmappe“ für Lichtbilder von Verletzten erfolgen. Jedenfalls muss aber gewährleistet sein, dass die Entfernung bestimmter Aktenteile technisch einfach zu handhaben ist.

Ramona Pisal                      
Präsidentin          

Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission Strafrecht