Stellungnahme: 11-04


zum Entwurf eines Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten (BT-Drs. 17/3296) anlässlich der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages gemeinsam mit dem BT-Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jug

Stellungnahme vom

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen des Deutschen Juristinnenbundes (djb) bedanke ich mich für die Gelegenheit, heute hier Stellung nehmen zu dürfen.

In meinen folgenden Ausführungen möchte ich mich auf vier Punkte beschränken, die aus Sicht des djb zentral sind:

  1. die Verfassungsmäßigkeit einer Quotierung von Aufsichtsratsmandaten,
  2. die Erforderlichkeit einer solchen Regelung,
  3. die vermeintliche Qualifikationsproblematik und
  4. die juristischen Quisquilien des Entwurfs der Grünen.

1.
Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Quotierung von Aufsichtsratsmandaten haben die hier vertretenen Professorinnen des öffentlichen Rechts bereits ausführlich Stellung genommen.

Ich möchte mich auf den Hinweis beschränken, dass die einschlägigen Grundrechte der Aktionärinnen und Aktionäre bzw. des Unternehmens – also die Vereinigungsfreiheit, die Eigentumsfreiheit und die Berufsfreiheit – durch die von der Fraktion der Grünen vorgeschlagene Quotenregelung lediglich in Randbereichen, also Ausgestaltungsfragen berührt werden.

Dieser sehr moderate Eingriff wird legitimiert durch Artikel 3 Absatz 2 GG, der dem Gesetzgeber einen ausdrücklichen Schutzauftrag erteilt: "Der Staat fördert die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Dies beinhaltet eine staatliche Schutzpflicht zur Beseitigung nicht nur rechtlicher, sondern auch gesellschaftlicher Benachteiligungen. Und erlauben Sie mir den Hinweis: Eine entsprechende Verpflichtung enthält das Europarecht.

Streiten kann man sich unter Juristinnen und Juristen meines Erachtens nach allenfalls über die Frage, ob eine Quotenregelung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht wird und insbesondere, ob sie erforderlich ist. Diese Frage wiederum ist nach Auffassung des djb und auch nach meiner persönlichen Auffassung klar zu bejahen: Über 60 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes werden Frauen bei der Vergabe von Aufsichtsratsmandaten nach wie vor eklatant übergangen. Zur Statistik hat Ihnen bereits Frau Privatdozentin Holst Genaueres berichtet. Der von ihr immer wieder untersuchte und veröffentlichte Befund ist völlig inakzeptabel und zeigt, dass bloße Appelle nicht fruchten.

Der Gesetzgeber ist in der Pflicht.

2.
Warum ist eine Quotierung der Aufsichtsratsmandate erforderlich?

Die Antwort auf diese Frage lautet: Weil sich sonst der Anteil der weiblichen Aufsichtsratsmitglieder in absehbarer Zukunft nicht signifikant erhöhen wird.

Dies belegen nachdrücklich die Ergebnisse der Studien, die der Soziologe Professor Carsten Wippermann vom Sinus-Institut für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt hat. Denn:

a) Die Gläserne Decke ist dreifach gesichert

Wippermann hat im Auftrag des Ministeriums 30 hochrangige Führungskräfte männlichen Geschlechts interviewen lassen, ohne dass diese wussten, worum es geht. Dabei ließen sich alle von Wippermann und seinem Team befragten Manager einem von drei verschiedenen Typen zuordnen:

Der eine Typ ist sehr konservativ. Bei ihm kann man eine kulturelle und funktionale Ablehnung von Frauen qua Geschlecht ausmachen. Zitate aus den Interviews sind: Frauen seien eine Irritation im inner circle und unerwünscht im Vorstand.

Der andere Typus hat eine emanzipierte Grundhaltung und geht davon aus, dass Frauen chancenlos gegen die Machtrituale seien. Das Topmanagement verlangt Härte und das steht im Widerspruch zum Frauenbild in unserer Gesellschaft. Es fielen Formulierungen wie: Ein Vorstandsposten ist eine andere Sportart – und Frauen hätten nicht die Härte dafür. Frauen, die entsprechend auftreten, wirken dann nicht mehr authentisch – und für diesen Typus ist aber Authentizität ein sehr wichtiger Erfolgsfaktor.

Der dritte Typus zeigt einen radikalen Individualismus. Diese Männer sagen, dass das Geschlecht eigentlich keine Rolle dabei spielt, wenn es um die Besetzung einer Führungsposition geht. Aber es gebe nicht genügend Frauen, die authentisch und flexibel genug dafür seien.

Alle drei Haltungen kommen in einem Unternehmen vor. Das heißt: Erfüllt eine Frau eine der genannten Anforderungen, steht sie damit im Widerspruch zu den anderen beiden. Die gläserne Decke ist also dreifach gesichert.

Diese Vorbehalte kann man nur mit einer Quotenregelung überwinden.

b) Um es klar und deutlich zu sagen: Eine Verbesserung des Angebots an Kinderbetreuungsmöglichkeiten genügt hierfür nicht. Der Aufstieg von Frauen in Führungspositionen und auch in Aufsichtsratsposten scheitert nicht am unzureichenden Kinderbetreuungsangebot, sondern an falschen Annahmen und Zuschreibungen, d.h. Mentalitätsmustern der Männer in Führungspositionen. Erlauben Sie mir, auch insoweit die Ergebnisse der Studie von Wippermann zu zitieren, die sich mit meinen eigenen Erfahrungen und denen meiner Kolleginnen decken:

Eine entwicklungshemmende Zuschreibung ist, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nach wie vor ein Problem von Frauen (nicht von Männern) sei und dass Kinder ein "Karrierekiller" seien. Die Studie belegt, dass diese Zuschreibung ein Teil des Gläserne-Decke-Spiels ist: 56 Prozent der Frauen in einer aktuellen Führungsposition haben Kinder, davon leben 3,61 Prozent noch im Haushalt. Aber auch 77 Prozent der Männer in Führungsposition haben Kinder. Botschaften sind: 1.) Familie und eine Führungsposition in der Wirtschaft sind für Frauen vereinbar. 2.) Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch eine Aufgabe für Männer in Führungsposition.

Eine weitere falsche Zuschreibung ist, dass eine kontinuierliche Berufsbiografie eine notwendige Voraussetzung für eine Führungsposition sei. Auch das ist offenbar Teil des Gläserne-Decke-Mechanismus: Die Studie zeigt, dass 44 Prozent der Frauen in Führungsposition ihre Erwerbstätigkeit schon einmal unterbrochen haben. Erwerbsunterbrechungen sind somit per se kein Karrierehindernis für Frauen! Und auch 25 Prozent aller Männer in Führungsposition haben ihre Berufstätigkeit schon einmal unterbrochen (in absoluten Zahlen sind das sogar mehr Männer als Frauen).

Eine dritte falsche Annahme ist, dass Frauen nicht über die wichtigen Erfolgskompetenzen für Führungspositionen verfügen. Die Befragung der heutigen Frauen in Führungspositionen zeigt, wie stark sich diese an den "richtigen" (klassischen) Kompetenzfaktoren von Führungskräften orientieren.

Eine vierte falsche Annahme ist, dass eine erfolgreiche Karriere schrittweise in Stufen erfolge. Während Frauen tatsächlich die Neigung haben, Schritt für Schritt nach oben zu steigen, machen Männer regelmäßig mehrere Karrieresprünge – auch über mehrere Ebenen (so genannter "Doppelsprung") – und sind damit sehr erfolgreich. Karrieresprünge sind dabei offenbar ein Tabuthema, werden nicht gemessen, nicht (amtlich) dokumentiert, sind nicht transparent – und doch ein Schlüsselelement für den Aufstieg zu (höheren) Führungspositionen. Es bedarf für Frauen der Unterstützung und der Ermutigung zum Karrieresprung.

c) Ich meine, dass diese Ausführungen die Erforderlichkeit einer Quotenregelung nachdrücklich belegen. Allein mit Leistung lassen sich diese Zuschreibungen – früher hat man von Vorurteilen gesprochen – nicht überwinden.

3.
Schließlich: Gibt es überhaupt genügend qualifizierte und engagierte Frauen?

Natürlich gibt es diese. Und die Unternehmen werden sie auch finden, wenn sie ihren Blick erweitern und genau genug hinschauen, weil sie dies müssen.

Sollte der Gesetzgeber hier ernsthaft Sorge haben, stünde es ihm frei, § 100 AktG, der die persönlichen Voraussetzungen von Aufsichtsratsmitgliedern regelt, durch Mindestqualifikationen zu ergänzen – dann aber bitte für Frauen und Männer gleichermaßen.

Denn besonders ärgerlich ist ja, dass die Frage nach ausreichender Qualifikation im Rahmen der Diskussion um die Quotierung von Aufsichtsratsmandaten eine so große Rolle spielt, während sie bei Männern immer stillschweigend auch dann vorausgesetzt wird, wenn sie tatsächlich fehlt.

Ich erlaube mir, Ihnen aus einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 1. Mai 2011 vorzulesen, in dem es um den Nachfolger für den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank geht. Darin heißt es:

"Dass Weber mit seinem missratenen Abgang die Kanzlerin verprellt hat, die plötzlich ohne Kandidat für die EZB dastand, wird in der Deutschen Bank nicht als Makel gesehen: Bezog nicht auch Josef Ackermann schon Prügel von der Bundesregierung? Eben. Noch eine Gemeinsamkeit der Männer, die sich als geistesverwandt sehen. Und das zählt am Ende mehr als eine Banklehre. Auf den Charakter komme es an, sagt Ackermann: „Die richtige Persönlichkeit kann alles lernen. Persönlichkeit aber kann man nicht lernen", diktierte er neulich Reportern der "Welt am Sonntag" in den Block. Webers Unerfahrenheit im praktischen Bankgeschäft stört Ackermann nicht. Der Schweizer zieht jemanden vor, dem er zutraut, was er sich selbst zugutehält: Souveränität, Standfestigkeit, Führungsstärke, ein internationales Netz an Kontakten, dazu die Fähigkeit, in großen Linien zu denken. All das erfüllt Axel Weber in Ackermanns Augen."

Für den Fall, dass man meinen sollte, bei der Besetzung von Aufsichtsratsmandaten gälten andere Maßstäbe, gestatten Sie mir einige Sätze aus der FTD von gestern zur Neubesetzung des Aufsichtsrats von Hochtief:

"Wie sehr immer noch freihändig und nach Gutsherrenart Aufsichtsratsmandate verteilt werden, zeigt in besonders krasser Form der Fall Hochtief. Der deutsche Bau- und Infrastrukturkonzern gehört zu rund 50 Prozent dem spanischen Konkurrenten ACS – der mit dem alten Aufsichtsrat um Hans-Peter Keitel, dem Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie, gewaltig über Kreuz liegt. Am kommenden Donnerstag soll ein neuer Aufsichtsrat gewählt werden. Nur: Keitel und seine Truppe konnten sich in den vergangenen Wochen mit den Spaniern nicht auf eine gemeinsame Kandidatenliste einigen. Dafür gibt es zwei Gründe, die beide deutlich machen, wie armselig derzeit über die Besetzung der wichtigsten Posten in deutschen Unternehmen diskutiert wird.

Erstens gibt es keinen Katalog an Kompetenzen, die im Aufsichtsrat von Hochtief vertreten sein sollen. Finanzexpertise schon, ja, Technologieexpertise auch – aber in welcher Form und Ausprägung: Fehlanzeige. Der zweite Grund: ACS und Keitels Truppe sind sich zwar einig, dass drei der acht Vertreter der Kapitalseite die Minderheitsaktionäre vertreten und deswegen unabhängig von den Spaniern sein müssen. Nur können sie sich nicht einigen, wer jetzt wirklich unabhängig ist. Dabei ist allein schon die Fragestellung ein Skandal: Der Frage nach werden Aufsichtsräte nicht nach ihren Kompetenzen ausgewählt, sondern danach, wer von ihnen für verschiedene Aktionärsgruppen das Beste herausschlagen kann."

Gestatten Sie mir den Hinweis – dies ist keine Ausnahme, sondern der Regelfall.

Denken Sie bloß an Karstadt, wo der Aufsichtsratsvorsitzende Caparros, der als Vorstandsvorsitzender von Rewe ein ausgewiesener Kenner des deutschen Einzelhandels ist, sein Amt niedergelegt hat, weil der Alleingesellschafter auch solche Geschäfte, für die die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich ist, ohne angemessene Information des Aufsichtsrats durchsetzen wollte. Caparros war innerhalb eines Tages durch einen Vertrauten des Alleingesellschafters ersetzt.

Die Botschaft erscheint mir völlig klar: Für Männer sind das richtige Netzwerk und die richtigen Beziehungen allemal wichtiger als die richtige Qualifikation. Die Quotenregelung soll lediglich die Wirkungen dieses Netzwerks überspielen.

Daher braucht sich auch keine Frau, die aufgrund einer Quotenregelung in den Aufsichtsrat bestellt wird, dafür zu schämen. Erstens gibt es genügend Frauen mit den erforderlichen Mindestqualifikationen. Und zweitens ist die Behauptung, für die Vergabe solcher Positionen käme es in erster Linie auf Qualifikationen und Erfahrungen an, über die Frauen nicht verfügten, schlicht falsch und dient lediglich dazu, die als unberechtigt empfundene Forderung nach gerechter Berücksichtigung bei der Vergabe von Aufsichtsratsmandaten mit vermeintlichen Sachargumenten abzuwehren.

Im Grunde geht es – für Männer wie für Frauen – allein darum, ob man die Chance erhält, die vorhandenen Qualifikationen in einer anspruchsvollen und – machen wir uns nichts vor – einflussreichen Position unter Beweis stellen zu dürfen. Diese Chance soll Frauen nicht länger vorenthalten bleiben.

4.
Abschließend zu den juristischen Details des Gesetzentwurfs.

Ich halte den Gesetzentwurf der Grünen für insgesamt sehr gelungen. Insbesondere ist zu begrüßen, dass mit der Rechtsfolge nichtiger Aufsichtsratsbeschlüsse im Falle eines quotenwidrigen Aufsichtsrats sehr effektive Sanktionen vorgesehen sind.

Der Geltungsbereich (börsennotierte und mitbestimmte Unternehmen) ist für den Anfang ausreichend. Da die Quotenregelung, wie oben dargelegt, im Wesentlichen zur Überwindung von Stereotypen erforderlich ist, gibt es Anlass zur Hoffnung, dass die Regelung eine Eigendynamik entfalten und nach einigen Jahren nicht mehr erforderlich sein wird.

Ich meine, dass dies zugleich ein gutes Schlusswort ist, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Prof. Dr. Marlene Schmidt
Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht