Stellungnahme: 04-05


zur BILANZ 2003 der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft

Stellungnahme vom

I.
Die am 29. Januar 2004 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände vorgestellte erste Bilanz zur Chancengleichheit zeigt entgegen den Einschätzungen der Politik und Wirtschaft, dass eine Umsetzung der Vereinbarung vom 3. Juli 2001 in den Unternehmen überwiegend nicht stattgefunden hat.

Der djb wiederholt daher seine Forderung nach einem effizienten Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft (Pressemitteilung des djb vom 4. Juli 2001). Die Durchführung der Evaluierung der Vereinbarung und die selektive Wahrnehmung der Gleichstellungspolitik in den Unternehmen, wie sie in der BILANZ 2003 zum Ausdruck kommt, macht ein Handeln des Gesetzgebers unerlässlich.

II.
Die Vereinbarung benennt als empfehlenswerte betriebliche Gleichstellungsmaßnahmen

  • Verankerung von Chancengleichheit und Familienfreundlichkeit als Unternehmensphilosophie
  • Förderung der Chancengleichheit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf als ausdrückliche Aufgabe der Führungskräfte
  • Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen mit beispielhaft genannten Maßnahmen
  • Angebote an junge Frauen für zukunftsorientierte Ausbildungsberufe mit beruflichen Perspektiven nach dem Abschluss
  • Verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und Väter mit beispielhafter Aufzählung geeigneter betrieblicher Maßnahmen
  • Flexible Gestaltung der Familienphase mit Beispielen
  • Verbindliche Zielsetzungen zur Verwirklichung von Chancengleichheit und Familienfreundlichkeit
  • Beteiligung der Belegschaft bei der Konzeption und Umsetzung der Zielvorgaben

Die Vereinbarung sah die Begleitung der Umsetzung dieses Programms durch eine von Politik und Wirtschaft paritätisch besetzte "hochrangige Gruppe" vor mit der explizit benannten Aufgabe, zu Beginn ihrer Arbeit eine Bestandsaufnahme zu erstellen und erstmals 2003 die Umsetzung der Vereinbarung und die erzielten Fortschritte in den Unternehmen zu erstellen.

Solange die Vereinbarung erfolgreich umgesetzt wird, will die Bundesregierung sich jeder Initiative enthalten, gesetzgeberisch tätig zu werden.

III.
Der djb stellt fest, dass

  • die hochrangige Gruppe den Arbeitsauftrag nicht erfüllt hat. Sie hat keine Bestandsaufnahme zu Beginn ihrer Arbeit veranlasst. Die BILANZ 2003 stellt daher keine Evaluierung dar, sondern ist eine verspätet erstellte Bestandsaufnahme, die keine Aussagen darüber erlaubt, ob und mit welchem Erfolg Unternehmen seit 2001 gleichstellungspolitisch tätig geworden sind. Die Einschätzung in der Pressemitteilung des BMFSJ vom 29. Januar 2004, dass "die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Politik und Wirtschaft gefördert und vorangetrieben" wurden, beruht daher nicht auf objektiven Grundlagen. Positive Veränderungen in der Wirtschaft lassen sich derzeit nicht feststellen.
  • die einzelnen Feststellungen in der BILANZ 2003, die auf Erhebungen im Rahmen eines gemeinsamen Projekts der Spitzenverbände der Wirtschaft, des BMFSFJ und des Instituts der deutschen Wirtschaft sowie auf dem Betriebspanel 2002 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit beruhen, längst nicht so positiv sind, wie sie jetzt dargestellt werden: es ist zwar zutreffend, dass die Zahl der erwerbstätigen Frauen seit 2000 gestiegen ist, gleichzeitig ist aber das Gesamtvolumen ihrer Arbeitszeit gesunken. Beide Fakten erklären sich aus dem deutlichen Anstieg geringfügiger Beschäftigung von Frauen. Politik und Wirtschaft feiern damit die Ausweitung der Minijobs als Frauenförderung und übersehen die existentiellen Probleme von geringfügig Beschäftigten während der Erwerbs- und in der Rentenphase.
  • Der Frauenanteil an den Studienanfängerinnen ist im Jahr 2003 um 2,3 Prozentpunkte und damit erneut unter 50 % gesunken, ohne dass dies kommentiert wurde. Die mitgeteilten erfreulichen Ergebnisse über den Ausbildungsstand und das Ausbildungsniveau von Frauen werden nicht in der gebotenen Klarheit der Realität gegenübergestellt, in der der gute Bildungsstand von Frauen nicht zu einer adäquaten beruflichen Beschäftigung führt. Dazu merkt die Presseerklärung lapidar an, dass sich das "Qualifikations- und Leistungspotential in der Beschäftigung noch nicht adäquat widerspiegelt". Der nahe liegende Schluss, dass dies eben doch an der mangelnden Umsetzung der Vereinbarung in den Unternehmen liegt, wird nicht gezogen, die Unternehmen werden nicht in die Verantwortung genommen.

Der djb bedauert, dass

  • die Bestandsaufnahme sich auf Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf konzentriert und den Aspekt der Chancengleichheit fast völlig außer acht lässt. In der Vereinbarung wurde Chancengleichheit noch an erster Stelle aufgeführt. Die Untersuchung des IW bezieht sich jetzt jedoch ausschließlich auf Familienfreundlichkeit, die des IAB ganz überwiegend. Eine solche Reduktion der Vereinbarung ist unangebracht, liegt allerdings im Trend der Politik, Frauen nur über Familienpflichten zu definieren und Familienpolitik umstandslos mit Frauenpolitik im Sinne von Gleichstellungspolitik gleichzusetzen. Um verlässliche Angaben über betriebliche Gleichstellungsmaßnahmen zur Chancengleichheit machen zu können, wäre eine Bestandsaufnahme zu einer an Chancengleichheit orientierten Personalpolitik (Personalauswahl, -beurteilung und -entwicklung) erforderlich. Dem von der Bundesregierung gefeierten Monitor "Familienfreundlichkeit" wäre unbedingt ein Monitor "Chancengleichheit" zur Seite zu stellen. Denn diese personalpolitischen Aspekte spricht die Vereinbarung mit der Empfehlung zu verbindlichen Zielsetzungen zur Chancengleichheit ausdrücklich an. Dass eine chancengleichheitsorientierte Personalpolitik derzeit kaum stattfindet, belegt die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung und des Deutschen Gewerkschaftsbundes durchgeführte Unternehmensbefragung, wonach nur ein Viertel der befragten Unternehmen überhaupt nach Geschlechtern getrennte Personalstatistiken führen und nur 2 % die Verteilung der hierarchischen Positionen und Vergütungen auf die Geschlechter statistisch erfassen. Bei dieser mangelhaften Informationslage wundert es nicht, dass sich in zwei Dritteln der befragten Unternehmen der Frauenanteil an der Belegschaft, im Management und in technischen Berufen in den letzten drei Jahren nicht verändert hat.
  • Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung in der Presseerklärung vom 29. Januar 2004 sehr kritisch zu betrachten, dass 23,1 % aller Beschäftigten und damit jede vierte Person in Betrieben mit expliziten betrieblichen oder tariflichen Vereinbarungen zur Chancengleichheit und Familienfreundlichkeit arbeitet. Denn nach dem IAB-Betriebspanel überwiegen Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit deutlich solche zur: Bekämpfung struktureller Diskriminierungen und Chancengleichheit. Insbesondere Maßnahmen zur Förderung des weiblichen Nachwuchses sind nur in 17 Prozent aller Vereinbarungen enthalten. Solche Maßnahmen können die Diskrepanz zwischen hoher Qualifikation der Frauen und ihren zu geringen Chancen im Bereich Ausbildung und berufliche Erstanstellung vermindern und damit strukturelle Diskriminierung von Frauen beseitigen.
  • der in der Vereinbarung auch genannte Aspekt, durch Erhöhung des Beschäftigungsanteils von Frauen insbesondere in Führungspositionen und zukunftsorientierten Berufen die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen zu verringern, in der BILANZ 2003 keine Erwähnung findet. Da personalpolitische Maßnahmen zur Chancengleichheit offensichtlich von den Unternehmen nur marginal ergriffen werden, besteht hier ein erhöhter Handlungsbedarf des Gesetzgebers: Die durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste vollzeitbeschäftigter Arbeiterinnen im Produzierenden Gewerbe lagen 2002 um 26,0 % (2001 26,2 %) niedriger als die von Männern erzielten Verdienste. Im Angestelltenbereich betrug der Verdienstabstand im Produzierenden Gewerbe, Handel, Kredit- und Versicherungsgewerbe 2002 sogar 29,9 % (2001 29,5 %) und hat sich damit 2002 gerade dort, wo absolut betrachtet die große Mehrzahl der Frauen beschäftigt ist, sogar wieder erhöht.
  • betriebliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie an erster Stelle genannt werden, die tatsächlich zumeist nur betrieblichen Bedürfnissen Rechnung tragen (flexible Arbeitszeitgestaltung, Gleitzeit, Telearbeit), gesetzlich bereits verankert sind (Teilzeit) oder bei einem über § 8 TzBefrG hinaus gewährtem Anspruch auf Teilzeitarbeit Frauen die Rückkehr zur existenzsichernden Vollzeitarbeit letztlich sogar erschweren. Kriterien, wann flexible Beschäftungungsformen tatsächlich familienfreundlich sind, wären überhaupt erstmals zu entwickeln. Familienfreundliche Maßnahmen wie eine betriebliche oder betrieblich unterstützte Kinderbetreuung, die mit Kosten für die Unternehmen verbunden sind, rangieren bei den Vereinbarungen der Unternehmen an letzter Stelle. Dabei hat die Kosten-Nutzen-Analyse der Prognos AG "Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen" im Auftrag des BMFSFJ gezeigt, dass sich solche Investitionen durchaus "rechnen" durch die Bindung qualifizierter Mitarbeiter/innen an den Betrieb oder deren Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Insbesondere die fehlende Möglichkeit der Kinderbetreuung in öffentlichen Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren ist ein wesentliches Hindernis zur Aufnahme einer (Teilzeit-)Erwerbstätigkeit während oder nach der Elternzeit.

Der djb vermisst

  • eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den anderen bereits vorliegenden Erhebungen, die eine größere Fragentiefe gerade auch zu betrieblichen Maßnahmen zur Chancengleichheit aufweisen und die Umsetzung der Vereinbarung weniger positiv sehen. Das ist umso bedenklicher, als die Erhebung zur BILANZ 2003 nur eine Rücklaufquote von 9 % bei 10.000 versandten Fragebogen hatte und es sich um eine Einthemenbefragung handelte, bei der zu vermuten ist, dass Unternehmen ohne familienfreundliche Maßnahmen überdurchschnittlich häufig nicht geantwortet haben. Demgegenüber handelte es sich beim Betriebspanel des IAB um eine Mehrthemenbefragung mit einer Rücklaufquote von 65 % bei 15.000 befragten Betrieben, während zur Datenerhebung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung und des DGB 500 Unternehmen mittels telefonischer Interviews mit einer Ausschöpfungsquote von 57,8 % befragt wurden. Die ersten Ergebnisse der WSI-Befragung von Betriebsräten unterlegen mit Zahlen, dass das Thema Chancengleichheit auf betrieblicher Ebene noch schwieriger voranzutreiben ist als Familienfreundlichkeit; ein Eindruck, den auch das IAB-Betriebspanel vermittelt.

Fazit

Die Bilanz 2003 der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft ist eine erste Bestandsaufnahme zu Chancengleichheit und Familienfreundlichkeit der Privatwirtschaft, aber kein Beleg für ihr nachhaltiges Umdenken in diesen Bereichen. Sie zeigt vor allem, dass zwei Drittel aller Beschäftigten in Betrieben arbeiten, in denen sich Chancengleichheit weder auf Vereinbarungen noch auf freiwillige Maßnahmen stützen kann. Zudem richtet die Bilanz ihren Blick vor allem auf Maßnahmen der Familienfreundlichkeit und vernachlässigt die Frage, was zur Verwirklichung der Chancengleichheit im Personalbereich der Betriebe getan wird. Sie setzt schließlich flexibilisierte Beschäftigungszeiten zu unrecht umstandslos gleich mit familienfreundlichen Beschäftigungszeiten und kommt damit selbst im Bereich der Familienfreundlichkeit zu ungerechtfertigt positiven Einschätzungen. Entsprechend ihrem reduzierten Ansatz kann die Bilanz auch den von ihr selbst aufgedeckten Widerspruch zwischen der hohen Qualifikation von Frauen und deren geringen beruflichen Chancen nicht aufklären: Er beruht auf der Verweigerung chancengerechter und diskriminierungsfreier Arbeitsmarktbedingungen für Frauen. Wie die sinkenden Frauenanteile an den Studierenden zeigen, beginnen junge Frauen, die Konsequenzen daraus zu ziehen: Sie verzichten darauf, ihr Bildungspotential auszuschöpfen. Den Verzicht auf Bildungs- und Leistungsreserven kann sich in der globalen Wissensgesellschaft aber keine Volkswirtschaft leisten. Der Gesetzgeber ist daher - unverändert - gefordert, die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft durch gesetzliche Maßnahmen zu verwirklichen.

Um wirkliche Chancengleichheit zu gewährleisten, ist zudem ein Umdenken hinsichtlich der Rollenverteilung zwischen Frau und Mann erforderlich. Solange Aufgaben wie Kindererziehung und Pflege von Angehörigen weiterhin vollkommen selbstverständlich als Pflichten der Frauen angesehen werden, sind die meisten als Frauenförderprogramme deklarierten Angebote nichts weiter als eine Gewissensberuhigung für Männer, auch in Zukunft im klassischen Rollenmodell zu verharren.

24. Februar 2004

Margret Diwell
Präsidentin
 Ingrid Weber
Vorsitzende der Kommission
Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht