„Im Programm für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft fehlt es an einer klaren Positionierung für ein geschlechtergerechtes Europa. Angesichts der Benachteiligung von Frauen, die die Corona-Pandemie sichtbar macht und verschärft, sollte dies in der am 1. Juli beginnenden EU-Ratspräsidentschaft unter deutschem Vorsitz absolute Priorität haben.“, kommentiert Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds e.V. (djb). „Es bedarf einer konsequenten Strategie zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit.“
Zwar ist es zu begrüßen, dass das am 24. Juni 2020 beschlossene Programm die Verwirklichung der Entgeltgleichheit und die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt verstärkt in den Blick nimmt. Das Bundeskabinett plant insbesondere, sich für die Ratifikation der Istanbul-Konvention durch die EU und alle Mitgliedstaaten einzusetzen. Auch Schlussfolgerungen des Rates zur partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sind zu erwarten.
Doch dies ist nicht genug. „Die Richtlinie für Frauen in den Aufsichtsräten stockt seit 2018, weil die Bundesregierung blockiert.“, so Wersig. „Es wäre das richtige und lang erwartete Signal für ganz Europa, wenn diese Blockade unter deutscher Ratspräsidentschaft aufgegeben würde. Stattdessen wird das Thema ,Frauen in Führungspositionen‘ im Programm der deutschen Ratspräsidentschaft einfach ausgespart, was auch mit Blick auf die deutschen nationalen Anstrengungen nicht nachzuvollziehen ist.“
Im Mittelpunkt des Präsidentschaftsprogramms steht Europas Antwort auf die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Doch der Gleichstellung der Geschlechter und der Chancengleichheit wird dabei keine Beachtung geschenkt, obwohl Frauen von der Pandemie und ihren Folgen in besonderer Weise betroffen sind. Erst im Kapitel zum gerechten Europa erfolgt ein schwaches Bekenntnis, sich für die Abmilderung der negativen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Frauen einzusetzen, die eigenständige Existenzsicherung von Frauen zu fördern und den Praxisaustausch zwischen den Mitgliedstaaten zu intensivieren. Allerdings ist das geplante Format des informellen Treffens wenig erfolgversprechend. Eine zielgerichtete Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter und Chancengleichheit ist notwendig.