Mit Blick auf die Verhandlungen des Deutschen Juristentags zur Reform der Familienbesteuerung bekräftigt und erläutert der Deutsche Juristinnenbund (djb) seine Position zur Ehegatten- und Familienbesteuerung:
Ein Ehegattensplitting ist nicht von Verfassungs wegen geboten.
Das Ehegattensplitting bildet eine Ausnahme vom Prinzip der Individualbesteuerung und damit einen Fremdkörper im deutschen System des Einkommensteuerrechts.
Diese Ausnahme ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Das Ehegattensplitting dient insbesondere nicht dem Schutz der Ehe aus Art. 6 Abs. 1 GG. Es kommt keineswegs allen Ehen, sondern nur solchen mit mittlerem bis hohem Einkommen zugute, bei denen die Höhe der Einkommen von Mann und Frau überdies differiert.
Auch wenn es vor allem bei Ehen mit Kindern finanzielle Wirkungen entfaltet, dient das Ehegattensplitting auch nicht dem – ebenfalls von Art. 6 Abs. 1 GG geforderten – Schutz der Familie. Vielmehr begünstigt es bei dem derzeit geltenden progressiven Tarif nur Familien in einem begrenzten Einkommensspektrum und mit einer bestimmten Form der Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit (Einverdienerehe und -familie). Auch die nichteheliche Familie bleibt unberücksichtigt.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ersten Entscheidung aus dem Jahr 1957 diese Form der Ehebesteuerung als eine der im Rahmen der Verfassung möglichen Formen angesehen – nicht jedoch als die allein verfassungsmäßige. Auf diesen wichtigen Unterschied in der Bewertung hat der djb seitdem immer wieder hingewiesen. Der Unterschied ist fast 50 Jahre nach dieser Entscheidung durch die Tatsache, dass „Elternschaft“ und „Ehe“ sich erheblich auseinanderentwickelt haben, in seiner Bedeutung noch gewachsen.
Das von einigen Vertretern aus Wissenschaft und Politik vorgeschlagene Familiensplitting würde viele Nachteile des Ehegattensplittings manifestieren und verstärken.
Ein Familiensplitting, bei dem die Einkommen von Eltern und Kindern zusammen gerechnet und entsprechend der Zahl der Familienmitglieder gesplittet werden, verstärkt die selektiven Effekte und damit die Zielungenauigkeit des Ehegattensplittings. Je nach konkreter Ausgestaltung würde es vor allem Familien im mittleren bis hohen Einkommenssegment zugute kommen. Der djb hat dies jüngst in einem Hintergrundpapier zum Familiensplitting und in einer Pressemitteilung ausgeführt.
Die künftige Form der Ehebesteuerung sollte den Strukturen der Familienbesteuerung folgen, nicht umgekehrt.
In den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bilden die Besteuerungsformen des Ehegatten- und Familiensplittings keinen Prototyp, sondern einen eher seltenen Ausnahmefall. Das französische Familiensplitting erweist sich im französischen Regelsystem der Haushaltsbesteuerung als steuersystematisch konsequent, zugleich aber nicht auf andere Steuersysteme übertragbar. Im Prozess der europäischen Integration dürfte sich deshalb das Prinzip der Individualbesteuerung auch bei der Ehe- und Familienbesteuerung durchsetzen.
Auch aus diesem Grunde sollte der deutsche Gesetzgeber auf diesen Sonderweg verzichten. Vielmehr empfiehlt der djb, am geltenden System der Individualbesteuerung festzuhalten und dieses auch auf die Ehebesteuerung auszudehnen.
Die zwangsläufigen Aufwendungen für Unterhalt in Höhe des Existenzminimums sind sowohl zwischen Ehegatten als auch zwischen Eltern und Kindern von der Besteuerung frei zu stellen. Dies gebieten sowohl das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit als auch der verfassungsrechtlich gebotene Schutz von Ehe und Familie.
Das im Einkommensteuerrecht gültige objektive Nettoprinzip gebietet außerdem, den Abzug erwerbsbedingter Aufwendungen für Kinderbetreuung durch Dritte als Werbungskosten zuzulassen.
Die Familie bedarf darüber hinaus angemessener und zielgenauer Förderung, insbesondere durch den Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten und auch sozialrechtlicher Maßnahmen.
Im Interesse eines klaren und vom Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit geprägten Einkommensteuerrechts sollte dort auf weitere, familienpolitisch motivierte Abzugstatbestände verzichtet werden. Das Einkommensteuerrecht ist insbesondere nicht der angemessene Ort, um die Wirkungen der Progression abzufedern, den existenziellen Betreuungsbedarf eines Kindes anzurechnen oder die Kosten der Betreuung von Kindern zwischen drei und sechs Jahren in Kindertageseinrichtungen generell abzugsfähig zu stellen.
Mittelbare, etwa verhaltenssteuernde Wirkungen einer einkommensorientierten und leistungsgerechten Besteuerung sind für das Ehe- und Familienleben nicht auszuschließen. Diese Gestaltungswirkungen ergeben sich aber nicht allein aus dem Einkommensteuerrecht, sondern nur in der Zusammenschau mit den geltenden Strukturen des Unterhaltsrechts und des sozialrechtlichen Familienleistungsausgleichs. Eine solche konsequente Zusammenschau ist im Interesse wertungswiderspruchsfreier Gesetzgebung geboten. Die aktuell geplanten Reformen im Unterhaltsrecht sind ein wichtiges Beispiel: Wenn die Ehefrau nach ihrer Scheidung zunehmend darauf verwiesen werden soll, eigenverantwortlich für ihre Existenzsicherung einzustehen, darf in bestehender Ehe nicht eine gegenläufige Weichenstellung in Richtung „Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit“ vorgenommen werden. Dies aber geschieht sowohl durch das Ehegatten- wie auch durch das Familiensplitting.
Eine staatliche Förderung der Familie sollte im Übrigen jenseits der steuerrechtlich gebotenen Abzüge vor allem auch durch den Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten verwirklicht werden.