Stellungnahme: 16-26


zu dem Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (nachfolgend: Nds. AG PsychPbG).

I. Vorbemerkung

Die psychosoziale Prozessbegleitung wurde 2009 durch das zweite Opferrechtsreformgesetz in § 406h StPO als eine Unterstützungsmöglichkeit für Opfer von Straftaten eingefügt. Diese Regelung besagte, dass Opfer von Straftaten auf die Möglichkeit der psychosozialen Prozessbegleitung hinzuweisen seien, jedoch ohne dass der Begriff zu diesem Zeitpunkt mit einer Ausgestaltung im Rechtsalltag hinterlegt war. Mit dem dritten Opferrechtsreformgesetz vom 21. Dezember 2015, durch das die EU-Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU in Deutschland umgesetzt wurde, wurde die psychosoziale Prozessbegleitung in § 406g StPO als Instrument der Opferunterstützung im Strafverfahren bundesweit verankert und durch die gleichzeitige Verabschiedung des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung (PsychPbG) strukturiert und konturiert.

§ 406g Abs. 1 StPO legt für das Strafverfahren grundsätzlich fest, dass jede und jeder Verletzte einer Straftat sich der Opferunterstützungsmaßnahme „psychosoziale Prozessbegleitung“ bedienen darf. In § 406g Abs. 3 StPO wird geregelt, unter welchen Voraussetzungen Verletzte kostenlos, d.h. bezahlt durch das Land, psychosoziale Prozessbegleiter_innen auf Antrag beigeordnet bekommen. Zudem legt § 406g Abs. 3 StPO fest, dass sich die Beiordnung nach der Regelung des § 142 Abs. 1 StPO, also dem Recht der Beiordnung eines Pflichtverteidigers, richtet. Dies bedeutet zugleich, dass in den Fällen, die nicht von § 406g Abs. 3 StPO erfasst sind, Verletzte die psychosoziale Prozessbegleitung selbst bezahlen müssen. Dass dies potentiell mit Artikel 8 der EU-Opferschutzrichtlinie kollidiert, wonach Unterstützungsdienste für Opfer kostenlos zur Verfügung gestellt werden müssen, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt, da insoweit der Bundesgesetzgeber zuständig ist. Da die Regelung in § 406g Abs. 3 StPO an die Bestellung eines Beistandes bei Nebenklage gemäß § 397a Abs. 1 StPO anknüpft, ist aus denselben Gründen auch die Nichtgewährung der kostenlosen psychosozialen Prozessbegleitung in Fällen von Vergehen, welche nicht unter § 397a Abs. 1 StPO fallen, kritikwürdig, betrifft aber wie erwähnt den Bundesgesetzgeber.

Im PsychPbG sind die Grundsätze, die Anforderungen an die Qualifikation der psychosozialen Prozessbegleiter_innen und deren Vergütung geregelt. In § 2 Abs. 1 PsychPbG ist festgeschrieben, dass die psychosoziale Prozessbegleitung als besondere Form der nicht-rechtlichen Begleitung für besonders schutzwürdige Verletzte im Strafverfahren, die Informationsvermittlung und die qualifizierte Betreuung und Unterstützung der Verletzten umfasst. In § 2 Abs. 2 PsychPbG sind die grundsätzlichen Ziele festgelegt, angelehnt an die Qualitätsstandards, die von einer Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz beschlossen wurden und die vom dritten Opferrechtsreformgesetz in Bezug genommen worden sind. Zur Umsetzung der psychosozialen Prozessbegleitung in den Bundesländern erlassen diese Ausführungsgesetze, in Niedersachsen das hier zur Stellungnahme vorgelegte Nds. AG PsychPbG. Dieses Gesetz regelt für Niedersachsen insbesondere die Anerkennung als psychosoziale Prozessbegleiter_innen, die Aufnahme der psychosozialen Prozessbegleiter_innen in ein Verzeichnis einschließlich dessen Führung, die Pflichten der psychosozialen Prozessbegleiter_innen sowie die Anerkennung von Aus- und Weiterbildungen.

II. Finanzierung

Im Hinblick auf die Frage der Finanzierung ist zunächst festzustellen, dass beigeordnete psychosoziale Prozessbegleiter_innen nach den in § 6 PsychPbG vorgesehenen Sätzen für das Ermittlungsverfahren 520 €, für die Begleitung im Hauptverfahren 370 € und für die Begleitung nach dem erstinstanzlichen Verfahren 210 € abrechnen können. Diesbezüglich ist auch zu beachten, dass § 10 PsychPbG eine sogenannte Öffnungsklausel enthält, die die Landesregierungen dazu ermächtigt, für ihren Bereich durch Rechtsverordnung die Vergütung der psychosozialen Prozessbegleiter_innen anderweitig zu regeln.

Niedersachsen hat neben Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern bereits seit 2012 Standards für eine psychosoziale Prozessbegleitung auf Landesebene sowie eine auf diese Standards gestützte Qualifizierungsmaßnahme entwickelt und umgesetzt. In den zurückliegenden Jahren hat Niedersachsen die psychosoziale Prozessbegleitung, die auf freiwilliger Basis angeboten wurde, aus Mitteln der Stiftung Opferhilfe Niedersachsen finanziert, so dass das Angebot in jedem Fall für die Verletzten kostenlos war und landesweit zur Verfügung gestellt werden konnte. Um dieser – der EU-Opferschutzrichtlinie gerecht werdenden – Umsetzung zu entsprechen, ist einerseits die Finanzierung über die Regelung des § 6 PsychPbG vorgesehen. Zusätzlich ist jedoch in der Begründung des Nds. AG PsychPbG festgelegt, dass neben der Vergütung der psychosozialen Prozessbegleiter_innen, die in Höhe der bundesgesetzlich geregelten Vergütung nach § 6 PsychPbG gewährt werden soll, beabsichtigt ist, eine Förderung der freien Träger vorzunehmen, die eine psychosoziale Prozessbegleitung unter Einhaltung der Qualitätsstandards in Niedersachsen anbieten. Diese Förderung soll in Form eines Zuschusses in Höhe von jährlich 9.000 € für jede Stelle einer psychosozialen Prozessbegleiterin oder eines psychosozialen Prozessbegleiters erfolgen. Niedersachsen wird insofern von der Verordnungsermächtigung in § 10 PsychPbG Gebrauch machen.

Beigeordnete psychosoziale Prozessbegleiter_innen können also auch in Niedersachsen nach den oben genannten in § 6 PsychPbG vorgesehenen Sätzen abrechnen. Um jedoch die Fälle abzudecken, in denen mangels Vorliegen der Voraussetzungen im Sinne von §§ 406g Abs. 3, 397a Abs. 1 StPO eine Beiordnung auf Kosten des Landes nicht möglich ist, ist in Niedersachsen eine Anbindung der psychosozialen Prozessbegleiter_innen an zivilgesellschaftliche Träger konstituiert worden. Dies gewährleistet zum einen die Aufrechterhaltung der hohen, in Niedersachsen bereits bestehenden Qualitätsstandards, weil hierdurch Anforderungen wie Supervision und Vernetzung festgeschrieben werden können. Zum anderen wird dadurch, wie bereits erwähnt, eine an die Stellen als psychosoziale Prozessbegleiter_innen gebundene Förderung des Trägers mit 9.000 € ermöglicht. In den Ausführungsgesetzen der anderen Bundesländer ist eine solche Regelung, soweit bekannt, nicht vorgesehen. Diese niedersächsische Ausgestaltung gibt jedoch die Chance, in der Mehrzahl der Fälle psychosozialer Prozessbegleitung, die nicht in einem gerichtlichen Verfahren fortgeführt werden und damit die entsprechenden Kostentatbestände nicht auslösen, den freien Trägern eine gewisse finanzielle Absicherung zu gewährleisten, sie also den psychosozialen Prozessbegleiter_innen finanziell gleichzustellen, die stellenvollfinanziert durch die Stiftung Opferhilfe Niedersachsen vorgehalten werden, und den Verletzten damit eine der EU-Opferschutzrichtlinie entsprechende kostenlose Begleitung zu ermöglichen.

III. Anerkennung und Verzeichnis

Im Nds. AG PsychPbG sind ferner die Anerkennung der Qualifizierungsmaßnahmen und die persönliche Anerkennung der psychosozialen Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter sowie ihre Aufnahme in eine der Justiz zugängliche Liste vorgesehen.

In den anderen Bundesländern ist die Anerkennung der Qualifizierungsmaßnahmen teilweise allgemeiner geregelt. So ist dort zum Teil eine automatische Anerkennung einer Qualifizierungsmaßnahme vorgesehen, wenn diese in einem anderen Bundesland anerkannt wurde. Diesen Automatismus hat das Nds. AG PsychPbG nicht übernommen, um sicherzustellen, dass die in der Qualifizierungsmaßnahme in Niedersachsen bestehenden hohen Anforderungen, insbesondere die Verzahnung der Ausbildung mit professionellen Praktiker_innen aus den verschiedenen Berufen, die sich als sehr effektiv erwiesen hat, nicht abzuschwächen. Allerdings besteht im Rahmen einer Arbeitsgruppe im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ein regelmäßiger Austausch, wodurch eine weitgehend einheitliche Handhabung der Anerkennung von Qualifizierungsmaßnahmen gewährleistet ist.

Die Vorschriften über die Anforderungen an die persönliche Anerkennung entsprechen den Standards, wie sie von der Justizministerkonferenz verabschiedet worden sind und wie sie auch in anderen Rechtsbereichen (wie z.B. im Jugendhilferecht) vergleichbar existieren.

Die Aufnahme in ein im Justizministerium zu führendes landesweites Verzeichnis gewährleistet die Möglichkeit, die Liste der beiordnungsfähigen psychosozialen Prozessbegleiter_innen der Justiz auf transparente Art und Weise zugänglich zu machen und garantiert damit die einheitliche Handhabung sowie die datenschutzrechtliche Sicherheit.

Weitergehende Regelungen zu Einzelfragen der Beiordnung werden sich aus der Praxis der Gerichte ab dem 1. Januar 2017 ergeben und sind deshalb zu Recht nicht aufgenommen worden.

IV. Fazit

Insgesamt erscheinen die vorgesehenen Regelungen im Nds. AG PsychPbG sinnvoll, um die Unterstützung von Verletzten mit besonderem Schutzbedarf im Strafverfahren zu fördern. Die in der Begründung vorgesehene zusätzliche Finanzierung trägt zudem den europarechtlichen Vorgaben Rechnung. Dass der am 1. Januar 2017 in Kraft tretende § 406g Abs. 3 StPO die Gewährung des Rechts auf kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung nur für die in § 397a Abs. 1 StPO erfassten Fälle vorsieht, ist bedauerlich, kann jedoch durch landesrechtliche Regelungen nicht beeinflusst werden.

Ramona Pisal 
Präsidentin                                             

Dr. Leonie Steinl, LL.M.
Mitglied der Kommission Strafrecht