Stellungnahme: 16-23


zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 9. November 2016 zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen Drs. 18/9946

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Einladung zur Anhörung und die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Wie schon in unserer Stellungnahme vom 6. Mai 2016 mitgeteilt, begrüßen wir ausdrücklich, dass sich das Parlament erneut mit dem Thema Stalking befasst.

Der djb teilt die Auffassung, dass der § 238 StGB dem Anspruch eines besseren Schutzes vor Nachstellungen nur eingeschränkt gerecht wird.

Die nunmehr vorgeschlagene Reform halten wir für grundsätzlich geeignet, die Opfer von Nachstellungen besser zu schützen. Dabei scheint es sachdienlich, dass die Norm von einem Erfolgs- in ein Eignungsdelikt umgestaltet wird. Bislang genügten selbst schwere psychische Folgen bei den Geschädigten nicht für eine Verurteilung, wenn sich diese Folgen nicht in einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der äußeren Lebensumstände niederschlugen. Damit konnten weder Geschädigte, die sich trotz Stalkings tapfer behaupteten, noch Geschädigte, denen es schlichtweg nicht möglich war, ihre Lebensumstände zu verändern, auf eine Verurteilung der Täter gemäß § 238 StGB hoffen.

Allerdings erscheint demgegenüber aus Sicht des Opferschutzes die ersatzlose Streichung der Handlungsgeneralklausel des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB problematisch. Der djb ist sich dabei der Kritik am Tatbestandsmerkmal bewusst. So wird vorgetragen, dass § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB das Spektrum möglicher Tathandlungen in kaum überschaubarer Weise öffne und die verfassungsrechtlich erforderliche Bestimmtheit dieser Tatvariante in Frage gestellt. Auch der djb hatte in der Vergangenheit die Streichung des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB gefordert. Jedoch sind wir der Meinung, dass durch die vorgesehene – ersatzlose – Streichung mögliche Nachstellungshandlungen von nicht unerheblicher praktischer Bedeutung nicht mehr von der Strafnorm des § 238 StGB erfasst werden. Dies betrifft etwa das Schalten einer unrichtigen Todesanzeige in der Zeitung, das Verächtlichmachen des Opfers bei Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen oder in sozialen Netzwerken oder die Beschädigung und Verunstaltung von Sachen des Opfers oder deren Wegnahme ohne Zueignungsabsicht. Auch diese Handlungen sind geeignet, die Betroffenen in erheblichem Maße psychisch zu beeinträchtigen. Nicht alle diese Tathandlungen werden durch andere Straftatbestände erfasst; ist dies der Fall, sind die Strafdrohungen meist geringer. Der djb fordert den Gesetzgeber daher auf, diese durch § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB bisher nicht erfassten, jedoch für strafwürdig zu erachtenden typischen Verhaltensweisen von Stalkern ebenfalls in die Strafnorm einzubeziehen.

Nachdrücklich begrüßt der djb dagegen das Vorhaben, die Nachstellung aus dem Katalog der Privatklagedelikte zu nehmen. Der Privatklageweg macht ein Strafverfahren zu einem Hürdenlauf für die Geschädigten. Die Bürde, die mit der Erhebung einer Privatklage verbunden ist, trifft das ohnehin durch die Tat stark belastete Opfer von Stalking in besonderem Maße. Die Durchsetzung der Strafverfolgung im Wege der Privatklage bedient die Zielrichtung des Täters, das Opfer zu von ihm nicht gewolltem Handeln zu zwingen und bedeutet eine in Stalkingfällen zumeist kontraindizierte zusätzliche Konfrontation des Opfers mit dem Täter. Dies kann zu einer weiteren Verschlechterung der Situation des Opfers führen.

Auch die im Entwurf vorgesehene Strafbewehrung von Verstößen gegen gerichtlich bestätigte Vergleiche im Gewaltschutzverfahren wird im Grundsatz unterstützt. Dabei weisen wir darauf hin, dass Vergleiche bei Verfahren in Gewaltschutzsachen zwar durchaus üblich sind, gleichwohl aber auf Bedenken stoßen. Dennoch ist die Erweiterung der Vorschrift aufgrund der Praxis der Gerichte notwendig, um den Erhalt der Strafbewehrung für die Betroffenen zu sichern. Dies gilt gerade, weil Betroffene oftmals nicht anwaltlich vertreten sind. Allerdings halten wir die Höhe der Strafdrohung bei einem Verstoß gegen eine gerichtliche Anordnung oder gerichtlich bestätigten Vergleich für zu gering. Mit einem Strafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr entspricht die Strafdrohung der für Taten im Bagatellbereich. Selbst Taten wie Beleidigung oder Fischwilderei sind mit höherer Strafe bedroht. Vor diesem Hintergrund scheint die ins Auge gefasste Strafdrohung den Unrechtsgehalt der Tat nicht hinreichend abzubilden. Wir fordern deshalb eine Anhebung der Strafdrohung auf einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

Der djb weist außerdem darauf hin, dass eine effektive Umsetzung dieser geplanten Gesetzesänderung mit einer Schulung und Sensibilisierung von Fachpersonal bei Polizei, Staatanwaltschaft und Justiz einhergehen muss. Ebenso ist ein bedarfsgerecht ausgebautes und finanziertes, auf Fälle der Nachstellung spezialisiertes Beratungs- und Hilfsangebot notwendig. Diese Maßnahmen sind erforderlich, um sicherzustellen, dass der Schutzanspruch der Opfer von Stalking in der Praxis auch durchgesetzt werden kann.

Schließlich möchten wir noch auf das Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung für Stalking-Opfer eingehen: Der djb weist darauf hin, dass – den Regelungen der Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für Opfer von Straftaten entsprechend – Opfer von Stalking und von anderen Rechtsgutverletzungen, die von § 1 und § 2 GewSchG erfasst sind, zumeist als besonders schutzbedürftig einzustufen sind. Die am 1. Januar 2017 in Kraft tretende Regelung des § 406g Abs. 3 StPO sieht die Gewährung des Rechts auf kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung für Opfer von Stalking im Sinne des § 238 Abs. 1 und Abs. 2 StGB nicht vor, selbst wenn diese durch die Tat einen schweren körperlichen oder seelischen Schaden erlitten haben. Zwar können sich diese Opfer der psychosozialen Prozessbegleitung bedienen (§ 406g Abs. 1 StPO), müssen diese jedoch selbst finanzieren. In vielen Fällen dürfte dies nicht im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten der Betroffenen liegen. Der djb bittet deshalb, durch Bezugnahme in § 406g Abs. 3 auf § 397a Abs. 2 StPO, die kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung nach gerichtlicher Prüfung im Einzelfall auch für die Betroffenen von Stalking und Vergehen gegen das Gewaltschutzgesetz vorzusehen.

 

Ramona Pisal                                                
Präsidentin                                               

Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

Dr. Leonie Steinl, LL.M.
Mitglied der Kommission Strafrecht