Stellungnahme: 15-03


zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Möglichkeit, auch zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen Stellung nehmen zu können.

Der djb hat bereits in seiner Stellungnahme zum Diskussionsentwurf (Stand: 30.5.2012) im Juli 2012 auf Gefahren für die informationelle Selbstbestimmung insbesondere für Geschädigte von Gewaltstraftaten und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung hingewiesen und erneuert diese auch in Bezug auf den Referentenentwurf.

Der djb sieht den bereits aufgezeigten Nachbesserungsbedarf in den Punkten

  • nicht löschbare Kennzeichnung der Quelldateien zum Schutz vor deren Weitergabe an Unbefugte,
  • keine Weitergabe von Bild-Ton-Aufzeichnungen an Beschuldigte/Angeklagte,
  • Gewährleistung der Rücksichtnahme auf Verletztenrechte (Nr. 220 Abs. 2 RiStBV)

durch den Referentenentwurf nicht beseitigt und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen dazu in der djb-Stellungnahme vom 16.7.2012.

Besondere Bedenken bestehen gegen das in § 147 Abs. 4 StPO-E normierte uneingeschränkte Akteneinsichtsrecht des nicht anwaltlich vertretenen Beschuldigten.

Der in der Gesetzesbegründung ausgeführten Argumentation, dass Art. 6 Abs. 1 und 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht gebieten und dem, aufgrund der bei Bereitstellung einer Leseversion oder -kopie der elektronischen Akte entfallenden Manipulationsmöglichkeit, keine Bedenken mehr entgegen gehalten werden könnten, kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Zum einen ist bereits fraglich, ob die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine solche Ausdehnung des Akteneinsichtsrechts tatsächlich verlangt. Der EGMR hat in seinen Entscheidungen immer wieder betont, dass das Akteneinsichtsrecht kein absolutes ist, sondern stets gegen Fragen der nationalen Sicherheit, des Zeugenschutzes und möglicher Gefährdungen des Untersuchungszwecks abzuwägen ist, vgl. e.g. die Entscheidung Natunen v. Finnland, Urteil vom 31. März 2009, App. No. 21022/04, Rn. 40.

Zum anderen birgt eine umfängliche Einsichtnahme auch in ein elektronisches Dokument weitreichende Gefahren für die übrigen Verfahrensbeteiligten und deren Persönlichkeitsschutz. Es ist bislang nicht ersichtlich, wie die Einsichtnahme durch unberechtigte Dritte wirksam verhindert und die Weitergabe von Informationen unterbunden werden können. Der Referentenentwurf formuliert dazu lediglich in § 32 f Abs. 3 StPO-E das angestrebte Ziel, ohne das erkennbar wäre, wie dies konkret erreicht werden soll.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Schutz von Geschädigten und Zeugen würden es bei der vorgesehenen Regelung zwingend notwendig machen künftig vor jeder Gewährung von Akteneinsicht die gesamte Akte auf personenbezogene, schützenswerte Daten einerseits und notwendig zu übermittelnde Informationen andererseits zu durchforsten und im Einzelnen zu prüfen, ob vor diesem Hintergrund tatsächlich Einsicht in bestimmte Aktenteile gewährt werden kann. Dies dürfte in der Praxis bei der Vielzahl von Verfahren nicht zu bewerkstelligen sein.

Nach Auffassung des djb unterliefe das vorgesehene Akteneinsichtsrecht des unverteidigten Beschuldigten den, nicht zuletzt nach der Richtlinie 2012/29/EU, gebotenen Schutz von Verletzten vor erneuter Viktimisierung, Einschüchterung und Vergeltung. Zudem sind – bisher nicht ersichtliche – sichere Regelungen zur Authentifizierung nicht nur der bzw. des Beschuldigten, sondern auch anderer um Akteneinsicht Nachsuchender zwingend.

Darüber hinaus ist zum Referentenentwurf insgesamt kritisch anzumerken, dass er die technische Umsetzung des ambitionierten Ziels der Einführung der elektronischen Akte im Strafverfahren ausblendet und bei seinen Regelungen von technischen Standards ausgeht, die bislang für die Justizverwaltungen weder verbindlich noch bundesweit einheitlich festgelegt sind und deren Funktionsfähigkeit und Praktikabilität noch keinem Praxistest unterzogen wurden.

Im Hinblick auf die in § 32 Abs. 2 StPO-E vorgesehene Kompetenz der Länder durch Erlass von Rechtsverordnungen die für die elektronische Aktenführung geltenden organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen einschließlich der einzuhaltenden Anforderungen des Datenschutzes, der Datensicherheit und der Barrierefreiheit zu bestimmen, wird dafür Sorge getragen werden müssen, dass dies nicht im Ergebnis zu unterschiedlichen Standards führt, die nicht zuletzt von der Kassenlage der jeweiligen Justizverwaltungen (mit-) bestimmt sein dürften. Insbesondere der Datenschutz und die Datensicherheit müssen in dem sensiblen Bereich des Strafrechts aber weitest möglich gewährleistet sein und zum Schutz der Verfahrensbeteiligten muss der (jeweils verfügbare) höchste technische Standard zur Anwendung kommen.

Ramona Pisal
Präsidentin

Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission Strafrecht